trafo verlag 2002, 383 S., geb., zahlr. Abb., Personenregister, ISBN 3-89626-147-9, 24,80 €
Rezension
von Ursula Reinhold, Berlin, 19.3.2006
Biographie einer
Verschollenen
Das Schicksal
und das künstlerisches Werk von Helen Ernst fanden in der
kunstinteressierten
Öffentlichkeit der beiden deutschen Staaten wenig Beachtung. Als Künstlerin gegen Ende der Weimarer Republik gerade
bekannt geworden, mußte sie
1934 aus Deutschland emigrieren, war zwischen 1940 und 1945 inhaftiert und starb schon 1948 an den Folgen der Haft. Diese Umstände
und ihr Schicksal nach der Befreiung trugen dazu bei, daß ihre Spuren
verblaßten. Allerdings war sie in der DDR nicht ganz vergessen, denn in
der Wanderausstellung „Revolutionäre Kunst in Aktion"(1958) war
die simultane Pinselzeichnung „Frauen kämpfen mit!" von ihr präsent
und in Ausstellungen zur proletarisch-revolutionären Kunst war sie mit Blättern
über Berliner Alltagsszenen
vertreten. Ihr Porträt, das Hans Grundig 1932 gemalt hatte, war in verschiedenen
Ausstellungen zu sehen, ohne, daß eine kunstinteressierte über das
Schicksal der Frau unterrichtet war. 1988 erst veranstaltete das
Schweriner Museum eine größere Präsentation
ihrer Arbeiten aus der letzten Lebensphase und in Berlin gab es
erst 1994 im „Verborgenen Museum" eine größere Nachkriegsausstellung
für Helen Ernst.
Für eine
umfassende, notwendige Bestandsaufnahme über das umfangreiche und vielseitige
Werk von Helen Ernst ist mit der Biographie von Hans Hübner ein
wesentlicher Beitrag geleistet worden. Mit seiner ausfuhrlichen
Darstellung hat er die Lebensstationen von Helen Ernst aus vielen Quellen
recherchiert, rekonstruiert und
detailreich nachgezeichnet Neben der Auswertung künstlerischer
und schriftlicher Hinterlassenschaften hat er über viele Jahrzehnte Zeitgenossen
und Lebensgefährten aufgestöbert und befragt, so daß ein facettenreiches
Bild von Helen Ernst entsteht. Es gelingt ihm ein einfühlsames Porträt
der Künstlerin, ihres sozial-psychologischen Zuschnitts und ihrer künstlerischen
Produktivität. Besonders aufschlußreich wird die Arbeit dadurch, daß
er die sozialen, politischen und kulturellen Kontexte darlegt, in denen
die Frau sich
bewegte und arbeitete. Geschichtliche Abläufe und die Reaktionen der
Menschen auf sie, werden damit in ihrem widersprüchlichen Charakter
deutlich. Mit den materialreichen Darlegungen über die Tessiner Künstlerkolonie
Fortana Martina, auch über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in
Amsterdam gelingen ihm
konkretisierende Beiträge zur Geschichte des antifaschistischen Exils.
Eine besondere Hervorhebung verdient
auch die Darstellung ihres Schicksals im Frauenkonzentrationslager
Ravensbrück und die Aufarbeitung ihres bedrückenden
Nachkriegsschicksals, das er aus den überlieferten Materialien
rekonstruiert. Die Methode seiner Darstellung ist ganz und gar induktiv,
bisweilen läßt er vorallem das Material sprechen und beschränkt sich
auf kurze Kommentare. Man könnte
sich eine andere Darstellungsart vorstellen, aber mich hat die Fülle des
ausgebreiteten Materials fasziniert, bei dessen Ausbreitung der Autor
dem Leser weitgehend das Urteil überläßt.
