• Kommentar zu dem im Trafo-Verlag 2013 erschienenen Buch von Helga und Herbert Hörz “Ist Egoismus unmoralisch?  Grundzüge einer neomodernen Ethik” von Dr. H.-P. Jährig  
    Nachlesbar auf der Webseite der Leibniz-Sozietät  der Wissenschaften zu Berlin

    "Zwei ausgewiesene Wissenschaftler widmen sich der als Buchtitel formulierten Frage: „Ist Egoismus unmoralisch?“ , untertitelt mit „Grundzüge einer modernen Ethik“ .Ihr Anliegen ist zu zeigen, was die Grundzüge einer zeitgemäßen Ethik sind, und wie deren prakti­sche Umsetzung erfolgen kann. Angesichts der Orientierungslosigkeit der heutigen Welt ist eine wissenschaftliche Bearbeitung dieser Problematik mehr als dringend. Mit wachsender Dominanz der Finanzmärkte über die Volkswirtschaften, d.h. mit zunehmender Globalisierung und dem damit einhergehenden Kulturverfall, indem die großen Unterhaltungskonzerne und Werbeagenturen die verschiedenen Kulturen der Welt zunehmend homogenisieren und abwerten, tritt die Notwendigkeit der Wiederbelebung humanistischer Werte immer deutlicher zutage. Sogar einer der Reichsten dieser Welt, der Investmentbanker G. Soros, kommentierte das Verhalten des Westens nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit den Worten: „Es reicht nicht, Krieg gegen den Terrorismus zu führen; die Menschen brauchen eine klare Vision einer besseren Zukunft.“ Aber ebenso wie die USA zeigt sich auch die EU bis heute außerstande, eine solche Vision auch nur ansatzweise zu ent­wickeln. Doch sie existiert seit Marx. Diese Vision ist nicht zu verwechseln mit dem, was unter den Zwängen einer Welt- und Interventionskriegssituation entstand und unter sowjetischer Hegemonie als Karikatur einer sozialistischen Gesellschaft praktiziert wurde.

    Die Autoren des Buches referieren Gründe der unzureichenden Methodik bei der Umsetzung die­ser Vision und Möglichkeiten zur Überwindung dieses Dilemmas im Bereich der Ethik. Dabei geht es ihnen um die For­mulierung von Grundsätzen einer modernen Ethik und dem Aufspüren realisierbarer Ansätze für die Gestaltung einer humanen Zukunft, d.h. einer Gesellschaftsform, in der Menschenwürde und -recht weitestgehend respektiert werden.

    Zunächst aber wird die im Buchtitel gestellte Frage „Ist Egoismus unmoralisch?“  aufgegriffen. Dazu führen die Autoren aus, daß Egoismus – zu deutsch „Eigennutz“ – eine Maxime des Überle­bens ist. Jedes Naturwesen nützt sich selbst, wenn es überlebt, seine Nahrungsquellen sichert und Nachkommen hat. Ihr Schutz zwingt zum Kampf gegen Feinde. Egoismus ist also nicht schlechthin unmoralisch; er ist zunächst naturbedingt. Vernunft jedoch kann ihn zähmen und in sozial verträgliche Bahnen lenken. Für den Fortbestand des Menschen als sozialem Wesen, das seine Lebensbedingungen bewußt gestaltet, ist entscheidend, eine gesunde Balance zwischen Egoismus auf der einen und Altruismus, d.h. Uneigennützigkeit auf der anderen Seite zu entwickeln. Egoismus ist auf Durchsetzung der eigenen Interessen gerichtet,ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gesamtinteressen. Dagegen ist Altruismus dem Gemeinwohl der Sozietät verbunden, etwa nach dem Motto: Ich unterstütze Andere, weil ich damit auch mir helfe! Dazu gehört letztendlich auch der Erhalt unserer natürlichen Lebensbedingungen. Solche Solidargemeinschaften setzen auf Kooperation statt auf Konfrontation, und treten für friedliche Konfliktlösungen ein.

    Zum zweiten Teil der Titelfrage: Was ist „moralisch“ bzw. „Moral“? Hierzu wird erklärt, daß Moral die Beziehungen der Menschen zueinander umfaßt. Jede sozio-kulturelle Einheit (ein Volk etwa oder eine Volks- oder Glaubensgruppe) hat ihre spezifischen sozialen Werte. Als moralisch und gut, als sittlich, wird angesehen, was dieser Einheit zum Überleben bzw. zum besseren Leben verhilft (z.B. Verteidigung gegen Angreifer, Sorge für den Nachwuchs, Organisation der Gemeinschaft, Sicherung des Lebensunterhalts). Daraus ergeben sich Normen für menschliches Verhalten, die als Wertmaßstab und Handlungsorientierung dienen. Dabei ist also nicht zu vergessen, daß diese Wertmaßstäbe bzw. das, was als „moralisch“ akzeptiert wird, oftmals nur für die jeweilige sozio-kulturelle Einheit und nicht unbedingt auch für alle Übrigen gilt (etwa für Muslime oder Christen). Betont wird allerdings, daß es allgemeingültige Grenzen der Moral gibt, die verletzt sind, wenn Menschen ohne ausreichende Lebensgrundlage dahinvegetieren müssen, ihren Bildungsanspruch nicht verwirklichen können, eine sinnvolle Tätigkeit ihnen vorenthalten wird oder gar Krieg und Gewalt herrschen. Als unmoralisch gilt auch jede Form von Ausbeutung und Diffamierung.

