Rezensiert von Stefan Lieske für Das Argument, Heft 251, 3/2003
"Im Kontext der zahlreichen Studien über die untergegangene DDR bietet Behrends Buch einen Fundus an Informationen und kritischen Wertungen über einen
Teil unserer Geschichte, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Für jene
LeserInnen, die wie ich sowohl vom Studium wie auch aus der Lehr- und
Forschungstätigkeit die DDR-Anglistik kennen, stellt der Band einen wichtigen Anlaß zum
Nachdenken über die eigene Vergangenheit dar, über Verlorenes, aber auch kritisch zu Verstehendes. Für jene, die die DDR nur aus den Berichten der älteren
Generation kennen oder sie nur von der anderen Seite der Mauer erlebten, eröffnet sich hier ein Blick auf eine Seite der Vergangenheit, welche die
Interpretation des DDR-Systems im Sinne eines lediglich totalitär verfassten, undemokratisch Unrechsstaates revidiert. Die von der Autorin zu Beginn
formulierte Prämisse, “dass es Richtiges im Falschen gibt und dass die Ambivalenz der
DDR im gleichzeitigen Vorhandensein von repressiven und hierarchischen Strukturen einerseits und mindestens potentiell angelegten sozialen und damit auch
persönlichen Freiheiten andererseits bestand” (S.7), ist programmatisch für die hier vorgelegte Geschichtsaufarbeitung. Geschichte ist allenthalben
ambivalent: die Menschen agieren unter den vorgefundenen Bedingungen, müssen sich
ihnen partiell beugen, aber diese Beugung ist eben immer nur partiell. Dies galt auch für die DDR, in der viele Menschen nach dem Faschismus eine humanere,
sozialistische Gesellschaft aufbauen wollten.
Bereits das erste Wort des Buchtitels - demokratisch - indiziert, worum es
Behrend geht. Wer das bundesdeutsche Universitätssystem kennt, weiß, daß das
tradierte System der Ordinarien, welche nahezu gottesgleich in akademia herrschen, kaum eine Mitbestimmung des wissenschaftlichen Nachwuchses zuläßt,
zumal dieser aufgrund der materiellen Zwänge den Professoren machtlos ausgeliefert ist. Behrends kritische Analyse des DDR-Hochschulwesens zeigt am Beispiel
der Anglistik an der Humboldt-Universität, wie diese zwar durch vielfältige hochschulpolitische Maßnahmen durch das Diktat der SED reglementiert wurde
und ein offenes Auftreten gegen kontraproduktive Parteidirektiven kaum möglich war. Sie demonstriert aber auch, wie dennoch in der alltäglichen Praxis
durch die Integration der Ordinarien in die Pluralität der organisatorischen Strukturen Elemente der Mitbestimmung erreicht werden konnten oder wie
Statusfragen – zumindest wenn es um akademische Inhalte ging – nur eine begrenzte Rolle
spielten. Zu recht unterstreicht die Autorin, die den DDR-Hochschulbetrieb während ihrer fast 30jährigen Tätigkeit an der Humboldt Universität bestens
kennengelernt hat, daß das sogenannte Prinzip der “kollektiven Leitung und der
Eigenverantwortung des/r Leiterin” zumindest für engagierte AkademikerInnen mit Zivilcourage ein beachtliches Maß an Gestaltungsmöglichkeiten bot. Wie
verknöchert die Hochschulstrukturen in der DDR auch immer waren – und dies schildert die Autorin sehr deutlich -- , so gelang es dennoch zahlreichen
couragierten Universitätsangehörigen wie Behrend, produktive Veränderungen zumindest auf der Ebene der eigenen Lehre und Forschung durchzusetzen. Sie
illustriert dies überzeugend am Beispiel der Nutzung feministischer Positionen in den
letzen Jahren ihrer Arbeit an der Humboldt Universität. Trotz der Verteufelung des Feminismus als einer “kleinbürgerlichen Ideologie” durch die
SED-Obrigen, aber auch gegen den Widerstand einer ganzen Reihe von Akademikern gelang
es der Autorin, ihr feministisches Forschungsprojekt mit NachwuchswissenschaftlerInnen und Studierenden zu realisieren und so einen gewissen Grad an
innerbetrieblicher und interuniversitärer Öffentlichkeit für neue theoretische
Ansätze zu schaffen. Daß dieser Erfolg freilich nur aufgrund ihres unermüdlichen Engagements möglich war, belegen die in den Anlagen enthaltenen Briefe und
Projektberichte.