Für
Helen Ernst ist als uneheliches Kind eines kaiserlichen Konsularbeamten in
Athen und seiner deutschen Hausangestellten das prägende Lebensgefühl
durch Mutterlosigkeit und das Hin und Her des Vaters zwischen Athen,
Paris, Zürich und Berlin bestimmt. Es hinterläßt ihr ein Grundgefühl
von Unbehaustheit und Heimatlosigkeit. Allerdings eröffnet sich für sie
der Weg zur umfassenden Schulbildung,
für die der Vater sorgt. Ab 1921 der Besuch der Unterrichtsanstalt des
Berliner Kunstgewerbemuseum, wo sie die Modeklasse besucht und später die
staatlichen Kunstschule in Schöneberg, wo sie einen Abschluß als
Zeichenlehrerin erwirbt. Zwischen 1924 and 1931 ist sie selbst als
Zeichenlehrerin für Mode an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Berlin
tätig und freiberuflich als KostümiBeraterin und Zeichnerin. Daneben beginnt sie als Pressezeichnerin zu arbeiten. Sie gehört zur ersten
Generation bürgerlicher Frauen, die durch den Zugang zu künstlerischen Bildungseinrichtungen
ihre Talente und Anlagen ausbilden konnten. Diese erste Lebensphase
ist durch die Suche nach sozialer Anerkennung und nach Orientierung in den
Verhältnissen der Weimarer Republik gekennzeichnet. Gegen
Ende der dreißiger Jahre setzt eine Politisierung ein, die sich auch in
ihrer Kunst
niederschlägt. Ihr Weg, der von der Suche nach Lebensorientierung zur
Solidarisierung mit den Arbeitern und dem politischen Engagement in den
Reihen der Arbeiterbewegung führt, ist für viele Künstler der Weimarer
Republik charakteristisch. So wird sie 1931 Mitglied der KPD und der Künstlervereinigung
AS SO, beginnt für die linke Presse zu arbeiten und widmet sich
der Plakatkunst. Durch die Bekanntschaft mit Carl Meffert gerät sie in
den internationalen Kontext der revolutionären Bewegung, lebt zeitweilig
in der Künstlerkolonie in Fontana Martina, arbeitet für die Pariser
Kulturzeitschrift „Monde" und beteiligt sich an den Aktionen der
Internationalen Roten Hilfe für die Befreiung politischer Gefangener. Vor
allem wegen dieser Aktivitäten gerät sie gleich zu Beginn des Jahres
1933 das erste Mal in Gestapo-Haft, versucht aber nach ihrer Entlassung
dennoch Arbeitsbedingungen in Deutschland zu finden, in dem sie sich um
eine Aufnahme in den NS „Bund deutscher Gebrauchsgraphiker" bemüht.
Im September 1934 beginnt endgültig ihr niederländisches Exil in
Amsterdam, wo sie zusammen mit der Schriftstellerin Eva Reaedt-de Canter
den Dokumentarroman „Vrouwengevangenis" über ihre Erfahrungen in
Nazi Gefängnissen schreibt, den sie illustriert und der 1935 in Utrechter
Verlag Bruna & Sohn erscheint, aber bis heute in Deutschland unbekannt
geblieben ist. Insgesamt sind die Jahre des Amsterdamer Exils, die abrupt
mit der Besetzung durch die Wehrmacht enden, durch eine vielfältige und große
künstlerische Aktivität gekennzeiclinet, mit der sie sich im Rahmen
sozialdemokratischer Presse in den antifaschistischen Kampf einschaltet. Daneben
ist sie als Zeichenlehrerin tätig und illustriert für die Buchausgaben
des Verlegers Nico von Suchtelen Weltliteratur. Sie unternimmt auch
illegale Reisen nach
Deutschland, auf denen sie Material sammelt und 1939 ihr bewundertes
Vorbild Käthe Kollwitz kennenlernt.
Mit der
Verhaftung durch die SS im Dezember 1940 beginnt ein Martyrium für die
Künstlerin, die sofort nach Deutschland deportiert wird, über
verschiedene Stationen schließlich im Frauenkonzentrationslager landet,
aus dem sie TBC krank im Mai 1945 auf dem Todesmarsci die Befreiung
erlebt. Damit endet das Elend der Helen Ernst nicht, nach Verdächtigungen
durch Mitgefangene, die sich
alle als haltlos erweisen, beginnt gegen sie ein langwieriges bürokratisches
Verfahren, in dessen Ergebnis ihr das Anrecht auf die ODF Rente
abgesprochen wird. Im Ergebnis des langjährigen Verfahrens steht ihre
Rehabilitation, die sie allerdings
nicht mehr erleben wird. Hans Hübner dokumentiert dieses letzte schlimme
Kapitel im Leben der Künstlerin aus einem umfangreichen Aktenbestand, der
bis zur Wende unberührt geblieben war. Ein besonderes Verdienst erwirbt
sich der Biograph auch mit seinen umfassenden Recherchen zum Verbleib des
künstlerischen Werkes von Helen Ernst, soweit es nicht der Zerstörung
durch die Nazis anheimgefallen ist.
