[= Hochschulschriften, Bd. 6], trafo verlag 2005, 150 S., ISBN 3-89626-136-3, 19,80 EUR
Bei Amazon (mit Höchstnote 5 Sterne)
Besprechung von Rose Falkenroth bei socialnet.de,
23.10.2006
http://www.socialnet.de/rezensionen/4035.php
"Einführung ins Thema
In Deutschland leben schätzungsweise 560.000 lesbische Frauen, die älter als sechzig Jahre sind. Häufig leben diese Frauen aus Angst vor Diskriminierung sehr zurückgezogen oder sie verstecken ihre lesbische Identität und führen ein Doppelleben. Sie befinden sich in sehr unterschiedlichen Stadien eines Coming-out Prozesses. Einige sind Singles, andere leben mit einer Partnerin, wieder andere in Gemeinschaften für Lesben im Alter. Einige haben Kinder und waren verheiratet oder sind es noch. Mit der meist jüngeren Lesbenszene haben sie häufig keinen Kontakt (mehr), weil sie sich nicht verstanden fühlen und andere Bedürfnisse haben. Für ein Leben im Alter haben sie Wünsche und sehen vor allem im Falle der Pflegebedürftigkeit neue Probleme auf sich zukommen.
Die spezifischen Lebenslagebedingungen und die vielschichtigen Problemlagen dieser Minderheit sind bisher wenig bekannt und erforscht worden. Die Autorin nähert sich in einer Grundlagenarbeit dem Thema Lesben im Alter systematisch an.
Entstehungshintergrund des Buches
Das Buch entstand aus der Diplomarbeit von Marion Wortmann, die sie im Jahr 2004 an der Universität Dortmund im Fachbereich Erziehungswissenschaft vorgelegt hat. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Gerhard Naegele, der auch das Vorwort zum Buch geschrieben hat.
Autorin
Marion Wortmann ist seit vielen Jahren in der lesbenpolitischen Szene aktiv und setzt sich intensiv für die Veröffentlichung des Themas Lesben (und Schwule) im Alter ein.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist klar und übersichtlich gegliedert.
* Es bietet einen umfangreichen theoretischen Teil, in dem zunächst die Bedingungen lesbischen Lebens in Deutschland aufgezeigt werden. Dabei wird die Lesbenpolitik der letzten Jahrzehnte vor dem Hintergrund der Verfolgung von Homosexuellen im dritten Reich und den unterschiedlichen Regierungen in Ost- und Westdeutschland erläutert. Hier wird auch die Problematik der häufig verwendeten Sammelbegriffe Homosexualität/Homosexuelle dargestellt. Ferner werden die voneinander zu unterscheidenden Lebensformen von Lesben und Schwulen erörtert. Außerdem wird ausführlich auf den Altersbegriff und die Wahrnehmung des Themas Alter von Lesben und Schwulen eingegangen. Ebenso ausführlich wird in diesem Teil des Buches auch das Lebenslagekonzept für Frauen ab sechzig vorgestellt. Da die Lebenslage von älteren lesbischen Frauen in Deutschland bisher (Stand der Arbeit 2004) nicht erforscht wurde, wird (hypothetisch) ein Konzept für lesbische Frauen erstellt.
* Da es sich um eine qualitative Forschungsarbeit handelt, wird im theoretischen Teil die Methodik der Untersuchung vorgestellt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung der Grounded Theory (Strauss/Glaser/Corbin), als eine Methode der qualitativen Datenanalyse.
* In einem weiteren, ebenso umfangreichen Teil, werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt und diskutiert. Sehr ausführlich werden die konkreten Lebensbedingungen und die jeweiligen Problemlagen der befragten Frauen dargestellt und theoretisch reflektiert. Besondere Aufmerksamkeit wird in diesem Teil der Arbeit dem Coming-out Prozess gewidmet. Seine zentrale Bedeutung für die Erforschung der Lebenslage von älteren Lesben wird hier verdeutlicht und mit dem Lebenslagekonzept verknüpft.
* In einem abschließenden Kapitel werden die zentralen Aussagen der Arbeit gebündelt und daraus resultierend Forderungen für eine lesbische Seniorenarbeit vorgebracht.
* In der Anlage befinden sich die Sequenzierungen der Interviews, die für die Bearbeitung des Themas von Bedeutung sind.
Zielgruppe und Fazit
Eine Diplomarbeit ist an sich nicht an die Öffentlichkeit gerichtet, aber das daraus entstandene Buch ist sachdienlich und spannend für alle, die mit älteren, alten und hochaltrigen Frauen und Männern in Kontakt sind. Naegele deutet im Vorwort des Buches zu Recht auf den Inhalt als "ein Stück Aufklärung zum Thema Lesben" hin, und so ist dieses Buch für eine weit zu fassende Leserschaft geeignet: Interessierte, (im weitesten Sinne) Betroffene, Studierende, Neugierige. Das Buch ist aufgrund der klaren Struktur und der verständlichen Ausdrucksweise leicht zu lesen und ermutigt, sich dem Thema weiter anzunähern. Es ist informativ, und wer mag, lässt sich von den konkreten Lebensbedingungen der interviewten Frauen berühren. Besonders hinzuweisen ist hier auch auf die ausführliche Bibliografie zum Thema "Lesben im Alter".
Annotation in: Wir Frauen, Ausgabe 4/2005, S., 32:
Das Buch geht der Frage nach, wie das „Lesbisch-sein" das Alter
lesbischer Frauen beeinflusst. Drei Beispiele zeigen, dass die gemachten
Erfahrungen als Lesbe sich besonders auf das Verhalten im Alter auswirken.
Je positiver diese waren, desto selbstbewusster und offener kann sie im
Alter lesbisch leben. Ergänzt wird das Buch mit Informationen über die
Geschichte lesbischer Frauen in Deutschland und Forderungen für eine
lesbische Seniorinnenpolitik. Das Buch bietet eine Grundlage für weitere
Forschungen zu diesem Thema und enthält viele Hinweise, wie in Zukunft mit
diesem Forschungsfeld umgegangen werden kann. Schließlich werden auch die
Lesben der 2. Frauenbewegung älter und wollen nicht hinter das Erkämpfte
zurück. gb