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Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 118 (2014)

 

Leibniztag 2013

 

 

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2014, [= Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Bd. 118], 249 S., ISBN 978-3-89626-988-1, 19,80 EUR

 

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Inhaltsverzeichnis

 

Herbert Hörz: Der Schwierige Weg einer traditionsreichen Wissenschaftsakademie ins 21. Jahrhundert - 20 Jahre Leibniz-Sozietät

 

Hörz-Kolloquium

Gerhard Banse: Laudatio: Herbert Hörz zum Achtzigsten

Werner Ebeling: Über das Gedächtnis des Zufalls - zur Dialektik von Gesetz und Zufall

John Erpenbeck: Digitale Buchveröffentlichung zum 80. Geburtstag von Herbert Hörz

Erdmute Sommerfeld: Strukturelle Information: Repräsentation, Interpretation, Reduktion

Werner Naumann: Zur Bedeutung der statistischen Gesetzeskonzeption für die Pädagogik

Herbert Hörz: Schlusswort: Philosophie als Aufklärung und Orientierungshilfe

 

Aus Veranstaltungen der Leibniz-Sozietät

Bodo Krause: Entwicklung der Wechselwirkung von akademischer und außer akademischer Forschung aus der Sicht der experimentellen Psychologie in Berlin

Herbert Wöltge: Die unausrottbaren? Anmerkungen und Notizen zur Gründung der Leibniz-Sozietät

Jörg Roesler: Counterfactural History. Ihre Anwendung auf die Erforschung und Darstellung der DDR-Geschichte

Helmut Moritz: Helmert, Bruns, Einstein

Horst Montag: Meeresniveau und Erdrotationsvektor - zwei moderne Forschungsrichtungen mit Ursprung in der mitteleuropäischen Gradmessung bzw. internationalen Erdmessung

u.a.m.

 

 

Aus dem Festvortrag von Herbert Hörz

 

 

Der schwierige Weg einer traditionsreichen Wissenschaftsakademie ins 21. Jahrhundert - 20 Jahre Leibniz-Sozietät -

 

Festvortrag auf dem Leibniztag am 4. Juli 2013

 

 

20 Jahre Leibniz-Sozietät sind ein Grund zur Besinnung auf unseren Weg, den wir unter schwierigen politischen Umständen gegangen sind. Obwohl der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach Gutachten führender Rechtswissenschaftler der BRD das Fortführungsgebot für die Gelehrtensozietät enthielt, wurde ihren in- und ausländischen Mitgliedern in einem Brief des verantwortlichen Berliner Senators am 7. Juli 1992 mitgeteilt: „Mit der Beendigung der früheren Gelehrtensozietät ist auch ihre Mitgliedschaft erloschen." (Klinkmann, Wöltge 1999, S. 163) Damit begann die Geschichte der Leibniz-Sozietät als Übergang von der Verbindung der Gelehrtengesellschaft mit der Forschungsgemeinschaft der Institute in der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) zu dem privatrechtlich organisierten Verein, um die Wissenschaftsakademie als Gelehrtengesellschaft weiterzuführen.

Was unterscheidet unseren eingetragenen Verein von anderen Vereinigungen der Zivilgesellschaft oder der zweiten Wissenschaftskultur? Es ist nicht nur die Tradition, in der wir mit der 1700 begründeten Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften (Grau 1993) stehen. Wir pflegen sie, stellen uns jedoch interdisziplinär, international und politisch unabhängig neuen Herausforderungen an die wissenschaftliche Arbeit. Darauf ist zuerst einzu­gehen. Wir sind kein Traditionsverein. Geschichte, auch die Akademiegeschichte, ist für uns Gegenstand der Forschung. Dazu hat sich die Sozietät mehrmals mit Studien und Erklärungen zu Jubiläen geäußert. Unsere Haupt­aufgabe besteht jedoch darin, mit konstruktiven Beiträgen die Entwicklung der Wissenschaften zu befördern. In diesem Sinn werde ich zweitens auf die 20 Jahre Leibniz-Sozietät mit berechtigtem Stolz auf das Erreichte blicken und Zäsuren in der Entwicklung charakterisieren. Dem folgt drittens eine Bestandsaufnahme des jetzigen Zustands aus der Sicht eines Mit-Gestalters des schwierigen Übergangs ins 21. Jahrhundert. Viertens haben wir die prinzipielle Frage zu beantworten, wie es weiter gehen soll, um den Anspruch als Wissenschaftsakademie weiter aufrecht zu erhalten.

