Besprechung von Herbert Hörz in: Leibniz Intern, Mitteilungen der Leibniz-Sozietät, Nr. 34, 1. März 2007, S. 14f.

Internet: Vorteile und Gefahren

Reihe: Network Cultural Diversity and New Media (e-Culture), herausgegeben von Gerhard Banse (Karlsruhe, Cottbur, D), Andrzej Kiepas (Katowice, Pl), Nicanor Ursua Lezaun (San Sebastian, E), Vol. 1 - 9, Berlin: trafo Verlag 2004 - 2007

 Über das Internet wird kontrovers diskutiert. Es fördert die Demokratisierung des Wissens, das Aufbrechen von Informationsmonopolen, doch auch die Manipulierung des Bewusstseins durch die in der Informationsfülle verborgenen "vorbeihuschenden Wahrheiten". Die Leibniz-Sozietät nutzt Vorteile. Wir stellen Programme auf der homepage dar, führen Debatten, publizieren Arbeitsergebnisse in der "online-Zeitschrift" und koordinieren die Arbeit inhaltlich und organisatorisch per Email. Das 21. Jahrhundert wird durch Multimedia geprägt sein, durch das Zusammenwirken moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, die als Neue Medien auf Daten in digitaler Form zugreifen, rechnergestützt sind und den interaktiven Zugang zu den Daten ermöglichen. Zu ihnen gehören neben dem Handy mit seinen vielen Funktionen, den DVD, CD-ROM und MP3, vor allem das Internet.

Wissenschaft ist herausgefordert, die Konsequenzen zu analysieren, die das unaufhaltsame Eindringen dieser Medien in alle Lebensbereiche mit sich bringt. Oft geht es um technische Probleme, wie Sicherheit, Erfolgs- und Gefahrenrisiken, ökonomische Aspekte, logistische Vorteile und Fragen der weiteren technologischen Entwicklung bis zum Quantencomputer. Doch es findet mit der Revolution der Denkzeuge eine Umwälzung kultureller Beziehungen statt, mit Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens, von der Aus- und Weiterbildung bis zum künstlerischen Schaffen. Damit befasst sich eine von unserem Mitglied Gerhard Banse zusammen mit Andrzej Kiepas (Katowice, Polen) und Nicoa Ursua Lezaun (San Sebastian, Spanien) herausgegebene Reihe "e-Culture". Der trafo Verlag mit dem, der Leibniz-Sozietät eng verbundenen, Verleger Dr. Weist, der gegenüber neuen Entwicklungen stets aufgeschlossen ist, ermöglichte die Publikation interessanter Debatten zum Verhältnis Neue Medien und Kultur.

Die Reihe entstand 2004 durch Initiative des European Network of Cultural Diversity and New Media (CultMedia), das inzwischen in verschiedenen Ländern, unter interdiziplinärer und internationaler Beteiligung, workshops zu verschiedenen Themen durchführte, deren Ergebnisse in den vorliegenden 9 Bänden dargestellt sind. Unsere Sozietät ist neben dem Herausgeber mit Peter Fleissner (Wien), Wolfgang Hofkirchner (Salzburg), Uwe Meinberg (Cottbus) und vielen Kooperationspartern vertreten, wie Michal Eckardt (Göttingen), der sich im Bd. 4 mit der Medientheorie von Georg Klaus (1912 - 1974), dem kreativen Philosophen und Mitglied unserer Vorgängerakademie, beschäftigt. Gerhard Banse, der in jedem Band im Namen der Gesamtherausgeber im Editorial auf spezifische thematische Aspekt verweist, wirkte als Bandherausgeber von Bd. 1 zum Thema "Neue Kultur (en) durch Neue Medien (?)" und mit Monika Bartiková von Bd. 8 "e-learning? - e-learning!". Angekündigt ist Bd. 10 unter seiner Herausgeberschaft zum Thema "Visionen der Informationsgesellschaft 2016". Debatten in der Leibniz-Sozietät mit ihren Informationen, Anregungen und Kritiken gehen in die Reihe ein. Es geht um "Erinnerungskulturen im Cyberspace" als Bestandsaufnahme österreichischer Websites zuNationalsozialismus und Holocaust (Bd. 2) und vor allem um das Internet mit der "fragwürdigen Medialiät" (Bd. 3), mit Auswirkungen auf die Kultur, um Identitätsprobleme, Partizipation und Demokratieentwicklung (Bd. 5, 6, 7) sowie dem Verhältnis von Sicherheit und Risiko (Bd. 9).

