trafo verlag 2006, 226 S., ISBN 3-89626-583-0, 15,80 EUR
REZENSIONEN
Besprechung von Ralf Sziegoleit in: Frankenpost, Ausg.
Bayreuth/Hohes Fichtelgebirge v. 8.11.2006, S., 16:
"EX-HOFER GRÖHLER SCHREIBT ÜBER BND-CHEF GEHLEN. Mit Lust und streng
geheim.
In den 50er und 60er Jahren kannte ihn fast jeder - nicht jedoch von
Angesicht. Denn unbedingt geheim bleiben wollte der Mann, der gern und
erfolgreich geheimen Tätigkeiten anderer nachforschte: Reinhard Gehlen.
„Herr Gehlen ohne Foto" heißt darum ein „Bericht" über ihn.
Verfasst wurde er von dem Schriftsteller Harald Gröhler, geboren in
Hirschberg (Riesengebirge), aufgewachsen im Fichtelgebirge und in Hof, wo er
zur Schule ging. Heute lebt er, 68-jährig, am Prenzlauer Berg in Berlin.
Der „Bericht" ist eher Roman als Biografie. Statt sich eng an
Tatsachen zu halten, stellt der Autor sich vor, wie es gewesen sein könnte,
und erfindet - mit Lust, wie auf jeder Seite zu spüren ist, - mancherlei
hinzu. Nichts hat er im Sinn mit Faktenhuberei und Erbsenzählerei.
Gleichwohl ist das Ganze keineswegs pure Fiktion: Gröhler hat, wie der
Klappentext mitteilt, „den dubiosen, schillernden Mann und dessen Familie
(unter geheimsten Vorkehrungen Gehlens) mehrere Male treffen können".
Das liegt eine Weile zurück, denn schon seit 1979 ist Gehlen tot.
Berühmt wurde der gebürtige Erfurter, der im Zweiten Weltkrieg zum Leiter
der Abteilung „Fremde Heere Ost" im Generalstab des Heeres aufstieg,
durch das Spionagenetz, das er nach 1945 im Auftrag der amerikanischen
Besatzungsmacht aufzog. Aus der so genannten Organisation G. wurde der
Bundesnachrichtendienst (BND), als dessen Präsident Reinhard Gehlen bis
1968 amtierte.
Szenen aus seinem Leben präsentiert Gröhlers „Bericht". Dabei wird
munter, doch nicht unbekümmert drauflos erzählt: Um Sprache und Stil bemüht
sich Gröhler schon sehr - jeder Satz ist ausgefeilt und in Form gebracht.
Aber munter ist der Text insofern, als ihn der Autor reichlich mit
Anekdotischem bestückt. Spaß muss sein. Als eine Gehlen-Tochter heiraten
will, entwickelt sich folgender Dialog: „Habt ihr einen Termin? - Ja, tatsächlich,
da habe er schon etwas vorgeschlagen. - Na sei nur nicht schüchtern, so. Rück
schon raus. Wann? - Einundzwanzigsten Juni.
- Ha? Was? Ist das nicht der
Tag mit der kürzesten Nacht? - Na klar. - Der Feigling!"
Beispiele solcher Art gibt es viele. Ironie ist auch im Spiel, wenn Gehlen
den Herren Adenauer, Strauß und Erhard begegnet. Letzteren, den
„Neukanzler", beschreibt Gröhler so: „Erhard war von oben bis
unten dick, sogar am Kinn und Hals; würde die Natur nur Menschen wie Ludwig
Erhard wachsen lassen, dann hätte die Sprache - warum auch! - niemals
verschiedene Wörter für den Hals und das Kinn."
Nebenschauplätze in dem „Bericht" sind Bad Elster sowie
Tschirn und Hof „im fernen Oberfranken, einem Landstrich just so groß wie
die Hebriden und genauso wenig bekannt". Freilich, bei einer Lesung in
Hof - im März 1999 - bekannte Gröhler, dass er Hof, das seine
„Startrampe" war, noch immer als Heimat ansieht. Zwar ist er als
Autor nie nach ganz oben gelangt, aber: Seit Abschluss seines Studiums
(Psychologie und Philosophie) bestreitet Gröhler sein „ganzes Dasein
durch Literatur". Weil die Buchhonorare dürftig ausfallen, wird er auf
Randgebieten (Literaturkritik) tätig; 25 Jahre lang organisierte er
Lesungen anderer Autoren.
