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John, Matthias

 

Zeitungsdruckereien in Mittelsachsen und im Muldental – Arbeiter, Arbeitsalltag und -bedingungen.
Mit einem Anhang: Die aus dem Jahre 1942 stammende Fotodokumentation der Grimmaer Druckerei Bode

Gewidmet Hans Bohrmann zum 70. Geburtstag am 26.9.2010
 

2010, [= Leipziger Beiträge zur Pressegeschichte, Band 1], 224 S., zahlr. Fotos, ISBN 978-3-89626-845-7, 34,80 EUR

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Rezensionen

 

Rezension von Steffen i Winkler in:

CURIOSITAS 14–15/2014–2015: Rezensionen, S. 188–283

 

Die Genesis dieses Werkes ist eng mit dem ersprießlichen Verhältnis zwischen dem Leipziger Historiker Matthias John und Professor Hans Bohrmann, dem namhaften Medienwissenschaftler und verdienstvollen Geschäftsführer des Mikro- filmarchivs Dortmund, verknüpft. Erste Kontakte bahnten sich im Mai 1989 an, fortan war ihre Zusammenarbeit von wechselseitig ausgesandten Impulsen geprägt, wobei vor allem John von den Kenntnissen des erfahrenen Pressehistorikers Bohrmann partizipierte. Folgerichtig führt deshalb der erste Beitrag unter der Überschrift „Eine ungewöhnliche Ost-West-Wissenschaftspartnerschaft“ in die Entstehungsgeschichte des Bandes ein. Detailreich schildert John auf 42 Seiten die Einzelheiten dieser Partnerschaft, die vielfach von den dornigen Bemühungen um Drittmittelakquisition geprägt war.

Seine wissenschaftsgeschichtlich durchaus aufschlussreichen Ausführungen kommen in die gefährliche Nähe einer Selbstdarstellung. Diesem Monitum hätte er sich nicht aussetzen müssen, zumal die Diskontinuität bei der Umsetzung von Drittmittelprojekten symptomatisch ist. Darüber hinaus waren Wissenschaftsbeziehungen zwischen Ost und West in den ausgehenden achtziger Jahren durchaus nicht ungewöhnlich.

Die in diesem ersten Beitrag geschilderte Diskussion der beiden Protagonisten über die Aufarbeitung der sächsischen Druckerei-, Presse- und Zeitschriftengeschichte wirkt durchaus anregend, provoziert aber auch zu kritischen Ergänzun- gen. So ist es unverständlich, dass im Hinblick auf die Quellen die diesbezüglichen Bestände in Bibliotheken (Ratsschulbibliothek Zwickau etc.) und Museen (Museum und Kunstsammlung Schloß Hinterglauchau, Glauchau etc.) weitgehend ausgeklammert werden. Beispielsweise befinden sich im Schloß Hinterglau- chau die Nachrichten über das Waisenhaus Glauchau, die als periodische Zeitschrift gelten dürfen und von 1754 bis 1917 erschienen. Ab 1867 hatte Robert Dulce den Druck übernommen. Die Ratsdruckerei Dulce stand auch im Fokus der Un- tersuchungen von John.

Den Hauptteil des Bandes betitelt der Autor „Arbeiter, Arbeitsalltag und -bedingungen in den Zeitungsdruckereien des Schönburgischen Landes bzw. Mittelsachsens. Diese Studie ist Bestandteil des Programms Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme (LIS) und konnte mit Hilfe von Fördermitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verwirklicht werden. Die Grundlage für die Untersuchung bildete das Archivmaterial, das im Rahmen des Projektes „Sachinventar zum Druckerei-, Presse- und Zensurwesen im Scn- burgischen Lande ausgewertet wurde.

Die Besonderheit Schönburg als Stachel’ im sächsischen Kurstaat bzw. Königreich hat auf Grund der Kompliziertheit der staatshoheitlichen Verhältnisse zu aufschlussreichen Forschungen in Vergangenheit und Gegenwart geführt. Der Begriff „Schönburgisches Land in vorliegendem Band hätte daher eine kurze Erläuterung verdient, um regional weniger kundigen Lesern den Zugang zu erglichen. Dies scheint besonders empfehlenswert, da nach der 1878 beendeten sächsischen Verwaltungsreform die ehemaligen schönburgischen Rezeßherrschaf- ten Glauchau, Waldenburg und Lichtenstein die Amtshauptmannschaft Glauchau bildeten.