 

1.   Die Leibniz-Sozietät in der Tradition der Leibniz-Akademie

 

Wir führten als Leibniz-Sozietät die 1989/90 begonnene Reform der Gelehr-ten-Sozietät der AdW zu einer privatrechtlich organisierten Wissenschafts­akademie durch. Einige Jubiläen konnten wir inzwischen feiern. Nach fünf Jahren ihrer Existenz erklärte die Sozietät 1998: „Vor 5 Jahren, am 15. April 1993, gründete eine Gruppe von Mitgliedern der Akademie der Wissenschaf­ten der DDR eine wissenschaftliche Vereinigung, die sie in Anlehnung an ihre Herkunft und Tradition Leibniz-Sozietät nannten. Mit der Sozietät gaben sie sich einen neuen gesellschaftlich-rechtlichen Rahmen, um den freien und öffentlichen Austausch wissenschaftlicher Gedanken fortzusetzen, funda­mentale Probleme der Wissenschaft zu erörtern und Traditionen ihres wissen­schaftlichen Denkens und Lebens zu pflegen." (Erklärung 1998) Über die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ist ausführlich an anderen Stellen berichtet. (Hörz 2005, Wöltge 2011)

1999 begannen wir mit der Vorbereitung des 300-jährigen Gründungsju­biläums der Leibniz-Akademie. Im Bericht des Präsidenten zum Leibniz-Tag 1999 heißt es: „Die Leibniz-Sozietät mit nun 198 Mitgliedern, jüngeren und älteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der verschiedensten Dis­ziplinen aus Ost und West, pluralistisch orientiert, wissenschaftlich autonom und staatsfern, steht in der Leibnizschen Wissenschaftstradition." Nach der Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen der Sozietät und dem Dank an den ersten Präsidenten der Sozietät Samuel Mitja Rapoport (1912-2004) wird festgestellt: „In den Beiträgen zur Geschichte der Akademie konnte manche der in Umlauf gebrachten Legenden über die Wüste in der Wissenschaftslandschaft der DDR am konkreten Beispiel, ohne Beschönigung der damaligen Verhältnisse, korrigiert werden. Man fragt sich, warum zwar Kamele Oasen in der Wüste finden, jedoch voreingenommene Politiker und ignorante Aktenwälzer sie vielleicht in der Wissenschaftslandschaft der DDR gar nicht suchen. Wissenschaftliche Gründe sind es sicher nicht. Es wird interessant sein, wie die offizielle Meinung zur Gelehrtengemeinschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR in den Festreden zum Jubiläum aus­sehen wird. Wird sie auf dem basieren, was an Vorurteilen vor allem aus der Politik schon existiert oder werden die Erfahrungen der Gestalter dieses Prozesses in ihren negativen und positiven Seiten ernst genommen." (Hörz 1999) Das zum Leibniz-Tag 2000 durchgeführte Wissenschaftliche Kolloquium „Die Berliner Akademie nach 1945. Zeitzeugen berichten." (Härtung, Scheler 2001) belegte sachlich und differenziert die Unhaltbarkeit diffamierender Einschätzungen zur Akademieentwicklung nach 1945, die uns auch später immer wieder begegneten. (Hörz 2011) Das Kolloquium der Sozietät „Aka­demische Wissenschaft im säkularen Wandel. 300 Jahre Wissenschaft Berlin" ging ausführlicher auf die Wissenschaftsentwicklung in Berlin ein. (SB 2000)

Horst Klinkmann und Herbert Wöltge unterschieden in ihrer Dokumentation zur Geschichte der Gelehrtensozietät „ 1992 - Das verdrängte Jahr" zwischen der 1992 durch Staatsvertrag ins Leben gerufenen Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und der Leibniz-Sozietät als der „Akademie des Einigungsvertrags", ,jene schon vorher als unausrottbare societas apostrophierte Wissenschaftlervereinigung, die sich auf das direkte personelle Kontinuum in der Nachfolge der Akademie der Wissenschaften der DDR und der ihr vorangegangenen Deutschen und Preu­ßischen Akademie der Wissenschaften beruft." (Klinkmann, Wöltge 1999, S. 9) Die BBAW führt nun eine Liste mit ehemaligen Mitgliedern der Akademie, wobei für in- und ausländische Mitglieder der DDR-Akademie der poli­tisch vorgegebene 7. Juli 1992 als Ende der Mitgliedschaft ausgewiesen ist.

