Schönbach, Karsten Heinz


Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926–1943

 

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2016, 680 S., [= Hochschulschriften, Band 38], ISBN 978-3-86464-080-3, 59,80 EUR

 

 

 

Rezension von Eberhard Czichon, Berlin, März 2016

Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926 - 19434

Der Griff nach Europa war seit 1914 ein Bestandteil deutscher Großmachtpolitik. Nachdem Fritz Fischer 1962 in seiner Untersuchung „Griff nach der Weltmacht“ die enge Verflechtung von Monopolinteressen und Politik vor dem ersten Weltkrieg nachgewiesen hatte,[1] war die national-konservative Historiographie der BRD aufgeschreckt und versuchte eiligst die entlarvenden Forschungsergebnisse Fischers wegzudiskutieren. Als 1967 meine Broschüre in Köln über den Anteil der Großbourgeosie an der Machtübergabe an Hitler erschien, wurde die Schrift ignoriert, ich war DDR-Historiker. Nur zögerlich gab es Versuche, die Vorgabe aufzugreifen. Dirk Stegmann,[2] Reinhard Nebe[3] und Dieter Petzina[4] suchten Zugang zu Industriearchiven, um die „Mauer des Schweigens“ zu durchbrechen. Sie wurden unterstützt von George W. F. Hallgarten und Joachim Radkau.[5] Gegen mein Buch über die Kriegsverbrechen der Deutschen Bank von 1938 bis 1945 konnten sich noch 1972 Hermann Josef Abs und der Bankvorstand mit Unterstützung der Justiz durchsetzen[6] und auch Hallgarten und Radkau mussten Textstellen in ihrem Buch schwärzen. Danach dominierte bis 1985 die Vorherrschaft der akademischen Geschichtsuminterpretierer.

Als 1985 die von der amerikanischen Militärregierung 1948 vorbereiteten „Reports“ gegen die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die IG-Farbenindustrie AG veröffentlicht wurden,[7] griffen zwar viele Journalisten die neuen Tatsachen auf, doch die Elite der Hochschulhistoriker war in der Mehrheit nicht bereit, die Wahrheiten über die Verbrechen des deutschen Imperialismus im 20. Jh. einzugestehen. Die Veröffentlichungen der DDR zu diesem Thema wurden nach 1990 hartnäckig verschwiegen. Nur der „Holocaust“ bildete eine Ausnahme.

Karsten Heinz Schönbach, 1972 geboren, Sohn einer Arbeiterfamilie, gelernter Mechaniker in Eisenhüttenstadt, Abitur 1990, studierte Volkswirtschaft in Berlin und Geschichte in Greifswald, verteidigte nun 2012 an der FU in Berlin bei Prof. Wolfgang Wippermann eine bemerkenswerte Dissertation zu den Beziehungen der deutschen Konzerne zum Nationalsozialismus von 1926 bis 1943,[8] die der Berliner trafo-Verlag 2016 verlegte.[9] Wippermann bezeichnet die Forschungsarbeit durchaus berechtigt als „Standardwerk“, denn sie nimmt nicht nur keine Rücksicht auf bestehende Tabus und die damit verbundenen politischen Befindlichkeiten, sondern revidiert gründlich die konservative Schönschreibung imperialistischer deutscher Politik, besonders des deutschen Faschismus.

Dokumente aus den Archiven von 12 Industriekonzernen und 7 Banken belegen nicht nur die Hauptziele der „deutschen Großindustriellen“ seit 1900 bis 1933 (S. 37-100), sondern vor allem die Beziehungen zwischen Großbanken, der Schwerindustrie und NSDAP seit 1927 (S. 111 bis 393). Die von Czichon, Stegmann, Nebe und Hallgarten/Radkau vorgelegten Dokumente zur Herausbildung einer pro-Hitler-Mehrheitsfraktion im deutschen Finanzkapital nach 1932, werden von Schönbach wesentlich ergänzt. Beeindruckend ist seine Spezifizierung der ökonomischen Interessen der einzelnen Konzerne an einer Hitlerregierung und der Nachweis der Organisierung ihrer Offensive gegen die bürgerliche Demokratie (S. 247 ff.). Dabei liegt das Gewicht der Untersuchung Schönbachs auf der Dynamik zwischen Reichspolitik und der Herausbildung des Bündnisses von Großindustriellen mit Hitler und dessen Finanzierung. Allein im Jahre 1932 stand der NSDAP nach den Angaben Schönbachs ein Budget von etwa 34 Mill. Reichsmark zur Verfügung (S. 191-192).

