Teil II: Wir handeln wir? Disput über menschliches Verhalten und seine neuronalen Grundlagen
Teil III: Wie leben wir zusammen? Disput über Schritte in die Zukunft
Herbert Hörz (Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu
Berlin) März 2016
Dem trafo Verlag ist es zu danken, dass 2016 mit der 2. Auflage die Teile I
– III der „Gespräche zu Dritt“ von Hardwin Jungclaussen nun geschlossen
vorliegen. Die hochinteressanten Überlegungen des Kernphysikers und
Informatikers zu aktuellen Problemen unserer Zeit widmen sich den
prinzipiellen philosophischen Fragen nach der Erkennbarkeit der Welt, nach
den neuronalen Grundlagen menschlichen Verhaltens und nach den möglichen
Orientierungen für unser Handeln bei der Gestaltung einer humanen Zukunft.
Die Herausforderungen unserer Zeit, in der in einer digitalisierten Welt
Menschen immer mehr aus dem eigentlichen Fertigungsprozess materieller Güter
heraustreten und Steuerungs- und Reglungsfunktionen übernehmen, ökologische
Katastrophen drohen und geopolitische Ziele mit wirtschaftlichem Druck und
militärischen Mitteln verfolgt werden, verlangen neue Überlegungen, um die
klassischen Fragen von Immanuel Kant zu beantworten: Was können wir wissen?
Was sollen wir tun? Was können wir hoffen? Was ist der Mensch? Es geht um
eine für die damalige Zeit nicht so brennende Frage, die durch die rasante
wissenschaftlich-technische Entwicklung, von uns dringend zu beantworten
ist, da alle Lebensbereiche davon betroffen sind: Was ist wissenschaftlich
möglich, technisch-technologisch realisierbar, ökonomisch machbar,
gesellschaftlich wünschenswert und durchsetzbar? Der Autor sucht als
Wissenschaftler mit umfangreicher Lebenserfahrung (Geburtsjahr 1923) und
philosophischen Ambitionen Antworten darauf. In seiner ebenfalls im trafo
Verlag erschienenen Autobiografie „Frei in drei Diktaturen. Wie ich meine
Leben erlebte und wie ich mein Glück fand“ bekennt er sich zur Motivation
seines Nachdenkens über die Probleme unserer Zeit: „Mir ist der Trieb in die
Wiege gelegt worden, alles, was ich wahrnehme, verstehen zu wollen. … Seit
meinem 17. Lebensjahr treibt mich der Wunsch, zu verstehen, was in meinem
Gehirn passiert, wenn ich denke. Der Trieb verstehen zu wollen, ist der
Trieb nach dem Glück des Erkennens, der Erkenntnisgewinnung.“ (S. 197) Mit
kurzen Antworten auf zehn Fragen fasst er dort zusammen, was er als „Extrakt
der Gespräche zu Dritt“ sieht. Danach folgt der Abschnitt „Was uns not tut“.
Damit wird das umfassende Programm der „Gespräche zu Dritt“ deutlich. Es
reicht von der neuronalen Erkenntnistheorie unter Berücksichtigung von
Erkenntnissen der Hirnforschung und Informatik (Teil I) über die
Konsequenzen für das Handeln (Teil II) bis zum „Disput über Schritte in die
Zukunft“ mit der Frage „Wie leben wir zusammen?“ (Teil III). Wer selbst den
Trieb verspürt, erkennen zu wollen, wie und warum wir was tun und tun
sollten, um nicht in Barbarei zu verfallen, dem seien die drei Teile zum
Lesen empfohlen. Er wird viele Anregungen finden, um Fragen zu beantworten,
die er sich bisher vielleicht schon selbst gestellt hat oder sich nun
stellt. Weiterdenken wird damit angeregt.
Der Autor bietet keine fertigen Lösungen für die anstehenden Probleme. Er schildert die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nutzt bisher Erkanntes um Hypothesen über das noch zu Erkennende zu begründen und entwickelt so sein Weltbild bis zur philosophischen Frage nach der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung und der, wie man das persönliche Glück sucht und findet. Für den Leser sind die Gespräche zwischen dem materialistischen Monisten Bauer auf der einen und dem gottgläubigen Philosophen Weiser auf der anderen Seite mit dem fragenden und zweifelnden Graber als Vermittler ein geistiger Genuss. Probleme, die einem während der Gespräche auftauchen, werden von den Gesprächspartnern im weiteren Verlauf selbst als Fragen formuliert, so dass ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt wird, der durch Graber zu einer konsensfähigen Auffassung geführt wird, ohne Differenzen zwischen den Partnern voll auszuschließen. Es geht um die Abmilderung von Extrempositionen bei der Wahrheitssuche, was den Reiz der Überlegungen ausmacht. Sie fordern zum Mitdenken heraus. Mit Aufzeichnungen von Graber fließen autobiografische Elemente ein, die die Suche nach plausiblen und argumentativ begründeten Antworten auf die genannten Fragen verdeutlichen.
