[= Gesellschaft – Geschichte – Gegenwart; Bd. 27], trafo verlag, Berlin 2002, 188 S., Abb., Register, geb., ISBN 3-89626-257-2, 22,80 €
Uwe Pfullmann, 10.11.2002:
Der in einem unprätenziösen, gut verständlichen
Stil geschriebene Sammelband beleuchtet facettenreich die Orient-Reise von
Kaiser Wilhelm II.., welche schon eine Vielzahl von Schriften ausgelöst hat.
Nichtsdestotrotz vermag das Buch eine Reihe neuer Gesichtspunkte für jedermann
darzustellen. Etwas zu kurz kommt die neueste Literatur zu diesem Thema.
Unter der Überschrift "Rückschau und Rückbesinnung" (9–16) begründet
Julius Waldschmidt den Zweck und die Zielsetzung des Sammelbandes. Dabei wird
nicht die Erinnerung an die 'Goldenen Jahrzehnte' des Deutschen Reiches gepflegt,
sondern nach Gründen für das offensichtliche Verschweigen des Kaiserbesuchs in
Werken wie des Schweizer Ordensgeistlichen Godfrey Kloethli "Das Heilige
Land. Auf der Spuren Jesu" (erschienen in Herzliya/Israel) gefragt. Der
Mitherausgeber konstatiert, dass es manche Gründe gab, "über den
Aufenthalt des deutschen Monarchen nachzudenken, zu sprechen und zu
schreiben." (10) Kurz angerissen werden auch die Aktivitäten deutscher
Militärs im Ersten Weltkrieg in der Türkei, die mit hohem persön1ichen
Einsatz und Mut ausgedehnte Operationen bis ins persische Gebiet leiteten,. aber
auch die Armeniergreuel tolerierten, zum Teil sogar deckten.
Das
Buch “will, wie eingangs angedeutet, nicht nostalgisch gefärbte
Erinnerungsromantik bedienen, sondern Rückbesinnung erleichtern, die hilfreich,
nütz1ich sein soll. Das Erleben dessen, was jetzt als Zeitgeschichte gilt, hat
Rückschau und Besinnung auf markante historische Ereignisse, die Deutsche,
Araber, Afrikaner, Juden und Armeniern miteinander verbinden, zu einem aktuellen
Bedürfnis gemacht.” (15)
Klaus
Jaschinski begründet in seinem Beitrag "Des Kaisers Reise in den Vorderen
Orient 1898, ihr historischer Platz und ihre Dimensionen" (17-36) zunächst
erst einmal die Notwendigkeit des Sammelbandes und fragt dann: "Was hatte
es überhaupt mit der deutschen Orient-Politik zum Ende des vorigen Jahrhunderts
auf sich? Gab es sie überhaupt als etwas Eigenständiges mit Qualitäten, die
über ein Drängen und Gieren nach kolonialer Durchdringung und Einvernahme
hinausgingen? Wer waren eigentlich ihre Protagonisten und Nutznießer und
wodurch wurden sie dazu?" (17) Zunächst scheint. sich der Autor Napoleons
Außenminister Charles de Talleyrand-Perigord anzuschliessen, der resignierend
feststellte, dass die Lehren der Geschichte eigentlich nicht viel wert seien. Er
skizziert dann das nach dem Krimkrieg 1853–56 erschütterte europäische
macht- und Sicherheitsgefüge und umreißt dann die Bismarcksche Außenpolitik.
