trafo verlag 2007, Hardcover, 245 S., zahlr. Abb., ISBN (10) 3-89626-678-0, ISBN (13) 978-3-89626-678-1, 24,80 EUR
Besprechung von Brigitta Nimz in: Bremisches Jahrbuch, Bd.
86(2007), S. 354f.:
"Renate Meyer-Braun ist bereits durch vielfältige Publikationen zur
Bremer Zeitgeschichte bekannt geworden. Diesmal widmete sie sich einem Teil
der bremischen und deutschen Theatergeschichte, dem Theateraustausch
zwischen Bremen und Rostock während des Kalten Krieges (1956-1961):
»Albert Lippert und Hanns Anselm Perten haben auf ihre Weise ein kleines
Stück deutsch-deutscher Zeitgeschichte geschrieben, dieses vor dem
völligen Vergessen zu bewahren, war das Anliegen dieses Buches«. (S. 232)
Das Buch beginnt mit der Vorgeschichte, der Vorbereitung der ersten Runde
des Austauschs und unvorhergesehene Schwierigkeiten. In Kapitel 2 wird die
Gratwanderung zwischen Kultur und Politik umrissen und die lokalen und
zentralen
Rahmenbedingungen für kulturelle Ost-West-Beziehungen. Im dritten Kapitel
geht es um die erste Austauschrunde im Jahr 1956. Das Volkstheater Rostock
tritt in Bremen mit Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« auf, und das
Bremer Theater gastiert mit Thomas Manns »Fiorenza« in Rostock. Die
Kapitel 4 und 5 beschreiben weitere Gastspielaustausche, u.a. die Rezeption
des linken westdeutschen Dramatikers Günther Wisenborn in Bremen und
Rostock. Das sechste Kapitel liefert Hintergrundwissen zur Wende in der
gesamtdeutschen Kulturpolitik der SED. Im nächsten Abschnitt umreisst die
Autorin die Eindrücke der Gastspielreisenden, die sie in der jeweils
anderen Stadt gehabt haben, wie sie untergebracht waren, welche
Freizeitangebote und sonstige Betreuungen es gab. Kapitel 8 bietet einen
Exkurs zum Deutschen Haus am Markt und seiner Inschrift und welche
Irritationen dies für den Theateraustausch mit sich brachte. Die folgenden
Kapitel widmen sich dem durch veränderte politische Rahmenbedingungen
zunehmend schwieriger werdenden Austausch. So z. B. die Jahre 1958-1960.
Hier geht es z. T. um inhaltliche Differenzen, wie z. B.: »Zu viel
Brecht?« oder »Wem gehört Schiller?« und ist das Stück »Die Bürger
von Calais« humanistisch oder pazifistisch? In diese schwierige Zeit
gehört auch die Frage nach der Instrumentalisierung Bremens durch das
Stadttheater Rostock bei der Ostseewoche (Kapitel 10). Als Hintergrund dazu
bietet die Autorin einen Exkurs zum »Volkstheater Rostock in den fünfziger
Jahren - ein Theater im real existierenden Sozialismus - ein sozialistisches
Theater?«. Die letzten Kapitel beschreiben das abrupte Ende der Beziehungen
und die Bremerhavener Episode. Schließlich wird auch nicht vergessen, die
Hauptakteure, Albert Lippert und Hanns Anselm Perten, kritisch zu würdigen.
Abgerundet wird das Werk durch einen hilfreichen Anhang mit
Abkürzungsverzeichnis, Quellen- und Literaturverzeichnis, Personenregister,
einer Liste der Gastspiele und einem Bildnachweis.
Für die Untersuchung sind umfangreiche Archivrecherchen vorgenommen worden,
so z. B. im Staatsarchiv Bremen, im Archiv des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Außenstelle
Rostock, im Landesarchiv Greifswald, im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde
(Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) sowie
im Stadtarchiv Bremerhaven. Die Ausführungen wurden durch
Zeitzeugeninterviews und umfangreiches Literaturstudium ergänzt.