Die Antworten der Gesprächspartner auf die Fragen nach dem Zusammenleben im Teil III werden auf der Grundlage der im ersten Teil entwickelten neuronalen Erkenntnistheorie gesucht, wobei es um die Erkenntnismöglichkeiten geht. Dabei spielen die neuronalen Mechanismen, die Erkennen, Entscheiden und Handeln durch Menschen erst ermöglichen, die Hauptrolle. Teil II sucht in den Gesprächen Antworten auf die Frage, wie wir handeln. Damit ist der dritte Teil der Gespräche gut vorbereitet. Er zieht Lehren aus der Geschichte, behandelt wirtschaftliche Probleme und formuliert Aufträge an die Politik.
Halten wir fest: Drei Gesprächspartner diskutieren philosophische, naturwissenschaftliche, technische, wirtschaftliche, politische und spirituelle Aspekte aktueller Herausforderungen. Es geht ihnen darum, Antworten auf die Frage zu finden, wie wir die Zukunft mit bisher schon erreichten oder noch zu erwartenden Erkenntnissen und darauf aufbauenden Orientierungen für unser Handeln human gestalten können. Es ist ein transdisziplinäres Herangehen, das über den Blick spezifischer Disziplinen hinausgeht, auf Zusammenhänge aufmerksam macht und Lebenserfahrung als Weisheit des Alters einbezieht. Im Sinne dieses transdisziplinären Disputs sind Erkenntnisse der Hirnforschung, Ergebnisse der Computerentwicklung, sprachwissenschaftliche Überlegungen, wirtschaftliche Prozesse, politische Ambitionen und philosophische Ideen in die Debatte einbezogen, um sagen zu können, was uns dafür not tut, um zu überleben und eventuell besser weiterleben zu können. Denkanstöße werden so vermittelt. Man kann also nur viel Vergnügen beim Lesen wünschen und hoffen, dass jeder seine eigene Antwort auf die gestellten Fragen findet.
Generell geht es dem Autor um das Ich und Wir, um den humanen Staat, um Toleranz und die Überwindung von Aggressionen zwischen sozialen Gruppen. Darüber ist, herausgefordert durch die Gespräche, weiter nachzudenken. Eine Weltkultur in ihrer spezifischen Ausprägung durch soziokulturelle Identitäten könnte die Globalisierung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung als Prozess der Zivilisation ergänzen. Es globalisieren sich die Probleme, die Graber benennt. Außerdem erfolgt der Prozess der Zivilisierung als Ausbreitung der für den Maximalprofit günstigen Sozialstrukturen, wie freier Kapitalfluss und Marktwirtschaft, unter Missachtung kultureller Differenzierungen als Gleichmacherei, oft mit den Bannerworten Demokratie, Freiheit und Menschenrechte drapiert. Dagegen ist die „Stärkung der Autorität ethischer Gesetze“, die Graber fordert, zu setzen. Soziale Werte als Bedeutungsrelationen von Sachverhalten für Individuen, soziale Gruppen und soziokulturelle Identitäten, die Nützlichkeit, Sittlichkeit und Ästhetik umfassen, bestimmen das Verhalten von Menschen. An der Spitze einer Wertehierarchie in einer zu entwickelnden Weltkultur, die Freiheitsgewinn als Inhalt hat, und Rahmenbedingung für spezifische Kulturen sein kann, steht im Sinne der Gespräche: Erhaltung der menschlichen Gattung und ihrer natürlichen Lebensbedingungen, friedliche Lösung von Konflikten und die Erhöhung der Lebensqualität aller Glieder einer soziokulturellen Identität.
Dem Autor gebührt dafür Dank, dass er ein umfassendes Weltbild in den Gesprächen entwickelt, das Zweifel nicht ausschließt, Argumente für und gegen bestimmte Auffassungen anführt und eine humane Lösung der globalen Probleme enthält.