Rezension von Horst Klein in: Berliner LeseZeichen, ,
Heft 11/2000, S. 96-99
In der Reihe „Biographien europäischer Antifaschisten" erschien als
Bd. 5 der 1. Halbband des von Ulla Plener verfaßten Lebensbildes über den
wohl nicht nur zu seiner Zeit namhaftesten deutschen Gewerkschaftsführer
Theodor Leipart. Es gehört zur Ironie der Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung, daß sich heute beinahe nur noch Insider seiner erinnern.
Die Erklärung liegt in der Geschichte selbst, aber vielmehr im Umgang mit
ihr. Von „den Seinen" bedrängt, von „den Anderen" gewürdigt,
so das Fazit der Autorin nach einer umfassenden Erforschung und Darstellung
dieser Persönlichkeit, die in der SED-Geschichtsschreibung einerseits ihren
Platz unter den verfemten reformistischen Gewerkschaftsführern
(Opportunisten) zugewiesen bekam, die sich andererseits zumindest kurzzeitig
auch pragmatisch für die vermeintliche „Einheitspartei" beanspruchen
ließ. Der Vorstand der SED zeigte sich 1946/47 noch tolerant, den einstigen
Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) als
großen Arbeiterführer und Sozialisten zu ehren. 1947 bekam die Hochschule
des FDGB in Bernau seinen Namen verliehen, der dann 1952 durch den Namen des
kommunistischen Gewerkschaftsführers Fritz Heckert (1884-1936) ersetzt
wurde. „Mit der fortschreitenden Stalinisierung der SED", so vermerkt
Ulla Plener kritisch, „wurde die sozialdemokratische Tradition in ihr
zunehmend vernachlässigt und eliminiert - dazu gehörte auch die Erinnerung
an einen Theodor Leipart, dessen Name in der Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung unauslöschlich bleiben sollte, immer mehr verblaßte und
schließlich ganz verdrängt wurde." Indessen habe die SPD Leiparts
SED-Beitritt und die Haltung des Gewerkschaftsvorstandes zu den Vorgängen
um den 1. Mai 1933, für die sie Leipart zu Unrecht verantwortlich machte,
nicht tolerieren wollen. Dieser hatte am 29. März 1933 Hitler brieflich die
Trennung der Gewerkschaften von der SPD mitgeteilt. Am 19. April 1933
empfahl der Vorstand des ADGB seinen Mitgliedern die Teilnahme an den von
den Nazis verordneten staatlichen Maifeiern. Es war damals eine fatale
Situation, die die Historikerin Helga Grebing auch im Hinblick auf
sozialdemokratische Illusionen mit den Worten zu charakterisieren versuchte:
Man glaubte, „durch politischen Selbstmord den organisatorischen Tod zu
verhindern". Doch das nützte nichts. Es folgten nach der Zerschlagung
der KPD auch die der SPD und des ADGB und so auch der Leidensweg für
Leipart.
Ulla Plener hat für die Beschreibung des Lebensbildes Theodor Leiparts sehr
tief in die Archive geschaut und bisherige Darstellungen zum Leben und
Wirken dieses außergewöhnlichen Gewerkschaftsführers kritisch hinterfragt
und ihre gewonnenen Kenntnisse mit Dokumenten belegt, die demnächst auch
geschlossen als 2. Halbband erscheinen sollen. Bei der Bewertung Leiparts
hält sie sich an den von Friedrich Engels übermittelten Grundsatz, wonach
ein „Mann, der jeden Philosophen nicht nach dem Bleibenden,
Fortschrittlichen seiner Tätigkeit, sondern nach dem notwendig
Vergänglichen, Reaktionären, nach dem - System beurteilt,... besser
geschwiegen" hätte. Sie fragt nach dem Bleibenden, sie mißt Leipart
an seinen geschichtlichen Leistungen, ohne dessen Irrwege und zweifellos
auch schwerwiegenden Fehlentscheidungen zu verschweigen. Indessen versteht
sie es, dem Leser wenig Bekanntes verständlich und vor allem im
überwiegend schwierigen sozialen Zusammenhang nahezubringen. Im Mittelpunkt
bleibt das für die sozialistische Bewegung zu Bewahrende.
