[= Werkauswahl Gerhard Branstner in 10 Bänden, Bd. 1], trafo verlag 2003, S., TB, ISBN 3-89626-441-914,80 EUR
Rezension von Gerd
Bedszent aus Berlin, Deutschland, 29.
Oktober 2004
Bei Ersterscheinen dieses Buches in den 60er Jahren rief es
in DDR-Leserkreisen zunächst einige Verwirrung hervor: Science fiction - damals
noch „utopische Literatur" genannt - hatte entweder die Beschreibung
wissenschaftlich-technischer Großtaten zum Thema oder aber die Befreiung ferner
Planetensysteme aus den Händen finsterer Imperialisten. Und jetzt ein
Raumschiff namens „Bommel", das wie eine Kugel durch die Milchstraße
rollt? Und diese skurrile Besatzung, die - weil sie nicht weiß, wie ihr Auftrag
überhaupt lautet - nach einem Kinderreim die Planeten abzählt, auf denen sie
dann landet? Darf man denn so etwas schreiben?!
Das Buch wurde dann doch von der Lesergemeinde angenommen - ebenso wie die
weiteren Ausflüge des Philosophen Branstner in das Gebiet der phantastischen
Literatur.
Noch heute lesen sich die Abenteuer der Bommelanten amüsant: Auf dem einen
Planeten erfährt man, warum die Menschwerdung von Vögeln bereits in einem frühen
Stadium scheiterte, auf dem anderen, wie man unterdrückten Molchen gegen ihre
kapitalistischen Ausbeuter beistehen kann. Dann wieder landen Branstners Helden
bei den freundlichen, wohlbeleibten Bilbomanen, die aber so schrecklich bequem
sind, daß man auf ihrem Planeten das Bier aus schmutzigen Gläsern trinken muß
- Ähnlichkeiten mit der DDR-Gesellschaft sind sichtlich beabsichtigt.
Branstners Ideal einer künftigen Gesellschaft findet man dagegen auf dem
„Stern der Beschwingten", wo nicht nur die Freiheit von Ausbeutung,
sondern auch die Heiterkeit der natürliche Zustand der Menschen geworden ist.
Für Spannung ist in dem Buch auch reichlich gesorgt: Das Rätselraten um den
Forschungsauftrag der Bommel entwickelt sich zu einem regelrechten Kriminalfall,
der erst am Schluß eine überraschende Lösung erfährt. Und es macht überhaupt
nichts, daß die Bommel dadurch den „Stern der Beschwingten" nie
erreicht. Denn Branstners Anliegen ist es, das „Prinzip Heiterkeit"
zuallererst auf der Erde zu verbreiten.
Besprechung
durch Ralf Steinberg: www.lapismond.de
vom 22.12.2004:
Ein Raumschiff das Bommel heißt, dessen Besatzung sich die Bommelanten nennt und auf der Milchstraße unterwegs ist, das Exil der Marsmenschen zu finden - ganz klar, dieser Roman hat es in sich. In ganz besonderem Maße aber Heiterkeit.
Pilot Schimansky startet in das Unternehmen mit einem Stullenpaket unter dem einen und den Filzpantoffeln unter dem anderen Arm. Sein Freund Piccolomini fasst die Situation vor dem Start zusammen:
"Ich hatte von Anfang an das Gefühl, daß man sich höhern Orts nicht viel von dieser Expedition verspricht. Daß man uns aber die alte Bommel gibt, ist gerade zu bedenklich."
/1/
Wenn nicht die Hoffnung der Welt in der Expedition liegt, kann man die Sache auch ruhig angehen. Mit von der Party sind weiterhin Expeditionsleiter Professor Hedderich, natürlich verschusselt, Bierbauchträger Weynreich und der schweigsam haarlose Rinstone, um den sich bald das Geheimnis der Reise entwickelt, war er doch schon einmal am Zielort, der Corinna.
Zunächst aber führt sie ihre Suche nach den verschwundenen Marsmenschen in einen Kampf mit Robotern, in die Arme von Menschenfressern, in den Fokus von Vogelmenschen, in das Reich trübsinniger Wasserbewohner und zu den bequemen Schwätzern von Bilbomane, wie Corinna dort heißt.
Marsmenschen gab es jedoch keine.
Dennoch strotzt eine jede Begegnung vor Ironie, oder besser beschwingter Heiterkeit, wie das Geheimrezept des Lebens am Ende des Buches definiert wird.
Dabei gibt sich dieser 1968 erschienene Roman erfreulich unpropagandistisch. Was im Verlagswesen der DDR nicht ganz einfach war, wurde doch der Sieg des Kommunismus für eine Zukunft vorausgesetzt, genauso wie eine führende Rolle der Sowjetunion und ihrer Menschen. "Die Reise zum Stern der Beschwingten" entwirft nur im Hintergrund eine Gesellschaft, recht substanzlos und eher in den ironischen Spiegelungen, wie etwa der bereits zitierten Äußerung von Piccolominis. Gerade mal beim einzigen, in einer Klassengesellschaft lebenden Volk, den Wassermenschen von Aquavox, kann man Gesellschaftskritik wahrnehmen, aber auch eine Vision von DDR-Neubaugebieten lesen:
"Siebenscharffs Erklärung machte den Bommelanten die Stadt keineswegs anheimelnder. Sie wurden im Gegenteil von deren Rechtwinkligkeit und unmenschlicher Ödnis bis zur Übelkeit gereizt. Vor allem war es die unnatürliche Kahlheit, die sie bedrückte und zugleich ihren Widerwillen erregte."
