2013, 455 S., ISBN 978-3-86464-038-4, 39,80 EUR
Besprechung von Gerhard Oberkofler in den Mitteilungen der Alfred Klahr
Gesellschaft, Wien, 20 Jg. / Nr. 3, September 2013, S. 26, zur
Verfügung gestellt von von Gerhard Oberkofler, dem wir hiermit danken.
Helga E. Hörz, Ethikerin und Frauenrechtlerin, und Herbert Hörz,
Wissenschaftsphilosoph und -historiker, beide Berlin, bekennen sich zu
ihrem Engagement für den gescheiterten Versuch,auf dem Fundament des
materialistischen Humanismus mit der DDR eine Alternative zur sich in
der BRD neu formierenden Ausbeutergesellschaft aufzubauen. Ein
wesentlicher Anspruch der marxistisch-leninistischen Partei der DDR war
die Orientierung hin auf die solidarische Gemeinschaft der Menschen.
Dadurch sollte die Profitgier als Triebkraft der Entwicklung abgelöst
und das individuelle Dasein, dessen Möglichkeit der Selbstbestimmung im
Spätkapitalismus ohnehin nur weit gehend Fiktion ist, bereichert werden.
Die Ethik des Sozialismus ist mit jener des Kapitalismus mit seinem
Egoismusprinzip „Jeder ist sich selbst der Nächste“ nicht zu
vereinbaren, es gibt nichts dazwischen. Dass es zur Implosion der DDR
kam, hat viele Gründe, einer der wichtigsten ist sicher der, dass es
viel zu Wenige waren, die loyal am Aufbau des Sozialismus mitgearbeitet
haben. Mit der Geschichte der DDR, die weit davon entfernt war, ein
kommunistischer Staat zu sein, waren viele Irrwege verknüpft. Inder
Kriegswelt der Gegenwart kann allerdings nicht wirklich übersehen
werden,dass die DDR mit ihren Bürgern unter vielen Opfern für die
Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens in Europa und der Welt
eingetreten ist und sich an keinen Aggressionskriegen beteiligt hat. Das
im Gegensatz zur heutigen BRD, die durch ihre imperialistischen Kräfte
in einer globalisierten Welt der Armut tagtäglich mitleidlos Gewalt
praktiziert,nach innen wie nach außen. Helga E. Hörz hat Erinnerungen
2009 mit dem Titel „Zwischen Uni und UNO. Erfahrungen einer Ethikerin“
und 2010 mit dem Titel „Der lange Weg zur Gleichberechtigung. Die DDR und
ihre Frauen“veröffentlicht, Herbert Hörz 2005 solche mit dem Titel
„Lebenswenden. Vom Werden und Wirken eines Philosophen vor, in und nach
der DDR“. Diese Erinnerungen wurden wie jetzt ihr erstes gemeinsames
Buch im Trafo Verlag publiziert und reflektieren die konkrete Dialektik
der individuellen und gesellschaftlichen Existenz zweier Marxisten in
der DDR. Dass diese Bücher, die manche Österreich-Bezüge haben,
überhaupt erscheinen konnten, ist nicht selbstverständlich, weil in der
BRD die Verfälschung der Geschichte der DDR zum gut bezahlten
Tagesgeschäft von Historiker- und Journalistenlakaien gehört. Helga und
Herbert Hörz verdeutlichen,wie mit dem Instrument des dialektischen und
historischen Materialismus über Moderne und Postmoderne mit „begründeter
Hoffnung“ hinaus gedacht werden kann. Ihr Fundament beruht „auf Analysen
der Situation, auf der Auswertung von Erfahrungen und auf dem Glauben an
die Kraft derer, die in der Lage sind und sein werden, antihumane
Zustände zu beseitigen und eine humanere Gesellschaft nach
Humankriterien zu gestalten“. Die Autorenfinden beim „Projekt Weltethos“
des römisch-katholischen Theologen Hans Küng Gedanken, „den wir [die
Autoren] mit der Beziehung von der Menschheit als sittlichem Subjekt mit
einer Gesamtverantwortung und dem verantwortungsvollen Verhalten von
soziokulturellen Identitäten, sozialen Gruppen und Individuen, ohne
Bindung an die Religion,doch unter Einbeziehung aller religiös
gebundenen Menschen, ausdrücken“.Tiefer als Küng, der seine Art zu
denken erkennbar in der BRD erworben hat und der Ethik mehr oder weniger
eine pseudo-utopische Bedeutung gibt, gehen Befreiungstheologen wie der
