Matthias John (Hg.)

 

Das Tagebuch des Buchdruckerlehrlings Friedrich Anton Püschmann während der Revolution von 1848/49

und der Restaurationsepoche von 1850 bis 1856

 

 

 

2015, 3 Bände, zus. 1208 S., zahlr. Abbildungen

 

 

REZENSIONEN

 

Rezension von Prof. Walter Schmidt, Berlin, März 2016

Das Tagebuch des Buchdruckerlehrlings Friedrich Anton Püschmann während der Revolution von 1848/49 und der Restaurationsepoche von 1850 bis 1856, hg. von Matthias John, Bd. I-III, trafo Verlagsgruppe Dr. Wolfgang Weist Berlin 2015, 1119 S.

Der Herausgeber dieser dreibändigen Geschichtsquelle ist durch die Veröffentlichung von zahlreichen Dokumentationen und Biografien zur Geschichte der Arbeiterbewegung in regionalen Bereichen bereits weithin bekannt. Nicht selten wurden diese in den nach wie vor - wenn leider auch mit großem Verzug - erscheinenden „Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“, der BzG, publiziert. Mit diesem Tagebuch eines sächsischen Buchdruckergesellen von 1848 bis 1856 hat er einen einzigartiger Fund gemacht und an die Öffentlichkeit gebracht. Die historische Forschung hatte sich, als Arbeitergeschichte noch gefragt war, zu Recht auf die Emanzipationsbestrebungen der sich sozialistisch oder kommunistisch orientierenden frühproletarischen Elemente im Vormärz und auf die Arbeitervereine und die Arbeiterverbrüderung in der Revolution von 1848/49 konzentriert und deren Quellen erschlossen. Dieses Tagebuch hingegen schrieb ein frühproletarischer Handwerksgeselle, der von sozialistischen und kommunistischen Ideen noch ganz unbeeinflusst war, durch die Revolution aber dann doch - zumindest zeitweilig - stark politisiert wurde und eine demokratische Haltung gewann.

Zweierlei charakterisiert das Tagebuch. Einmal dokumentiert es minutiös den Alltag eines nach fünfjähriger Lehrzeit kurz vor seiner „Freisprechung“ stehenden Buchdruckerlehrlings. Nach der Erklärung zum Gesellen begibt er sich auf die Wanderschaft, auf der es ihm nur selten gelang, wenigstens zeitweilig in „Condition“ zu kommen, eine Arbeitsmöglichkeit zu erhalten. Zum anderen aber zeigen die Aufzeichnungen - und dies interessiert hier vor allem -, welchen Einfluss das historische Großereignis Revolution auf seine geistige Entwicklung ausübte. Erst in der Revolution wendet sich der aus einer Lehrerfamilie stammende, geistig ausgesprochen rege und über seine starken religiös-kirchlichen Bindungen, denen er treu bleibt, hinaus nach Bildung strebende Buchdruckergehilfe der Politik zu.  Dem Tagebuch vertraut er seinen schrittweisen Haltungswandel an, ohne dass er - ungeachtet manchen sporadischen Besuchs von liberalen bzw. Arbeiter-Vereinen in Grimma und Hamburg - allerdings daraus praktisch-politische Konsequenzen zieht und in einem der zahlreichen Arbeitervereine, die ihm in dieser Zeit begegnen, aktiv wird.

Sein erstes großes Erlebnis war die Aufhebung der Zensur, die er als Buchdrucker mit seinen Kollegen zu feiern weiß. Auch schaltet er sich anfangs recht maßvoll in die von den Buchdruckern in Leipzig betriebenen Bemühungen um Organisation und eine Verbesserung ihrer sozialen Lage ein, die im Grunde aber nichts bringen. Zuerst zeigt sich sein politisches Interesse daran, dass er über die revolutionären Vorgänge, die Februarrevolution in Paris und  die März-Erhebungen in Wien und Berlin, vor allem die Ereignisse in Leipzig und Dresden,  nach Zeitungsberichten nur schlicht berichtet. Dann aber beginnt er sich mit dem Inhalt von Diskussionen in den politischen Vereinen wie in der Presse auseinanderzusetzen und neigt zunächst liberalen Positionen zu, verknüpft mit einem naiven Monarchismus, der sich am von ihm hochgeschätzten sächsischen König festmacht. Eine konstitutionelle Monarchie scheint ihm hinreichend. Mit der Republik kann er sich nicht anfreunden. Die Eröffnung des Nationalparlaments in Frankfurt feiert er hingegen mit anderen geradezu überschwänglich und besucht im August eine seiner Sitzungen, als gerade über die Trennung von Staat und Kirche debattiert wird.