/2/
Der Unmut der Bevölkerung äußert sich in einer illegalen politischen Versammlung, die die Bommelanten belauschen. Ein Agitator lässt die Konspiration mit einer grandiosen Rede platzen:
"Meine Herren Klassenkämpfer! Wir wollen die Kapitalisten stürzen. Worauf warten wir noch? Der Feind ist bekannt, schlagt ihn wo ihr ihn trefft! Gebt ihm Ohrfeigen von gewaltiger Klebkraft. Benutzt dazu KULLERMANNS ALLESKLEBER und der Sieg wird unser sein. Die Weltrevolution ist eröffnet!"
/3/
Zwar zieht hier ein kapitalistischer Staatsdiener die revolutionären Bemühungen ins Lächerliche und bleibt somit handlungsformal für den DDR-Leser der Bösewicht. Aber ohne Zweifel wird er sich noch recht oft an den Alleskleber erinnert haben, wenn er ähnliche Phrasen in den DDR-Medien vernahm.
In einen Interview /4/ klärte Branstner dann auch über die "Kapitalisten" auf. Im Originalmanuskript hießen sie nämlich noch Kapitalonen. In der beim Trafo Verlag Berlin erschienen Werkausgabe korrigierte er dies, wie er betonte die einzige Änderung. Nun heißen die Kapitalisten wieder Kapitalonen. Eine kleine Abweichung von den ersten 9 Auflagen gibt es aber dennoch: Der Titel ist neu und das erklärte er so:
Ein Bekannter sah ihn bummeln gehen und rief quer über die Friedrichstraße:
"Gerhard, wann gehen die Bommelanten wieder auf die Reise?"
Und da wusste er, das der alte Titel, der ihm immer schon zu lang war, nun Die Bommelanten lauten musste.
Selbst also in diesem eher pädagogischen Kapitel verschließt sich Branstner einer offiziellen Richtung und geht allein seiner Nase lang.
Eine Einordnung des Werkes in die DDR-Science-Fiction findet sich in Angela und Karlheinz Steinmüllers "Vorgriff auf das Lichte Morgen":
"Der sich abzeichnende Bruch zum Raumfahrtroman wird noch deutlicher mit Gerhard Branstners Die Reise zum Stern der Beschwingten (1968). Nach über einem Jahrzehnt prognostischen Ernstes wird der heldenhafte Weg in All von Branstner humoristisch auf die Schippe genommen."
/5/
Im eigentlichen Sinne ist Branstners Roman eine Space Opera. Sie funktioniert ohne besondere technische Finessen oder physikalische Erklärungen.
Doch Branstner, kein Freund der Untertreibung, widerspricht vehement der Behauptung, er schriebe keine Stories um Wissenschaft und Technik.
/6/
Er beginnt seinen Beweis mit einer Anekdote:
Als er mit Günter Krupkat, einem Vertreter der Hard-SF in der DDR, bei einer Veranstaltung war, behauptete Krupkat:
"Du verstehst doch nichts von Technik!"
Worauf Branstner konterte:
"Nur weil Du nichts davon verstehst, verstehst Du nicht, dass ich etwas davon verstehe!" Gerade in Die Reise zum Stern der Beschwingten sei eine Unmenge technischen Wissens eingeflossen. Allein schon die Form einer Kugel mit drei Schalen für das Raumschiff Bommel habe er, als größter Physiker, gewählt, weil die Kugelform die physikalisch sinnvollste und eine perfekte Wahl sei.
Dennoch ist wohl allein die Heiterkeit der Brennstoff, der die Bommel durchs All schubst; vielleicht die wichtigste Erklärung, warum der Roman zeitlos ist und seine Leser auch 36 Jahre nach seinem Erscheinen noch zum Lachen bringt.
"Die Beschwingten nehmen nämlich nichts ernst und nichts heiter zugleich, gleichgültig, ob es sich um eine heitere oder ernste Angelegenheit handelt.
...
Gerade durch dieses heitere Spiel, welches den Ernst verstellt, wird aber die Wirklichkeit nur um so treffender bezeichnet."
/7/
Mit Recht kann man resümieren: Gerhard Branstner hat die größte Bommel.
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/1/ Branstner, Gerhard. Die Reise zum Stern der Beschwingten. Hirnstorff Verlag Rostock, 9 Auflage 1990, S. 6
/2/ Branstner: Reise, a.a.O. S. 123
/3/ Branstner: Reise, a.a.O. S. 125
/4/ Das Interview führte ich mit Gerhard Branstner am 13.01.2005 bei ihm zu Hause.
/5/ Steinmüller, Angela und Karlheinz: Vorgriff auf das Lichte Morgen. Studien zur DDR-Science-Fiction. EDFC 1995, S.24f
/6/ Steinmüller: Morgen, a.a.O. S. 51
/7/ Branstner: Reise, a.a.O. S. 184f