Theodor Leipart, der am 17. Mai 1867 in Neubrandenburg geboren wurde, ging
den Weg der Volks- und Mittelschule, erlernte das Drechslerhandwerk. Er
wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und engagierte sich für die
gewerkschaftlichen Interessen. „Seit 1887 bekleidete er gewerkschaftliche
Funktionen, seit 1891 hauptamtlich, war 1891-1893 Vorsitzender der
Drechsler-Vereinigung, 1893-1908 zweiter, 1908-1919 erster Vorsitzender des
deutschen Holzarbeiter-Verbandes (DHV), 1904-1919 zugleich Sekretär der von
ihm initiierten Internationalen Union der Holzarbeiter (IUH), 1921-1933
Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB, einer der
Vorläufer des DGB), 1922-1933 außerdem Vizevorsitzender des
Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB)." Kurzzeitig war er 1919/20
auch württembergischer Minister für Arbeit. Ulla Plener sieht sich, wenn
es um ein Festmachen des Bleibenden geht, im Konsens mit dem Historiker Hans
Mommsen, der dieses bereits 1977 so beschrieben hat: „,In allen
wesentlichen Punkten ist das sozialstaatliche Instrumentarium der
Bundesrepublik während der Weimarer Zeit entwickelt oder
institutionalisiert worden. Das gilt für das Arbeits- und
Tarifvertragsrecht, das System der Arbeitslosenversicherung, die
Arbeitsschutz- und Arbeitszeitregelungen wie den Komplex der
Betriebsverfassung'; wenn auch das System der Weimarer Sozialpolitik ein
Torso geblieben sei, eine Fülle sozialpolitischer Maßnahmen von bleibender
Bedeutung sei realisiert worden - und: ,Vergleicht man das, was während
jener 14 krisenhaften Jahre der Weimarer Republik, die unter denkbar
ungünstigen ökonomischen Bedingungen standen, auf sozialpolitischem Gebiet
getan worden ist, mit den entsprechenden Maßnahmen in den mehr als
zweieinhalb (und nunmehr fünf - U. PL) Jahrzehnten bundesrepublikanischer
Entwicklung, so ergibt sich für Weimar eine bemerkenswert positive
Bilanz..."' Ulla Plener hebt hervor, daß diese positive Bilanz und das
heute noch bestehende sozialstaatliche Instrumentarium auf das engste mit
dem Wirken von Theodor Leipart verbunden ist. Dazu gehören auch „so
unterschiedliche Dinge wie die Volksfürsorge, die Mitbestimmung und die
Gemeinwirtschaft (auch die heutige Bank für Gemeinwirtschaft)..."
Fragt man nach den besonders brisanten bzw. strittigen Themen, die das
politische Denken und Wirken Leiparts prägten und die auch mit neueren
Erfahrungen so oder so zur Diskussion anregen, dann findet man in der
vorliegenden Biographie leicht Zugang zu grundsätzlichen
Interessensgebieten der Arbeiterbewegung, wie u. a. zur Problematik des
politischen Massenstreiks, des Ersten Weltkrieges und der
Wirtschaftsdemokratie. Ein Problem, das Leiparts gewerkschaftliches
Engagement begleitet hat, so U. Plener, sei das Verhältnis.der freien
Gewerkschaften zur Sozialdemokratischen Partei gewesen. Den Gewerkschaften
hat man bereits, ausgehend vom Erfurter Programm, eine „dienende Rolle,
die ,Rekrutenschule' für die Partei zu sein, zugewiesen". Leipart habe
„für die Erkenntnis und Akzeptanz der selbständigen Rolle der
Gewerkschaften im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse" gestritten.
Ebenso habe sich August Bebel stets dafür ausgesprochen,
daß
die Gewerkschaften als spezifische Arbeiterorganisationen zu begreifen
seien, die selbständig und weltanschaulich wie parteipolitisch neutral,
aber nicht unpolitisch sein sollten; vielmehr sollten sie Arbeiterpolitik,
Klassenkampfpolitik betreiben. Wie schwierig das Verhältnis zueinander zu
bestimmen war, habe sich dann auch in der Debatte über den politischen
Massenstreik in den Jahren 1905/06 gezeigt. Der politische Massenstreik
sollte nach der Beschlußlage des Amsterdamer Sozialistenkongresses 1904 ein
äußerstes Mittel sein, um bedeutende gesellschaftliche Veränderungen
durchzusetzen oder sich reaktionären Anschlägen auf die Rechte der
Arbeiter zu widersetzen. Leipart habe - ähnlich wie Engels - Jahre zuvor
aus „Gründen der Humanität" Gewalt (in Form von Straßenkämpfen u.