Die Beschreibung reicht von den ersten Annäherungen, der Suche nach
Gemeinsamkeiten - und dies möglichst unpolitisch, bis zum strikten Wandel
in der ostdeutschen Kulturpolitik und letztendlichen Politisierung der
Kontakte. Dabei sind die unterschiedlichen Beweggründe der damaligen zwei
deutschen Staaten umrissen: es reicht von der sich »herausbildenden
westdeutschen missionierenden Arroganz« (S. 92) bis zur ostdeutschen
Anerkennungspolitik (S. 94). Die Autorin wendet stets auch den Blick nach
links und rechts, so werden z. B. auch die Tagungen des Hansischen
Geschichtsvereins (S. 105) nicht vergessen. Die Skizzierung des politischen
Hintergrundes erfolgt überall dort, wo es zum unmittelbaren Verständnis
nötig ist. Deutlich werden auch die Unterschiede zwischen den politisch
gewollten Aktionen und der praktischen Umsetzung. Bei den Beteiligten stand
der »Wunsch nach Kontakten, da wo es noch möglich ist, nämlich im
kulturellen und menschlichen Raum« (S. 163) im Vordergrund. Möglich waren
diese Austausche nur aufgrund »menschlicher Beziehungen, künstlerischer
Neugier und auf beiden Seiten viel Taktgefühl« (S. 231). Dass dies nicht
blauäugig geschah, sondern im vollen Bewusstsein über den schmalen Grat
zwischen Kunst und Politik (S. 172) wird eingehend dargestellt. Dabei hatten
beide Theaterdirektoren durchaus Risiken zu tragen, z. B. »im Spiel mit den
Mächtigen in der DDR ... auszutarieren, wie weit man gehen kann. Perten hat
das ausgereizt« (S. 222). Dennoch bedeuteten die Gastspielreisen für den
Rostocker Perten zwar eine positive Reputation, in Bremen geriet der
Theateraustausch im besten Fall in Vergessenheit. Es bestanden seitens der
Schauspieler sogar eher Befürchtungen, nachteilig zu sein (S. 203).
Die kulturellen Beziehungen fanden ihr sang- und klangloses Ende, weil
Hübner kein Interesse an einer Kooperation hatte (S. 200). Es kam zur
Entlassung des alten Bremer Ensembles. Der »Wechsel Ära Lippert und Beginn
Ära Hübner stellte eine wirkliche Zäsur dar« (S. 201).
Die Darstellung ist sehr ausgewogen. Der Autorin gelingt es, die
Beweggründe und Befindlichkeiten beider Seiten darzustellen und trotzdem
kritische Distanz zu wahren. Die Publikation ist nicht nur für ein
(Theater) interessiertes Publikum sehr empfehlenswert.
Rezension
von Erich Röper in: Deutschland Archiv. Zeitschrift für das vereinte
Deutschland, 40. Jg., Band 6/2007, S.1119f.
»Unser Volk beginnt in den beiden Hälften, in die es sich zerreißen
ließ, verschieden zu denken und auf zweierlei Art zu sprechen«, so Bremens
FDP-Senator Wilhelm Nolting-Hauff 1956 (136). Dies dauert an. Es gab aber
Brückenbauer.
Die Bremer Zeit- und Sozialhistorikerin Renate Meyer-Braun beschreibt in dem
gut lesbaren, sehr gut recherchierten Buch solche Baumeister: die
Intendanten Walter Lippert (Bremen) und Hanns Anselm Perten (Rostock), die
20 Gastspiele des Bremer Theaters und des Volkstheaters Rostock zustande
brachten. Neunmal waren 1956-1961 die Rostocker an der Weser, elfmal die
Bremer an der Warnow, 1965/66 gab es noch je zwei Gastspiele in Bremerhaven
und Rostock.
Lipperts bis heute verehrter, am 21. August 2007 verstorberner Nachfolger
Kurt Hübner beendete mangels Interesse den Austausch, obwohl der Senat
grünes Licht gab. Der Mann, der Bremens Theater zu neuen Ufern führte,
brach die Brücken so nachhaltig ab, dass heute trotz der
Städtepartnerschaft seit 1987 kaum jemand vom Theateraustausch in den
Zeiten des Kalten Kriegs weiß. So wirkten auch linke Intellektuelle an der
Spaltung mit.
Der eigentliche Austausch begann 1956. Er sollte eine »menschliche Brücke
schlagen«, so Chefdramaturg Conrad Heinemannn, als Besuch »von Künstlern
bei Künstlern ... fern jeden politischen Aspekts«, so Rostocks Intendant
Perten. Wichtig war für Bremen die Tabuisierung der Politik bis 1961,
entgegen dem Ziel der SED waren die Reden und Erklärungen »frei von
politischer Tendenz«.
