Schulz, Helmut H. (*1931, † 11.12.2022)

 

 

geb. 1931, Oberschule in Berlin und Oberschlesien,

Arbeit im graphischen Gewerbe, Kunstverlag,

Redakteur der Zeitschrift Junge Kunst und der Zeitung FORUM,

Lektor und Dramaturg beim Rundfunk-Feature, freiberuflich seit 1974.

Schrieb Hörspiele und Features, Romane und Erzählungen.

1984 Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR;

1992 Preis (Ehrengabe) der Schillerstiftung Weimar.

Am 11.12.2022 in Berlin- Friedrichshagen verstorben.

 

Im trafo verlag erschienen von ihm

Erzählungen aus drei Jahrzehnten, Band 1, 2007, 218 S., Tb, ISBN 978-3-89626-747-4, 13,80 EUR

Erzählungen aus drei Jahrzehnten. Band 2, 2008, 212 S., Tb, ISBN 978-3-89626-788-7, 13,80 EUR

Stadelhoffs Erben. Ein deutsches Dilemma. Band I, 2022, 652 S., ISBN 978-3-86465-171-7, 29,80 EUR

Stadelhoffs Erben. Ein deutsches Dilemma. Band II, 2022, 600 S., ISBN 978-3-86465-172-4, 28,80 EUR

Das deutsche Haus. Jagdszenen aus Deutschland. Zwei Novellen, 2022, 600 S., ISBN 978-3-86465-177-9, 18,80 EUR



Nachruf auf Helmut H. Schulz

Helmut H. Schulz, 1931 geboren, teilte mit Vielen seiner Altersgenossen das Generationsschicksal durch Nazi-Erziehung, Krieg und Nachkrieg geprägt worden zu sein. Diese Grunderfahrung prägte sein Erwachsenwerden und den frühen Drang sich mitzuteilen, Schriftsteller zu werden. Mit der Art und Weise der literarischen Verarbeitung seiner Erfahrungen nimmt er unter den DDR Autoren einen besonderen Platz ein, weil ihm keine schnelle Loslösung von den familiären und sozial-politischen Prägungen der Nazi-Zeit gelang.
In den Wirren der Viersektorenstadt lernte er zunächst in einer Westberliner Firma Chemiegraph, erlebte die Spaltung der Stadt, blieb im Osten Berlins, begann journalistisch für die Zeitschriften „Jugendmagazin“, „Junge Kunst“ und „ Forum“ zu arbeiten, dort erschienen erste Texte von ihm. Mit „Der Fremde und das Dorf “ (1963) erschien eine erste selbständige Erzählung über ein jüdisches Schicksal, das aber war nicht sein eigentliches Thema. Mit dem Roman „Abschied vom Kietz“ (1974) begann er die eigenen Erfahrungen zu verarbeiten, die Situation von Jugendlichen zwischen nazistischer Verblendung und den Wirrnissen der Nachkriegszeit darzustellen. In den Romanen „Jahre mit Camilla“ (1973), „Der Springer“ (1976) widmet er sich der DDR Gegenwart. Konfliktsituationen im sozialen Leben ergeben sich hier aus dem Missverhältnis von technologischem Fortschrittsglauben und sinnvoller Lebensgestaltung. „Alltag im Paradies“ (1979) lässt in satirischen Momentaufnahmen die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit im alltäglichen Leben der DDR-Bürger aufscheinen. „Das Erbe“ (1981) ist ein großer Roman über drei Generationen einer Berliner Architektenfamilie vom Beginn des 20. Jahrhundert an bis zum Baugeschehen in der DDR. Sein Roman „Dame in weiß“ (1983) stellt ein desperates Mutter-Sohn Verhältnis ins Handlungszentrum und vermittelt am Mutterporträt eine Vorstellung vom Wirken politischen Wahns und dem über alle Erfahrung erfolgenden Festhalten an Vorurteilen. Und dennoch entsteht das bewegende Porträts einer Frau, die im alltäglichen Kampf ums Überleben ringt und von den Wirrnissen der Zeitläufe aufgerieben wird. Auf der Ebene des Sohnes spiegeln sich Elemente stagnierender DDR Wirklichkeit. In den Erzählungen „Stunde nach zwölf“ (1985) und „Zeit ohne Ende“ (1988) entwirft er mit hoher erzählerischer Intensität noch einmal Bilder der Viersektorenstadt Berlin kurz nach dem Ende des Krieges. Mit präziser Geschichtlichkeit, ohne Glättungen entstehen präzis beschriebene Szenarien der letzten Kriegstage und der Zeit danach.
1985 erhielt Helmut H. Schulz den Heinrich Mann Preis der Akademie der Künste. Obwohl er in seinem Autorenleben auf mannigfache Hemmnisse und Verzögerungen bei der Veröffentlichung seiner Werke stieß, meinte er, ohne die DDR wäre er niemals Schriftsteller geworden. Mit ihrem Antifaschismus wäre sie ihm eine ständige Herausforderung geblieben, auf die hatte er reagiert. In den Jahren nach dem Ende der DDR sprach er manchmal von sich als einem „gewesenen“ Schriftsteller. Aber er hat bis zuletzt weiter geschrieben und in wechselnder Verlagsbindung auch publiziert. Denn er gab nicht auf. Mit „Briefe aus dem Grandhotel“ (1995) hat er in einem als Briefwerk angelegten Bericht in parodistischer Form die Wendemonate Revue passieren lassen. Als Berichterstatter fungiert der Korrespondent eines westlichen Zeitungsverlegers, der die Ereignisse zwischen dem 4. November 1989 bis zum 18. März 1990 kommentiert. Dessen Sicht besteht aus einer sich gegenüber den beobachteten Vorgängen distanzierenden Perspektive, die sich auf der Seite der Sieger verortet. In dieser sarkastischen Perspektive schlägt sich die Illusionslosigkeit des Autors nieder, der keinen Augenblick lang an eine erneuerte DDR glaubte und der dem neu entstehenden Deutschland skeptisch entgegen blickte. In den Kommentar werden u.a. auch Reaktionen ausländischer Presseorgane einbezogen, in denen sich Vorbehalte über den Weg ausdrücken, den ein vereinigtes Deutschland gehe könnte. So gelingt es dem Autor, die historisch-politische Konstellation des Augenblicks genau zu erfassen.
Schulz hat sich in den letzten zehn Jahren erneut mit seinem familiären Hintergrund beschäftigt. Es sollte eine Autobiographie werden, aber es wurde ein zweibändiger Roman, den er schwindenden Kräften abrang. „Stadelhoffs Erben. Ein deutsches Dilemma“ ist 2022 in 2 Bänden im Trafo-Verlag veröffentlicht worden. Das Werk beinhaltet eine erzählerische Aufbereitung der sozialen und historischen, sowie der psychologisch-mentalen Gegebenheiten, die Menschen für die nationalsozialistischen Vorstellungen verführbar machten und machen.
Helmut H. Schulz ist am 11. Dezember 2022 verstorben.

Ursula Reinhold, Berlin


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