bearbeitet und herausgegeben von Irina Rockel, [= Cognoscere historias, Bd. 14], trafo verlag 2004, 231 S., zahlr. hist. Abb., ISBN 3-89626-322-6, 28,80 EUR
Rezensionen
Rezension
von Uwe Pfullmann für:
Comparativ 5/6(2006)15, S. 136ff.:
"In seinen Briefen
schildert Gentz
"seine mannigfaltigen Erlebnisse und die mächtigen Eindrücke, denen
er hier zuerst, im An-gesicht der Pyramiden und der todesstarren Wüste
teilhaftig wurde. Wie sich in allen diesen Schilderungen der besonnene,
geistig verarbeitende Mensch kundgibt, so zeigt sich dagegen in den Erzählungen
überall der mit Reiseunannehmlichkeiten und unerwarteten Abenteuern wohl
vertraute Künstler..." (Buchrücken) Diese Aussage von Hermann Weiss,
einem Rezensenten der Briefe von Gertz aus dem Jahr 1853, hat auch heute
noch Gültigkeit.
Im Geleit (9-11) betont der Urenkel Wolf-Dieter Gentz, dass sein Urgroßvater
"zu den Bahnbrechern des künstlerischen Orientalismus in Preußen des
19. Jahrhunderts gehört." (10) Doch wurde der zu Lebzeiten hochgeschätzte
Künstler und Reisende im 20. Jahrhun-dert fast völlig vergessen. "Das
Vorhaben", merkt W.-D. Gentz an, "das wichtigste schrift-liche
Werk von Wilhelm Gentz, die ‘Briefe aus Ägypten und Nubien‘, nach 150
Jahren neu zu edieren, lässt dieses Thema für die Wissenschaftsgeschichte
wieder lebendig werden und rundet die Publikationen zum inhaltsreichen Leben
eines der Großen der Berliner Künstler-szene im 19. Jahrhundert ab."
(11) In der Einleitung umreißt die Herausgeberin Leben und Werk von Wilhelm
Gentz. Frau Rockel macht darauf aufmerksam, dass sich Wilhelm Gentz als
einer der ersten Maler zum Entsetzen der damaligen Öffentlichkeit dem
Menschenhandel in Afrika und dem Leben von Sklaven im Orient als Sujet
gewidmet hat. Die Herausgeberin schildert dann detailliert den beruflichen
Werdegang von Gentz und stellt dessen künst-lerischen Vorbilder vor.
Anerkennend konstatiert Irina Rockel: "Mit naturwissen-schaftlichem
Blick sah Gentz auf die Landschaften und die Orte, die er als bildwürdig
anerkannte. ... Seine in Schrift und Bild festgehaltenen Beobachtungen sind
scharf und detailliert und wurden in einer von philosophisch-aufklärerischen
Denken gefärbten Sprache geschrieben." (23) Die zum Teil außerordentlich
schwierigen Umstände seiner Reise sind gerade dasjenige, was heutige Leser
unserer an Abenteuern armen Zeit so reizt. In seiner Vorrede (33-44)
skizziert der Autor unverkennbar die Urgründe des Orientalismus, wenn er
schreibt: "Ein asiatisches Urvolk, dem die höchste Bildung von einer gütigen
Gottheit mit-geteilt wäre und mit deren kärglichen Resten wir unser
geistiges Leben fristeten, ist die trostlose Erfindung jener mystischen
Spekulanten, welche das Menschengeschlecht nicht in freier produzierender Tätigkeit
vom Niedern zum Höhern fortschreiten lassen, sondern es zum bloßen
Produzieren und sinnlosen Wiederkäuen angeblicher Traditionen herabwürdigen
wollen." (33) Die Diskussion um den Orient, zum einen Hort des
Stillstandes, der Stag-nation, des Fanatismus, zum anderen Ort der Fantasie
und des Sehnens des in tagtägliche Zwänge eingesperrten Geistes der
Menschen der westlichen Industriestaaten, hat nicht erst seit Huntington und
Edward Said die Gemüter und Diskurse bewegt. In diesem Spannungsfeld
zwischen Beharrungskräften und ersten Ansätzen der Veränderung
einzudringen, bildet eines der Reize dieses alten Reise-Buches.