In der Begrüßung zum Leibniz-Tag 2000 heißt es: „Der Leibniztag dieses Jahres hat einen besonderen Stellenwert im Leben der Berliner Wissen­schaftsakademie. Die Berliner Zeitung vom 10.5.2000 titelte: ,Ein Streitfall für Akademiker. Die Leibniz-Sozietät sieht sich und nicht die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften als Erbin der Leibnizschen Aka­demie'. Das ist richtig, obwohl es sicher nicht nur ein Streitfall für Akademiker sein kann, wer legitimer Nachfolger der 1700 ins Leben gerufenen Leibnizschen Akademie ist. Politiker und solche, die sich durch die Umstände 1990 und danach zur Politik berufen fühlten, waren es, die 1992 einen in der Geschichte der Akademien einmaligen Akt vollbrachten, nämlich das Herausdrängen der Gelehrtensozietät der Akademie der Wissenschaften der DDR aus dem öffentlich-rechtlichen Status, gerichtet gegen Recht und Gesetz. Noch lief bei der Oberfinanzdirektion der Antrag der Gelehrtensozietät, ihr das ihr zustehende Vermögen zuzusprechen, da wurde ihr der dafür erforderliche Status genommen und entsprechende Einrichtungen, Stiftungen und Finanzen der neu gegründeten BBAW übergeben. Die Hoffnung der damals Herrschenden, uns damit überhaupt los zu werden, ging jedoch nicht auf. ... So existieren wir weiter, zur Mahnung für die Zerstörer von 1992, als Forde­rung an ihr Gewissen, Fehler einzusehen und als Beweis dafür, dass sich Akademiker durch widrige politische Umstände nicht unterkriegen lassen und ihrem Interesse an wissenschaftlicher Arbeit weiter entsprechen. Zur Korrek­tur der Fehler ist es zu spät. Finanzielle Hilfe könnten wir als Teil der Wiedergutmachung gut gebrauchen."

Überhaupt gab es in Vorbereitung auf das Jubiläum viele Aktivitäten, um offizielle Stellen und die Öffentlichkeit über die Situation der Leibniz-Aka­demie zu informieren. So fand am 09.02.1999 ein Gespräch zwischen dem Präsidenten der Sozietät und dem Präsidenten der BBAW Dieter Simon statt, der von 1995 bis 2005 amtierte. Dabei ging es (1) um die Vorbereitung auf das Jubiläum 2000; (2) um gegenseitige Teilnahme an Forschungsvorhaben; (3) um die mögliche Bereitstellung von Räumen und (4) um wissenschaftliche Nachlässe. Zur 300-Jahrfeier wollten wir weitere Informationen austau­schen. Die Bereitstellung von Räumen im ehemaligen Akademiegebäude erwies sich als nicht möglich, da die Raumvergabe nicht durch den Präsidenten erfolgte. Die wissenschaftlichen Nachlässe ehemaliger Mitglieder der AdW würden selbstverständlich in das Archiv übernommen.

Am Leibniz-Tag der Sozietät 1999 nahm Dieter Simon teil. 2000 hatte er mit seinen Feierlichkeiten zu tun, bemerkte jedoch in der Eröffnung, dass nun zwei Leibniz-Tage in Berlin gefeiert würden. Auch wir stellten fest. „Zwei Einrichtungen feiern nun die 300 Jahre Wissenschaftsakademie in Berlin, eine vor sieben Jahren gegründete BBAW einerseits, die keine Traditionslinie zur Leibnizschen Gründung aufweisen kann, denn die Mitglieder, die die Akademie ausmachen, sind neu bestimmt und gewählt und die Leibniz-So­zietät andererseits, die zwar nicht die höhere Weihe der staatlichen Obrigkeit durch den Status einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung hat, sich jedoch in direkter Nachfolge zur Leibnizakademie befindet. Wir können also der BBAW, die am 1. Juli ihre Festsitzung begeht, zu ihrer siebenjährigen Exi­stenz gratulieren und hoffen, dass die Legenden nicht zu fantastisch und die historischen Lücken nicht zu groß sind, mit denen man 300 Jahre Akademie in Berlin feiern will. Nach dem Motto, man muss die Feste fallen lassen, wie man sie feiern will, wird höchste Staatsprominenz der BBAW ihren Respekt zu den nicht vorhandenen Traditionslinien erweisen, wozu wir gutes Gelin­gen wünschen."