ä.) als ein Mittel der Arbeiterschaft abgelehnt, dagegen auf „Organisation
und die langsame Arbeit der Propaganda" gesetzt. Indessen habe er
allerdings im Unterschied zu Engels „die gestaltende Kraft des sozialen
Zwanges, den machtvolle Aktionen (z. B. friedliche Demonstrationen) der
vielen auf die Regierenden (und das Massenbewußtsein) auszuüben
vermögen", unterschätzt. Ulla Plener bemüht sich gekonnt, den
politischen Zwiespalt im Umgang mit der Problematik des politischen
Massenstreiks aufzuhellen, und sie macht deutlich, daß es sich hier nicht
nur um einen Standpunkt Leiparts oder gar der „opportunistischen"
Gewerkschaftsführer handelte, sondern um eine Position, die in der von
Bebel geprägten revolutionären Arbeiterbewegung mehrheitlich geteilt
wurde. Aus dieser Sicht kann der Leser am Beispiel Leiparts und seiner
engeren Kampfgefährten in SPD und Gewerkschaften den politischen
Denkprozeß im Umgang mit der Frage des Massenstreiks nachvollziehen und
erkennen, wie sehr diese auch mit all den bekannten Konsequenzen 1914 zur
Politik des „Burgfriedens" führte. Die Abstinenz im Verhältnis zum
Massenstreik und die Haltung zur Vaterlandsverteidigung waren, wie
nachgewiesen wird, in der Vorkriegspolitik von SPD und Gewerkschaften
angelegt gewesen. Dabei spielte die Jahrzehnte zuvor gewachsene Furcht vor
dem reaktionären Rußland und die Ansicht, Deutschland sei in diesem Krieg
der von Rußland angegriffene Teil, eine entscheidende Rolle, die auch
Leiparts Haltung zum Krieg bestimmte. Leipart - wie Legien und andere -habe,
so Plener, es als die wichtigste Aufgabe der Gewerkschaften im Krieg
betrachtet, „die Arbeiterklasse vor dem damit verbundenen Elend möglichst
zu schützen. Es sei nicht zuletzt der wirtschaftliche Aspekt und die Sorge
um die gewerkschaftliche Organisation gewesen, die motivierend für Leiparts
,Unterstützung der Kriegsziele des kaiserlichen Deutschland' und des
,Durchhaltens bis zum Siege'" gewirkt haben. Dem habe auch die
Überzeugung entsprochen, die „Niederlage würde zur Verelendung der
deutschen Arbeiterschaft führen und damit ihre zivilisatorische
Emanzipation - das erklärte Ziel der gewerkschaftlichen Tätigkeit -
hemmen, das auf diesem Weg Erreichte zunichte machen". Das Ausleuchten
von Zusammenhängen und Hintergründen der wirklichen Geschichte, dem kann
sich der Leser nur schwerlich entziehen, führt zu Einsichten in den Irrsinn
der Geschichtslegenden über den vermeintlichen ,yerrat" der SPD- und
Gewerkschaftsführer 1914. Die Leipart-Biographie lenkt die Aufmerksamkeit
u. a. auch auf das in der Zeit der Weimarer Republik in den Gewerkschaften
gewachsene Konzept der Wirtschaftsdemokratie und auf die damit
zusammenhängende Frage nach den Chancen einer Politik der Sozialisierung.
Die Idee der Wirtschaftsdemokratie prägte, so wird herausgearbeitet, zu
einem wesentlichen Teil Leiparts Politikverständnis in den zwanziger
Jahren. Sie sei aus der Ebene des Schlagworts zum Forschungsgegenstand
erhoben worden. Leipart habe die Wirtschaftsdemokratie bereits 1926 damit
begründet, daß die Wirtschaft keine private, sondern eine öffentliche
Angelegenheit sei. Jeder, der in der Wirtschaft wirke und arbeite, solle
seine Tätigkeit als einen Dienst am Volke betrachten. Der arbeitende Mensch
habe für die Wirtschaft noch eine größere Bedeutung als die
Produktionsmittel. Die Arbeiter sollten gleichberechtigte Wirtschaftsbürger
sein. Nach Leipart dürften es die Gewerkschaften nicht länger zulassen,
daß die Unternehmer die Wirtschaft als ihre Privatangelegenheit betrachten.
Die Idee der Wirtschaftsdemokratie sollte das Hineinwachsen in den
Sozialismus bzw. das Herauswachsen aus dem Kapitalismus begründen. Auf
Leiparts Initiative habe Fritz Naphtali die in den Gewerkschaften geführte
Diskussion zusammengefaßt und als Buch mit dem Titel Wirtschaftsdemokratie:
ihr Wesen, Weg und Ziel 1928 veröffentlicht. Mit der ausführlichen
Untersuchung und Darstellung dieser Problemsicht wird zugleich auf eine
gewiß aktuelle Aufgabe aufmerksam gemacht, ohne die zu lösen kein
demokratischer Sozialismus, keine grundlegende Beformierung der deutschen
und europäischen gesellschaftlichen Verhältnisse denkbar sein würde.