Mit seinem Buch liegt das außerordentlich
lesenswerte Ergebnis einer langjährigen
Beschäftigung mit der Künstlerin und entsprechenden Recherchen über
ihr Schicksal und das ihres Werkes vor.
Aufsatz von Hans Hübner über Helen Ernst in: Studienbibliothek Info – Bulletin der Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Zürich, Heft Dezember 2001, S. 5–7 (A)
Ostsee-Zeitung, 5./6.10.2002: "Helen Ernst-Biographie erschienen. Autor liest am 25. Oktober im Putbusser "Tusculum". (P)
Was ist los: Das Kulturmagazin, Schwerin Oktober 2002, S. 42: "...Ein besonderer Leseabend wird sicher der mit Hans Hübner. Der ehemalige Bibliothekar aus Schwerin stellt sein Buch 'Helen Ernst. Ein zerbrechliches Menschenkind' vor. (P)
Oranienburger Generalanzeiger, 15.10.02: "Bewegtes Leben einer Künstlerin. Hans Hübner las aus seinem Erstlingswerk 'Ein zerbrechliches Menschenkind – Helen Ernst'"
Ostsee-Anzeiger, 16.10.2002: "Vom Modepüppchen zur Ästhetin der Arbeit. Hans Hübner legt lang erwartete Biographie von Helen Ernst vor." (P)
Schweriner Volkszeitung, 25.10.2002, S. 27: "Tragische Schweriner Jahre. Erstmals umfassende Biographie der Zeichnerin Helen Ernst." (P)
Ostsee-Zeitung, 30.10.2002: "'Ich hatte die ganze Zeit Gänsehaut'. Helen Ernst-Biographie vorgestellt" (P)
MecklenburgMagazin, 25.X.2002, S. 27, Werner Stockfisch: "Tragische Schweriner Jahre. Ertsmals umfassende Biographie der Zeichnerin Helen Ernst" (R)
jwd. Bürgerzeitung für Marzahn-Hellersdorf, Nr. 11/2002, S. 12: "Eine linke Weltbürgerin. Neues Buch über Helen Ernst vorgestellt." (P)
Antifa, Nr. 1/2003, S. 20, Rez. v. Norbert Podewin
(Auszug):
Die Zeichnungen
proletarischer Aktionen und Gestalten prägten sich mir dauerhaft
ein; man konnte den markanten
Zeichenstil beim Blättern in der »Roten Fahne«
und anderen linken Zeitungen
weder übersehen noch vergessen. Den
Zeichner-Namen
lernte ich erst jetzt
kennen: Helen Ernst. Autor Hans Hübner
hat jahrelang in unermüdlicher
Kleinarbeit ihre Lebensstationen nach Spuren
und Zeitzeugen abgesucht; an
allen Orten – Athen, Zürich, Berlin Amsterdam,
Ravensbrück, Schwerin – ist er
fündig geworden.
Der
nachgezeichnete Werdegang verweigert sich jedem herkömmlichen Muster:
der Vater im Auswärtigen Dienst,
die Mutter Dienstmädchen, der Geburtsort
Athen. Als 17-jährige wird sie Teilnehmerin eines Modezeichnerlehrgangs
bei Otto Hass-Heye am Kunstgewerbemuseum Berlin, wechselt dann
zur
Staatlichen Kunstschule. Der grazile Zeichenstil kommt an, es gibt Aufträge,
Geld, freundschaftliche Bindungen
und Feste in Fülle. Eine Mitschülerin
erinnert
sich: »Wo Helen auftauchte,
wurde die Luft elektrisch. Es begann zu
knistern,
war immer etwas los.« 1931
wird die Gefühlssozialistin in Berlin-Schöneberg
KPD-Mitglied und erlernt
die »Mühen der Ebenen«: Beiträge
kassieren, Wahlkämpfe künstlerisch zu unterstützen, Flugblätter zu illustrieren.
Stete
Künstlerische Anregungen gibt
ein weitgefächerter Freundeskreis: John
Heartfield,
Otto Nagel, Heinrich Vogeler, Leaund Hans Grundig. Dazwischen
Reisen
– in die Schweizer Künstlerkolonie »Fontana Martina« von Fritz Jordi
am
Lago Maggiore (1931), ein Jahr später
Mitarbeit bei der Roten Hilfe in Zürich.
