Eingegangene Rezensionen zu Büchern aus dem trafo Literaturverlag |
|
Rezension bei:
www.culturglobe.de,
27.07.2011,
Rezensent: Leander Sukov (Nachveröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Leander Sukov)
Borowski oder die Endlichkeit der Illusion Schon im vergangenen Jahr ist im trafo Literaturverlag ein Novelle von Gerhard Schumacher erschienen, die es leider nicht in Feuilletons geschafft hat. Eine ausgesprochen bedauerliche Tatsache übrigens, die im Wesentlichen der Verfasstheit der Kulturseiten hiesiger Zeitschriften geschuldet ist: Die Feuilletons sind geschrumpft, ihr Platz wird mit Merkwürdigkeiten und themenfernen Beiträgen verschwendet. Man braucht sich also nicht zu wundern; darf jedoch bedauern. Gerhard Schumacher hat in den letzten Jahren eine Reihe Bücher im trafo Verlag veröffentlicht. Mit „Borowski“ hat die literarische Darstellung von Unsitte und mangelndem Anstand auf gleich mehreren Ebenen vorgelegt. Ein dreidimensionales Bild, wenn man so will. Das Bild von bürgerlichen Konventionen, menschlicher Niedertracht und jene Friktionen, die im Literaturbetrieb nicht unbedingt unüblich sind. In der Sommerfrische der Berge treffen sich seit Jahren drei Schriftsteller samt Gattinnen. Abseits des Dorfes, hochgelegen, befindet sich der Gasthof, welcher für gute Küche und ausgesuchte Weine bekannt ist. Man lässt es sich gut gehen, frisst, säuft und beleidigt sich. Die Welt der Literaten ist in Ordnung. Sanft fast stößt in diese Eintracht aus Völlerei und Niedertracht Borowski hinein. Wie ein Stein, der langsam in einen Teich gelassen wird, verdrängt er behutsam das graue Wasser, macht Risse deutlicher, wird dadurch zum Teil der Berggesellschaft. Es geschieht nicht viel in dieser Novelle, die dramatischen Höhepunkte sind kaum mehr als leichte Erhebungen in einer tristen, vom Wind der Gemeinheit gezausten Gesellschaft. Aber es braucht nicht mehr. Denn Schumacher kann, was offenbar aus der Mode gekommen ist: literarisch Schreiben. Da wimmelt es nicht von antiliterarischer Sprache, so wie ich sie gerade in einem preisgekrönten Buch erleben muss, dass zu besprechen ich die Arbeit habe. Nein, bei Schumacher wird erzählt auf einem hohen sprachlichen Niveau und doch ohne jedes Kalkül, ohne jede bildungsbürgerliche Attitüde. Da fehlen – zum Glück – alle doppelten Sprachböden, da wird kein schlechter Plot hinter affektierter Sprache versteckt. Nein: Hier stimmt die Geschichte und die Sprache. Schumacher zeigt uns die Boshaftigkeit bürgerlicher Beharrungsmechanismen, des bourgeoisen Benimm, einer ordentlichen Ignoranz und die Neidpartikel, die wie Staub immer wieder die Teilnehmer der Sommerfrische bedecken. Gerhard Schumacher hätte, ganz sicher, mehr Aufmerksamkeit verdient. Aber was nicht ist, wird hoffentlich noch kommen. Gerhard Schumacher, Borowski
oder die Endlichkeit der Illusion |
|
Rosa, João Guimarães: Mein Onkel der Jaguar Erzählung. Aus dem brasil. Port. von Curt Meyer-Clason. Vorwort von Ligia Chiappini und Marcel Vejmelka. Nachwort: Walnice Nogueira Galvão: Die unmöglich Rückkehr (O impossivel retorno), A. d. bras. Port. von Marcel Vejmelka. Berlin: trafo, 2009. trafo taschenbuch. 