Demokratischer Sozialismus bzw. soziale Demokratie erfordern eine
Fortführung des einst von Leipart mit eingebrachten Konzepts der
Wirtschaftsdemokratie, wenngleich unter grundlegend veränderten
Voraussetzungen. Hier ist festzuhalten: An der Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung Interessierte kommen nicht umhin, sich diese hier
besprochene Arbeit für ein möglichst reales Geschichtsund
Gesellschaftsverständnis zu erschließen.
Das Historisch-Politische Buch 51 Jg, 200 Heft 4, S. 394ff., Rezensent
Ursula Hüllbüsch
(Auszug): Es scheint das Schicksal auch
prominenter deutscher Gewerkschaftsvertreter zu sein, daß – von wenigen
Ausnahmen abgesehen – ihre Tätigkeit und ihr Lebensweg weder durch
Autobiographien nachzuvollziehen sind noch durch andere Publikationen
vorgestellt werden. Zu den Gründen für dieses Defizit zählt Gerhard Beier
in seiner Biographie Willi Richters (1978) neben äußeren Faktoren wie
Termindruck, soziale Kontrolle der Funktionäre und Konformitätsanspruch
der Organisation persönliche Schwierigkeiten wie mangelnde Schulbildung und
Ungeübtheit im Verfertigen von Texten, die über Geschäftsberichte oder
tabellarische Lebensläufe hinausgehen. Der Mangel an aussagekräftigen
Quellen erschwert naturgemäß auch die Arbeit des Biographen. Geht man von
diesen Voraussetzungen aus, ist Leipart eine Ausnahme in seiner Generation.
Er besuchte die Mittelschule und konnte, so schrieb er in einer
autobiographischen Skizze, mit einer „leidlichen Schulbildung vom Schüler
zum Handwerker avancieren". Leipart machte eine Drechslerlehre, trat in
deren Fachverband und in die SPD ein und wurde in den Vorstand des neu
gegründeten Zentralverbands „Vereinigung der Drechsler Deutschlands"
gewählt. Er war Redakteur einer Gewerkschaftszeitung, ab 1908 erster
Vorsitzender des Deutschen Holzarbeiterverbands, 1919/20 Arbeitsminister in
Württemberg und nach dem Tod Carl Legiens 1921 Vorsitzender des Allgemeinen
Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB), ein Amt, das er bis zur Zerschlagung
der Organisation 1933 ausübte. – Die Quellenlage ist gut. Die in den Bänden
nachgewiesenen, z. T. abgedruckten zahlreichen Veröffentlichungen Leiparts
machen die Schwerpunkte seiner Tätigkeit deutlich, das ebenfalls in die
Publikation aufgenommene Bestandsverzeichnis seiner umfänglichen Bibliothek,
die mit dem FDGB-Archiv in die Stiftung Archiv der Parteien und
Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) überführt wurde, ermöglicht
den Einblick auch in seine privaten Interessen. Außerdem konnten die in der
SAPMO verwahrten Nachlässe Leiparts und anderer Funktionäre des ADGB sowie
Dokumente aus dem Archiv der sozialen Demokratie der
Friedrich-Ebert-Stiftung genutzt werden. Plener schildert die Aktivitäten
Leiparts in den ureigenen gewerkschaftlichen Bereichen: Stärkung der
Organisation, Agitation, Verbessserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, Förderung
gewerkschaftlicher Unterstützungseinrichtungen, Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit
der Verbände, Pflege internationaler Beziehungen. Darüber hinaus nahm
Leipart schon vor 1914 Kontakt zu Sozialreformern auf, trat für
Arbeitsgemeinschaften mit den Arbeitgebern, den Vorläufern der 1918 gegründeten
Zentralarbeitsgemeinschaft, ein und plädierte für eine Zusammenarbeit der
Richtungsgewerkschaften. – Auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler
reagierte er mit der Parole „Organisation – nicht Demonstration".