Schönbach differenziert zwischen Nazi-Industriellen und Nazi-Sympathisanten in der deutschen Kapitalelite (S. 274) und belegt, wie sich beide Gruppierungen bis Januar 1932, von Papen moderiert, gegen Schleicher und dessen Versuch, noch eine konservative Krisenlösung mit Gregor Strasser zu finden, (der sogenannten „Querfont“) auf Hitlers Kanzlerschaft über den Keppler-Kreis (S. 325 ff.) und damit auf die Beseitigung jedweder bürgerlich-demokratischer Regierungsformen einigten. Schönbach setzt sich auch kritisch mit Versuchen von Historikern auseinander, die wie Henry Ashby Turner argumentieren, dass es nur einzelne Industrielle gewesen wären, die eine Kanzlerschaft Hitlers angestrebt hätten. Der Vorzug der Dissertation Schönbachs besteht vor allem im Nachweis, dass Hitlers Kanzlerschaft von den Bestrebungen und Interessen einer Mehrheitsfraktion des deutschen Finanzkapitals getragen wurde.

Die Verflechtung zwischen Finanzkapital und Nazi-Staat (S. 395-446) ist mit seinem Akzent auf die Kriegsrüstung und der Verflechtung mit dem Staat nach 1936 (S. 438 ff.) konzentriert und bestätigt die Aussage Kurt von Schröders vom November 1945, bleibt aber im Detail hinter den Untersuchungen von Dietrich Eichholtz zurück.[10] So präzise wie Schönbach auch den Einfluss des Bankenkapitalismus (ab S. 426) beschreibt, fehlt hier doch die Wirksamkeit des Gesetzes der Konkurrenz zwischen den Großbanken, der Deutschen Bank (von 1929 bis 1938 als DeDi-Bank firmierend, nachdem sie sich 1928 mit der Diskontogesellschaft fusioniert hatte) und der Dresdner Bank und ihren unterschiedlichen Einfluss im Dritten Reich. Es wäre interessant gewesen, wie beide führenden Großbanken 1938 sich gegenseitig überbietend das jüdische Großkapital vernichteten (die Untersuchungsakten der Finanzverwaltung der amerikanischen Militärregierung von 1946/47 liegen ja vor), und es ist schade, dass es dem Autor nicht gelungen ist, die Machtverschiebung zwischen der Dresdner und der Deutschen Bank bei Görings Vierjahresplan-Politik und den IG-Farben im Kapitel V/6 (ab S. 430) zu dokumentieren. Nicht so sehr der OMGUS-Bericht über die IG Farbenindustrie AG, weit mehr die Prozessakten im Landesarchiv Berlin geben darüber Aufschluss.

Politisch brisant dagegen ist Schönbachs letzter Schwerpunkt, der Raubzug der deutschen Monopole und Banken in Europa und der Versuch einen vom deutschen Imperialismus dominierten „Großwirtschaftsraum Europa“ zu schaffen (S. 499 ff.). Das erinnert mich an das Referat von Hermann Josef Abs vom Sommer 1941 in dem er vor dem Handelspolitischen Ausschuss der Reichswirtschaftskammer sagte:

…zur Gewinnung eines richtigen Standpunktes… sei davon auszugehen, dass Deutschland nach dem Kriege Europa beherrscht.[11]

Es ist auch bedauerlich, dass Schoenbach seine Untersuchung 1943 abbricht und auf die Untersuchung der Menschheitsverbrechen an Kriegsgefangenen, KZ-Insassen und Juden durch die deutschen Industriekonzerne in ihren Arbeitslagern und deren Finanzierung durch die Großbanken verzichtet.

Die Hoffnung des Verlages, dass das Buch Schönbachs die Diskussion zur deutschen Geschichtsschreibung neu beleben wird, teile ich nicht. Die Dissertation wird vom Mainstream ebenso ignoriert werden, wie alle Forschungsergebnisse zu dieser Thematik zuvor.

 


[1] Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht, Düsseldorf 1962.

[2] Stegmann, Dirk, Zum Verhältnis von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930 – 1933, Ein Beitrag zur Geschichte der sog. Machtergreifung; in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), Archiv für Sozialgeschichte, Band XIII, Bonn – Bad Godesberg 1973, S. 402 – 441.

[3] Reinhard Nebe, Großindustrie, Staat und NSDAP, Göttingen 1981.

[4] Dieter Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich, Stuttgart 1968.

[5] George W.F. Hallgarten/Joachim Radkau, Deutsche Industrie und Politik von Bismarck bis heute, Frankfurt/Main 1974.

[6] Teil-Urteil vom 24.2. und Schluss-Urteil vom 27.6.1972 des Landgerichts Stuttgart.

[7] Hans Magnus Enzensberger (Hg.), OMGUS, Ermittlungen gegen die Deutsche Bank 1946/47, Nördlingen 1985.

[8] Schönbach, Karsten, Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926 – 1941, Dissertation der Freien Universität Berlin 2012. – Hinweis: Der Titel der Dissertation weicht vom Buchtitel des trafo-Verlages in der Jahresangabe ab, der Text ist jedoch mit dem der Diss. identisch.

[9] Schönbach, Karsten, Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926 – 1943, Berlin 2016, ISBN 9783864640803.

[10] Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Bd. I – III, Berlin 1969 u. 1996.

[11] Eberhard Czichon, Deutsche Bank, Macht-Politik, Faschismus, Krieg und Bundesrepublik, Köln 2001, S. 139.