In Sonderheit die Orientalische Frage, welche ihm auch nicht einmal “die
gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre.” (18) Erst
nach dem Machtantritt von Wilhelm II. setzte ein merklicher Wandel ein, aber
auch nicht gleich und nicht ohne Widersprüchlichkeiten. Knapp, aber sehr präzise
und anschaulich, umreißt J. die wachsende britisch-deutsche Feindschaft und
stellt die aus ideologischen Gründen stets arg verkürzte Aussage vom “Platz
an der Sonne” richtig. In wenigen Sätzen kristallisiert sich der Kern der
wilhelminischen Außenpolitik heraus: “Die hier propagierte Weltpolitik folgte
jedoch keinem ausgereiften Plan. Sie war vielmehr darauf aus,
vorteilhafte Konstellationen im internationalen Machtgefüge zum eigenen
Vorteil zu nutzen, wobei es oft zu improvisieren galt und besonderer Wert auf
vorzeigbare Prestigeerfolge gelegt wurde. Angesichts dessen bot sich ein verstärktes
Mitmischen in der Orientalischen Frage geradezu an...” (21) Für die
Osmanische Seite war der Staatsbesuch von Kaiser Wilhelm II. in Istanbul und im
heiligen Land nach den Armenier Greueln von 1894/95 zweifellos eine Aufwertung.
Neben den rein machtpolitischen und zwischenstaatlichen Konstellationen legt der
Autor auch persönliche Interessen von Amtsträgern dar, die sich von einer
gelungenen Reise des Kaisers neue Gunstbezeugungen erhoffen bzw. ungünstige
Eindrücke korrigieren konnten. Zu den größten Nutznießern gehörte
zweifellos der Botschafter bei der Hohen Pforte, Adolf Hermann Freiherr
Marschall von Bieberstein. J. legt dann prägnant den zeitgleich mit der
Kaiserreise stattfindenden Faschoda-Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien
dar und resümiert die wirt- schaftspolitischen Erfolge des deutschen
Handelsvertreters Nr. 1 wie die Konzession zum Bau der Bagdad-Bahn.
Innenpolitisch meint J. im Gefolge der Kaiserreise
eine breitere Akzeptanz der "neuen Weltpolitik” ausmachen zu können.
"Insbesondere das konfessionell paritätische Auftreten des Kaisers wurde
positiv registriert und ließ eine Zunahme 'patriotischer
Gesinnung' über konfessionelle Schranken hinweg erkennen. Bedeutsam war hier
vor allem die erlangte Zustimmung
der Katholiken via gewonnener und vermittelter Erkenntnis, dass das deutsche
Kaisertum kein spezifisch protestantisches sei. sondern die 'Gleichheit für
jede Konfession', garantieren würde." (30) Die war nach den bitteren
Erfahrungen der katholisch geprägten süddeutschen Länder und dem
“Kulturkampf” nach 1871 zweifellos auch dringend geboten. Wolfgang G.
Schwanitz beschreibt in seinem Beitrag "A most favourable impression upon
all classes": Wilhelm II., Sozialdemokraten, Muslime und Nordamerikaner
1898” (37–59), wie deutsche Sozialdemokraten und US-Politiker wie Champ
Clark die Kaiserreise nach Palästina bewerteten. Offensichtlich, so der Autor,
hat die Kaiserreise den Sozialdemokraten wenig Anlass zu Auseinandersetzung
gegeben. Dabei setzt Sch. drei Prämissen: 1. 'Die Idee von Besitzkolonien im
Vorderen Orient. ergriff Deutsche kaum, während sie in London, Paris, St.
Petersburg und Rom umging und in der Besiedlung des Maghrebs oder Besetzung des
Niltals Formen annahm. ...2. Die deutschen Orientgründerjahre im Nahen Osten
wurden nun von wirtschaftspolitischen. religiösen und kulturellen Interessen
geprägt. ... 3. Der Kaiser verfolgte zwei Aufgaben. Es ginge um die Lösung der
sozialen Frage, im Kern um die Vernichtung der 'vaterlandslosen'
Sozialdemokratie, und um die Überführung des Deutschen Reiches aus dem Ansehen
einer führenden Großmacht in die unbestreitbare Achtung einer Weltmacht."
(39) Desweiteren erörtert Sch. August Bebels Stellung zur Religion und
Bebels 1884 im Dietz-Verlag Stuttgart erschienenen Islambüchlein "Die
Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode", welches übrigens 1999 von W.
