[= Autobiographien, Bd. 16], trafo verlag 2003, ca. 300 S., zahlr. Dokumente und Fotos, ISBN 3-89626-392-7, 29,80 EUR
Norbert Podewin,
11.10.2003
In der Nachkriegsära von 1945 bis zur entspannungspolitischen Zäsur
der KSZE-Konferenz von
Helsinki galt
Benin als
Dauerkonfliktherd der Weltmächte. Die gleichfalls konträren
deutsch-deutschen Interessen hinsichtlich der Stadt wurden von den USA wie
von der Sowjetunion jeweils in ihrem Sinne zeitweilig unterstützt oder
unterbunden. Der potentielle Krisenherd war immer "Chefsache" in
Washington wie in Moskau, in der Bundeshauptstadt Bonn ebenso wie in der
DDR-Metropole Berlin und gleichermaßen galt überall das "top secret"/"streng
geheim" im Vorfeld grundsätzlicher Entscheidungen, die noch zusätzlich
hinter publizistischen Rauchvorhängen verborgen wurden. Joachim Mitdank gehörte
zur kleinen Zahl von Experten, die im Räderwerk der DDR-Diplomatie mit dem
Thema "Berlin" beschäftigt waren. Sein Werdegang ist DDR-typisch:
Arbeiterkind, Arbeiter- und Bauern-Fakultät, Hochschulstudium, Berufung in
das Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten. Die Bundesrepublik ist sein Referat, ab 1968 für ein
Jahrzehnt fokussierend als Leiter der Abteilung Westberlin im MfAA. Hier
gewinnt er detaillierte Intimkenntnisse der sowjetischen Deutschland- und
Berlin-Politik, die in die erschütternde Erkenntnis münden, das
"Bruderland DDR" werde im sowjetisch-amerikanischen Machtpoker nur
als veräußerbarer Einsatz behandelt. Der Autor belegt auch dokumentarisch,
dass eigenständige politische Aktivitäten der DDR in Richtung BRD zur
Normalisierung der Beziehungen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre
durch rüde sowjetische Eingriffe unterbunden wurden. Zeitgleich begann der
Aufbau eines geheimen Kanals Moskau-Bonn, dessen diplomatische Ausbeute der
"große Bruder" der DDR weitgehend vorenthielt und damit der
BRD-Seite ständig neue Möglichkeiten zur Durchkreuzung der völkerrechtliche
Souveränität der DDR in den beiderseitigen Beziehungen verschaffte.
Joachim Mitdank zeichnet mehrere persönlich geführte Verhandlungen mit dem
Senat von. Berlin nach, in denen unterschriftsreife Ergebnisse zu Regelungen
in der Doppelstadt anderntags in Frage gestellt wurden, weil Bonn das Fehlen
der Moskauer Rückendeckung für die DDR-Aktivitäten erkundet hatte und zu
neuen Zugeständnissen nutzen wollte.
Erstmalig kann man nun auch nachlesen, in welchem Maße der von Ernst Reuter
betriebene Ausbau der "Frontstadt" auch finanziell zu Lasten der
DDR ging. Notwendig auch, die Erinnerung, dass unmittelbar nach dem Mauerbau
DDR-Passierscheinstellen auf S-Bahnhöfen – sie unterstanden der
DDR-Hoheit – westlicherseits gewaltsam geschlossen wurden. Die später auf
DDR-Initiative geschaffenen Besuchsmöglichkeiten für Westberliner, der
Transitverkehr auf den Autobahnen verursachte erhebliche Verwaltungskosten,
was die andere Seite total ausblendete und zur Diffamierung in Sachen
Transitpauschale oder Pflichtumtausch bei Besuchen ummünzte. Das Verhalten
der sogenannten Schutzmächte Westberlins bei ständigen Einkaufsbesuchen
rund um den Alexanderplatz wird knapp skizziert; es wäre eine besondere
Abhandlung wert. Deutlich wird in Mitdanks Buch, dass auch nach Abschluss
der Vierseitigen Abkommens vom 3. September 1971 und dem deutsch-deutschen
Grundlagenvertrag, der im Juni 1973 in Kraft trat, die Bonner Versuche zur
Beseitigung der DDR nicht endeten – es wechselte nur die Form; die bislang
praktizierten Drohungen wichen vielfältigen ökonomischen Einbindungen
sowohl an die Moskauer als auch an die Berliner Adresse. Ein bedeutsamer
Erfolg war die von Breshnew verfügte Beendigung der Ära Ulbricht, dessen
Konturen als bedeutender Staatsmann von europäischem Format markant werden.
Dem Nachfolger Honecker – auch das wird durch mehrere Belege sichtbar –
fehlten politisches und insbesondere ökonomisches Augenmaß zur Umsetzung
der propagierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Versuch der
Installation eines persönlichen deutsch-deutschen "Kanals" im Mai
1973 durch Vier-Augen-Gespräche mit Herbert Wehner in der Schorfheide
beschreibt der Autor so: "In der Bewertung der Reaktion des Senats
zeigte sich, dass Wehner und andere Politiker auf eine enge Verbindung von
ökonomischen Fragen mit denen des erweiterten Reiseverkehrs sowie
'humanitären' Angelegenheiten orientierten. Das bekam ich sehr bald in
meiner Arbeit zu spüren. Wehner gelang es, innerhalb kurzer Zeit die im
Ministerium für gesamtdeutsche Fragen zuständige Abteilung auszubauen und
die Tätigkeit des Diakonischen Hilfswerks der Kirche für 'humanitäre'
Aufgaben zu aktivieren."
Ein besonderer Vorzug des Buches besteht darin, dass insgesamt 66 Dokumente
in ihrer Substanz beigefügt sind, die dem Leser genaue Einblicke in die
strittigen Punkte der zahlreichen Verhandlungen ermöglichen, Sie belegen
anschaulich – der Autor steht zu seinem DDR-Leben – dass die Diplomaten
dieses Staates ihr Bestes gaben, gegen die Rolle eines Moskauer
"Pfandes" jedoch niemals aufkamen. Brisant ist schließlich noch
eine Schlussbemerkung: Im Bemühen um das Scheitern des Sozialismusversuchs
bemühte sich die PDS im Mai 1991 mit Schreiben an die Außenstelle Begrün
der sowjetischen Botschaft, "mit entsprechenden Partnern in der UdSSR
eine zielgerichtete Zusammenarbeit aufzubauen"; Joachim Mitdank wurde
als Kontaktperson benannt. Und das Fazit? Nach einiger Zeit teilte man ihm
seitens der PDS mit, der anvisierte Partner sei einverstanden und ein Termin
vereinbart. Plötzlich erhielt man die Nachricht, "wegen aktueller
Ereignisse in Moskau müsse die reise verschoben werden, damit war die Sache
zu den Akten gelegt. Die sowjetische bzw. russische Seite änderte ihre
Haltung, Die Hintergründe traten später mit der Veröffentlichung der
Memoiren ehemaliger sowjetischer Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter
ziemlich eindeutig zutage."