Aktiver Widerstand war damit ausgeschlossen. Die bis Ende April 1933
fortgesetzten Bemühungen um die Erhaltung der Organisation sind in der
Forschung kontrovers diskutiert, über den Einfluß der „Jungen"
Lothar Erdmann, Franz Josef Furtwängler und Walter Pahl ist viel spekuliert
worden. Ob man einen Leipart- oder einen Leuschnerkurs konstruiert oder konstatiert,
die Entscheidung sei vom ADGB-Vorstand einvernehmlich getroffen worden, die
Aussage Leiparts von 1945, Hitler sei „auf durchaus legalem Wege"
Reichskanzler geworden, entspricht bei aller gebotenen Skepsis gegenüber Äußerungen
post detrimentum seiner Denkstruktur. Leipart wurde an 2. Mai 1933
verhaftet, blieb sechs Wochen inhaftiert, seine Rente wurde gestrichen. In
der „Illegalen Reichsleitung der Freien Gewerkschaften", die 1933/34
aufgebaut wurde, hat Leipart offenbar keine Rolle gespielt. Ein Antifaschist
war Leipart sicherlich, und insofern ist das Erscheinen der Bände in der
Reihe „Biographien europäischer Antifaschisten" gerechtfertigt, wenn
man die Biographierten nicht automatisch mit Widerstandskämpfern
gleichsetzt. Leipart trat 1946 in die SED ein, weil sie, so schrieb er, für
ihn „wieder die Einheitspartei" war, „die sie bis 1914 gewesen, als
es noch keine Spaltung gab. Der Name ist nicht so wichtig, als das Programm,
und dieses bekennt sich ohne Vorbehalt neben den sozialistischen auch zu den
demokratischen Grundsätzen". Plener hat viel Material
zusammengetragen. Ihre Veröffentlichung hätte allerdings gewonnen, wenn
sie den ersten Band nicht durch lange Zitate aus den im zweiten Band
abgedruckten Dokumenten aufgebläht, als Beleg für die Ansichten Leiparts
nicht ungezeichnete Artikel herangezogen, die Klammerzusätze und
Ausrufezeichen innerhalb der Zitate vermieden, ihre Vermutungen über die
Motive Leiparts unterdrückt und auf den mit demonstrativer Konsequenz
benutzten Terminus Lohnarbeiter verzichtet hätte, den Leipart, soweit ich
sehe, in den vorgelegten Dokumenten nur einmal benutzte und der insofern
nicht angemessen ist. Ob es das Zeichen unschuldiger Ignoranz ist oder das
unkontrollierte Relikt eines gewissen Jargons, die siebziger Jahre des 19.
Jahrhunderts als noch weitgehend vom frühkapitalistischen Pauperismus
bestimmt zu sehen (I,
S. 22 und 30), sei dahingestellt.
Pleners Behauptungen, Schleicher habe Notverordnungen erlassen und Hitler
sei am 28. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden, (I, S. 198 und
246), gehen indessen über das Maß tolerabler Fehler hinaus. Die Dokumente
werden im allgemeinen ohne Erläuterungen abgedruckt, in einigen Fällen
sind Fußnoten aus veröffentlichten Texten (Quellen zur Geschichte der
deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert) übernommen worden. Dies
ist vertretbar, wenn die Dokumente in sich verständlich sind. Aber kann man
davon ausgehen, daß der Leser weiß, was das Bochumer Urteil gegen den
Bergarbeiterverband (II,
S. 145), § 153 der
Gewerkschaftsordnung (II,
S. 230) oder der Oeynhausener
Schiedsspruch (II,
S. 393) waren? Was war gemeint mit der
„Haltung gegenüber einer Persönlichkeit wie dem Staatssekretär Grieser"
(II,
S. 446)? Andreas Grieser, so läßt
sich leicht ermitteln, war am 31. Januar 1933 von Reichsarbeitsminister
Franz Seldte zum sofortigen Rücktritt von seinem Amt als Staatssekretär
aufgefordert worden und wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Daß
Plener, wie im zweiten Band angegeben, die Dokumente „bearbeitet"
habe, ist angesichts solcher Defizite nicht zutreffend. Die Bände enthalten
weder ein Literatur- noch ein Abkürzungsverzeichnis. Es ist also mühsam,
eine abgekürzte Literaturangabe in ihrer Vollständigkeit zu ermitteln, und
HZ steht üblicherweise für Historische Zeitschrift und DHV für den
Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Nur wer den Text von der ersten
Zeile Wort für Wort gelesen hat, weiß, daß die Holzarbeiterzeitung und
der Deutsche Holzarbeiterverband gemeint sind. In den nicht von Plener
erstellten Namensregistern geht es recht willkürlich zu; mal wird dem Namen
eine Funktion hinzugefügt, meist aber nicht. Auch auf das Ermitteln von
Vornamen, wenn diese nicht im Text genannt waren, wurde selbst dann
verzichtet, wenn sie unter geringem Zeitaufwand hätten ermittelt werden können,
wie z. B. für Reichsminister.