Schwanitz beim Verlag edition ost neu ediert wurde. Recht überraschend
erscheint dann der von den amerikanischen Kronzeugen konstatierte krasse
Gegensatz von Christentum und Islam. Offensichtlich gab es schon damals
Anzeichen für die in den USA vorherrschende Überzeugung, dass der Islam als
solcher Verdammenswert, fanatisch und bösartig sei. Klaus Polkehn, bekannter
Autor eines exzellent illustrierten Palästina-Buches, zeichnet in seinem
Aufsatz “Wilhelm II. in Konstantinopel. Der politische Startschuß zum bau der
Bagdadbahn” dem Baubeginn der berühmten Bahn und die damit verbundenen
britisch-deutschen Rivalitäten nach. Auch in diesem Beitrag erscheint Bismarcks
berühmtes Zitat mit den Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers. Das übliche
und besonders von L. Rathmann gepflegte Schema, die Bagdadbahn wäre ausschließlich
von deutschen Banken finanziert, wird schlüssig konterkariert: “So übernahm
englisches kapital von der ersten Obligationsanleihe der Anatolischen
Eisenbahngesellschaft 1890 eine Million Sterling.” (64) Auch werden die ersten
geologischen Berichte über reiche Ölvorkommen um Mossul in der Nähe der
Bahnlinie erwähnt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Jahr 1914
ein deutsch-britisches Abkommen über die Bagdadbahn erzielt wurde, die
“Ratifizierungsurkunde wurde dem deutschen Botschafter in London genau am tage
der britischen Kriegserklärung an Deutschland überreicht.” (72) Julius H.
Schoeps beschreibt unter dem Titel “Theodor Herzls Palästina-Reise und die
Vision des Judenstaates in seinem Roman' Altneuland" (75–85) die
Versuche. Herzls, den deutschen Kaiser als Bundesgenossen für einen
zionistischen Staat zu gewinnen. Wie weithin bekannt, war dem Treffen mit
Wilhelm II. keine welthistorische Bedeutung beschieden. Die Gründe für Kaiser
Wilhelms zögernde Haltung sieht der Autor in äußeren Einflüssen. in der
Abneigung des Sultans gegen die zionistische Politik und in der Distanziertheit
v. Bülows gegen Herzls Pläne. Wolfgang Petter skizziert in seinem Beitrag
"Die deutsche Militärmission im Osmanischen Reich" (87–99) die
Geschichte preußischer und deutscher Militärberater, angefangen bei Helmut v.
Moltke bis hin zu Colmar von der Goltz. Weitere Beiträge von Heinz Odermann
unter dem etwas martialischen Titel “Verweht in den Sandstürmen der Wüste.
Marsch und Kampf des Deutschen Orient-Korps 1914 bis 1918" (101–131), Günter
Wirth "Protestantischer Pilger und Protektor von Weltreligionen. Zu Zielen
und Folgen der Orient-Reise von Kaiser Wilhelm II. in kirchengeschichtlicher
Retrospektive" (133–153), Olaf Matthes "Abusir, Amarna und Babylon.
Die Deutsche Orient-Gesellschaft und die Wiederentdeckung alter Kulturschätze"
(155–166) sowie von Karl.Heinz Beckmann "Altägyptisches Wissen und
moderne Medizin. Deutsche Mediziner und ihr Beitrag zur Bekämpfung von
Tropenkrankheiten im Vorderen Orient" (167–174) runden diesen gut verständlichen
und lesenswerten Überblick über die Orientreise von Wilhelm II. ab. Ein
Register und Kurzbiographien der Autoren ergänzen diesen gelungenen Sammelband.
