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Krause, Günter (Hg.)

Kapitalismus und Krisen heute – Herausforderung für Transformationen

[=Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Bd. 28], 2011, 200 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-89626-975-1, 29,80 EUR

 

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Zum Inhalt

Die multiple Krise des globalen Kapitalismus wirft für kritische Wissenschaft viele Fragen auf: Wie sind die Krisen theoretisch auf den Begriff zu bringen? Welche dauerhaften Gefahren gehen heute von ihnen aus für das Leben der Menschen, für Natur und Umwelt? Wie ist mit diesen Krisen umzugehen? Mit welcher Art von Politik kann ihnen begegnet werden? Welche Handlungsoptionen haben dabei emanzipatorische Akteure? Stehen wir vielleicht am Beginn einer neuen „Großen Transformation“ des Kapitalismus?
In diesem Band versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin sowie der Rosa Luxemburg Stiftung aus der Optik verschiedener Disziplinen anhand spezifischer Problemlagen und Fragestellungen erste verallgemeinernde Wertungen zu Kapitalismus und Krise, zur Frage notwendiger Transformationen zu treffen und mögliche Konsequenzen für eine emanzipatorische Kapitalismus- und Krisentheorie aufzuzeigen.
 

 

Einleitung


Günter Krause
Ohne Frage zeigen einige wichtige ökonomische Indikatoren des globalen Kapitalismus für 2010/2011 einen konjunkturellen Aufschwung an. So sagt etwa der Internationale Währungsfonds für die Weltwirtschaft ein Wachstum von 4,4 Prozent im Jahr 2011 voraus. Der im Herbst 2008 dramatisch zusammengebrochene Immobilien- und Hypothekenmarkt in den USA vermeldet Ende 2010 eine erste, wenn auch relativ bescheidene Erholung. Die Automobilindustrie der USA wie der Bundesrepublik produziert zum gleichen Zeitpunkt nach den teils spektakulären Einbrüchen der vorangegangenen zwei Jahre wieder kräftig für den Export wie für die Nachfrage im Inland. Kollabierte Großbanken geben auf Grund ihrer jüngsten Transaktionen die ihnen gewährten bzw. in Anspruch genommenen Staatsgarantien zurück. Ökonominnen und Ökonomen der renommierten Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ermitteln für die ersten beiden Monate von 2011 den besten Konsumklima-Index seit dem Oktober 2007. Der deutsche Aktienmarkt etwa verzeichnete Ende Dezember 2010 für die vergangenen zwölf Monate einen enormen Kursaufschwung. Zudem scheinen nationale, europäische sowie weltweite Rettungsschirme für einzelne Länder, Banken und Währungen dem internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem –zumindest vorübergehend – wieder Halt zu geben.
Doch dessen ungeachtet bleibt das harte Faktum: Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/2009 als gewichtiger Bestandteil einer „organischen Krise“ (Gramsci, Gef.5: 1070) des Kapitalismus, spezifisch verflochten mit anderen gegenwärtigen Krisen wie etwa der Energie-, Wasser- und Rohstoffkrise, der Klima- und Umweltkrise, offenbart sich als eine „große Krise“ seiner bisherigen Geschichte. Sie zeigt gegenüber historischen Vorläufern neue Wirkungen und Dimensionen, hinterläßt diverse Spuren in Wirtschaft und Gesellschaft, führt zu bis dato unbekannten Aktivitäten und Konsequenzen im nationalstaatlichen, internationalen und globalen Krisenmanagement. Und vor allem: Sie wirft endlich viele theoretisch und politisch spannende Fragen auf, die einer Klärung bedürfen. Wie sind diese Krisen auf den Begriff zu bringen? Wie sind sie miteinander verbunden? Welche dauerhaften Bedrohungen und Gefahren gehen heute von ihnen aus für die Lebensverhältnisse von Menschen, für die Stabilität von Ökonomien und Gesellschaften, für Natur und Umwelt? Schließlich: Wie ist mit diesen Krisen umzugehen? Mit welcher Art von Politik kann ihnen möglicherweise begegnet werden? Doch wenn es – wie durch die Geschichte hinreichend empirisch verifiziert – keinen Kapitalismus ohne Krisen gibt, wie ist dann den Verhältnissen zu begegnen, die sie stetig Krisen hervorbringen? Welche politischen Optionen, welche realen Handlungsmöglichkeiten haben dabei emanzipatorische Akteure zur Überwindung dieser Verhältnisse? Stehen wir vielleicht am Beginn tiefer gesellschaftlicher Umbrüche, vor den Herausforderungen einer neuen „Great Transformation“ des Kapitalismus (Karl Polanyi)? Und wie stehen die Chancen für eine solidarische Gesellschaftstransformation, welche Projekte bzw. Pfade zeichnen sich etwa für „eine (noch) unmögliche Möglichkeit“ (Brie 2010: 12) ab?

