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Heimatverein Köpenick e.V. (Hrsg.)

 

Hugo Schüssler: Die praktische Lösung der sozialen Frage (1898)

 

 

2013, trafo Literaturverlag, [= Historische Schriften über Treptow-Köpenick, Band 2], 169 S., ISBN 978-3-86465-020-8, 19,80 EUR

 

lieferbar        

 

 

 

 

 

Besprechung von Kurt Wernicke in: Maulbeerblatt, Das Kulturmagazin für den Berliner Südosten, Ausgabe 4/2013, S. 12, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers

 DEN FINGER IN DIE WUNDE GELEGT
 Ein Köpenicker Stadtrat geißelte im Jahr 1900 ungehemmtes
Gewinnstreben der Finanzwelt.

Der Heimatverein Köpenick hat unlängst dem Kö­penicker Stadtrat Hugo Schüßler (1847-1908) wieder das Wort für einen öffentlichen Auftritt vor seinen Mitbürgern erteilt, indem er einen Neudruck der Schüßler'schen Streitschrift „Die praktische Lösung der sozialen Frage" veranlasste. Schüßlers Name ist mit bedeu­tenden Schritten verknüpft, die Köpenick in die techni­sche Moderne tat: am Bau des städtischen Wasser- wie des Elektrizitätswerkes und am städtischen Abwassersystem hatte er z. B. ebenso erheblichen Anteil, wie an der Elektri­fizierung der Straßenbahn (incl. der Anlage der Strecke Köpenick-Friedrichshagen) und am gezielten Ausbau der kommunalen Sparkasse. Sein 105. Todestag am 17. April bietet Anlass, einen Blick in dessen Schrift aus dem Jahre 1900 zu werfen - und überrascht festzustellen, dass der ab 1892 als Stadtrat für Finanzen fungierende Likörfabrikant aus der Grünstraße - mit dem Geschehen in der Finanzwelt seiner Gegenwart bestens vertraut - uns ein wahrhaft erschreckend aktuelles Bild von deren Zuständen liefert!

Schüßler stand der Schule des Nationalökonomen Gustav Schmoller (1838-1917) nahe, der 1873 den „Verein für Sozialpolitik" gegründet hatte. Der verstand sich als Speerspitze sowohl gegen den ungezügelten Kapitalismus wie auch gegen die Arbeiterbewegung. Der den Schmoller-Schülern eigene gehässige Ton gegenüber den letzteren, tritt bei Schüßler allerdings ganz zurück zugunsten seiner messerscharfen Kritik am Kapitalismus seiner Zeit, der sich gerade mitten auf dem Wege in sein neues Stadium als Monopolkapitalismus befand - eine neue Stufe der weltweiten Rücksichtslosig­keit gegen Mensch und Natur, die der Autor beweiskräftig mit Statistiken unterlegte. Den Ausweg in eine moralisch und sozial  besser aufgestellte Wirt­schaftsordnung sah er in einer Art Kommunal-Solidarismus, der von einer staatlich angestoßenen Beseitigung der Macht der Banken ausgehen könnte. Das klingt sehr utopisch - aber er­staunlicherweise gibt es neuerdings Ansätze zu einer solchen „Lösung" hier und da auf regionaler Ebene in Lateinamerika!

Schüßlers Blick in das vor ihm liegende 20. Jh. war bestimmt durch die Mahnung, dass hemmungslose und unmoralische Fixierung auf Rendite eine allgemeine Kulturkrise heraufbeschwören werde. Angesichts der hektischen Anstrengungen der EU-Eliten, eine ordnende Hand in das heutige Tohuwabohu der Finanzwelt zu bringen, liest man eines Köpenicker Stadtrats Sorge vom Ende des ig. Jahrhunderts, mit einem unguten Gefühl: Schüßlers Prophezeiung eines vom außer Rand und Band geratenen Kapitalismus provozierten Zivilisationsbruchs trat schon sechseinhalb Jahre nach seinem Tod mit dem Ersten Weltkrieg aus dem Reich der Spekulation in das der traurigen Realität ein.