in El Salvador von US-Söldnern ermordete Ignacio Ellacuría: „Die auf
einen materialistischen Humanismus gegründete, von christlicher
Erleuchtung und Inspiration transformierte […] Zivilisation der Armut
verwirft die Kapitalanhäufung als Motor der Geschichte und das Besitzen
und Genießen von Reichtum als Humanisierungsprinzip. Sie macht die
allgemeine Befriedigung der Grundbedürfnisse zum Entwicklungsprinzip und
das Wachsen gemeinsamer Solidarität zur Grundlage der Humanisierung.“
/1/ Es scheint, als ob dieses mit konkretem Handeln verbundene Denken in
der katholischen Kirche nicht völlig vergessen ist, jedenfalls
registrieren Helga und Herbert Hörz Appelle von Papst Franciscus I.,
Solidarität zu üben und einen Prozess zu fördern, der die ganzheitliche
Humanisierung und die Kultur der Begegnung und der Beziehung wachsen
lässt,/2/ als Fortschritt zur traditionellen Haltung der katholischen
Kirche. Beide sind ohne Bitterkeit und, wie sie selbst
meinen,„realistische Optimisten“ für die „Möglichkeiten einer humanen
Gestaltung der Zukunft“. Das Buch kann als ein markanter Beitrag für die
notwendige zweite Aufklärung eingeschätzt werden. Über das Schicksal der
ersten Aufklärung hat Heinrich Heine die Bemerkung gemacht:„Die Männer
des Gedankens, die im achtzehnten Jahrhundert die Revolution so
unermüdlich vorbereitet, sie würden erröthen, wenn sie sähen, wie […]
eine neue Aristokratie hervorwuchert, die [...] im Geldbesitz, ihre
letzten Gründe findet.“/3/ Inwieweit die Orientierung auf eine zweite
Aufklärung bei der Medienmanipulation des Großteils der Menschen und
Völker durch das internationale Kapital überhaupt Wurzeln finden kann,
muss dahin gestellt bleiben, aber es gibt keine Alternative dazu.
FN: /1/ Jon Sobrino: Der Preis der Gerechtigkeit. Briefe an einen ermordeten Freund. Würzburg 2007, 34. /2/ Zuletzt: L’Osservatore Romano, 9.8.2013. /3/ Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Bd. 12/I. Hamburg 1980, 484f.
Gerhard Oberkofler
(Wir danken Gerhard Oberkofler und der Alfred Klahr Gesellschaft für die
Abdruckgenehmigung)
Kommentar zu dem im Trafo-Verlag 2013 erschienenen Buch von Helga und Herbert Hörz “Ist Egoismus unmoralisch? Grundzüge einer neomodernen Ethik” von Dr. H.-P. Jährig
Nachlesbar auf der Webseite der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin
"Zwei ausgewiesene Wissenschaftler widmen sich der als Buchtitel formulierten Frage: „Ist Egoismus unmoralisch?“ , untertitelt mit „Grundzüge einer modernen Ethik“ .Ihr Anliegen ist zu zeigen, was die Grundzüge einer zeitgemäßen Ethik sind, und wie deren praktische Umsetzung erfolgen kann. Angesichts der Orientierungslosigkeit der heutigen Welt ist eine wissenschaftliche Bearbeitung dieser Problematik mehr als dringend. Mit wachsender Dominanz der Finanzmärkte über die Volkswirtschaften, d.h. mit zunehmender Globalisierung und dem damit einhergehenden Kulturverfall, indem die großen Unterhaltungskonzerne und Werbeagenturen die verschiedenen Kulturen der Welt zunehmend homogenisieren und abwerten, tritt die Notwendigkeit der Wiederbelebung humanistischer Werte immer deutlicher zutage. Sogar einer der Reichsten dieser Welt, der Investmentbanker G. Soros, kommentierte das Verhalten des Westens nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit den Worten: „Es reicht nicht, Krieg gegen den Terrorismus zu führen; die Menschen brauchen eine klare Vision einer besseren Zukunft.“ Aber ebenso wie die USA zeigt sich auch die EU bis heute außerstande, eine solche Vision auch nur ansatzweise zu entwickeln. Doch sie existiert seit Marx. Diese Vision ist nicht zu verwechseln mit dem, was unter den Zwängen einer Welt- und Interventionskriegssituation entstand und unter sowjetischer Hegemonie als Karikatur einer sozialistischen Gesellschaft praktiziert wurde.