Die Sammlung enthält fünfzehn Briefe aus dem Zeitraum vom 10. März 1850
bis 20. April 1851, wobei Brief 1 die Ortsangabe Marseille und die Briefe 2
bis 9 Kairo angeben. In Brief Nr. 10 "An Bord des Margusch"
(110-118) schreibt Wilhelm Gentz kritisch über die Zu-stände in Luxor:
"Die Notdurft und die Armut der Beduinen hat diese veranlasst, ihre erbärmlichen
Hütten zwischen den kolossalen Resten der Tempel und Paläste aufzuschlagen
und somit manch schönes Detail zu verdecken. Aus Karnak haben sie sich
jedoch alle zurückgezogen. In den Gräbern der Könige hausen noch ihrer
viele. Sie haben dort den großen Vorteil, Brennmaterial in Masse zu finden,
welches ihnen die seit mehreren tausend Jahren ausgetrockneten Mumien
liefern. ... Die Herren Altertumsforscher haben auch nichts geschont. Sie
nahmen, was sie konnten, um die Museen Europas zu bereichern." (114)
Gentz berichtet durchaus kenntnisreich und sachlich über die Lage und
Rechte der Frauen und Sklaven, und versucht, manch sich bis heute hartnäckig
haltendes Vorurteil auszuräu-men. In den Briefen 11 "Zwischen Dandur
und Korosko" (119-132), Nr. 12 "Vom zweiten Nilkatarakt"
(133-139) und Nr. 13 "Edfou" berichtet der Autor von seinen
Reiseeindrücken in Nubien (dem heutigen südlichen Ägypten), im Wadi Halfa,
in Ipsambul, Assuan und Edfou. In den Briefen 14 "Konstantinopel"
(152-163) und 15 "Korfu" (164-167) schildert der Maler bereits
seine Beobachtungen auf der Heimreise. Die auf den Seiten 169-174 aufgeführten
Anmerkungen zum Originaltext sind eine willkommene und sachkundige Erläuterung
für den von der Orientalistik unbeleckten Leser. Ein Glossar zur Erklärung
überwiegend arabischer Namen ist ebenfalls hilfreich. Sehr lobenswert ist
das recht umfang-reiche Personenglossar (177-190) mit biografischen Angaben
zu den in Gentz‘ Briefen erwähnten Dichtern, Potentaten, Reisenden und
anderen Personen. Eine Auswahl-bibliografie von und über Wilhelm Gentz
vervollständigen diesen wirklich gelungenen Cognoscere Historias-Band. Der
kommentierte Bildanhang (195-224) illustriert anschaulich die Reiseabenteuer
von Gentz in einem Spannungsbogen von der Dattelverteilung auf einem Kairoer
Friedhof bis hin zu Telegrafenleitungen in der Wüste. Auf den letzten
Seiten geht der Reihen-Herausgeber Ulrich van der Heyden auf das Anliegen
seiner Reihe "Cognoscere Historias" ein: "Dahinter stand
nicht zuletzt die Überlegung, mit der Kenntnis von Geschichte, vor allem
mit Wissen über die Wurzeln des Rassismus und insbesondere über die
historischen Ursachen der Unterentwicklung, nach Wegen und Möglichkeiten zu
suchen, um diesen schrecklichen politischen Phänomenen mit intellektuellen
Mitteln zu begegnen." (227) Diesem Anspruch werden die Briefe von
Wilhelm Gentz gerecht. Ausstattung, Druck und Buchbindung sind gediegen. Dem
Rezensenten bleibt nur zu wünschen, dass dieses Buch zahlreiche Leser und
auch Käufer findet.
Süddeutsche Zeitung, 15. März 2005,
Feuilleton, Rezension von Wolfgang G. Schwanitz:
"Die Orient-Reisebriefe des Malers Wilhelm Gentz in neuer
Edition.
Die Hohenzollern liebten es, im Nahen Osten zu reisen. Der neu erbaute
Suezkanal bot Friedrich Wilhelm von Preußen Anlass, von Kairo aus Jerusalem
zu besuchen. Dazu gibt es ein prächtiges Gemäde: Einzug des Kronprinzen
Friedrich Wilhelm in Jerusalem 1869. Es gilt als das Hauptwerk des
Orient-Malers Wilhelm Gentz. Zwar ist der Besuch des späteren Kaisers
Friedrich III. dort anders verlaufen, doch ist er auf dem Bild ein edler
Ritter, hoch zu weissem Ross am Damaskustor der Heiligen Stadt.
Wilhelm Gentz kannte sich im Orient aus. Als junger Mann war er in Ägypten
und Nubien; er gab Reisebriefe aus dieser Zeit heraus. Deren neue Edition
besorgte die langjährige Chefin des Heimatmuseum Neuruppin, Irina
Rockel. Die Historikern möchte damit neue Facetten von Gentz' Leben
aufhellen, der in Neuruppin geboren wurde. Das ist ihr gut gelungen, auch
durch die Anmerkungen, Glossare und Bildkommentare. Freilich hätte besser
ein Orientalist zuvor das Manuskript prüfen sollen, um kleine Fehler zu
tilgen.
