Edition V.V. Nalimov

 

Vassily Vassilievich Nalimov

Vassily Vassilievich Nalimov, einer der bedeutendsten russischen Gelehrten des zwanzigsten Jahrhunderts, ist im deutschsprachigen Raum nur wenig bekannt. Die Bibliographie V.V. Nalimovs umfasst aber über 300 Titel, darunter mehr als 20 Monographien. Bereits ein flüchtiger Blick auf diese Bibliographie lässt ahnen, dass das Werk von V.V. Nalimov enzyklopädisch alle Gebiete der Natur-, Sozial- und Humanwissenschaften umfasst. Es spiegelt zudem die politischen Ereignisse seines Jahrhunderts wider. 

V.V. Nalimov war Philosoph, Mathematiker, Doktor der technischen Wissenschaften, Professor. Geboren am 4. November 1910. Sein Vater Vassily Petrovich Nalimov war Professor an der Moskauer Universität, Ethnograf, er starb 1939 im Gefängnis in der Periode politischer Repressionen. Seine Mutter Nadeshda Ivanovna Nalimova war Chirurg, sie kam in der Zeit des Bürgerkrieges bei einer Flecktyphus-Epidemie ums Leben. V.V. Nalimov ging bei Professor A.P. Nechaev in eine „Versuchs- und Musterschule“, die im ehemaligen Medvednikovschen Gymnasium untergebracht war. Von 1929 bis 1931 war er Student an der mathematischen Abteilung der physikalisch-mathematischen Fakultät der Staatlichen Moskauer Lomonossov-Universität (MGU), die er nicht beenden konnte, weil es einen Konflikt mit der Komsomol-Organisation gab. Bis zum Herbst 1936 arbeitete er wissenschaftlich auf dem Gebiet der theoretischen und experimentellen Physik. Im selben Jahr wurde er verhaftet und zu fünf Jahren Erziehungs- und Arbeitslager in Kolyma (Sibirien) verurteilt; 1943 mit der Auflage freigelassen, nicht ohne Genehmigung in großen Städten und zentralen Gebieten des Landes zu leben; 1949 erneut verhaftet und nach Kasachstan in die ewige Verbannung geschickt. Die Zeit der Repression dauerte für ihn etwa achtzehn Jahre. 1955, nach dem Tod Stalins, kehrte Nalimov nach Moskau zurück und nahm dort am Allunions-Institut für wissenschaftliche und technische Information (VINITI) der Akademie der Wissenschaften der UdSSR die Arbeit auf. Im Jahre 1960 wurde er rehabilitiert. Noch vor seiner Rehabilitierung verteidigte er 1957 seine Kandidatendissertation „Differenzierte Fehleruntersuchung bei der chemischen und Spektralanalyse unter Verwendung von Methoden der mathematischen Statistik“ am D.I. Mendeleev-Allunions-Forschungsinstitut für Metrologie in Leningrad. Die Verteidigung war nicht trivial (ein ehemaliger politischer Häftling und Volksfeind!), doch praktisch alle stimmten für Nalimov. Am selben Ort verteidigte er 1963 seine Dissertation „Metrologische Aspekte der chemischen Kybernetik“. Den wissenschaftlichen Grad eines Doktors der technischen Wissenschaften erlangte er 1964. Noch vorher, 1959 , hatte er am Staatlichen Institut für Seltene Metalle in Moskau das Laboratorium für mathematische Forschungsmethoden geschaffen. 1965 nahm er die Arbeit eines stellvertretenden Leiters des Laboratoriums für statistische Methoden der MGU auf, das vom Akademiemitglied A.N. Kolmogorov geleitet wurde. 1971 zum Professor ernannt, begann er 1975 mit der Leitung des Laboratoriums für eine mathematische Theorie des Experiments an der biologischen Fakultät der MGU. Von 1993 bis zu seinem Tode war Nalimov leitender Wissenschaftler des Laboratoriums für systemische Ökologie an der biologischen Fakultät der MGU.

Einige Jahre lang leitete Nalimov die Sektion „Chemische Kybernetik und mathematische Theorie des Experiments“ des Wissenschaftlichen Rates für das Komplexproblem „Kybernetik“ beim Präsidium der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.

1985 wurde er mit der Derek de Solla Price Medaille ausgezeichnet, die ihm von der internationalen Zeitschrift Scientometrics für seine Beiträge zur Wissenschaftsforschung verliehen wurde; im Jahre 1990 wurden zwei seiner Bücher über mathematische Statistik nach der Bewertung durch das amerikanische Institute for Scientific Information (ISI) in den Rang von „Zitations-Klassikern“ erhoben. 1996 zum Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Naturwissenschaften (RANW) ernannt und mit der Medaille „für Verdienste bei der Entwicklung von Wissenschaft und Ökonomie“ ausgezeichnet. In den zwei Jahrzehnten von 1970 bis 1990 wurde V.V. Nalimov zu Vorträgen an bedeutenden Universitäten (Warschau, Berlin, Princeton) und zur Teilnahme an internationalen Konferenzen eingeladen, die sich mit Problemen der Wissenschaft, der Welt und des Menschen befassten. In der Tat waren „Westreisen“ erst nach der Perestroika möglich, weil ungeachtet Nalimovs Rehabilitierung seine Unterlagen eben „anrüchig“ blieben und Reisen in sogenannte kapitalistische Staaten „für solche wie ihn“ nicht realisierbar waren.

Mit dem Namen Nalimovs ist die Schaffung und Entwicklung einer ganzen Reihe neuer wissenschaftlicher Richtungen verbunden, wie die Metrologie der Materialanalyse, die chemische Kybernetik, die mathematische Theorie des Experiments und die Scientometrie (letzteren Namen führte Nalimov in die Wissenschaft ein: Naukometriya).

 

 

Band 0

E.V. Zolotukhina-Abolina

 

V.V. Nalimov (1910-1997). Leben und Werk eines russischen Enzyklopädisten

des XX. Jahrhunderts. Eine Biographie

Aus dem Russischen übersetzt von Manfred Bonitz, 2010, 178 S., Bibliographie, ISBN 978-3-89626-740-5, 32,80 EUR
 

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Band 1

Nalimov, V.V.:

“Spontaneität des Bewusstseins. Wahrscheinlichkeitstheorie der Bedeutungen und Bedeutungsarchitektonik der Persönlichkeit"

Aus dem Russischen übersetzt von Manfred Bonitz, 2009, 394 S., ISBN 978-3-89626-741-2, 39,80 EUR

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