    Der Mensch dürfe auch nicht lediglich als „Humankapital“ betrachtet werden, das von den Besitzern der Produktionsmittel profitbringend zu verwerten ist. Diese unmenschliche Praxis sei von einer auf Humankriterien gegründeten Ethik abzulösen. 

    Erläuterung und Begründung von Humankriterien erfolgen an zentraler Stelle des Buches. Der Freiheitsgewinn in sozialen Systemen wäre an ihnen zu messen. Als Zielsetzung sollen sie gesell­schaftliches Handeln
    orientieren. Zu den Kriterien wird ausgeführt: Eine kulturell sowie individuell sinnvolle Tätigkeit ist für jeden wichtig; eine dementsprechende Arbeit nicht zu ermöglichen widerspricht der Forderung nach Freiheit.
    Als sozial organisiertes Wesen braucht jeder Mensch persönlichkeitsfördernde Kommunikation. Eine kommunikationsarme Arbeitsumwelt kann Depressionen erzeugen. Computer sind kein Ersatz für mitmenschliche
    Kommunikation.

    Eine individuell spürbare Erhöhung des Lebensniveaus für jeden Angehörigen des sozialen Systems. Bei der Gestaltung von Bedürfnissen ist auf sinnvolle Bedürfnisse zu orientieren. Zu ihrer Befriedigung sollten keine Menschen ausgegrenzt werden, um dann allein auf die Solidarität Anderer angewiesen zu sein.  Zu fördern ist die Entwicklung der Individualität, wobei Bildung, Arbeit, Obdach, Nahrung sowie Erholung zu garantieren sind. Dabei darf nicht Egozentrik überwiegen, sondern Eigennutz muß mit Gemeinnutz in wechselseitiger Ausgewogenheit stehen.  Integration von Behinderten, sozial Schwachen und Ausgegrenzten; Diskriminierung verletzt die menschliche Würde nicht nur der Betroffenen, sondern aller, die das dulden. Ver­langt wird die Aufdeckung der Ursachen für die Entstehung einer Schicht sozial Bedürftiger. Diesen Menschen muß anstelle von Almosen echte Solidarität zuteil werden.

    Hierzu noch zwei Anmerkungen: „Sinnvolle Bedürfnisbefriedigung“ setzt voraus, zu diesem Kontext zu klären, was als „sinnvoll“ gelten kann. Auch dabei kann die große kulturelle Tradition Europas – in dem Falle die griechische Philosophie – genutzt werden: Der Grieche Epikur erkannte, daß ein glückliches, genußvolles Leben die „Genügsamkeit“ (Mäßigung) zur Voraussetzung hat, auch um körperliche Beschwerden möglichst fern zu halten.

    Klargestellt werden sollte zudem, daß zu „Bedürfnissen“ nicht nur die materi­ellen, son­dern endlich auch einmal die ideellen zu zählen sind.

    Bezüglich sozial Schwacher geht es nicht nur um die Aufdeckung der Ursachen für die Entstehung einer Misere, sondern sodann auch um die Beseitigung dieser Ursachen.  Die genannten Humankriterien werden ergänzt durch „Humangebote“, um daraus dann „Gebote für eine universalistische Ethik“ abzuleiten. Hier trifft sich das Werk von Hörz/Hörz mit den Intentionen der 1993 vom Parlament der Weltreligionen in Chicago
    verabschiedeten „Erklärung zum Weltethos“, die auf einem an der Universität Tübingen unter maßgeblicher Mitwirkung des Theologen H. Küng erstellten Text basiert. Dort wird erklärt, daß jeder die Chance erhalten soll, sein Potential an individuellen Fähigkeiten auszuschöpfen, und die Herrschaft der Sucht nach Macht und ausgefallenem Konsum überwunden werden muß. Kein Mensch, keine Rasse, kein Staat und keine Religion hat das Recht, andersartige oder andersgläubige Menschen zu diskriminieren. Eine humanistische Haltung, die auch das hier besprochene Ethik-Buch von Hörz prägt.

    Dieses Buch stellt die Grundelemente und Wirkungsbereiche sowie die derzeitige Problematik der Umsetzung von Ethik dar, jener Wissenschaft, die das moralische Bewußtsein und Verhalten der Menschen zum Gegenstand hat. Das geschieht ungewöhnlich umfassend, so daß den Lesern bezüg­lich des Inhalts nur noch wenige Wünsche offenbleiben werden. In meinem Falle beträfe es das Aufzeigen eines notwendigen Zusammenwirkens von Ethik und Ästhetik. 

    Insbesondere die klassische Literatur (z. B. Goethes „Wilhelm Meister“) zeigt, daß eine Erziehung, die auch ästhetischen Parametern gerecht wird, die spätere Orientierung der Persönlichkeit an ethischen Prinzipien deutlich begünstigt. Zudem zielt das hier vertretene humanistische Ideal stets auf die Vereinigung von praktischer Tätigkeit mit geistigem Schöpfertum.

    Mit diesem auf die Ganzheit des Menschen orientierten Anspruch sollten humanistische Vordenker – gleich, ob Theologe, Philosoph oder andere Humanisten – in der Lage sein, gemeinsam für unseren Kulturbereich verbindliche Werte und geltende Maßstäbe, eben eine zeitgemäße Ethik mit  w i r k s a m e r  Ausstrahlung zu schaffen. Die hier betrachtete Arbeit von Helga und Herbert Hörz dürfte ein wesentlicher Beitrag dazu sein.