Dass Präsident Simon unseren prinzipiellen Standpunkt zur Akademiegeschichte nicht teilte, bemerkte er in einem Brief, bot jedoch an, weiter über eine konstruktive Zusammenarbeit zu sprechen. Als Festredner zum Leibniz-Tag 2001 gewannen wir den Wissenschaftsphilosophen Jürgen Mittelstraß, der über die Krise des Wissens sprach. Am 14. Juni 2001 schrieb uns Bundes­präsident Johannes Rau mit Dank für die Einladung zum Leibniz-Tag: „Wie Sie wissen, habe ich mich in meiner Amtszeit bereits mehrfach mit Fragen von Wissenschaft und Bildung befasst, und ich hätte daher gern die Gelegenheit genutzt, den Festvortrag von Herrn Mittelstraß zur ,Krise des Wissens' zu hören. ... Möge der Leibniztag Gelegenheiten geben zum Austausch zwischen den Mitgliedern der Sozietät und dazu beitragen, den Dialog mit der Öffentlichkeit zu vertiefen!" Dieser Bundespräsident folgte nicht den politisch motivierten Legenden über die Akademieentwicklung. Leider erlebten wir von Politikern nicht nur Unterstützung und Duldung, sondern auch Ignoranz und Diffamierung. Inzwischen traten andere Mitglieder der BBAW auf unseren Tagungen auf .Wir wünschen uns weiter ein unverkrampftes Verhältnis.

Am 10. Mai 2000 schrieben AdW-Präsident Horst Klinkmann und die Vizepräsidenten Siegfried Novak und Herbert Hörz an ehemalige Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter der AdW: „Sehr verehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, am 11. Juli 1700 gründete Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, seit 1701 König Friedrich I. von Preußen, auf Initiative von Gottfried Wilhelm Leibniz die Kurfürstlich Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften. Sie ist eine der ältesten Akademien der Welt. Ihr 300. Jahrestag wird in diesem Jahr von verschiedenen Seiten gewürdigt. Dabei tritt der Streit um die legitime Nachfolge von Leibniz und seiner Mitstreiter wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Wir erlauben uns, Ihnen, als ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der AdW der DDR, unseren Standpunkt dazu zu übermitteln." Der ist in der Erklärung der Sozietät zum Leibniz-Tag 2000 „300 Jahre Leibnizsche Sozietät der Wissenschaften in Berlin" dargelegt. Darin wird an die Gründung der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften durch Kurfürst Friedrich III. am 11. Juli 1700 erinnert, die auf Drängen des geistigen Vaters der Sozietät und des ersten Präsidenten Gottfried Wilhelm Leibniz (1648-1716) erfolgte. „Dieser Ursprung und die Folgeentwicklung wird mit vollem Recht auch als Leibnizsche Sozietät der Wissenschaften (mit der Leibnizschen Gelehrtengesellschaft als ihrem tra­genden Kern) bezeichnet." (Erklärung 2000, S. 1) Mit Hinweis auf das erste Statut vom 3. Juni 1710 und der Bezeichnung als Akademie der Wissenschaften ab dem Statut vom 24. Januar 1744 wird betont, dass „auch der Name Leibnizsche Akademie der Wissenschaften angemessen ist." Weiter heißt es:

„Die Leibniz-Sozietät e.V. führt die in drei Jahrhunderten bewährte wissenschaftliche Sitzungstätigkeit ungebrochen weiter." (Erklärung 200, S. 6)

Die Sozietät befasste sich weiter mit ihrer Tradition. 1710 wurde das Reglement der königlich-preußischen Sozietät der Wissenschaften erlassen. In einer Sondersitzung des Plenums aus Anlass des 300. Jahrestages der Ver­kündung des ersten Statuts für die 1700 gegründete Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften sprachen Siegfried Wollgast „Über die europäischen Wurzeln der Sozietäts-Konstituierung von 1700 in Berlin" und Hermann Klenner zu „Leibnizens Denkschriften vom 26. März 1700 ,eine societatem scientiarum et artium zu fundiren' und das Reglement der königlich-preußischen ,Societät der Wißenschaften alhier' vom 3. Juni 1710." (SB 2011) Der im Statut von 1812 festgelegte Leibniz-Tag wird auch von uns durchgeführt, um Nekrologe zu verlesen, Rechenschaft vor der Öffentlichkeit abzulegen und neue Mitglieder vorzustellen. Er findet an dem Donnerstag statt, der dem 1. Juli, dem Geburtstag von Leibniz, am nächsten liegt.