Wieder zurück in Berlin, wird sie 1933 kurzzeitig verhaftet — zahlreiche
Werke
verfallen
der SA-«Bilderstürmerei«. Im
September 1934 — nach nochmaliger Inhaftierung
in Kiel — geht Helen Ernst ins
Exil nach Amsterdam. Hier schreibt und illustriert sie mit einer Gefährtin einen
antifaschistischen
Dokumentarroman.
Sie wird in den Niederlanden für die
»Freunde
der Sowjetunion« tätig, zeichnet für
sowjetische Romanliteratur von Gorki
bis Ehrenburg und ernährt sich zumeist
von Honoraren aus Mode- und Kulturzeichnungen.
Daneben gibt sie gelegentlich
Unterricht zum selben Genre an der Nieuwen Kunstschool Amsterdam.
Der Überfall Hitlerdeutschlands im
Mai
1940 setzt eine brutale Zäsur: Die
Künstlerin wird verhaftet, verschleppt
und
mit Häftlingsnummer 5943 Insassin des KZ
Ravensbrück. Von dort kommt sie
als »Strafverlegte« ins KZ-Nebenlager
Barth am Bodden. Als Überlebende bleibt
sie in Mecklenburg, zuerst in Crivitz,
dann in Schwerin, wo sie im Landesausschuss
für Opfer des Faschismus arbeitet.
Gesundheitlich ist sie schwer geschädigt und die Psyche ist ohnehin labil.
Etwa zeitgleich mit der Aufnahme in
die SED trifft sie im Frühjahr 1946 der
Vorwurf, im KZ mit der SS zusammengearbeitet
zu haben: Das Parteiverfahren
Helen Ernst nimmt seinen Lauf. Im
Oktober 1947 wird der Spitzelverdacht
fallen gelassen, im Januar 1948 rehabilitiert auch die SED-Landesleitung
Schwerin die an TBC schwer Erkrankte.
Am 26. März 1948 setzt dei Tod
den Schlusspunkt.
In Groß Zicker/Rügen fand die lebenslang so Umtriebige ihre letzte Ruhe.
Ihr Credo fasste sie so: »Keine Angst
vor gefährlichen Wegen – nie ist das Leben
schöner.« Hans Hübner hat geradezu mit Besessenheit Spurensuche über
eine
fast Vergessene betrieben – und er
ist fündig geworden. Ihm ist zu verdanken,
dass heute mehr als 1.400 Presse-,
Kostüm- und Literaturzeichnungen von
Helen
Ernst nachweisbar sind und familiäre Dokumente offenliegen. Es ist keine
leichte Lektüre, denn man muss häufig
zurückblättern, um künstlerische Richtungen wie »Worpswede« oder »Bund
Revolutionärer Bildender Künstler
Deutschlands« und ihre Gestalter nacherlebbar zu machen. Dem Autor
sei Dank für seine moderne Auferstehungsgeschichte einer großen linken Künstlerin.
Zeitgeschichte
regional. Mitteilungen aus Mecklenburg Vorpommern, Heft 1/2003, 7. Jg., S.
132
Seit fast 15 Jahren bemüht sich der Berliner Bibliothekar Hans
Hübner intensiv, das Schicksal der Künstlerin Helen Ernst dem Vergessen zu
entreißen. Mit zahlreichen Veröffentlichungen und einer Ausstellung trug
er entscheidend zur Wiederaneignung ihres künstlerischen Schaffens bei. Er
knüpfte europaweit Kontakte, förderte zahlreiche und teilweise verschollen
geglaubte Dokumente zutage und befragte Zeitgenossen der Künstlerin. Die
Ergebnisse seine Recherchen sind nun umfassend in der vorliegenden
Biographie dokumentiert. Viele Abbildungen vermitteln einen visuellen
Eindruck von den künstlerischen Arbeiten wie von der Persönlichkeit dieser
ungewöhnlichen Frau. ... Die Biographie von Helen Ernst steht
stellvertretend für die vieler Frauen, die nach dem Sturz der Monarchie
1919 aus den Beschränkungen und Zwängen der Gesellschaft ausbrachen und
sich selbst verwirklichen wollten. Sie nutzten neue Bildungswege,
erschlossen sich eigene Tätigkeitsfelder, waren selbständig, ungebunden,
abe» auch suchend und manchmal Verzweifelt allein.