Die Autoren des Buches referieren Gründe der unzureichenden Methodik bei der Umsetzung dieser Vision und Möglichkeiten zur Überwindung dieses Dilemmas im Bereich der Ethik. Dabei geht es ihnen um die Formulierung von Grundsätzen einer modernen Ethik und dem Aufspüren realisierbarer Ansätze für die Gestaltung einer humanen Zukunft, d.h. einer Gesellschaftsform, in der Menschenwürde und -recht weitestgehend respektiert werden.
Zunächst aber wird die im Buchtitel gestellte Frage „Ist Egoismus unmoralisch?“ aufgegriffen. Dazu führen die Autoren aus, daß Egoismus – zu deutsch „Eigennutz“ – eine Maxime des Überlebens ist. Jedes Naturwesen nützt sich selbst, wenn es überlebt, seine Nahrungsquellen sichert und Nachkommen hat. Ihr Schutz zwingt zum Kampf gegen Feinde. Egoismus ist also nicht schlechthin unmoralisch; er ist zunächst naturbedingt. Vernunft jedoch kann ihn zähmen und in sozial verträgliche Bahnen lenken. Für den Fortbestand des Menschen als sozialem Wesen, das seine Lebensbedingungen bewußt gestaltet, ist entscheidend, eine gesunde Balance zwischen Egoismus auf der einen und Altruismus, d.h. Uneigennützigkeit auf der anderen Seite zu entwickeln. Egoismus ist auf Durchsetzung der eigenen Interessen gerichtet,ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gesamtinteressen. Dagegen ist Altruismus dem Gemeinwohl der Sozietät verbunden, etwa nach dem Motto: Ich unterstütze Andere, weil ich damit auch mir helfe! Dazu gehört letztendlich auch der Erhalt unserer natürlichen Lebensbedingungen. Solche Solidargemeinschaften setzen auf Kooperation statt auf Konfrontation, und treten für friedliche Konfliktlösungen ein.
Zum zweiten Teil der Titelfrage: Was ist „moralisch“ bzw. „Moral“? Hierzu wird erklärt, daß Moral die Beziehungen der Menschen zueinander umfaßt. Jede sozio-kulturelle Einheit (ein Volk etwa oder eine Volks- oder Glaubensgruppe) hat ihre spezifischen sozialen Werte. Als moralisch und gut, als sittlich, wird angesehen, was dieser Einheit zum Überleben bzw. zum besseren Leben verhilft (z.B. Verteidigung gegen Angreifer, Sorge für den Nachwuchs, Organisation der Gemeinschaft, Sicherung des Lebensunterhalts). Daraus ergeben sich Normen für menschliches Verhalten, die als Wertmaßstab und Handlungsorientierung dienen. Dabei ist also nicht zu vergessen, daß diese Wertmaßstäbe bzw. das, was als „moralisch“ akzeptiert wird, oftmals nur für die jeweilige sozio-kulturelle Einheit und nicht unbedingt auch für alle Übrigen gilt (etwa für Muslime oder Christen). Betont wird allerdings, daß es allgemeingültige Grenzen der Moral gibt, die verletzt sind, wenn Menschen ohne ausreichende Lebensgrundlage dahinvegetieren müssen, ihren Bildungsanspruch nicht verwirklichen können, eine sinnvolle Tätigkeit ihnen vorenthalten wird oder gar Krieg und Gewalt herrschen. Als unmoralisch gilt auch jede Form von Ausbeutung und Diffamierung.
Der Mensch dürfe auch nicht lediglich als „Humankapital“ betrachtet werden, das von den Besitzern der Produktionsmittel profitbringend zu verwerten ist. Diese unmenschliche Praxis sei von einer auf Humankriterien gegründeten Ethik abzulösen.
Erläuterung und Begründung von Humankriterien erfolgen an zentraler Stelle des Buches. Der Freiheitsgewinn in sozialen Systemen wäre an ihnen zu messen. Als Zielsetzung sollen sie gesellschaftliches Handeln
orientieren. Zu den Kriterien wird ausgeführt: Eine kulturell sowie individuell sinnvolle Tätigkeit ist für jeden wichtig; eine dementsprechende Arbeit nicht zu ermöglichen widerspricht der Forderung nach Freiheit.
Als sozial organisiertes Wesen braucht jeder Mensch persönlichkeitsfördernde Kommunikation. Eine kommunikationsarme Arbeitsumwelt kann Depressionen erzeugen. Computer sind kein Ersatz für mitmenschliche
Kommunikation.