Um die Beschäftigungsstruktur in den Druckereien des Untersuchungsgebietes „Schönburgisches Land bzw. Mittelsachsen zu erhellen, hat John mit Akribie Tabellen angelegt, die sich je nach Quellenlage über einen Zeitraum von 1882 bis 1943 erstrecken.

Das Material auswertend weist John für das ausgehende 19. und beginnende 20. Jh. ein „allmählich[es], aber doch kontinuierlich[es] Anwachsen der Beschäftigungszahlen nach (S. 86). In den vergleichsweise kleinen Druckereien von Colditz, Geringswalde, Hartenstein, Lichtenstein-Callnberg und Naunhof blieb diese Kon- tinuität auch während des Weltkrieges, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise bestehen. Im Gegensatz dazu mussten die größeren Druckereien Dulce und Pickenhahn in Glauchau sowie Isidor Schulze in Meerane konjunkturell bedingt Einbrüche in den Beschäftigungszahlen hinnehmen.

Weiterhin schlussfolgert John, „dass das (Zeitungs-) Druckgewerbe von der faschistischen Rüstungskonjunktur in keiner Weise partizipierte; vielmehr unter den Autarkiebestrebungen in der Rohstoffversorgung (in diesem Falle Papier) zu leiden hatte (S. 88).

Das Verdeutlichen der Arbeitsbedingungen gestaltete sich auf Grund der mäßig überkommenen Quellen als schwierig. Ab den siebziger Jahren des 19. Jh. führ- ten die Gewerbeaufsichtsberden Revisionen auch in den Druckereien durch.

Anhand der ngelprotokolle war man gezwungen, die Arbeitsbedingungen, voallem die Arbeitssicherheit, zu verbessern (Montage von Schutzvorrichtungen, Ventilation der Arbeitsräume etc.).

Über  die  Ausstattung  der  Druckereien,  d.  h.  über  deren  Maschinenpark, schweigen sich die archivalischen Quellen zumeist aus (S. 102). Die Antriebsart der Druckmaschinen bzw. ein vorgenommener Wechsel schlagen sich jedoch oft- mals in Revisionsberichten nieder. Ursprünglich per Hand betrieben, erfolgte ab den siebziger Jahren der Einsatz von Dampfmaschinen, an deren Stelle schließlich Gas- bzw. Elektromotoren traten. Die Bildquellen der Druckerei Bode aus dem als Fotodokumentation beigegebenen Fotoalbum von 1942 hinsichtlich der Ausstattung der Zeitungsdruckereien auszuwerten, versucht der Autor leider nicht.

Mit Einführung der Sonntagsruhe 1892 begrenzte man auch in den Druckerei- en die Arbeitswoche auf sechs Tage. Die Eigentümer von Zeitungsdruckereien bemühten sich, ihr hierdurch entstandenes Problem mit Hilfe von Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen zu lösen. Dagegen wurde der bis 1918 gesetzliche Arbeitstag von elf bzw. zehn Stunden im Untersuchungsgebiet eingehalten. Laut den von John erschlossenen Quellen trifft dies auch auf den ab 1918 ltigen Achtstundentag im Buchdruckgewerbe zu.

Zur spezifischen Erfassung der Arbeitsbedingungen in Druckereien hat John aufschlussreiche Fabrik- bzw. Arbeitsordnungen ausgewertet. Die ältesten Exemplare stammen von der Glauchauer Ratsdruckerei Dulce (1. bzw. 4. April 1892) und der Meeraner Buch- und Steindruckerei Karl Otto (26. April 1892). Sie regeln Fragen der Bewerbung, der täglichen Arbeitszeit für nner, Frauen und Jugend- liche, der Arbeit an Sonn- und Feiertagen, der Löhne auf dem Wege des „freien Übereinkommens, der Kündigung, der Pflege der Maschinen und Sauberkeit am Arbeitsplatz sowie der Strafen bei Verstößen.

John weist allerdings darauf hin, dass es nur in Betrieben ab 20 Arbeitern bzw. Angestellten Pflicht war, Arbeitsordnungen einzuführen. Angaben über die tatsächliche Befolgung der Arbeitsordnungen muss er, der dem normativen Charak- ter dieser Quellen zu sehr verhaftet ist, jedoch schuldig bleiben.