Behrends Beschreibung des Umgangs der Universitätsangehörigen (einschließlich der Studierenden) untereinander eröffnet den Blick auf eine
Hochschulkultur, deren Solidarität und wissenschaftliches Miteinander zu den wichtigsten
Neuerungen zu zählen ist. Da die MitarbeiterInnen nur in einem sehr begrenten Konkurrenzverhältnis zueinander standen (Behrend sprich sogar von “keinem
Konkurrenzverhältnis” [S.32], was aus meiner Erfahrung etwas übertrieben ist)
und da materielle Existenzängste keinerlei Rolle spielten, ermöglichte die DDR-Universität ein Betriebsklima, das geprägt war durch gegenseitige
Unterstützung und menschliche Wärme ungeachtet der vorhandenen akademischen Hierarchien. Trotz der nicht zu leugnenden Verschulung und Praxiszentriertheit der
akademischen Ausbildung boten z.B. Studienpläne und Förderungsvereinbarungen für
schwangere, ausländische oder besonders begabte StudentInnen Möglichkeiten, um
auch ihnen einen erfolgreichen Studienabschluß zu garantieren. Die Familiarisierung des Hochschulbetriebs wie auch die Integrierung der Familie in die
berufliche Tätigkeit durch Sektionsfeiern, gemeinsame Theaterbesuche oder Kinderbetreuung haben wir damals zuweilen als eine Einschränkung der persönlichen
Unabhängigkeit empfunden. Aus der heutigen Erfahrung kann man Behrend nur zustimmen, wenn sie diese Familisarisierung als einen wichtigen Beitrag
bewertet, um der Privatisierung und Vereinzelung der Universität entgegenzuwirken,
Ganzheitlichkeit und Öffentlichkeit anstelle von Konkurrenz als Normen zwischenmenschlicher Beziehungen zu etablieren und für die wissenschaftliche Arbeit
zu nutzen. Die Lektüre der in den Anlagen dokumentierten Berichte von Bereichsversammlungen, Briefen und Forschungsplänen enthüllt die Produktivität
eines solchen Betriebsklimas für die Wissenschaftler wie auch für die Studierenden. Behrend zeigt, wie auf diese Weise arbeitsmäßige oder familiäre
Belastungen einzelner KollegInnen oder StudentInnen durch das Kollektiv gemindert
oder der studentische und graduierte Nachwuchs maßgeblich gefördert wurde. Wie ambivalent Behrends Verhältnis zur untergegangenen DDR auch ist, so
läßt sie dennoch keinen Zweifel daran, daß sich diese Ansätze einer neuen universitären Demokratie eben nur entwickelt konnten, da die DDR die materielle
Absicherung aller Menschen garantierte. Die Studie zeichnet sich neben der Fülle an bewahrenswerten Informationen und Dokumenten über die Anglistik an der
Humboldt Universität vor allem dadurch aus, daß die Autorin weder in eine nostalgische Glorifizierung noch in eine pauschale Denunzierung der DDR verfällt. Vielmehr leistet dieses kritische Erinnern an einen Teil unserer
Vergangenheit einen wichtigen Beitrag auf unserer Suche nach Wegen hin zu demokratischeren Universitäts- und Gesellschaftsstrukturen.
Stephan Lieske (Berlin) 7.3.2003