Die wissenschaftliche Bearbeitung der Phänomene, Prozesse und Herausforderungen dieser multiplen Krise ist nach anfänglicher Zurückhaltung mittlerweile national wie international in Gang gekommen. Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Denkschulen präsentieren ihre Analysen und Deutungen. Treffend stellt Mario Candeias hierzu fest: „Systemkrise oder business as usual, zwischen diesen beiden Positionen changiert die Einschätzung der gegenwärtigen Krise. Doch weder ist der Kapitalismus als solches in der Krise, noch kann die Form kapitalistischer Entwicklung der letzten 30 Jahre einfach weiter verfolgt werden“ (2010: 3). Im Theoriespektrum jenseits des neoliberalen Mainstream sind im deutschsprachigen Raum zahlreiche Arbeiten erschienen, die Aufmerksamkeit verdienen (vgl. u.a. Demirovic et al. 2011, Altvater 2010, Bischoff et al. 2010, Hein et al. 2010, Huffschmid 2010, Dellheim/Krause 2010, Vogl 2010, Brand 2009, Candeias/Rilling 2009, Dullien et al. 2009, Horn et al. 2009, Institut 2009, Otte 2009, Klein 2008). Und Periodika wie etwa „Intervention“, „IMK-Report“, „Das Argument“, „Berliner Debatte Initial“, Marxistische Blätter, „Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung“, „LUXEMBURG“ oder „Sozialismus“ haben sich – teils mehrfach – mit der Krise(n), ihren verschiedenen Dimensionen und Aspekten, den Konsequenzen und Möglichkeiten für alternative, emanzipatorische Politik, dem Agieren der verschiedenen Akteure befaßt.
Ungeachtet der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Standpunkte, gewählten Perspektiven und vorhandenen Interessen lassen sich bei den Autorinnen und Autoren eine Reihe von Gemeinsamkeiten in der Themenbearbeitung erkennen. Worin bestehen diese vor allem?
Erstens in der Erkenntnis, daß die verschiedenen Krisenprozesse unstrittig Resultat und Ausdruck der Irrationalität der Logik und Funktionsweise des Kapitalismus im allgemeinen wie der Finanzmärkte und des Finanzmarkt-Kapitalismus im besonderen sind;
Zweitens im Registrieren der Tatsache, daß Tiefe und Umfang, Ausdehnung und Komplexität, Verflechtung und Spezifik der Krisen historisch erstmals in dieser Dimension aufgetreten sind, die beobachteten Phänomene und Tendenzen jenseits jeder „Normalität“ eines Konjunkturzyklus liegen, kurz: eine neue geschichtliche Situation gegeben scheint;
Drittens im Thematisieren der evidenten Krise des Jahrzehnte dominierenden Neoliberalismus, seiner spürbar gewordenen Defizite und Grenzen als legitimierendes und organisierendes Denk- und Gestaltungsmuster des herrschenden Blocks an der Macht sowie der damit verbundenen Notwendigkeit des Umbaus von Strukturen, der Neuorganisierung und -orientierung im Ressourcen- und Strategiebereich;
Viertens in der Aussage, daß diese Krise(n) unbedingt als Chance zu einem generellen Umdenken in der Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft, in Politik und ökonomischer Wissenschaft, in den Zielen und Motiven, der Art und Weise menschlichen Lebens, Wirtschaftens und Verbrauchens sowie des Umgangs mit der Natur und ihren Gütern zu nutzen ist;
Fünftens in der unübersehbaren Sensibilität für eine „Stunde der Alternativen“, d.h. ein Plädoyer für Theorien und Praxen alternativen Wirtschaftens, die „Fenster in eine andere Welt“ (Notz 2011) aufstoßen können.