Eine individuell spürbare Erhöhung des Lebensniveaus für jeden Angehörigen des sozialen Systems. Bei der Gestaltung von Bedürfnissen ist auf sinnvolle Bedürfnisse zu orientieren. Zu ihrer Befriedigung sollten keine Menschen ausgegrenzt werden, um dann allein auf die Solidarität Anderer angewiesen zu sein. Zu fördern ist die Entwicklung der Individualität, wobei Bildung, Arbeit, Obdach, Nahrung sowie Erholung zu garantieren sind. Dabei darf nicht Egozentrik überwiegen, sondern Eigennutz muß mit Gemeinnutz in wechselseitiger Ausgewogenheit stehen. Integration von Behinderten, sozial Schwachen und Ausgegrenzten; Diskriminierung verletzt die menschliche Würde nicht nur der Betroffenen, sondern aller, die das dulden. Verlangt wird die Aufdeckung der Ursachen für die Entstehung einer Schicht sozial Bedürftiger. Diesen Menschen muß anstelle von Almosen echte Solidarität zuteil werden.
Hierzu noch zwei Anmerkungen: „Sinnvolle Bedürfnisbefriedigung“ setzt voraus, zu diesem Kontext zu klären, was als „sinnvoll“ gelten kann. Auch dabei kann die große kulturelle Tradition Europas – in dem Falle die griechische Philosophie – genutzt werden: Der Grieche Epikur erkannte, daß ein glückliches, genußvolles Leben die „Genügsamkeit“ (Mäßigung) zur Voraussetzung hat, auch um körperliche Beschwerden möglichst fern zu halten.
Klargestellt werden sollte zudem, daß zu „Bedürfnissen“ nicht nur die materiellen, sondern endlich auch einmal die ideellen zu zählen sind.
Bezüglich sozial Schwacher geht es nicht nur um die Aufdeckung der Ursachen für die Entstehung einer Misere, sondern sodann auch um die Beseitigung dieser Ursachen. Die genannten Humankriterien werden ergänzt durch „Humangebote“, um daraus dann „Gebote für eine universalistische Ethik“ abzuleiten. Hier trifft sich das Werk von Hörz/Hörz mit den Intentionen der 1993 vom Parlament der Weltreligionen in Chicago
verabschiedeten „Erklärung zum Weltethos“, die auf einem an der Universität Tübingen unter maßgeblicher Mitwirkung des Theologen H. Küng erstellten Text basiert. Dort wird erklärt, daß jeder die Chance erhalten soll, sein Potential an individuellen Fähigkeiten auszuschöpfen, und die Herrschaft der Sucht nach Macht und ausgefallenem Konsum überwunden werden muß. Kein Mensch, keine Rasse, kein Staat und keine Religion hat das Recht, andersartige oder andersgläubige Menschen zu diskriminieren. Eine humanistische Haltung, die auch das hier besprochene Ethik-Buch von Hörz prägt.
Dieses Buch stellt die Grundelemente und Wirkungsbereiche sowie die derzeitige Problematik der Umsetzung von Ethik dar, jener Wissenschaft, die das moralische Bewußtsein und Verhalten der Menschen zum Gegenstand hat. Das geschieht ungewöhnlich umfassend, so daß den Lesern bezüglich des Inhalts nur noch wenige Wünsche offenbleiben werden. In meinem Falle beträfe es das Aufzeigen eines notwendigen Zusammenwirkens von Ethik und Ästhetik.
Insbesondere die klassische Literatur (z. B. Goethes „Wilhelm Meister“) zeigt, daß eine Erziehung, die auch ästhetischen Parametern gerecht wird, die spätere Orientierung der Persönlichkeit an ethischen Prinzipien deutlich begünstigt. Zudem zielt das hier vertretene humanistische Ideal stets auf die Vereinigung von praktischer Tätigkeit mit geistigem Schöpfertum.
Mit diesem auf die Ganzheit des Menschen orientierten Anspruch sollten humanistische Vordenker – gleich, ob Theologe, Philosoph oder andere Humanisten – in der Lage sein, gemeinsam für unseren Kulturbereich verbindliche Werte und geltende Maßstäbe, eben eine zeitgemäße Ethik mit w i r k s a m e r Ausstrahlung zu schaffen. Die hier betrachtete Arbeit von Helga und Herbert Hörz dürfte ein wesentlicher Beitrag dazu sein.