136 S., kt., ISBN 978-3-89626-825-9, 11,80 € O: Meu Tio Iauaretê João Guimarães Rosa wurde am 27. Juni 1908, in Cordisburgo, im Bundesstaat Minas Gerais geboren. Er studiert Medizin und praktiziert als Arzt im Landesinneren von Minas Gerais. Gleichzeitig erscheinen seine ersten Erzählungen. Ab 1934 ist Guimarães Rosa im diplomatischen Dienst. Von 1938 bis 1942 ist er Generalkonsul seines Landes in Hamburg. Zusammen mit seiner zweiten Frau Aracy verhilft er zahlreichen verfolgten Juden zur Flucht aus Nazideutschland. Nach Brasiliens Kriegserklärung gegen die Achsenmächte war er mehrere Monate in Baden-Baden interniert. Neben seiner diplomatischen Tätigkeit (zuletzt als Botschafter im Außenministerium) veröffentlicht er zahlreiche Romane und Erzählungen, darunter sein berühmtes Epos Grande Sertão. Veredas, das ihn weltberühmt machte. Drei Tage nach seiner Antrittsrede in Academia Brasileira de Letras stirbt Guimarães Rosa an einem Herzinfarkt. „ ... man stirbt, um zu beweisen, daß man gelebt hat. Die Menschen sterben nicht, sie werden verzaubert. Die Welt ist magisch“, hatte er in dieser Rede gesagt. „Hum? Eh-eh ... Ja. Doch, Nhor. Aha, Sie wollen reinkommen, kommen Sie rein ... Hum, hum.“ So beginnt der Monolog des Gastgebers, der einen Besucher in seine einsame Hütte bittet, der sich offensichtlich verlaufen hat. Er war Jaguar-Jäger, erzählt er dem Gast, hatte viele Jaguare im Auftrag der Fazendo-Besitzer gejagt. Zu einer anderen Arbeit war er nicht geeignet und doch, „ich hätte es nicht tun sollen.“ Der Schnaps des Besuchers, von dem der Jäger reichlich trinkt, löst ihm mehr und mehr die Zunge und so wird immer mehr deutlich, dass sich im Verhältnis zwischen Jäger und Jaguar im Laufe der Zeit eine Veränderung vollzogen hatte. So erzählt er dem erstaunten und allmählich ängstlich werdenden Besucher von dem Jaguarweibchen Maria-Maria, zu dem er eine besondere Beziehung, ja fast eine Liebesbeziehung hat. „Hören Sie zu, nhem? Merken sie was? ... Ich bin ein Jaguar, hab ich´s nicht gesagt?“ – Die Erzählung erreicht mit diesen Sätzen ihren dramatischen Höhepunkt ... „Guimarães Rosa zu lesen bedeutet, an einem Abenteuer im magischen Reich der Wörter teilzuhaben.“ (Nilce Sant’Anna Martins) Er schrieb in einer eigenwilligen Syntax, erfand eine Fülle neuer Wendungen und Wörter, setzte Begriffe aus verschiedenen Wurzeln und Sprachen zusammen (Ray-Güde Mertin). „Diese Methode könnte das Risiko der Unverständlichkeit in sich bergen, doch der Schriftsteller vollbringt das Wunder, die unverfälschte Frische der verbalen Ausdruckskraft freizusetzen, ohne etwas von der Klarheit, dem plastischen Erscheinungsbild der Dinge, das bereits in der Poesie der Namen ins Auge springt, zu opfern“ (Claudio Magris). Guimarães Rosa sprach und las ca. ein Dutzend Sprachen, verstand einige deutsche Dialekte und studierte über zehn Grammatiken anderer Sprachen. Der Kölner Verleger schrieb 1964 an seinen Autor: „So wie die Dinge heute auf dem internationalen Buchmarkt liegen, muß eben sehr viel Lärm gemacht werden, damit das Ungewöhnliche sich überhaupt noch Gehör verschaffen kann in der fast tödlichen Menge des Durchschnittlichen.“ Leider machen die Nachfolger des Verlegers schon lange keinen Lärm mehr um einen ihrer wichtigsten Autoren; und so wurden die Rechte schon vor Jahren zurückgegeben und seine Übersetzungen sind seit langem vergriffen. Danken wir also dem kleinen trafo-Verlag, der die Novelle aus Anlaß des 100. Geburtstags von Guimarães Rosa dem Vergessen entrissen hat. Rezension von Klaus Küpper. Archiv für übersetzte Literatur aus Lateinamerika und der Karibik (2012) Wir danken dem Rezensenten für die Abdruckgenehmigung |
|
|
|