Der vorliegende Band versammelt Aufsätze von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Rosa Luxemburg Stiftung sowie der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin zum facettenreichen Themenkomplex Kapitalismus – Krise – Transformationen. Die Publikation versteht sich – das kann natürlich gar nicht anders sein – als ein Beitrag zum aktuellen Krisendiskurs. Doch es geht hierbei weniger um eine – durchaus wichtige und notwendige – Behandlung von Ausmaß und Folgen der Krise(n). Vielmehr wird von den Autorinnen und Autoren der Versuch unternommen, zum einen anhand der Entwicklungen jüngerer Zeit erste verallgemeinernde Wertungen zu Kapitalismus und Krise, zur Frage notwendiger gesellschaftlicher Umbauten/Transformationen zu treffen. Zugleich wird nach möglichen wissenschaftlichen Konsequenzen für eine alternativ-emanzipatorisch orientierte Kapitalismus- und Krisentheorie gefragt, diese werden angedeutet bzw. eingefordert. Zum anderen werden – wie die Titel der Beiträge belegen – spezifische Problemlagen und Fragestellungen aus recht unterschiedlicher wissenschaftlicher Perspektive, aus der Optik von verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen bearbeitet. Neben Ökonominnen und Ökonomen sind in dem Band auch Philosophen, Historiker und Wirtschaftshistoriker vertreten.
Zur Entstehungsgeschichte der Beiträge und des Bandes: Die Texte von Judith Dellheim und Lutz Brangsch (Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung) sowie von Christa Luft, Gerhard Banse und Arne Heise (Leibniz-Sozietät) entspringen der Bitte um Mitwirkung an diesem Band. Die Aufsätze von Wolfgang Küttler, Wolfgang Eichhorn, Jörg Roesler, Ulrich Busch, Klaus Steinitz und Günter Krause (Leibniz-Sozietät) basieren jeweils auf Vorträgen vor dem Plenum bzw. der Klasse der Sozial- und Geisteswissenschaften der Sozietät im Zeitraum von 2008 bis 2010. Diese Präsentationen wurden von den Autoren für die nun vorliegende Publikation inhaltlich überarbeitet, thematisch teils erweitert sowie natürlich auch aktualisiert.
Ursprünglich als jeweilige Einzelpublikation in Periodika der Sozietät gedacht, wurde angesichts des Verlaufs der Krise(n) beschlossen – auch nachdem in der Klasse ein zeitweiliger Arbeitsschwerpunkt zur Krise angeregt wurde – die Vorträge als Grundstock für die Edition eines speziellen Krisen-Bandes zu betrachten, weitere Kolleginnen und Kollegen der Sozietät zur Mitarbeit einzuladen und die Rosa Luxemburg Stiftung zur Kooperation anzufragen.
Stiftung und Sozietät sind schon seit längerer Zeit über gemeinsame wissenschaftliche Vorhaben miteinander verbunden. Von beiden Institutionen wird – das darf schon so festgestellt werden – diese fruchtbare Zusammenarbeit geschätzt. Insofern ist es sehr erfreulich, daß diese Zusammenarbeit mit dem vorliegenden Band eine weitere Bestätigung erfährt. Für die freundliche finanzielle Förderung des Buchprojektes gebührt der Rosa Luxemburg Stiftung besonderer Dank. Zugleich verdienen die wissenschaftlichen Inspirationen, die gerade von verschiedenen Beiträgen und Debatten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse sowie speziell seines Direktors, Professor Dr. Michael Brie, zur Bearbeitung der Thematik ausgingen, uneingeschränkte Anerkennung und Würdigung.


Literatur
Altvater, E. (2010); Der große Krach: oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, Münster.
Bischoff, J. et al. (2010); Die große Krise, Hamburg.
Brand, U. (2009); Die multiple Krise. Dynamik und Zusammenhang der Krisendimensionen, Anforderungen an politische Institutionen und Chancen progressiver Politik, Heinrich Böll Stiftung, Berlin.
Brie, M. (2010); Solidarische Gesellschaftstransformation – Skizze über eine (noch) unmögliche Möglichkeit, in: Müller, H. (Hrsg.); Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation, Norderstedt, S. 12–56.
Candeias, M. (2010); Passive Revolutionen vs. sozialistische Transformation, rls papers, Berlin.
Candeias, M./Rilling, R. (2009) (Hrsg.); Krise. Neues vom Finanzkapitalismus und seinem Staat, Berlin.
Dellheim, J./Krause, G. (2010); Sichtbare Hände – Staatsinterventionismus im Krisenkapitalismus, Berlin.
Demirovic, A. et al. (2010) (Hrsg.); ViefachKrise, Hamburg.
Dullien, S. et al. (2009); Der gute Kapitalismus ... und was sich dafür nach der Krise ändern müsste, Bielefeld.
Gramsci, A.; Gefängnishefte, Berlin-Hamburg 1991ff.
Hein, E. et al. (2010); The World Economy in Crisis – The Return of Keynesianism? Marburg.
Horn, G. et al. (2009); Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise I-III, IMK-Report Nr. 39–41.
Huffschmid, J. (2010); Kapitalismuskritik heute. Herausgegeben v. Hickel, R./Troost, A., Hamburg.
Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung (2009); Die Krise des Finanzmarktkapitalismus – Herausforderung für die Linke, kontrovers 01.
Notz, G. (2011); Theorien alternativen Wirtschaftens, Stuttgart.
Otte, M. (2009); Der Crash kommt. Die neue Weltwirtschaftskrise und was wir jetzt tun können, Berlin.
Vogl, J. (2010); Das Gespenst des Kapitals, Zürich.

 

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 7
Günter Krause

Perspektiven und Grenzen des Kapitalismus als Gesellschaftsformation. Historisch-kritische Bemerkungen zur Kapitalismuskritik von Marx 11
Wolfgang Küttler

Die jüngste Krise belebt die Systemdebatte 27
Christa Luft

Überlegungen zu Veränderungen des Staates in der Krise 41
Lutz Brangsch

Mehr Inflation durch Staatsverschuldung oder weniger Staatsschulden durch Inflation? 63
Ulrich Busch

Krise und Produktivkraftentwicklung 87
Wolfgang Eichhorn

Historische Erkenntnisse zu progressiven Auswegen aus der aktuellen Wirtschaftskrise 101
Jörg Roesler

When facts change, I change my mind ... – Neuere Entwicklungen in der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft der Ökonomen und die heutige Situation in Deutschland 123
Arne Heise

Thorstein Veblens Kritik am Kapitalismus – Denkanstöße vom „amerikanischen Marx“ 143
Günter Krause

Zukunftsdenken zwischen Entwicklungs- und Risikoszenarien 149
Gerhard Banse


Aktuelle Fragen einer Dialektik des Antikapitalismus 169
Klaus Steinitz

Sozialökologischer Umbau – ein spezifischer Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte 185
Judith Dellheim


Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 199