Helen Ernst wurde
1904 in Athen ais uneheliches Kind geboren, ihr Vater, der Konsulatsbeamte
Otto Ernst, verstieß die Mutter, seine Haushälterin, adoptierte aber das
Kind. Helen Ernst wuchs in Zürich auf, beendete die Schule in Stuttgart und
begann eine kunstgewerbliche Ausbildung in Berlin. Seit 1924 arbeitete sie
als Lehrerin für Modezeichnen an der Berliner Kunstgewerbe- und
Handwerkerschule, veröffentlichte Zeichnungen in der Presse, gestaltete
Plakate und entwarf vor allem Kostüme und andere Mode. Im Berlin der wilden
20er Jahre ließ es sich ausgelassen leben, vermittelte die lebendige
Kunstszene Anregungen für Arbeit und Sinnsuche. Die 1928 eingegangene Ehe
mit dem Bauhaus-Künstler Wolf Hildebrandt (HIL) scheiterte 1931; Helen
Ernst kündigte ihre Anstellung und lebte fortan gezwungenermaßen als freie
Künstlerin – unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise ein schweres
Unterfangen. Zugleich trat sie in die KPD ein und engagierte sich im „Bund
Revolutionärer Künstler Deutschlands". Es folgten bewegte und
beziehungsreiche Jahre mit Arbeitsaufenthalten in der Schweiz und in Paris.
Sie betreute im Auftrag der Roten Hilfe politische Häftlinge und lernte Lea
und Hans Grundig kennen. Wie für viele politisch engagierte Künstler
bedeutete die Machtübertragung an Hitler für sie eine tiefe Zäsur. 1933
zweimal verhaftet, wuchs sich die politische Niederlage zu einer
persönlichen Krise aus. Erst der berufliche Neuanfang in den Niederlanden
eröffnete einen Ausweg. Seit 1936 leitete Helen Ernst an der Nieuwen
Kunstschool in Amsterdam die Modeabteilung. Daneben illustrierte sie Bücher
und veröffentlichte Zeichnungen in der sozialistischen Presse Hollands. Da
sie sich im Visier der Gestapo befand, folgte nach der deutschen Besetzung
der Niederlande ihre Verhaftung. Seit April 1941 war Helen Ernst im KZ
Ravensbrück eingesperrt. Sie überlebte die unmenschliche Lagerhaft. Auf
dem Todesmarsch vom KZ-Außenlager Barth nach Westen gelang ihr in
Ribnitz-Damgarten mit anderen Häftlingsfrauen am 1. Mai 1945 die Flucht.
Lungenkrank, trotz erneuter Ehe einsam und politischen Verleumdungen
ehemaliger Haftkameradinnen ausgesetzt, erlosch ihre Lebenskraft. Wie sollte
sie ihr Leid verstehen, ,.daß einem die zufügten, zu denen man sich zu
gehören glaubte" (S. 322). Sie starb am 26. März 1948 in Schwerin.
Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof von Groß Zicker auf Rügen. Die
Aberkennung ihres Status als „Opfer des Faschismus" 1947 und das
Parteigerichtsverfahren machten Helen Ernst trotz Rehabilitierung im Januar
1948 zur Unperson, die sich zur Heroisierung des kommunistischen Widerstands
in der DDR nicht eignete. Hans Hübner widmet dem Umgang mit dem Erbe ein
erhellendes abschließendes Kapitel. Ihr unstetes Leben sowie ihr
unvollendetes Werk und die über mehrere Staaten verteilten Arbeiten –
vieles unwiederbringlich verloren – erschwerten die kunstgeschichtliche
Aneignung ihres Schaffens.
Im Bemühen, das Leben von Helen Ernst so umfassend wie möglich zu
erhellen, leistet der Autor manchmal zu viel des Guten. Nicht jede
Männerbeziehung hätte breit dargestellt werden müssen. Manche
Rechercheschilderung und wiederholte Einschätzungen ihres Charakter wären
entbehrlich gewesen Insgesamt aber ist Hans Hübner ein facettenreiches BilD
vom Leben dieser Künstlerin gelungen, eine eindrucksvolle Forscherleistung.
Nun liegt mit der umfassender) Rekonstruktion der biographischen Spuren
diesar außergewöhnlichen Künstlerin eine ausgezeichnete Grundlage für
eine umfassende Werkschau vor. Warum sollte sie nicht in Schwerin
stattfinden? Schließlich hätte die Stadt gegenüber der Künstlerin noch
einiges gutzumachen! (Andreas Wagner, Schwerin/Rostock)