Neues
Deutschland v. 31.01.03, S. 11, Rez v. Klaus Hemmo:
(Auszug):
Der Titel
klingt etwas verstaubt. Doch auch der nicht sonderlich historisch
Interessierte wird neugierig, wenn er im Inhaltsverzeichnis blättert. Nicht
nur wegen dem Hauch von Abenteuer, der einem da entgegenschlägt. sondern
vor al lem wegen der Parallelen zu hochbrisanter Gegenwart. Geboten wird
eine gediegene Gesamtschau auf deutsche OrientPolitik im 19. und 20.
Jabrhundert, für die der Staatsbesuch Wilhelm II. Im Oktober 1898 im
Osmanischen Reich – pompös inszeniert als Pilgerfahrt nach Jerusalem –
von nicht geringer Bedeutung war. Der Band ist Ergebnis eines Kolloquiums
der Deutsch-Ägyptischen Gesellschaft Berlin. Beleuchtet wird die
0rientreise des deutschen Kaiserpaares aus innen- und außenpolitischer
sowie – offizieller Anlass war schließlich die Einweihung der Jerusalemer
Erlöser-Kirche – kirchenhistorischer Sicht. Die Autoren widmen sich darüber
hinaus eingehend dem Bau der Bagdadbahn und der Tätigkeit der deutschen
Militärmission im Osmanischen Reich. Denn das eigentliche Thema des Buches
sind nicht die farbig geschilderten, uns heute zum Teil skurril anmutenden Einzelheiten
der herrschaftlichen Reise nach Konstantinopel und Syrien/Palästina,
sondern generell die Orientpolitik des Deutschen Kaiserreiches. Es ging
inden Gesprächen des deutschen Monarchen mit Sultan Abdul Hamid II. nicht
nur um politische Annäherung.
Klaus Polkehn weist in seinem Beitrag über die Bagdadbahn daraufhin, dass
die kaiserliche Reise »zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt und zu einem
bemerkenswerten Ziel« erfolgte: »Die Großmächte jagten den letzten noch
verfügbaren Bissen vom Weltkuchen nach.«. Deutschland war etwas spät ins
Rennen gegangen. Im Nahen Osten harrten noch Märkte und Einflusssphären
der Eroberung. Das 0smanische Reich, der – wie man zu sagen pflegte
– »Kranke Mann am Bosporus«, zog seit geraumer Zeit die begehrlichen
Blicke der deutschen Wirtschaft auf sich. Neben der militärischen
Kooperation erwies sich die Eisenbahn als wichtiges Vehikel der
Einflussnahme.
Klaus Jaschinski, der sich mit dem historischen Platz und den Dimensionen
der »Pilgerfahrt« des Kaisers befasst, erinnert daran, dass es in
Deutschland Kräfte gab, die im Osmanischen Reich keinen künftigen Partner.
sondern »lediglich ein 0bjekt deutschen Expansionsstrebens« sahen. Er
nennt den Orientalisten Alois Sprenger, der 1886 die fantastische Idee eines
aus Syrien und Mesopotamien gebildeten »Neu-Deutschland« als Heimat von 25
Millionen Kolonisatoren präsentierte. Doch die kaiserliche Außenpolitik
orientierte sich eher an den so genannten liberalen Imperialisten wie
Friedrich Naumann und Ernst Jäckh, den der Autor wie folgt zitiert: »Deutschland
sucht die Türkei als einträglichen Absatzmarkt und als reiche
Bodenproduktenquelle... Die deutsche Politik eilt auf den Schienen ...«.