Nun feiern wir 20 Jahre des Bestehens und Wirkens unserer Sozietät, in deren Geschichte es einige Zäsuren gab, die ich als Entwicklungsetappen kennzeichnen werde.

 

 

2.      Zäsuren oder Entwicklungsetappen: Ein Blick in die Geschichte der Sozietät

 

Als erste Entwicklungsetappe nenne ich das Vorspiel mit den beginnenden Reformen 1989/90 und die Übergangsphase vom Juli 1992 bis April 1993. Es war die Zeit der Demonstrationen mit verschiedenen Forderungen an das Präsidium der AdW unter Präsident Werner Scheler. Der seit Februar 1990 unter dem Vorsitz von Hermann Klenner tagende „Runde Tisch" der AdW hatte sich im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Beseiti­gung von Restriktionen und die Demokratisierung der Wahlen des Präsidi­ums eingesetzt. Auf dem Leibniz-Tag 1990 wurde das gewählte neue Präsidium unter Horst Klinkmann durch den verantwortlichen Minister der DDR-Regierung ins Amt eingeführt. Reformen standen an. Es ging um den Erhalt einer reformierten Akademie. Der Einigungsvertrag schrieb dann die Trennung von Forschungsgemeinschaft, für die Vizepräsident Siegfried Nowak, der spätere Leiter unserer Kooperationskommission, verantwortlich war, und Gelehrtengesellschaft fest.

Noch nährte jedoch der Text des Vertrags mit der Formulierung, wie (und nicht ob) die Gelehrtensozietät weiter geführt werden soll, ist landesrechtlich zu regeln, die Hoffnung auf deren Fortführung. Der Brief des Senators von 7. Juli 1992 ließ alle Illusionen platzen. Der letzte Leibniz-Tag in der alten Form 1992 .leitete das Drama der Übergangsphase zum Erhalt der Gelehrtensozie­tät ein. Es gab keine Räumlichkeiten, keine Geschäftsstelle, keine Finanzen. Doch der Wille, die akademische Arbeit weiterzuführen war da. So trafen sich die Mitglieder und Freunde der Leibniz-Akademie" im Verein für Gleichstellungsfragen und sozialen Schutz e.V. in den Spittelkolonnaden in der Leipziger Straße in Berlin unter Leitung des Vizepräsidenten für Plenum und Klassen. Regelmäßige Sitzungen fanden weiter jeden Monat statt. Im Ja­nuar 1993 übergab ich als verantwortlicher Vizepräsident die Verantwortung an die inzwischen gewählte Vorbereitungsgruppe zur Gründung der Leibniz-Sozietät. Meine Verpflichtungen für die Helmholtz-Editionen als Mitarbeiter der BBAW verlangten Arbeit in und Reisen zu entsprechenden Archiven.

Generell war zu bemerken: Akademiemitglieder hatten sich auf die neue, teilweise prekäre, Situation einzustellen. Manche konnten wegen finanzieller Probleme nicht mehr nach Berlin kommen, andere wanderten aus. Integritäts­kommissionen überprüften, manchmal mit rüden Methoden, das Verhalten zur Zeit der DDR, die seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr existierte. Trotz Interesses an der weiteren Arbeit der Akademie überwog in dieser Zeit bei nicht Wenigen die Lösung beruflicher und persönlicher Probleme das Akade­miegeschehen.