Es ist anregend, verschiedene Standpunkte von Autoren kennenzulernen. Viele kommen aus Osteuropa. Demokratie- und Partizipationsdefizite werden beschrieben und Wege zu ihrer Überwindung angegeben. Noch gilt für das Kommunikationssystem im Kapitalismus: "Bis heute ist es an finanzieller Rentabilität orientiert, an privaten Vorteilen für die Wenigen und nicht an Kriterien sozialer Rentabilität und größerer Lebensqualität für die Vielen." (Bd. 7, 11) Information ist eine Ware. Muss das so sein? Warum soll ein Ethik-Kodex für das Internet das Herunterladen nicht bezahlter Software verbieten? (Bd. 1, 105) Ein Werbe-Flyer des Unternehmens O.tel.o, nun bei Arcor, wirbt mit einem Marxbild und der Losung: Internet wird Volkseigentum. Tatsächlich kann sich jeder, der entsprechende Voraussetzungen hat, wichtige Informationen aus dem Internet holen, doch die Vermischung von individuellen extremen Meinungen und gesichertem Wissen, von Be- und Erkenntnissen, macht eine kritische Sicht erforderlich. Einerseits wächst die Möglichkeit, sich gegen die Vorherrschaft herrschender Ideologien zu wehren. Andererseits ist Überinformation mit unwesentlichen Details Grundlage einer allgemeinen Verwirrung, bei der wesentliche Zusammenhänge nicht erkannt werden. Positiva und Negativa des Internet gibt es, doch auch die Bedrohung hat eine kulturelle Dimension (Bd. 5, 46).

Kultur ist das Ergebnis menschlicher Lebens- und Daseinsbewältigung in einer Handlungs- und Kommunikationsgemeinschaft (Bd. 1, 33). Es geht um soziokulturelle Identitäten mit einer eigenen Tradition, bestimmten Wertvorstellungen und spezifischer rational-emotionaler, gegenständlicher und ästethischer Aneigung der Wirklichkeit, die verschieden auf die Neuen Medien reagieren. Die Technologienentwicklung als Teil der Zivilisation wird weiter gehen. Ihre Auswirkungen können kulturzerstörerisch sein, wenn eine kulturadäquate Einführung der Neuen Medien fehlt. Die unterschiedliche Aufnahme neuer Technologien durch bestimmte Wertegemeinschaften ist mit Vergleichsanalysen sicher noch weiter zu verfolgen. Die Neuen Medien erleichtern den Wissenserwerb. Die persönliche Charakterbildung durch Lehrende ersetzen sie nicht. Es gilt die Forderung nach kultureller Vorbereitung ihres Einsatzes, denn sonst "kann er im besten Fall nichts, im ungünstigeren Fall das Gegenteil bewirken, etwa in Form von Geld-, Zeit- oder Prestigeinbußen." (Bd. 8, 9)

Die Debatte um Gewaltspiele wird mit jedem kriminellen computerspielenden Akteur neu angeheizt. Liegt wirklich ein Defizit des Internet vor? (Bd. 1, 100) Nicht virtuelle Gewalt macht Spieler zu realen Tätern, sondern die sozialen Umstände führen dazu. Wer Grimmsche Märchen las, realisierte als Leser nicht unbedingt grausame Taten. Verbote helfen nicht weiter. Ein Plädoyer für Abenteuerspiele ohne Unmenschlichkeit ist angebracht.

Wer sich mit der Janusköpfigkeit der Neuen Medien beschäftigen will, dem sei die Reihe zum Lesen empfohlen. Er wird Anregungen finden, um über Vor- und Nachteile des Internet nachzudenken, auch praktikable Vorschläge, um Gefahren zu minimieren.