Aber die Lokomotive sollte nicht nur dem Handel. sondern auch dem Wandel
dienen. Polkehn beginnt seinen Bericht mit einem Zitat aus den »Alldeutschen
Blättern« vom 6. November 1898, wenige Tage nach der Rückkehr
Wilhelm II. nach Berlin: »Also Volldampf vorwärts nach den Euphrat und
Tigris und nach dem Persischen Meere und damit kommt der Landweg nach Indien
wieder in die Hände, in die er allein gehört, in die kampf- und
arbeitsfreudigen deutschen Hände.« Das entsprach natürlich nicht der
offiziellen Wertung der 0rientreise. Da wurde der religiöse Charakter
betont und ansonsten Zurückhaltung geübt. Selbstverständlich kein Wort
darüber, dass man nun hoffte, sich Im Nahen und Mittleren Osten ein Rohstoffreservoir
zu sichern und einen Absatzmarkt gewinnen zu können. Um damit die
Grundlagen für eine deutsche Herrschaft in Europa zu schaffen. Von den
anderen Großmächten wurde in dieser letzten Phase des Kampfes um die
Aufteilung der Welt jeder diplomatische Vorstoß in Richtung Bosporus und
Suezkanals jedoch misstrauisch beobachtet. Deshalb bemühte sich Wilhelm II.
auch redlich, dass alles, was er während der Reise von sich gab, versöhnlich
und friedvoll klang und nicht von irgendeiner anderen Macht als
Besitzanspruch oder Drohung ausgelegt werden könnte. Es sprach vom
Wettbewerb zweier Völker verschiedenen Glaubens und verschiedener Kultur
zum gegenseitigen Nutzen. von der Kraft des guten Beispiels und Vorbilds und
des Beweises christlicher Liebe. die den »Muhammedanern« entgegenzubringen
sei. Davon berichtet Wolfgang G. Schwanitz in seinem Beitrag über die
Haltung der sozialdemokratischen Opposition zur Orientreise und deren
Wertung durch amerikanische Diplomaten vor Ort. In der amerikanischen
Öffentlichkeit wurde damals von der deutschen »Pilgerfahrt« kaum Notiz
genommen. Aber es gab etwa zeitgleich im Repräsentantenhaus einen »Diskurs
zum Weg von Zivilisationen«. Ein prominentes Kongressmitglied
charakterisierte dabei den Islam wie folgt: Koran und Schwert. Blutspur und
Fanatismus – dem Weltmachtanspruch des Islam sei durch Christenreiter
Einhalt zu gebieten, der Islam sei eine Niedergangsmacht.
Der hier gebotene Streifzug in die Geschichte Ist also höchst aktuell –
nicht nur hinsichtlich des jüngsten Besuchs des deutschen Außenministers
in der Türkei.
Link zur Rezension der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bonn, 18. Februar 2003, auf der Website, Rubrik: Bücher über den Nahen Osten: http://www.kas.de/db_files/dokumente/auslandsinformationen/7_dokument_dok_pdf_1483.pdf
Zs.
Für Hohenzollerische Geschichte, Band 38/39, 2002/03, S. 740f., rezensent
Ulrich van der Heyden
"Die sogenannte Orientreise des deutschen Kaisers Wilhelm II. im Herbst 1898, dem der Volksmund seiner Zeit nicht zuletzt aus diesem Grunde den Beinamen Reisekaiser gegeben hatte, besaß eine weit über den proklamierten Anlass hinausgehende Bedeutung.
Die
relativ lange Auslandreise sollte eine kaiserliche Pilgerfahrt vornehmlich
nach Palästina, ins Heilige
Land der Juden, Christen und Moslime sein. Die Stadt Jerusalem, wo der
Tempel von König Salomon gestanden hatte, wo Jesus von Nazareth gekreuzigt
worden war, wo sich der Felsendom zur Verehrung Allahs befindet, war das
Hauptreiseziel. Dort sollte die evangelische Erlöserkirche feierlich
eingeweiht werden. Das Londoner Reisebüro Thomas Cook & Sohn hatten das
Ereignis mit organisiert. Anlässlich der Einweihung des christlichen
Monuments unweit der jüdischen Klagemauer demonstrierte der damals 39jährige
deutsche Monarch, stets militärisch exakt gekleidet und preußisch-trocken
auftretend, sein kirchenpolitisch bemerkenswertes Anliegen sowie den
Anspruch auf weltpolitische Anerkennung des. Deutschen Reiches. Er machte
mehr als einmal deutlich, dass Deutschland sich zukünftig
intensiver als bisher im Vorderen Orient zu engagieren gedächte.