Der Austausch war nicht political correct. Das Ministerium für
Gesamtdeutsche Fragen, das ihn dennoch mitfinanzierte, sah es eingebettet
ins »Programm der gesamtsowjetischen Politik, nämlich der Sowjetisierung
Deutschlands... zur Erreichung des sowjetischen Zielbilds - die Schaffung
des neuen Sowjetmenschen.« Bremens CDU wollte mithelfen, »daß die
Menschen drüben nicht in der Monotonie der Stalin-Kantaten und der
Volksdeutschen Chorgesänge erstarren und erfrieren« (40). Typische
West-Arroganz angesichts der DDR-Spielpläne: neben 56 Prozent Klassik und
bürgerlichem Realismus wurden zu 14 Prozent Stücke aus der BRD und dem
Westen, zu 19 Prozent DDR-Autoren und zu sieben Prozent Autoren aus der
Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten gespielt (179). Andererseits
verurteilte Ostberlin die »Amerikanisierung des Kulturlebens« in der BRD,
auch die »barbarische Bühnenkunst, die der Kriegsvorbereitung der
amerikanischen Imperialisten« diene (16 f). Dennoch schlug Lippert Perten
den Austausch vor.
Die Kulturbehörde förderte den Austausch. Bonn hingegen sah in den
Auftritten »eine ziemliche Gefahr«: die politische Naivität der
Öffentlichkeit, die »einen Ansatzpunkt sah, um unbefriedigte und
unerfüllte Wünsche« in Richtung Einheit zu erfüllen (44 f). So hatte der
Eiserne Vorhang auch dank Flüchtlingsverbänden und Westmedien »schon zu
einer gewissen, auch mentalen Abgrenzung der Deutschen-Ost von den
Deutschen-West geführt« (106). Selbstkritisch bemerkte die FAZ: Man
habe sich »diesseits des Eisernen Vorhangs ein paar bequeme Tabus
zurechtgelegt, hinter deren Schleiern es schwer wird, zu erkennen, was
drüben wirklich ... auf dem Gebiet der Kunst und des Theaters geschieht« -
wie den Entscheidungsspielraum von Intendanten wie Perten, der zwischen den
Forderungen der Partei und seinen Vorstellungen lavierend immer wieder
aktuelle westliche Stücke inszenierte (180). Doch spielt die Autorin, so
Betroffene, seine politische Rolle und Arbeit für die Stasi als Chef von
über 600 Mitarbeitern zu sehr herunter.
Die Abgrenzungspolitik der SED, die befürchtete, die Aufstände 1956 in
Polen und Ungarn könnten auf die DDR ausstrahlen, blieb ohne nachhaltige
Wirkung. Auch das Bemühen der DDR-Kulturpolitik - gemäß dem sowjetischen
Theaterkritiker Konstantin Stanislawski - um »wahrheitsgetreue Darstellung
der Realität, Parteilichkeit und Volksverbundenheit«, wie auch darum,
»die Arbeiterschaft an den Kulturgütern teilhaben [zu] lassen« (174,176),
schlug fehl.
Auf der anderen Seite lehnten konservative BRD-Kollegen, denen »jeder
Kontakt mit der kommunistischen >Ostzone< ohnehin suspekt war« (173),
den Austausch ab. Doch trotz des Abgrenzungskurses von Deutschem Städtetag
und Bühnenverein wurde der Austausch, der entgegen den SED-Wünschen
klassisch-bildungsbürgerlich blieb, auch 1961 fortgesetzt.
Dann endete »[s]ang- und klanglos [...] eine sechsjährige deutsch-deutsche
Zusammenarbeit durch den eisernen Vorhang hindurch«, nicht wegen des
Mauerbaus, »sondern weil Kurt Hübner kein Interesse an einer Kooperation
hatte« (200). Viermal setzte Bremerhaven allerdings mit Hilfe des
Gesamtdeutschen Ministeriums die Tradition 1965/67 noch fort.
Auch das endete 1967 mit einem neuen Intendanten - ein Zeichen für das
westdeutsche Desinteresse an den Menschen drüben, das bis heute anhält.
