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Hochschulschriften, Bd. 13], trafo
verlag 2008, 321 S., ISBN 978-3-89626-715-3, 39,80 EUR
zur Hedwig-Dohm-Seite hier
Rezension von Marlies Hesse auf der Webseite des
Journalistinnenbundes, Juli 2008,
http://www.journalistinnen.de/kolleginnen/lesefutter/rezension/rohner.htmll
Ein ganzheitlicher Blick auf Hedwig Dohm.
Seit ihrem 175. Geburtstag ist die Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919)
zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgekehrt. Wer annimmt, ihr
umfangreiches Werk sei längst hinreichend analysiert worden, unterliegt
einem Irrtum. Als brillante Essayistin und Polemikerin ist ihr Ruf zwar
unumstritten, aber als Literatin geriet sie bis heute weitgehend in
Vergessenheit. Nicht zuletzt daher, weil ihre literarischen Texte über
Jahrzehnte hinweg in den Archiven verschwanden.
Erst den Herausgeberinnen der Edition Hedwig Dohm, Isabel Rohner und Nikola
Müller, ist es zu verdanken, dass seit 2006 eine kommentierte Gesamtausgabe
des Werks der viel zitierten Ikone der frühen Frauenbewegung erscheint. Wer
allein schon die ersten Bände mit den literarischen Texten sehr zu schätzen
weiß, wird auf die ergänzende Lektüre der ebenfalls im Trafo Verlag
veröffentlichten Dissertation von Isabel Rohner „In litteris veritas –
Hedwig Dohm und die Problematik der fiktiven Biografie “ keineswegs
verzichten können.
Wissenschaftlich fundiert und aufwendig recherchiert setzt sich die Autorin
darin mit bisher nicht widerlegten Fehlinterpretationen innerhalb der
feministisch inspirierten Forschung auseinander. Insbesondere bei den
Romanen und Novellen basierte sie in den 1970er und 80er Jahren
vordergründig auf dem Auffinden von vermeintlich autobiografischen Fakten.
Diese Reduktion zog schwerwiegende Fehldeutungen nach sich. Zum einen wurde
der literarische und ästhetische Wert der Prosa von Hedwig Dohm damit völlig
unterschätzt.
Zum anderen flossen in die Darstellungen ihrer Biografie Zuschreibungen
ein, die ihrem realen Leben nicht entsprachen. Künstlerisch-ästhetische
Aspekte kamen bei dieser einseitigen Fokussierung nachweislich so gut wie
gar nicht ins Blickfeld. Mit äußerster Akribie rückt Isabel Rohner die
beschriebene Schieflage wieder zurecht. Nachdem sie im ersten Teil ihrer
Studie die Mechanismen der Rezeption und das Textverständnis der Forschung
untersucht hat, widmet sie sich im zweiten Teil ausführlich einer
Literaturanalyse.
Am Beispiel des Romans „Schicksale einer Seele“ (1899, neu 2007), der von
der Forschung bis zur Ausreizung autobiografisch gedeutet wurde, und der
Novelle „Werde, die Du bist“(1894, neu 2006) in der eine weitere fiktive
Biografie im Mittelpunkt steht, führt sie eindrucksvoll vor Augen, was
verloren geht, wenn Texte rein auf biografisches Material hin gelesen
werden.
Ein besonderer Fokus von Rohners literaturwissenschaftlicher
Auseinandersetzung liegt auf Dohms Ironie (in ihrem essayistischen Werk war
sie dafür berühmt) und auf der differenzierten Herausarbeitung ihrer
Identitätsphilosophie.
Trotz aller Kritik an den Dohm–ForscherInnen (eingeschlossen die teils
jüngste und nachweisbar unreflektierte Biografie von Walter und Inge Jens
über Hedwig Pringsheim-Dohm) verwehrt ihnen die junge Wissenschaftlerin (Jg.
1979) dennoch nicht die Anerkennung, Dohm nach vielen Jahren neu entdeckt zu
haben.
Aus den nachvollziehbaren Korrekturen der von ihr belegten Forschungsfehler
ergibt sich für die Leserin zwangsläufig die Wunschvorstellung, es möge
jenseits einer biografischen Interpretation der Dohm-Texte doch noch einmal
eine Biografie geben, die den wahren Gegebenheiten entspricht. Erst kürzlich
aufgefundene Briefe von Hedwig Dohm und auch neues Quellenmaterial, das die
Autorin im dritten Teil ihrer Arbeit auswertete, stützen diese Hoffnung.
Vielleicht kommt sie sogar aus der Feder von Isabel Rohner. Immerhin ist es
ihr schon mehr als jeder bisherigen Biografin gelungen, wichtige
Forschungslücken zum Leben und Werk von Hedwig Dohm zu schließen. Auch
abgesehen davon, hat sie mit dem vorliegenden Buch bereits einen
unübersehbaren Grundstein für künftige Forschungen zur Namensgeberin der
Hedwig-Dohm-Urkunde gelegt, die der Journalistinnenbund für
herausragende Leistungen von Kolleginnen jährlich verleiht.