Der Vormarsch der Konterrevolution seit Herbst 1848 lässt ihn schließlich über die daraus erwachsenen Gefahren für die Märzerrungenschaften nachdenken und führt ihn zu demokratischen Positionen. Für die Ermordung des von ihm hochverehrten Robert Blum, den er einen „Märtyrer der Freiheit“ nennt und dessen Schicksal er mit Andreas Hoffer vergleicht, klagt er den „Bluthund Windischgrätz“ und dessen „Schreckensherrschaft“ in Wien an. (S. 315f.) Den November-Staatstreich Friedrich Wilhelms IV. im preußischen Berlin, das ihm, dem Sachsen, nicht gerade sympathisch ist, verurteilt er gleichwohl als Wiederkehr des alten Absolutismus und bedauert, dass das Volk die preußische Vereinbarerversammlung im Stich ließ. (S. 318) Stand er schon für die Kämpfe der Freischärler in Schleswig-Holstein, so bekennt er sich in der Reichsverfassungskampagne im Frühjahr 1849 offen für die Aufständischen. Den Dresdner Aufstand sieht er nur durch das Eingreifen Preußens gescheitert. Er leidet mit den in Rastatt Hingemordeten und mit den nur infolge russischer Invasion geschlagenen und gleichermaßen dem Standrecht ausgelieferten Ungarn. Hier würde der Schlussstein gelegt „zur Begräbnisfeier der Märzerrungenschaften von 1848“. (S. 361) Die alten Mächte hätten mit ihrem Sieg über die Revolution zur „erneutes Knechtung des Volkes“ geführt. Das Volk sei um Freiheit und Einheit betrogen worden. „Und der deutsche Michel zieht seine schweißtriefende Schlafmütze wieder über den Kopf, denn er will nicht sehen.“ (S.361) „Unwiderruflich fest aber steht das Wort: Ohne Einheit keine Freiheit, ohne Freiheit keine Einheit. Doch wer weiß, ob Gott es nicht gut zu machen beabsichtigt durch das, wo Menschen es böse gemeint!“. (S, 380)

Mit der Niederlage der Revolution endet auch die erstaunlich klare geistig-politische Entwicklung des Mannes zu einem politisch bewussten, allerdings nicht praktisch aktiven Demokraten. Letztmalig befasst er sich politisch mit dem 18. Brumaire des Louis Napoleon in Frankreich. In seinen Hoffnungen enttäuscht, tritt Politisches in den Aufzeichnungen ganz zurück und es begannen Glaubensfragen, religiös kirchlichen Dinge, die 1848/49 kaum aufschienen, wieder zu dominieren. Ein Beleg dafür, welche tiefgreifend negative Wirkung vom Scheitern der Revolution ausging. Der Buchdruckergeselle verließ Mitte der fünfziger Jahre seine Profession, die ihm kaum noch Verdienstmöglichkeiten bot. Gemäß der Familientradition und gestützt auf die (protestantische) Kirche, die überall in Deutschland entscheidenden Einfluss auf das Schulwesen besaß (worüber die letzten Aufzeichnungen einen Einblick bieten), unterzog er sich einer Ausbildung zum Schullehrer, auf die er in seiner Jugend aus finanziellen Gründen hatte verzichten müssen. Nach weiteren Qualifizierungen wurde er in seiner Heimat zu einem anerkannten und erfolgreichen Lehrerbildner.

Die Publikation ist durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Register der Autoren und Personen wie der geographischen Namen wissenschaftlich sorgfältig aufgearbeitet. Schade, dass dabei hier und da Forschungen von DDR-Historikern übersehen wurden. Alles in allem ein interessanter gewichtiger Farbtupfer zum achtundvierziger Revolutionsgeschichtsbild.

Walter Schmidt