Roman, 2008, Tb, 396 S., ISBN 978-3-89626-829-7, 19,80 EUR
Besprechung von Botho Cude aus
Berlin, Nov. 2008
BÖSE MUSEN MIT BLUT AM SCHUH: Ein Theatergemetzel im tiefsten
Köln
Das Theater überhaupt, so lustig es dem Zuschauer dünkt, ist eines der
mißlichsten Dinge und so sehr es von der einen Seite an das Ideale zu
gränzen scheint oder gränzt, so sehr hängt bey der Einleitung und Behandlung
dieser wonnereichen Erscheinung viel von gemeinen und viel von geringen
Mitteln ab.
Goethe an Tieck, (1801, Konzept)
Geld ist der Nerv des Krieges, der Liebe und des Theaters.
Theophile Gaultier, Kapitän Fracasse
„Böse Musen“ ist nicht nur Teil des Schüttelreims, sondern auch Titel eines
Theaterromans von Burkhard Schmiester, in dem es vor allem um das eine geht
– um Subventionen natürlich! Subventionen bestehen aus Steuern und
Steuergelder gehören bekanntlich niemandem. Deshalb schreien sie förmlich
danach, straflos veruntreut zu werden. Weil aber die Subventionen für Milch,
um die Discounter am Leben zu erhalten, und für Kohle, um die
Energiekonzerne zu stützen, sehr viel Geld verschlingen, bleiben nur Peanuts
für die edle Kunst. Desto härter tobt der Verteilungskampf im
Subventionensumpf.
Schmiester führt selbst ein freies Kölner Theater und weiß folglich, wovon
er schreibt. Und wie er schreibt! Immer amüsant und anspielungsreich,
zuweilen etwas hochgestochen und eine Kleinigkeit verschraubt, mitunter
minimal manieriert. Der prosaische Kontext ist ornamentiert mit
Kleistzitaten, Kleist zumeist und manchmal Hamlet. Die museale Patina der
klassischen Zitate schafft ironische Distanz. Die ist ungemein wichtig, denn
wenn sich die bösen Musen nicht gerade um das eine kümmern, dann freilich um
das andere. Dabei wird selten geliebt, aber umso mehr penetriert. Öfters
irritiert uns ein Productplacement, das durch die Hervorhebung als
persiflierendes Stilmittel signalisiert wird: Marcopolo, wieder hungrig
geworden, hat sich Spaghetti gekocht, zwei Stück Aldi-Lachs-Happen
gebraten und eine Sauce aus Creme fraiche mit den kleinen Erbschen von
Bonduelle verfeinert. (S.159) Noch exakter geht es kaum.
Tür an Tür mit jenem Marcopolo (so der Spitzname des ledigen Hauptkommissars
Marc Pohl, von der Mordkommission natürlich, nicht etwa von der Sitte) wohnt
im selben Haus die Hauptakteurin Ilka Büntler. Ein Glücksfall für jede Frau,
die nicht gerade mit Giftmischerei befasst ist. Der gut aussehende
Ordnungshüter liebt die klassische Musik und singt selbst im Treppenhaus
(öffentliche Ruhestörung?). Frau Büntler macht modernes Theater (groben
Unfug?), indem sie Kafkas „Bau“ (welchen eigentlich?) mit Becketts
„Glücklichen Tagen“, das heißt das Absurde und das Sinnentleerte, zu einem
Theaterhappening verrühren will. Dazu braucht sie Zuschüsse, die durch den
Austausch von Körperflüssigkeiten fließen sollen. Anatole Broyard, einst der
Reich-Ranicki der New York Times, hat in seinen Memoiren „Verrückt nach
Kafka“ den pittoresken Satz geschrieben: Sie war nicht, was ich mir
vorgestellt hatte, aber als ich hinter ihr die vier Treppen zu meiner
Wohnung hinaufstieg, ihren Arsch vor Augen, sagte ich mir, dass zumindest
das real war. Da hat Marcopolo beim Treppensteigen deutlich mehr Glück
mit seiner Nachbarin, die so aussieht, als sei sie gerade aus einem
Hochglanzmagazin gepurzelt.
Und schon befinden wir uns inmitten einer heftigen Liebesgeschichte, gewürzt
mit reichlich Mord und Totschlag, sinnverwirrenden Theaterintrigen und
hocherotischen Kapriolen. Bei Schmiester fließen Blut und Sperma nicht etwa
in der Inszenierung, dafür schluckt die Handlung des Romans ein paar Eimer
voll von beidem. Da ist Jean Blömken, der kulturpolitische Sprecher einer
großen Volkspartei und spitz wie Nachbars Lumpi, aber sein blaublütiger
Kulturamtsleiter Björn von Sydow ist noch viel spitzer als er. Diese
erektilen alten Böcke sitzen auf der Knete. Man kann sich ausmalen, wohin
das bei dem libidinösen Theatervölkchen führt, aber ein bisschen
Promiskuität bringt Leben in die Bude. Unsere Voreltern hatten einen
biblischen Begriff dafür: Sodom und Gomorra. Heinrich der Kleist gibt
übrigens sein Antidot in den letzten Zeilen der „Hermannsschlacht“, doch die
vermeidet Schmiester zu zitieren. Und das ist gut so!
Auf leisen Sohlen naht sich endlich das Verhängnis und räumt auf unter den
bettelnden Theaterleitern und bedürftigen Regisseuren, den wendigen
Assistenten und windigen Schauspielern, all den Nutznießern der
Kulturamtsspenden. Sollte die Mortalität unter Kölns Theaterschaffenden
wirklich derart hoch sein, dann wäre die alte Stadt am Rhein ein Paradies
für den Nachwuchs. Damit beginnt das Geheimnis. Tritt Jean Blömken zu den
Grünen über? Wird Ilka Büntler ins Gras beißen oder heiratet sie Marcopolo
in Venedig? Knackt der Hauptkommissar den unlösbaren Fall oder lässt er sich
die Wade tätowieren? Meine Berufsehre als Rezensent verbietet mir, darauf
anders zu antworten als weiland Nina Ruge.
Eine letzte Frage: Handelt es sich um einen Schlüsselroman? Hoffentlich
nicht, ich vermute eher eine soziokulturelle Fallstudie über bürokratischen
Sparzwang, kontaminiert mit einer medizinischen Abhandlung über Analfissuren
und der gleichermaßen kurzen wie fasslichen Schilderung der
Skandalgeschichte um die Kölner Messehallen. Und hier sei mir eine kleine
Abschweifung gestattet.
Der Autor, der laut Klappentext ab und an auch die deutsche Hauptstadt
heimsucht, könnte in Berlin den Stoff zu seinem größten Kriminalroman
finden, mit einer spannenden Tabelle irgendwo, die Zahlen mit neun und mehr
Nullen enthält. Denn die heimliche Hauptstadt des Bimbes heißt schon lang
nicht mehr Köln-Bonn, spätestens seit dem Desaster der Berliner
Bankgesellschaft. Seinerzeit machte das Gerücht die Runde, danach seien
graumelierte New-Yorker Banker in Berlin eingeflogen, um den grandiosen
Banken-Coup genau zu studieren. Könnte es sein, dass sie das Ding dann noch
einmal durchgezogen haben – global sozusagen?
Burkhard Schmiester ist, nehmt alles nur in allem, eine stilistisch
reizvolle Gesellschaftssatire gelungen, in der die Begierden und der Tod
gemeinsam an den Brettern sägen, die die Welt bedeuten.