Der Leser mag fragen, was ihm nun solche Reisebriefe noch sagen. Zumal in
einer Zeit, in der sich jeder sowohl persönlich als auch durch die Medien
vielseitig zum Nahen Osten fortbilden kann. Man nehme Gentz' Betrachtungen
über Sklaven und den Harem: Er trifft Ende 1850 auf ein Sklavenschiff. Die
zu Verkaufenden sind aus Khartoum und Abessinien geraubt und für Kairo
bestimmt. Eine Sklavin dürfe man nach dem Kauf drei Tage lang prüfen.
Entdecke man einen Haken, könne sie dem Händler zurückgegeben werden.
Einen Jungen erhalte man für zehn bis vierzig Taler. Aber Gentz sieht auch
eine Mutter, die ihre Tochter für drei Taler verkaufen will.
Harem und Steinigungen
Gentz konstatiert einen moralischen und ökonomischen Verfall unter den
Stämmen. Sie hätten gar keine Naturanlage zum Sklaven, stellt er fest,
doch sei der "Negerrasse" das zartere Geistesleben verschlossen,
da allein der weisse Kaukasier feinere Regungen seiner Seele durch Erröten
zeigen könne. Wessen Seele durch die schwarze Farbe oder pergamentartige
Diplomatenhaut nicht durchscheine, dem bleibe das tiefere Gemütsleben
fremd, so die Analyse. Historische Details und Vorurteile mischen
sich. Zuweilen ist Gentz der Zeit voraus, etwa wenn er "Farbigen"
eine hohe Kulturstufe zubilligt, die Nubiens Geschichte beweise. Wie die
Sklaverei auf Afrika wirkt, enthüllt er. Zwar ergehe es den Sklaven im
Orient besser als auf Amerikas Plantagen. Doch wie sollen, fragt er, die
Familie und Gesittung leben, wenn eine Hälfte der Bevölkerung getötet und
die andere versklavt wird? Allerdings wird auch sichtbar, dass Gentz ein zu
romantisches Orientbild hat. Er bezeichnet den Harem als sinnvolles Daheim
und Herd des Familienlebens. Zu rosig malt er das Los der Frau. Wenn viele
Kinder nicht ihre Väter sehen und Mütter namenlos im Harem abtauchen, ist
die Frau nicht gut gestellt. Gentz vergleicht, was er sieht, mit dem, was er
aus Europa kennt. Hätte er mit der kulturelle Lage vor der Zeit des Islam
verglichen, hätte er partielle Besserstellungen bemerkt. Und doch erahnen
wir, wo Fortschritte erzielt wurden und wo nicht. Gentz erwähnt den
Tod durch Steinigung als Strafe für Ehebruch. Zu wenig hat sich hier geändert,
denn diese Barbarei gibt es nach 150 Jahren noch immer.
Märkischer Sandbote. Ausgabe 2005, S. 44. Rezension von
Julius Waldschmidt:
"Die Briefe des Fontane-Freundes Wilhelm Centz an seine Familie in
Neuruppin, 1858 bei Carl Barthol in Berlin gedruckt, neu illustriert und mit
Anmerkungen versehen, liegen wieder vor.
Als 13-Jähriger erklärte Wilhelm Gentz seiner Mutter, er wolle demnächst
in Ägypten die Pyramiden erforschen. Später jedoch, als Schüler des in
Paris lebenden Historienmalers Gleyre, pilgerte er nach Andalusien und ließ
sich unter den maurischen Bögen der Al Hambra in Granada fotografieren,
bevor er zu einer Studienreise an den Nil rüstete. Ohne die Hilfe des
Vaters und des Bruders wären die Wege durch die Wirklichkeiten des Orients,
Begegnungen und Bildskizzen kaum denkbar geworden – etwa der Mastenwald
der Nilbarken im Kairoer Flusshafen Bulak oder das zarte, attraktive Gesicht
einer äthiopischen Sklavin. Jahre danach, in Heft 14/1867 der Leipziger
"Gartenlaube", wird der mit besonderem Beobachtungstalent
ausgezeichnete Orient-Reisende die gesellschaftliche Stellung der Frauen im
Abend- und Morgenland vergleichen.
Die Wanderungen des Orientmalers Gentz, ausgeführt nur zu Schiff, im
Pferdewagen, im Sattel oder zu Fuss, sind mehr als einer Erinnerung wert.
Die Autobiografie von Wilhelm Gentz ist Teil des Reisebuches von Theodor
Fontane über die Grafschaft Ruppin geworden, das Lebenswerk des Malers umfasst
tausend Titel."