Der Gastspielaustausch hatte gezeigt, »was in den Jahren härtester
Konfrontation zwischen den beiden deutschen Teilstaaten, ja, zwischen den
beiden globalen Machtblöcken in lokalem Rahmen auf kulturellem Gebiet an
Zusammenarbeit möglich war« (213). Die Beendigung der Kooperation durch
den Westen demonstrierte demgegenüber: »Der andere deutsche Staat
existierte als solcher in den Augen der überwiegenden Zahl der
Bundesbürger bekanntlich gar nicht, sondern fristete nur als >Zone<
ein trauriges, kulturell unterentwickeltes Dasein« (225). Lippert hingegen
hatte zum ersten Auftritt der Rostocker erklärt: »Der kulturelle Boden ist
der gleiche wie bei uns. Hier ist Deutschland und dort ist Deutschland. Wir
wollen Brücken bauen und wo können sie wohl besser geschlagen werden als
auf dem Boden der Kultur?« Auch Perten »glaubte wohl ehrlich an die
Einheit der deutschen Kultur, an das gemeinsame Erbe«, er wollte »zeigen,
daß man in der DDR keine >Talmikultur< bolschewistischer Prägung
betrieb« (227 f). Beide schrieben ein Stück deutsch-deutscher Geschichte.
Es vor dem Vergessen zu bewahren, ist das große Verdienst dieses Buchs, das
weite Verbreitung verdient.
Besprechung
vom Gerald Schneider in: Zs. Bühnengenossenschaft. Fachblatt der
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, 59. Jg, Nov. 2007, S. 7
"In Zeiten, da das
Bremer Theater
nicht nur durch gelungene
Aufführungen, sondern mehr noch durch
Nachrichten von seiner wirtschaftlichen
Existenzgefährdung und zu deren
Abwendung ausgehandelten Notlage-Tarifverträgen
die öffentliche Aufmerksamkeit
erregt, erscheint auch die Beschäftigung
mit Jahren sinnvoll, während der das Theater als Ausdruck und Botschafter
der eigenen Blüte und zugleich Fürsprecher
eines kulturellen Zusammenhalts
der in feindlichen Systemen ge- oder befangenen
Teile Deutschlands wirkte:
Das Buch von Renate Meyer-Braun
"Löcher im Eisernen
Vorhang" geht auf ein merkwürdiges
Phänomen der deutsch-deutschen
Geschichte in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
ein, das vergessen zu werden droht: Wie an
mehreren anderen Theatern hielt man auch
in Bremen die Verbindung zu dem Teil Deutschlands aufrecht,
der dem kommunistischen Gesellschaftssystem
angehörte.
Was zu Zeiten
des Kalten Krieges
eigentlich bekämpft wurde, erfuhr doch
auch staatlich geförderte Aufmerksamkeit durch
den Austausch von Theater-Gastspielen.
Die im Auftau befindliche
Hansestadt Bremen und die in der DDR privilegierte Hansestadt
Rostock waren für eine
Partnerschaft auf kulturellem
Gebiet durchaus geeignet. Für den
Theateraustausch plädierten (zunächst)
Künstler, die sich für entsprechende Kontakte erwärmten. Hier der nicht
als "linker"
Theaterintendant, sondern unter
anderem als Schauspieler in
NS-Filmen wie "Das Haus Rothschild" in Erinnerung gebliebene
Albert Lippert,
bis 1954
Vorgänger von
Gustaf Gründgens am Hamburger Schauspielhaus
und bis 1962 von Kurt Hübner in Bremen,
dort der überzeugte Kommunist Hanns Anselm
Perten: sie sorgten von 1955
bis 1961 für den Austausch von
Inszenierungen.
Von
politischer Seite gefördert war
der Austausch kurioser Weise durch den
obersten Beamten der Bremer Kulturbehörde,
Dr. Eberhard Lutze, 1941 bis 1945
Direktor der Kunstsammlungen der
Stadt Nürnberg, dessen Prozess um
den Kunstraub des aus Krakau nach
Nürnberg verbrachten Veit-Stoß-Altars
mit einem Vergleich endete, und
der wegen seiner Ablehnung des bundesweit
gefeierten "Bremer Stils"
der Theaterleute um Kurt Hübner
vielen Theaterfreunden verhasst
war.
In den von
Renate Meyer-Braun
unterhaltsam dargestellten
Jahren des Theateraustauschs
war die Stimmung der herrschenden
Weltpolitik auf scharfe
Abtrennung und Vorbereitung
für den unterstellten Konfliktfall
ausgerichtet, dennoch
regten die Theater - übrigens
auch anderer Städte - zur Verständigung
an, bemüht um die
Bewahrung der kulturellen Einheit,
waren Vorbereiter der späteren
Annäherung und endlichen
Auflösung der Machtblöcke:
ein Beitrag der Kultur zur Weltpolitik,
der nicht in Vergessenheit
geraten sollte."