Zur zweiten Entwicklungsetappe gehört die Vereinsgründung als politisch von den Zerstörern gewollter und staatlich erzwungener Weg zur Fortsetzung der traditionsreichen Wissenschaftsakademie mit der Phase der Profilierung bis 1998. Der eingetragene Verein mit gewähltem Vorstand und regelmäßi­gen Sitzungen in Klassen und Plenum erwies sich vor allem als Heimstatt der Ausgegrenzten. Es stellte sich die Frage, ob es ein Traditionsverein mit Nostalgie (Ostalgie) werden sollte oder ob es gelingen würde, die 1989/90 begon­nene Reform zur wissenschaftlich aktiven, interdisziplinär und international zusammengesetzten, pluralistisch orientierten Wissenschaftsakademie fort­zusetzen. Der Leibniz-Tag 1993 zog eine erste positive Bilanz in dieser Rich­tung. Präsident Rapoport verwies auf den Doppelcharakter der Festveranstal­tung, als „Ausdruck der bewußten Anknüpfung an die Formen der Akademie der Wissenschaften" und „erste Berichterstattung über ein neues Gebilde, das noch im Werden und Formen begriffen ist, wobei vieles im Fluß ist." (Rapoport 1994a, S. 119) Durch das Wirken von Präsident Rapoport, der Vizepräsidenten Ernst Engelberg und seines Nachfolgers Johannes Irmscher (1920-2000), des Schatzmeisters Wolfgang Eichhorn und der Klassensekretare Karl Lanius (1927-2010), dann Karl-Heinz Bernhardt, und Joachim Herrmann (1932-2010), sowie vieler aktiver Mitglieder, wurde die akademische Arbeit erfolgreich fortgesetzt.

Nach und nach erklärten potenzielle Mitglieder der Sozietät, zu denen alle Mitglieder der Gelehrtengesellschaft der AdW gehörten, ihre Mitgliedschaft. Dieser Prozess hielt längere Zeit an.

In der ersten Phase der Sozietät entstand der Förderverein freunde der Leibniz-Sozietät', der unter dem Vorsitzenden des Kuratoriums Horst Klink­mann die Entwicklung der Sozietät kritisch begleitet, mit Initiativen für Pro­jekte, mit Anregungen zur Verbesserung der Arbeit und mit finanzieller Unterstützung der Sozietätsarbeit als Stiftung.

Einen wichtigen Meilenstein für die Öffentlichkeitsarbeit bildeten die Sitzungsbehchte. Im „Editorial" stellte Präsident Rapoport fest, dass die Herausgabe auf vielfache Anregung der Mitglieder zurückgehe, die am 19. März 1994 einen entsprechenden Antrag in der Geschäftssitzung des Plenums be­schlossen haben. „Wir sind uns dessen wohl bewußt, daß es ein gewisses Wagnis darstellt, auf der so schmalen finanziellen und materiellen Basis der Sozietät, ein so anspruchsvolles Unternehmen auf den Weg zu bringen. Es wird für die Sozietät, die nur von den Beiträgen und Spenden ihrer Mitglieder lebt und keinerlei öffentliche Zuwendungen erfährt, nicht leicht sein, dies mit langem Atem durchzustehen. Aber wir vertrauen auch künftig der Bereitschaft unserer Mitglieder, Gäste und Freunde, die Sozietät selbstlos zu unterstützen." (Rapoport 1994b, S. 6) Der Präsident dankte Gabriele Mucchi für das der Sozietät gewidmete LOGO mit der Widmung „Mucchi für die Societät 1.IX.1994", das nicht nur den ersten Band schmückt, sondern vielfach von uns genutzt wird. Inzwischen sind mehr als 115 Bände erschienen und die So­zietät hat sich ihre Reputation als privatrechtlich organisierte Wissenschafts­akademie erarbeitet.

Die dritte Entwicklungsetappe ab 1998 kann man als Strukturierung der Sozietätsarbeit mit der Übernahme von Akademietraditionen und Reaktionen auf neue Herausforderungen durch die ehrenamtliche Arbeit bezeichnen. (Herrmann 2006, S. 6) Traditionell fanden Akademie-Sitzungen am Donners­tag statt. Dafür entwickelten die Klassen nun Halbjahresprogramme. Zu­gleich entstanden Arbeitskreise, die, wie Demographie und Pädagogik, langfristig mit interessanten Tagungen und Konferenzen wirkten, oder wie „Zeit und Evolution" bestimmte Themenkreise bearbeiteten. Der Vorstand, der sich bald in Präsidium umbenannte, arbeitete nach einem Halbjahresplan wichtiger Themen. Die Vorsitzenden der Kommissionen und weitere aktive