„Man muss das trickreich einfädeln", sagt der Ex-Hofer. Auch dürfe
man nicht zu anspruchsvoll sein. Er finde es „spannend und jeck, mich so
durchzuschlängeln. Das ist quasi ein Sport. Bereut hab ich es nie."
Rezension
von Gerd Bedszent in: Zweiwochenzeitschrift “Ossietzky”, Ausgabe
12/2006 vom 12.06.2006:
"Der BND mit gebührender
Ironie.
Gegen den “Feind im Osten” brachte General Reinhard Gehlen mit seiner
Organisation Fremde Heere Ost alias Organisation Gehlen alias
Bundesnachrichtendienst nichts Nennenswertes zuwege – nur Pannen und
Pleiten. Dafür mische er sich mit Erfolg immer wieder in die Politik der
Bundesregierung ein, was verfassungswidrig war - aber wo kein Kläger, ist
auch kein Richter. Dieser fand sich erst, nachdem Ludwig Erhard die
Nachfolge Konrad Adenauers angetreten hatte. Für Erhard hatte Gehlens
Truppe gewesener SS-Leute und sonstiger Nazispione “keinen Platz in der
Leistungsgesellschaft”. Da half es Gehlen nicht, in gewohnter Manier
seinen Dienstherrn zu bespitzeln und ein Dossier über ihn anzulegen –
seine Zeit war gekommen... Harald Gröhler, der Gelegenheit hatte, Gehlen
noch persönlich kennengelernt hat, liefert ein anschauliches Psychogramm
des “Mannes ohne Gesicht”, der die frühe Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland wesentlich mitbestimmt hat, und zugleich eine kritische
Darstellung der Entstehungsgeschichte des BND, gewürzt mit der gebührenden
Ironie. Angesichts der jüngsten BND-Skandale sei das Buch dringend
empfohlen."
Besprechung von René Heilig in: Neues Deutschland,
Beilage zur Leipziger Buchmesse, 16. bis 19. März 2006, S. 15
"BND ironisch?
Gehlen, mit noch fliegendem Atem, japsend, in der Belletage
des Palasthotels:
»Colonel D., es müssen auch
Kennkarten ausgegeben werden.«
»Richtig«, sagte Colonel D. »Das ist völlig alwright. Ganz meine
Meinung.« »Oberst D., was dabei notwendig ist, extrem notwendig: Auf den
Kennkarten unsrer V-Leute muss natürlich der Deckname stehen. Wie verfahren
wir da? Wie schnell können Sie das in Angriff nehmen?«
»What do you say? Auch noch ein Deckname? So wie ein falscher Name,
meinen Sie also?« »Nicht auch ein Deckname«, sagte der deutsche
Exgeneral - er präzisierte - »sondern nur der Deckname. Was anderes können
wir nicht brauchen.« »That's
against the law.«
Gegen das Gesetz! Wie naiv ist der Colonel? Wie naiv sind wir? Wie
oft wohl hat der BND schon gegen das Gesetz verstoßen. Schon seine Gründung
war ein solcher Verstoß. Und dass er dieser gesetzlosen Gründung treu
geblieben ist, beweisen jüngste Skandale. Es werden nicht die letzten sein.
So wie das Buch von Harald Gröhler nicht das letzte sein wird, dass
sich - nebst verschiedenen Filmen - mit seinem ersten Präsidenten Reinhard
Gehlen beschäftigt.
Die meisten aktuellen Veröffentlichungen zum BND und seinem ganz und gar
nicht legendären Gründer sind nicht allzu wichtig. Gröhlers Buch
dahingegen dürfte vor allem für all jene das Richtige sein, die - wie der
Werbetext verzeichnet - eine »Kopplung von gewissenhafter Faktenbehandlung
und gleichzeitig ironisch-spottvollem Zugriff« mögen. ...