Phantastischer Roman, 375 S., Tb, ISBN 978-3-89626-818-1, 17,80 EUR
Besprechung von Julia Lauber in: Lesart -
unabhängiges Journal für Literatur, Ausgabe 3/2008, S. 74 (AUSZUG)
Wer allerdings mehr von Axel Wörners satirischem Talent »schauen« möchte,
dem sei an dieser Stelle noch sein ebenfalls 2008 erschienener Roman »In
Deutschland, Punkt 12.00 Uhr« empfohlen - ein fulminantes zeitkritisches
Spektakel mit erstaunlichen Überlegungen, kurzweiligen Einfällen. Im
Mittelpunkt steht eine groteske Vielfalt an Figuren - wie beispielsweise
Marlene Dietrich, Kaiser Rotbart oder Batu Chan, Dschingis' Enkel -, die
alle auf die heutige Welt stoßen. Der Text kommentiert in feiner Ironie
nicht nur den Zustand Deutschlands, sondern auch des einzelnen, und
hinterläßt ob seiner hintergründigen und scharfsinnigen Beobachtungen,
seines Facettenreichtums einen vergnügten und zugleich nachdenklichen Leser.
Besprechung von Gerhard Schumacher,
Berlin, 25.9.2008:
Kaiser Rotbart und die fesche Lola.
Axel Woerners Roman „In Deutschland,
Punkt 12.00 Uhr“
Längst nicht überall, wo
Satire drauf steht, ist sie auch drin. Durch den Dschungel des medialen
Unterholzes unserer Literaturlandschaft stolpern, von findigen, auf das
schnelle Geld und die Dummheit ihrer Klientel spekulierenden Verlagen und
der einschlägigen Presse hochgejubelt, dilettierende Amateure in
irritierender Anzahl, die alle eins gemeinsam haben: sie können den hoch
über ihnen in den Gipfeln schwingenden Altmeistern vom Schlage eines Karl
Kraus oder eines Kurt Tucholsky weder das Wasser noch sonst etwas reichen.
Nicht in hundert Jahren.
Axel Wörner kann.
Satire, per definitionem, bedeutet, „durch Spott, Ironie, Übertreibung,
bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände (zu) kritisieren
oder auch lächerlich (zu) machen“ (Zeit-Lexikon 2005).
Selten genug traf dies so genau ins Schwarze wie bei Wörners Roman.
Erfrischend frech läßt der Autor, bar jeden historischen Zusammenhangs, Batu
Chan, einen Enkel des berühmten Dschingis, seinen Bahadur (Heerführer)
Subudai und Marlene Dietrich die Rückkehr Kaiser Rotbarts in „das Land der
Sümpfe und Wälder“ vorbereiten, denn um Deutschland steht es schlecht, so
schlecht wie seit Friedrichs Lebzeiten nicht mehr. Dieser scheut auch nicht
davor, sich des echten Mackie Messers sowie eines Kurt Müllers zu bedienen,
seines Zeichens ehemaliger Repräsentant des im Müll der Geschichte
entsorgten anderen deutschen Staates und, dank Parteischule, Verfechter der
leninschen Revolutionstheorie.
Wörner schickt sie alle nacheinander, einzeln, zugleich oder überkreuz
agierend, aus der Höhle, in der Rotbart haust, seitdem er dem Kyffhäuser
entflohen ist, in die germanische Realität des Basta-Kanzlers und dessen
grün-smarten Außenministers, die triumphale Rückkehr des Kaisers
vorzubereiten und den Jubel der Bevölkerung sicherzustellen.
Die mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestatteten Abgesandten saufen
und krakeelen sich so herrlich obrigkeitsverarschend durch die
unausbleiblichen Mißverständnisse zwischen ihrer historischen Herkunft und
der neuzeitlichen Realität, daß es eine Freude ist.
Ob nun die beiden Mongolenfürsten im Leipziger Hauptbahnhof die Übergabe der
Stadtschlüssel durch barbusige, Volkslieder singende Jungfrauen verlangen,
weil sie das für deutsches Brauchtum halten und dabei einigen störrischen
Polizisten die Ohren abschneiden, Marlene höchstselbst auf dem Revier ihre
Fingerabdrücke überprüfen und für rätselhaft echt befinden läßt, oder Kaiser
Rotbart persönlich mit seinem Zwiehänder die Motorhaube eines Streifenwagens
demoliert, der Rezensent wünschte sich, es möge niemals enden. Zum Brüllen
auch die Proklamation der Gebirgsräterepublik Suhl durch den Apparatschik
Müller, der die nur sehr bedingte revolutionäre Kampfbereitschaft der
arbeitslosen Werktätigen durch Freibier und Bratwurst zumindest zeitweise
erkauft.
Trotz aller mehr oder weniger unfreiwilligen Komik, die sich aus der
Anordnung der Agierenden zwangsläufig ergibt, verliert der Autor zu keiner
Zeit sein ernstes Anliegen aus den Augen: den Zustand der Erde, ihrer
Bevölkerung und beider Untergang. Unvermeidlich oder nicht? Weitermachen
oder Umdenken? Wörners Akteure schwanken zwischen hoffnungslosem Pessimismus
und optimistischer Hoffnungslosigkeit und dementsprechend handeln sie auch,
soviel sei, ohne das spannende Ende zu verraten, vorausgesagt.
Wörner läßt seine mit Sensibilität für die historischen Persönlichkeiten
fein ziselierten Figuren gekonnt stets am Rande des Slapsticks balancieren,
ohne jedoch die Grenze zur Peinlichkeit zu überschreiten. Und er bedient
sich dabei einer Sprache, die hervorragendes literarisches Handwerk
dokumentiert.
Genau das unterscheidet ihn von dem Heer der Stümper, die Ironie und
feinsinnigen Spott mit Sahnetorten und traurigen Stolpereien verwechseln und
im Grunde nur sich selbst, und das noch schlecht, persiflieren.
Dem Leser mit einem Gefühl für feinen Humor in literarischer Qualität und
dem Faible für einen Schuß Skurrilität sei dieser Roman wärmstens zur
Lektüre anempfohlen.