Mitglieder mit bestimmtem Verantwortungsbereich, wie Leibniz-Intern, Sitzungsberichte und homepage, inzwischen als öffentlichkeitswirksame Mittel zur Kenntnis genommen, gehörten nun dem erweiterten Präsidium an. Die Zuwahl-Kommission unter Leitung des Vizepräsidenten hatte sich mit der personellen Struktur der Sozietät zu befassen, um Kompetenzlücken zu schließen. Die Programmkommission entwickelte Programmlinien, um zu bestimmten Themen, wie Multikulturalität, Energie, Umwelt, Bildung u.a. Standpunkte zu erarbeiten. Die Kooperationskommission sollte die Zusam­menarbeit mit inländischen und ausländischen Kooperationspartnern, Akade­mien und Vereinigungen, initiativ voranbringen. Es wurden Brücken zwischen Ost und West gebaut. Die Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Kybernetik zeigte das. Seit 1999 erschienen 33 Bände der Abhand­lungen, in denen auch die Ergebnisse von Jahreskonferenzen dokumentiert sind.

Die fruchtbare Arbeit wirkte sich aus. Neben zugewählten aktiven Mitgliedern erklärten weitere ehemalige Mitglieder der AdW sich bereit, aktiv ihre Mitgliedschaft wahrzunehmen. Im Brief vom 5.9.2001 an den Präsiden­ten schrieb der international hoch geschätzte Geodät Helmut Moritz, auswär­tiges Mitglied der AdW und nun schon lange aktiv in und für die Sozietät tätig u.a. „Seit der Wende habe ich von Anfang an mit großer Anteilnahme die Bemühungen verfolgt, die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu retten. Über den Brief des Berliner Wissenschaftssenators an mich, daß die Akademie aufgelöst sei, war ich bestürzt. Ich hätte mir eine würdigere Lösung vorgestellt; außerdem habe ich mich über die Zuständigkeit des Senators gewundert. Die Wiedererstehung als ,Leibniz-Sozietät', in deren Publikationen ich die herrlichen Arbeiten meines verehrten Freundes H. J. Treder gefunden habe, hat mich sehr gefreut. Auch mit Herrn Heinz Kautzleben stehe ich in Verbindung. Er hat in den schweren Jahren 1970-1990 durch eine Reihe hervorragender Symposien in Städten der DDR die internationale Zusammenarbeit insbesondere durch wissenschaftliche Gespräche auch mancher international etwas isolierter Kollegen mit 'westlichen' Wissenschaftlern, auf eine Weise gefördert, die ich stets als einmalig empfand." Für sein aktives Wirken in und für die Sozietät wurde Helmut Moritz heute mit der Jablonski-Medaille ausgezeichnet.

Halten wir fest: Es war und ist sowohl die traditionsreiche Leibniz-Akademie, als auch die Wertschätzung der Arbeiten von Akademiemitgliedern, die international hoch geachtete Gelehrte zur aktiven Mitarbeit in der Sozietät motiviert. Vielleicht ist das ein Ansporn für Zugewählte, sich den Herausforderungen in dieser Akademie durch eigene Initiativen zu stellen. Für die Arbeit ziehe ich daraus die weitere Konsequenz, dass es vor allem persönliche Beziehungen sind, die nationale und internationale Kontakte im Interesse der Sozietät zu nutzen gestatten. Mitglieder sollten sich öffentlich zur Sozietät bekennen, wie viele es bereits tun.