In Bezug auf die räumlichen Gegebenheiten erläutert der Autor die entsprechenden Reglementierungen an Hand des Beispiels der Mittweidaer Buchdruckerei von Moritz Billig. Nach dem „Luftinhalt eines Arbeitsraumes“ richtete sich die Anzahl der darin tätigen Drucker und Setzer. Diese Berechnungen erfolgten auf der Grundlage der „Bekanntmachung betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Buchdruckereien unSchriftgießereien vom 31. Juli 1897. Sie beinhaltete auch weiterführende bauliche und hygienische Vorschriften.

Nachfolgende Feststellung Johns zur Lohnfrage erscheint äußerst aufschlussreich. Seit etwa 1910 war der verstärkte Einsatz von Lehrlingen und Ungelernten in den Druckereien zu verzeichnen. Die Ursache lag in den vergleichsweise hohen Löhnen im Druckgewerbe. Bereits im Februar 1898 wurde ein diesbezüglicher Buchdruckertarif vereinbart. So erhielt ein Drucker der Firma Dulce in Glauchau 15,27 (1882) bzw. 15,29 (1883) Mark, während ein Bauarbeiter 1882/83 durch schnittlich 11,50 Mark verdiente. Der Tischler in Chemnitz bekam zur gleichen Zeit 13,83 bzw. 14,00 Mark.

Eine mögliche Erklärung für diese Lohndifferenzen liefert John (unbewusst?) im Kapitel über die Lehrausbildung. Dort betont er sehr richtig, dass der Bildungsweg der Lehrlinge im Druckerhandwerk schon von alters her als sehr anspruchs- voll galt und deshalb eine lange Lehre zu absolvieren war. Als Lehrmeister durfte fungieren, wer das Handwerk mindestens fünf Jahre selbständig ausgeführt hatte. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lehrlingsausbeutung bzw. -züchte- rei keine Seltenheiten darstellten. Dabei wurden Lehrlinge in relativ hoher Zahl und ohne Lehrvertrag angenommen. Außerdem mussten sie oftmals über die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Stunden hinaus arbeiten.

Ähnlich unerfreulich sah es im Hinblick auf die Kinderarbeit aus. In klein- und mittelstädtischen Druckereien nutzte man oft Kinder unter 12 Jahren zum Falzen der Zeitungen bzw. zu Botengängen. Das Reichsgesetz vom 30. rz 1903 betref- fend Kinderarbeit in Betrieben verbot die Arbeit von Kindern unter 12 Jahren. Auf ganz andere Weise nahm schließlich die Kinderarbeit ab. Bedingt durch die desaströse Situation um 1928 wurden die jungen Zeitungsausträger von arbeitslo- sen Erwachsenen verdrängt.

Die  beigefügte  Fotodokumentation der  Grimmaer Buchdruckerei Bode  aus dem Jahre 1942 stellt eine wertvolle Quelle dar wertvoll, weil jegliche Bildquellen, also auch Fotodokumente, aus dem Alltagsleben im Gegensatz zu Zeugnissen der hehren Kunst’ in geringerem Maße überkommen sind und weil hier offenbar die ganze Belegschaft in Einzelaufnahmen, oft am Arbeitsplatz, abgebildet wird. Jene Fotos von Setzern und Druckern in ihrem betrieblichen Umfeld ergänzen die Ausführungen des Autors über die Arbeitsbedingungen sehr anschaulich und stellen darüber hinaus wahrhaft historische Zeugnisse dar. Sie sind sowohl realienkundlich als auch mentalitätsgeschichtlich von großem Interesse; ihre quellenkundliche Auswertung lag allerdings außerhalb des Interesses des Autors. So bleibt ihm hier lediglich das Verdienst, die Fotografien einer größeren Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt zu haben.

Insgesamt kann resümiert werden, dass John mit dieser Arbeit ein Desiderat aufgegriffen und mit Fleiß bearbeitet hat. Im Rahmen der Erforschung der sächsischen Druckerei-, Presse- und Zeitschriftengeschichte darf der vorliegende Band als ein gelungener Anfang gelten. Den Ethnographen oder Kulturhistoriker, den Vertreter der Landesgeschichte, den Technik- oder Wirtschaftshistoriker und zu- dem (angesichts der Bildquellen) den Museologen vermag er hingegen noch nicht zu befriedigen.