Die
Reise von Wilhelm II. rief vor allem aus diesem Grunde ein sehr
differenziertes Echo in der zeitgenössischen öffentlichen Meinung hervor.
Die weltpolitischen Konkurrenten in Großbritannien und Frankreich
reagierten selbstverständlich anders als Presse und Wirtschaft in
Deutschland.
Dem
in der Geschichtsschreibung über die deutsch-orientalischen Beziehungen
differenziert bewerteten Ereignis mit seinen politischen Auswirkungen und
Reaktionen ist der vorliegende Sammelband gewidmet. Es vereint zehn Beiträge
von Wissenschaftlern und Journalisten, die auf einem Kolloquium der Deutsch-Ägyptischen
Gesellschaft Berlin e. V. anläßlich der 100. Wiederkehr der Orientreise
des deutschen Kaisers gehalten und für den Druck überarbeitet worden sind.
Nach, einer Einleitung von Waldschmidt geht Jaschinski der
Frage nach, ob und inwieweit die im Mittelpunkt stehende Orientreise
wertvolle Bezüge zur Gegenwart hat. Er fragt nach Lehren und Anknüpfungspunkten
für die heutige deutsche Orientpolitik, da diese nach Jaschinski,
"generell mehr einem unbeholfenen Stochern mit Stangen im Nebel gleicht
und ungeachtet aller propagierten hohen moralischen Ansprüche offenbar
weiter in Bahnen dümpelt, die sehr vom Kalten Krieg bestimmt und
dominiert" (S. 18) ist. Hauptinhalt seines Beitrages ist allerdings die
Rekonstruktion der weltpolitischen Konstellation am Ende des 19.
Jahrhunderts.
Wolfgang
G. Schwanitz untersucht die Haltung der deutschen
Sozialdemokratie zur Geschichte und Kultur des Vorderen Orients, vornehmlich
anhand von August Bebels Buch „Die
Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode". Den ökonomischen Hintergrund
und die politischen Bedingungen für den Bau der Bagdadbahn untersucht Klaus
Polkehn. Die Palästina-Reise von Theodor Herzl und die Vision eines
Judenstaates in seinem Roman „Altneuland" steht im Mittelpunkt der
Ausführungen von Julius H. Schoeps. Weitere militärische
Komponenten werden von Wolfgang Petter und Heinz Odermann in
ihren Beiträgen über die deutsche Militärmission im Osmanischen Reich
sowie über den Marsch und die militärischen Auseinandersetzungen des
Deutschen Orient-Korps 1914 bis 1918 behandelt. Zu den Zielen und Folgen der
Orientreise von Wilhelm II. in kirchengeschichtlicher Retrospektive äußert
sich Günther Wirth. Die Deutsche Orientgesellschaft und deren bemühen
zur Wiederentdeckung alter Kulturschätze ist die Thematik des Artikels von Olaf
Matthes. Karl-Heinz Beckmann stellt deutsche Mediziner und ihren Beitrag
zur Bekämpfung von Tropenkrankheiten im Vorderen Orient vor.
Alles
in allem gesehen handelt es sich um einen informativen Sammelband, der sich
nicht nur direkt mit der Orientreise von Kaiser Wilhelm II.
auseinandersetzt, sondern sich vor allem mit historischen Ereignissen beschäftigt,
die sich thematisch aus diesem Ereignis heraus ergeben haben. Dennoch ist es
verwunderlich, dass keiner der Autoren auf das neueste Standardwert zur
Problematik, den großformatigen Bildband, von Alex Carmel und E.
J. Eisler: "Der Kaiser reist ins Heilige Land. Die Palästinareise
Wilhelm II." eingeht.
Es
handelt sich trotz der Monita um ein zu empfehlendes Buch, welches die
angezeigten Themen populär und leicht verständlich abhandelt."