Die Kontakte der Sozietät mit der Senatsverwaltung fiir Forschung Wis­senschaft und Kultur, besonders mit Staatsekretär Peer Pasternak und Senator Dr. Thomas Flierl, waren für uns erfolgreich. Im Brief des Präsidenten vom 13. Februar 2004 an den Senator heißt es: „Die Mitglieder unserer Sozietät verfolgen aufmerksam Ihre Bemühungen, die Anerkennung von Lebensleistungen von DDR-Bürgern und damit auch von Wissenschaftlern der DDR einzufordern und der Leibniz-Sozietät eine finanzielle Unterstützung für ihre wissenschaftlichen Leistungen zukommen zu lassen. Wir freuen uns, dass damit versucht wird, auf früheres Unrecht zu reagieren, sind uns jedoch bewusst, dass diejenigen, die immer noch nicht die Einheit Deutschlands als Auftrag zum Zusammenwachsen von Ost und West begriffen haben und auf ihrer Haltung einer einseitigen Alt-BRD-geprägten Gestaltung der Wissenschaftslandschaft beharren, dagegen Sturm laufen werden. Das zeigen Stel­lungnahmen von Frau Grütters, Herrn Erhardt und Kommentare, wie in der ,Berliner Morgenpost' vom 12. Februar 2004." Hervorgehoben wird im Brief weiter: „Erstens gab die Sozietät abgewickelten Akademikern nach 1992 eine wissenschaftliche Heimat, was eine historische Leistung gegenüber der da­mals durch den Senat geübten Kahlschlagpolitik war. Zweitens entwickelten wir uns zu einer interdisziplinär zusammengesetzten Gelehrtenvereinigung exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ost und West, aus dem In- und Ausland, die den Blick nach vorn gerichtet hat. Sie baut mit den aus Ost und West stammenden Kooperationspartnern Brücken zwischen Ost und West, die nostalgische Politiker, die ein einheitliches Deutschland nur als Fortsetzung der Alt-BRD sehen, nicht gebaut sehen wollen oder sie wieder abreißen würden. Wir wollen keine Förderung von Ostseilschaften, sondern Anerkennung früherer und gegenwärtiger Leistungen."

Der Rückblick auf die eigene Geschichte trat gegenüber dem Ausblick auf aktuelle Probleme immer mehr in den Hintergrund. Es wurden akademische Auszeichnungen verliehen. Eine neue Sozietät als Wissenschaftsakademie sui generis hat sich konstituiert. Das brachte sie auch in ihrer Selbstdarstel­lung oder „Image-Broschüre", wie wir sie nannten, zum Ausdruck. (Selbst­darstellung 2004).

2007 kam es in der vierten Entwicklungsetappe zur Neuorientierung als Reaktion auf neue Bedingungen innerhalb und außerhalb der Sozietät. Auf dem Leibniztag 2008 stellte Präsident Herrmann fest: „15 Jahre sind keine lange Zeit, gemessen am Gesamtalter unserer Akademie, aber, dass es uns ge­lungen ist, eine wissenschaftlich so vielfältige und intensive Produktivität zu entfalten und die Sozietät nicht nur zu stabilisieren, sondern weiter auszubauen, - dieses als Erfolg zu kennzeichnen, stellt gewiss keine eitle Übertreibung dar." (Herrmann 2009, S. 8) Er verwies darauf, dass eine intensive und kon­struktive Diskussion in der Arbeitsgruppe „Perspektiven der Leibniz-Sozietät" stattfand, um die Akademie für zukünftige Aufgaben zu rüsten. Im Dezember 2007 war die Arbeit abgeschlossen und das Präsidium erhielt ein umfangreiches Strategiepapier mit dem Titel ,Auf gravierende Veränderungen reagieren - unseren bewährten Traditionen folgen" „mit dessen Diskus­sion und teilweiser Umsetzung sofort im Januar 2008 begonnen wurde." Alle Probleme wurden angesprochen und Lösungen vorgeschlagen. Sie betrafen: I. Inhaltliche Arbeit; II. Mitgliederanalyse, Zuwahl-Politik und Präsidium; III. Kooperationspartner; IV. Außenwirksamkeit; V. Statut und Geschäftsordnung; VI. Organisatorische Probleme. Es ging um kurzfristig zu erledi­gende, längerfristige und zukünftige, über die nächste Wahlperiode hinausreichende Ideen. (Herrmann 2009, S. 12) Die Projektarbeit wurde intensiviert. Jahrestagungen fanden nun regelmäßig statt. Neue Arbeitskreise, wie der zur Gesellschaftsanalyse und zum „Prinzip Einfachheit" nahmen ihre Arbeit auf. Internationale Beziehungen, wie die zur Mazedonischen Akademie der Wissenschaften, und Kooperationsbeziehungen im Land wurden ausgebaut.

Nun befinden wir uns in der fünften Entwicklungsetappe, eingeleitet 2012 mit der Vorbereitung des 20. Jahrestags. Sie hat schon hoffnungsvoll begonnen, wie der Bericht von Präsident Gerhard Banse zeigt. Wir vergeben neben den anderen Akademieauszeichnungen einen Kooperationspreis. Die neue Internet-Präsentation macht öffentlichkeitswirksam auf die umfassende Arbeit aufmerksam. Das führt mich zur Frage: Wo stehen wir?

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