[= BzG – Kleine Reihe Biograpien,, Bd. 16], trafo verlag 2007, 114 S., ISBN (10) 3-89626-556-3, ISBN (13) 978-3-89626-556-2, 12,80 EUR
Rezension von Gerda Kruss in: Junge Welt vom 03.09.2007
"Sozialdemokrat, Widerstandskämpfer, DDR-Diplomat: Wilhelm Meissner
Der Historiker Lutz Heuer hat schon zahlreiche Beiträge zu Persönlichkeiten
der deutschen Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. An
Wilhelm Meißner (1899-1994) reizte ihn, daß dieser nie im Licht der Öffentlichkeit
stand, aber zahlreiche Spuren in der frühen Geschichte der DDR hinterlassen
hat.
Meißner wurde im Revolutionsjahr 1918 als Angestellter im ostpreußischen Königsberg
in den örtlichen Arbeiterrat gewählt und trat der USPD bei. Später ging
er zur SPD, betrieb für diese erfolgreich Kommunalpolitik und wurde 1933
auf Betreiben der Nazis aus dem Stadtrat entlassen. Während der
Nazidiktatur arbeitete er in Berlin in einer sozialdemokratischen
Widerstandsgruppe, die später mit den konservativen Verschwörern um
Goerdeler und Claus Schenk Graf von Stauffenberg konspirierte. Die
Organisation flog nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 auf. Meißner
entging der Verhaftung – die ihn kannten, blieben auch unter der Folter
standhaft. Zurück aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft, gehörte er zu den
Sozialdemokraten, die für ein Zusammengehen mit der KPD eintraten.
Als persönlicher Mitarbeiter des späteren DDR-Ministerpräsidenten Otto
Grotewohl erlebte Meißner, wie im kalten Kriege die geteilte Stadt Berlin
zu einem Eldorado aller möglichen Geheimdienstler wurde: Von Westberlin aus
versuchte man, die Vereinigung beider Arbeiterparteien im Osten der Stadt zu
hintertreiben, führende Sozialdemokraten zur Flucht in den Westen zu
bewegen. Der sowjetische Geheimdienst beäugte den Prozeß der Verständigung
beider Arbeiterparteien ebenfalls mißtrauisch, befürchtete ideologische
Abweichungen und war bestrebt, frühere SPD-Mitglieder von wichtigen
Positionen fernzuhalten.
1950 wechselte Meißner in den diplomatischen Dienst der DDR, wurde
Botschafter in Ungarn. Später war er Sekretär der DDR-Delegation zur
“Deutschlandkonferenz” des Jahres 1959 – einem “totalen
Fehlschlag”, wie er resümierte. Die Bundesrepublik unternahm damals
alles, um eine Annäherung der einstigen Siegermächte des 2. Weltkrieges zu
verhindern, schickte in die eigene Delegation ausgerechnet einen
hochbelasteten Nazi.
Meißner blieb immer ein Sozialist, auch nach dem Untergang der DDR. Im
Jahre 1992 äußerte er: “Die heute bestehende Ordnung ist nicht die
letzte Antwort der Geschichte und kann es nicht sein.” Wilhelm Meißner
starb am 19. August 1994, wurde auf dem “Friedhof der Sozialisten” in
Berlin-Friedrichsfelde begraben.