Rezensionen zu

Schobeß, Volker: "+++ EILMELDUNG: DER FÜHRER ADOLF HITLER IST TOT +++. Der deutsche Weg in den Widerstand vom 20. Juli 1944. Spurensuche in Potsdam", 2022, 192 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-86465-164-9, 39,80 EUR

 

Besprechung von Dr. Frank Wernitz in der "Zeitschrift für Heereskunde", Nr. 489 Juli/September 2023

Das gescheiterte Attentat vom 20.Juli und die sich daran anschließende Hinrichtungswelle sind bekanntermaßen unauflöslich mit einer preußisch geprägten Führungsschicht verbunden, obwohl längst nicht alle, die ihr angehörten, Preußen waren. Diese heterogene Gruppe ziviler und militärischer Oppositioneller hatte sich unter Einsatz des Lebens einer sittlichen ldee verschrieben, die das Wohl der Gesellschaft über das eigene stellt.
Wohl kein Ereignis der Zeitgeschichte steht bis heute so im Mittelpunkt bundesrepublikanischen Erinnerungskultur und -politik, so dass zu Recht die Frage erlaubt ist, ob zu den zahlreichen Büchern, die zum 20. luli 1944 bereits erschienen sind, noch ein weiteres hinzukommen muss? lst dieses Thema immer noch nicht ausreichend erforscht? Offensichtlich nicht!
Volker Schobeß wählte zwar einen griffigen Titel, der vermuten ließ, dass der wohl bekannteste militärische Umsturzversuch der deutschen Geschichte wiederum im Mittelpunkt der Betrachtung liegt, überrascht aber den Leser mit einer neuen Perspektive. Er nimmt einerseits die gesamte politische Entwicklung seit Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Attentat in den Blick, konzentriert andererseits seine „Spurensuche“ aber auf Potsdam, in der der militärische, aber auch der zivile Widerstand gegen das NS-Regime besonders ausgeprägt waren.
Die Regimegegnerschaft aus dem Militär war zweifellos verbunden mit der jahrhundetalten Garnisonsgeschichte dieser Stadt. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann aber nicht allein darauf beschränkt werden, vielmehr verweist Volker Schobeß auf ein Milieu, das durch eine signifikante Weltsicht, durch ein ganz spezifisches Weltverständnis und durch eine ganz charakteristische Weltdeutung geprägt war. Der verlorene Erste Weltkrieg, der Sturz der Monarchie und die sich daran anschließenden revolitionären Ereignisse lösten Erschütterungen aus, die die Zeit der Weimarer Republik nicht nur als eine Phase der radikalen Zuspitzung und Frontstellung im historischen Dreieck von Konservatismus, Sozialismus und Liberalismus begreifen lässt, sondern die auch den Aufstieg der NSDAP begünstigte.
Der Autor lenkt den Blick deshalb auf die Akteure, die sich schon vor 1933 dem Aufstieg Hitlers und seiner Gefolgsleute entgegenstellten. Bereits vor der „Machtübernahme” hatten sich Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitglieder gegen Hitler und die NSDAP zur Wehr gesetzt. Eine gemeinsame Abwehrfront kam jedoch nicht zustande, weil die Gegensätze zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten unüberbrückbar blieben. Die Gewerkschaftsführung suchte zuletzt sogar einen Kompromiss mit der Regierung Hitler. Dem Widerstand jener bekannten, aber auch weniger bekannten Menschen in Potsdam, die mit Hartnäckigkeit und Zivilcourage dem NS-Staat trotzten, widmet sich diese Arbeit in einer informativen und spannend zu lesenden Gesamtschau. Ob Militärs, Zivilisten, Adlige, Gewerkschafter, Nationalkonservative, Liberale, Christen, Sozialidemokraten oder Kommunisten, sie alle haben ihren Widerstand mit Benachteiligung, Haft, Ausweisung, Folter oder gar mit dem Tod bezahlen müssen. Diese von Volker Schobeß nacherzählten Schicksale verdeutlichen noch einmal die Gewaltherrschaft des l\lS-Regimes und bieten durch ihren dokumentarischen Wert eine überzeugende Ergänzung zur regionalgeschichtlichen Aufarbeitung. Dem Autor sowie dem Verlag gebührt Hochachtung für dieses wichtige wie gelungene Unterfangen.

[Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages]