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Ebert, Rosel & Georg

Friedrich Ebert. LEBENSRÄUME – Dezember 1905 bis Oktober 1919 –.

Eine biographische Skizze

2010, 208 S., zahlreiche Abb., ISBN 978-3-89626-966-9, 19,80 EUR

 

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Der Autor Georg Ebert über das Buch

Ich wurde im Jahre 1931 in eine Familie hineingeboren, die in der Geschichte bereits einen Namen hatte. Meinem Großvater Friedrich Ebert waren in schwierigster Zeit die Geschicke Deutschlands in die Hand gelegt worden. Auch für seinen ältesten Sohn – meinen Vater – galt die politische Arbeit als Lebensinhalt. Und trotzdem haben beide so wie
andere gelebt, geliebt, gearbeitet und den Familienalltag mit allen Höhen und Tiefen bewältigt.
Die Idee, dem Politiker Friedrich Ebert auch als
Privatmann ein weiteres Stück näher zu kommen, verdanke ich dem Forschungsdrang meiner Frau Rosel, ohne deren intensive Recherchen das vorliegende Ergebnis nicht zustande gekommen wäre. Mit fast 80 Jahren verfolge ich die Spur zurück in die Anfänge der politischen Tätigkeit meines Großvaters in Berlin und in die Kindheit meines Vaters. Von dort aus spannt sich der Bogen bis zur Gründung der Weimarer Republik und der Wahl des 1. Reichspräsidenten. Es ist unser Anliegen, den interessierten Leser unter einem persönlichen Blickwinkel in
Lebensräume Friedrich Eberts und seiner Familie zu führen, die bisher eher am Rande der Betrachtung lagen. Wenn es gleichzeitig gelungen ist, mit dem vorliegenden Buch zu weiteren detaillierten Nachforschungen anzuregen, hat sich die Arbeit
gelohnt. Denn letztendlich geht es auch um ein Stück BERLIN-GESCHICHTE.

Georg Ebert
November 2010



Inhaltsverzeichnis

Die Familie Ebert (Übersicht) 7

Vorbemerkungen 9

Neue Aufgaben 11

Boxhagen-Rummelsburg 1905–1911 15
Neue Bahnhofstraße Nummer 12 17
Knaben- und Mädchenschule 23
Umzugspläne 28

Treptow um 1910–1919 31
Defreggerstraße Nummer 20 33
In der Wohnung 42
Umkreis 46

Freizeit 61
Der Garten 64
Das Segelboot 77
In Müggelheim und anderenorts 93

Ärztliche Einflüsse 108
Dr. med. Franz Schönenberger 112
SR Dr. med. Arnold Freudenthal 122

Umbrüche
In den Zwängen der Macht 129

Berlin 1919 – Wilhelmstraße 144
Vorläufiger Wohnsitz 146
Präsidiale Familie 161

Beim Reichspräsidenten (Zeichnungen) 167

ANHANG 175
Kurzbiografien 177

Quellen- und Literaturverzeichnis 187
Bildnachweis 195

Über die Autoren 197
 

 

Leseprobe

 

Neue Aufgaben


Wer im Jahre 1905 aus dem Norden Deutschlands nach Boxhagen-Rummelsburg zieht, hat einen guten Grund dafür. So auch der 34jährige Sattler, Partei- und Gewerkschaftsfunktionär Friedrich Ebert, der auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im September 1905 zum Sekretär des Zentralvorstandes seiner Partei gewählt wurde. Das machte einen Umzug in die Nähe Berlins notwendig. In diesem Vorort besaß er einen Helfer, was die Sache wesentlich erleichterte.
Nach einem Polizeibericht vom 22. März 1910 ist Friedrich Ebert am 2.12.05 in Boxhagen-Rummelsburg zugezogen. Dieser Tag war ein Sonnabend. Ganz sicher hatte die Familie an dem ersten Wochenende im Dezember mit dem Umzug vollauf zu tun. Im Winter und drei Wochen vor Weihnachten einen solchen Ortswechsel von Bremen ins Berliner Umland vorzunehmen, dürfte nicht nur ein Vergnügen gewesen sein. Zumindest aus dem Blickwinkel der Eltern. Ob die Kinder – wie Emil Felden schreibt – die Trennung von Bremen und den Freunden tatsächlich als „Fest“ empfunden haben, ist fraglich. Wie einiges andere auch, was dieser Autor in seinem Fritz-Ebert-Roman schreibt. Ein Roman eben, in den eine Menge Erfundenes eingeflossen ist, wie Friedrich jun. gegenüber seinem Sohn Georg äußerte. Und der musste es schließlich wissen.
Emil Felden – Pastor in Bremen und zwischenzeitlich Chefredakteur einer Zeitung in Kolmar – war von 1923 bis 1924 als SPD-Abgeordneter Mitglied des Deutschen Reichstages. Für sein Buch führte er, wie man sagt, persönliche Gespräche mit Louise Ebert und offensichtlich auch mit deren Sohn Karl. Felden hat darauf verzichtet, deutlich zu machen, was Dichtung und was Wahrheit ist. Deshalb gehen wir distanziert an seine Aussagen heran.
So viel scheint allerdings festzustehen: Friedrich Ebert, der frischgebackene Sekretär, wählte dieses Umzugswochenende, damit er sich noch im Dezember mit seinen Arbeitsbedingungen in Berlin vertraut machen konnte. Dadurch war es ihm möglich, zu Beginn des neuen Jahres richtig loszulegen. Dass eine Menge auf ihn zukam, versteht sich von selbst.
Der Parteivorstand hatte sich – nachweislich seit dem Jahr 1905 – mit dem Archiv der SPD in der Lindenstraße 69 im Südwesten Berlins eingemietet. Seit 1902 befanden sich in dem großen Gebäude mit Hinterhäusern neben anderen Mietern bereits die Expedition und Redaktion der sozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts“ sowie die dazugehörige Buchdruckerei und Verlagsanstalt Paul Singer & Co mit Buchhandlung. Der Eintrag im Einwohnerverzeichnis des Berliner Adressbuches für dieses Jahr enthält auch den Vermerk zum „Vorwärts“: begr. 1902, Verlag des „Vorwärts“ Berliner Volksblatt, SW 68, Lindenstr. 69 pt. u. H. (Hof), Inh. August Bebel, Hermann Schubert und Paul Singer.
August Bebel und Paul Singer – nunmehr 65 und 62 Jahre alt – besaßen als Vorsitzende der SPD eine unangefochtene Autorität. Sie zeichneten für die politische Ausrichtung der Partei verantwortlich. Das schloss die Pressearbeit ein.
Der Gewerkschaftssekretär Hermann Schubert übernahm 1904 die dritte Firmenträgerschaft, die bisher Eugen Ernst innehatte. Eugen Ernst – Buchdrucker von Beruf – war 1900/1901 Mitglied des Parteivorstandes und die nächsten zwei Jahre sowohl Geschäftsführer, als auch Firmenträger der Vorwärts-Verlagsanstalt. Später, bis 1918, fungierte er als Hausverwalter der Druckerei „Vorwärts“.
Dass Zubeil im Erdgeschoss dieses Hauses eine Wirtschaft betrieb, wie Felden schreibt, ist unrichtig. Fritz Zubeil besaß nur von 1890 bis 98 eine Gastwirtschaft – anfänglich in Berlin SO, Naunynstraße 86, ab 1894 in der Lindenstraße 106. Seit 1890 war er Stadtverordneter von Berlin. Zu der Zeit, als Friedrich Eberts Tätigkeit in Berlin begann, arbeitete der inzwischen 58jährige Karl Friedrich Zubeil als Expedient beim „Vorwärts“ und wohnte in SO 36, Wienerstraße 14 b IV, in der Nähe des Cottbusser Ufer. Außerdem war er inzwischen auch Mitglied des Reichstages. In der Lindenstraße 69 gab es nur bis 1904 eine Wirtschaft, die zuletzt dem Schankwirt Richard Augustin gehörte.

Friedrich Ebert nahm also seine neue Wirkungsstätte in Augenschein. Mühlhausen schreibt unter Bezugnahme auf andere: „Das lange kolportierte Bild von dem forschen neuen Sekretär, der die Parteizentrale erst einmal organisatorisch umkrempelte und Technik mit Schreibmaschinen und Telefon aufrüstete, stimmt so freilich nicht.“

Etwas genauer finden wir die Situationsschilderung bei dem im September 1906 auf dem Mannheimer Parteitag in den Parteivorstand gewählten Hermann Müller-Franken. Das Buch „Friedrich Ebert und seine Zeit“ aus dem Jahre 1926 enthält seine Erinnerungen. Hier nur ein kleiner Auszug:
„Vom Herbst 1905 ab arbeitete Friedrich Ebert im Büro des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei, das sich damals noch im Hause Lindenstraße 69 im Südwesten Berlins in der vierten Etage befand. Ebert, obwohl von Haus aus in keiner Weise bürokratisch veranlagt, hat die neuen Errungenschaften der Büroarbeit dort eingeführt und so die technischen Voraussetzungen für eine geregelte Statistik und bessere laufende Beziehungen zwischen Zentrale, Bezirks- und Kreisorganisationen geschaffen, die notwendig waren, wenn die Kadres der größten politischen Parteiorganisation der Welt jederzeit manövrierfähig sein sollten.“
Die Arbeit in der Parteizentrale stellte Ebert vor besondere Herausforderungen. Viel ist darüber geschrieben worden, dass er hier auf die alten Genossen stieß, von denen er sich, was Tatkraft und Arbeitsweise betraf, deutlich abhob. Trotzdem war Friedrich Ebert klug genug, seinen Platz richtig zu erkennen. Die Alten im Vorstand zeichneten sich immerhin als in der Parteiarbeit erfahrene Genossen aus, die eine Menge auf dem Buckel hatten. Ihre Erfolge waren nicht zu übersehen. Heute würden wir ihnen die Bezeichnung „Multifunktionäre“ geben. Zu Bebel und Singer kamen der 54jährige Hermann Molkenbuhr und der schwer kranke fast 60jährige Ignaz Auer. Beide als Schriftsteller und Redakteure ausgewiesen. Dazu der 64jährige Redakteur Wilhelm Pfannkuch und der 48jährige Maschinenbauer Karl Alwin Gerisch, in dessen Händen die Kassierung lag.
Alle hatten nicht nur Aufgaben im Parteivorstand wahrzunehmen. Sie mussten auch ihrem jeweils konkreten Betätigungsfeld als Mitglieder des Reichstages, als Stadtverordnete von Berlin und anderem gerecht werden. Selbst Robert Wengels als Beisitzer stand einer Zeitungsspedition vor und war gewählter Stadtverordneter. Müller-Franken erwähnt noch einen zweiten Beisitzer Eberhard, über den aber nichts bekannt ist.
So wurde Friedrich Ebert nicht grundlos als neuer Sekretär vorgeschlagen und vom Parteitag in Jena gewählt. Die SPD-Mitgliederzahl war gewaltig angestiegen und Organisation und Aufgabenverteilung mussten der veränderten politischen Lage Rechnung tragen. Da aber vorerst nur Friedrich Ebert hinzustieß, sah er sich buchstäblich von einem Tag auf den anderen in Fragen der praktischen Parteiarbeit als „Mädchen für alles“. Solange, bis der fast 30jährige Hermann Müller-Franken auf der Bildfläche erschien und die Verantwortung für das Pressewesen und die internationale Arbeit übernahm.
In dem ersten Jahr seiner Berliner Tätigkeit wird Friedrich Ebert kaum zum Luft holen gekommen sein. Ehrgeizig war er mit vollem Engagement bei der Sache. Und trotzdem ist belegt, dass dieser Mann weder seinen Familiensinn verlor, noch seine Freizeit dem Arbeitspensum gänzlich opferte. Nicht zu vergessen, dass er sich – ebenso wie Frau und Kinder – mit dem veränderten Wohnumfeld Stück für Stück vertraut machen musste.


Boxhagen-Rummelsburg 1905–1911


Die Gemeindeväter von Boxhagen-Rummelsburg unternahmen zu jener Zeit den Versuch, Charakter und Anziehungskraft der typischen Arbeiterwohngegend zu verändern. Zwischen 1889 und dem Anschluss an die zunächst selbständige Stadtgemeinde Lichtenberg im Jahre 1912 bildete Boxhagen mit dem jenseits der Ringbahn gelegenen Rummelsburg eine eigene Landgemeinde. 1920 erfolgte die Eingliederung in die Berliner Großstadt.
Die Einwohnerzahl wuchs rasend schnell: Von knapp 17.000 im Jahre 1900 auf mehr als 40.000 im Jahre 1906. Die Gemeinde stand schon seit längerem vor der Aufgabe, neue kommunale und soziale Einrichtungen zu schaffen und die Infrastruktur auszubauen, wodurch sie zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Wohnten hier in der Vergangenheit überwiegend arme Arbeiterfamilien, suchten die Kommunalpolitiker nun verstärkt, zahlungskräftigere Neubürger zu gewinnen, zu denen auf Grund der jetzigen Tätigkeit auch Friedrich Ebert gehörte.
Friedrich Ebert fand eine Wohnung im Boxhagener Teil der Gemeinde in der Neuen Bahnhofstraße 12. Diese Straße gehörte zu einem Baukomplex, der zwischen 1901 und 1905 rund um den Stadtbahnhof Stralau-Rummelsburg errichtet wurde.
In kürzester Zeit entstand hier ein Mietshaus neben dem anderen. Ein Wohnhaus mit Seitenflügel wurde in der Regel in einem halben Jahr fertiggestellt. Das allein am Profit orientierte Baugeschehen wirkte sich nachteilig auf die Qualität der Häuser aus. Trotzdem waren die Wohnungen begehrt. In seiner Stadtteilgeschichte „Boxhagen zwischen Aufruhr und Langeweile“ schreibt Wanja Abramowski dazu:
„Schnell entwickelte dieses Neubaugebiet, nicht zuletzt wegen seiner günstigen Lage zum Bahnhof der Stadtbahn und der guten Wohnausstattung mit 1-3-Zimmer-Wohnungen, meist Innen-WC, Wasser-, Abwasser- und Gasversorgung sowie mit zahlreichen Läden und Kneipen, einen guten Ruf, der wiederum eine gutsituierte, selbstbewusste Arbeiter-, Handwerker- und Händlerbevölkerung, also nicht unbedingt ärmere Schichten anzog.“
Die Grundstücke auf der östlich gelegenen Seite der Neuen Bahnhofstraße zwischen Alt-Boxhagen und Weserstraße (Hausnummern 7b bis 17) gingen zu einem großen Teil in den Jahren 1904 bis 1911 an den in Karlshorst wohnenden Fabrikanten Georg Knorr über. Im Herbst 1904 hatte die Herstellerfirma von Luftdruckbremsen Carpenter & Schulze, deren Inhaber Knorr war, ein Grundstück in der Nummer 11 der Neuen Bahnhofstraße bezogen und einen Teil des Betriebes von Britz bei Berlin dorthin verlegt. Nach und nach sollte das ganze Unternehmen in dieser Gegend Fuß fassen.
An Hand der Berliner Adressbücher – die jeweils die Angaben der Vorjahre enthalten – ergibt sich Folgendes:
In den Jahren 1904/05 wurden die Mietshäuser Nummer 11 und 12 errichtet und bezogen. Rückwirkend für das Jahr 1905 kann man aus dem Adressbuch von 1906 schließen, dass die Nummer 11 – mit überwiegend drei Parteien auf den Etagen – zu dieser Zeit bereits voll belegt war, während in der Nummer 12 dagegen die Wohnungen erst nach und nach ihre Mieter fanden. Wer nach Oktober des laufenden Jahres einzog, ist in der Regel in diesem Adressbuch nicht vermerkt. Das trifft so auch auf Friedrich Ebert zu.

...

 

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