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Bülow, Frieda Freiin von

Reisescizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika

 

Herausgegeben mit einer Einleitung, Anmerkungen und einem Literaturverzeichnis von Katharina von Hammerstein nach der Ausgabe von Walther & Apolant, Berlin 1889, 2012, [= Cognoscere Historias, Bd. 19], 265 S., zahlr. Abb., Hardcover, ISBN 978-3-89626-946-1, 38,80 EUR
 

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Klappentext

“Wenn wir [Deutschen] doch erst so weit [wie die Engländer] wären!” notiert die Kolonialschriftstellerin Frieda von Bülow (1857–1909) sehnsuchtsvoll in ihren Reisescizzen und Tagebuchblättern aus Deutsch-Ostafrika (19. Juni 1887), die 1887 und 1888 während ihres ersten Aufenthalts in Ostafrika entstehen.
Bülows ambitionierter Ausruf steht repräsentativ für den ehrgeizigen Wunsch der jungen deutschen Nation – und insbesondere der kolonialbegeisterten Nationalliberalen –, weltweit und gerade in Ostafrika eine ebenso erfolgreiche Kolonialpolitik wie die zu dieser Zeit stärkste Kolonialmacht England zu etablieren und dabei die eigene Kultur ebenso effizient nach Übersee zu exportieren, wie Bülow es exemplarisch in der britischen Mission Mkunazini auf der ostafrikanischen Insel Sansibar, dem Regierungssitz des gleichnamigen Sultanats, beobachtet.
Die vorliegende, sich streng an das Original haltende Edition der Bülow’schen Reisescizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika bietet nicht nur eine einmalige Dokumentation, auf deren Grundlage weitergehende Forschungen erfolgen können. Ebenso sind die sachkundigen Einführungen der Herausgeberin in Leben und Werk von Frieda von Bülow sowie die Anmerkungen zum Text wichtige, den neuesten Forschungsstand repräsentierende Ausführungen, die Basis und Inspiration für zukünftige Publikationen bieten werden.
 

 

Auszug aus der Einleitung

“ ... ein segenspendendes Werk zur Ehre der deutschen Nation.”

Vorschlag einer Lesart von Frieda von Bülows national-kolonialistischen Aufzeichnungen aus Deutsch-Ostafrika.

Katharina von Hammerstein
 

“Wenn wir [Deutschen] doch erst so weit [wie die Engländer] wären!” notiert die Kolonialschriftstellerin Frieda von Bülow (1857–1909) sehnsuchtsvoll in ihren Reisescizzen und Tagebuchblättern aus Deutsch-Ostafrika (19. Juni 1887), die 1887 und 1888 während ihres ersten Aufenthalts in Ostafrika entstehen, 1889 als Buch in Berlin veröffentlicht werden und laut Bülows Biographin Monika Czernin beim Publikum ein “wahres Afrika-Fieber” auslösen (Czernin S. 145). Bülows ambitionierter Ausruf steht repräsentativ für den ehrgeizigen Wunsch der jungen deutschen Nation – und insbesondere der kolonialbegeisterten Nationalliberalen –, weltweit und gerade in Ostafrika eine ebenso erfolgreiche Kolonialpolitik wie die zu dieser Zeit stärkste Kolonialmacht England zu etablieren und dabei die eigene Kultur ebenso effizient nach Übersee zu exportieren, wie Bülow es exemplarisch in der britischen Mission Mkunazini auf der ostafrikanischen Insel Sansibar, dem Regierungssitz des gleichnamigen Sultanats, beobachtet:

“Mitten in Neger-Armseligkeit, indischen von Unsauberkeit strotzenden Kramläden und arabischen Schutthaufen sieht man auf einmal ein Stück Englands vor sich mit seiner blanken in voll entfalteter Blüte stehenden Kultur. [...] Hier hatte das britische Vermögen, das Gepräge der eigenen Art dem vorgefundenen Fremden aufzuzwingen, es fertig gebracht, arabische Bauten in heitere englische ‘cottages’ mit Loggien, blumenerfüllten Erkern etc. umzuwandeln” (19. Juni 1887; Hervorhebungen, KvH).

Der Blick auf die wie selbstverständliche Anglifizierung des afrikanischen Umfelds, die Bülow als sichtbares Zeichen des kulturexpansionistischen Erfolgs gilt, veranlasst die Autorin zum bereitwilligen, wenn auch leicht ironisierten Zugeständnis von “Erstaunen, Bewunderung und nationaler Eifersucht” (ibid). Doch tritt das Unterlegenheitsgefühl gegenüber den britischen Konkurrenten um die Vorherrschaft in Ostafrika zurück hinter dem sicheren Bewusstsein der gemeinsamen Überlegenheit der europäischen Kulturen gegenüber den lokalen Ethnien. Wie in der kurzen, hier zitierten Passage anklingt, wird ostafrikanischen Schwarzen, Inder(inne)n und Araber(inne)n eine höhere Kultur schlichtweg abgesprochen, indem ihre Lebensart in stereotypisierender Weise mit Armut, Schmutz und Verfall assoziiert und gegenüber den für Europa in Anspruch genommenen Werten der kultivierten Fülle, blitzblanken Sauberkeit und aufbaufreudigen Durchsetzungskraft herabgesetzt werden. Das “vorgefundene Fremde” erfährt eine Degradierung zur unzivilisierten tabula rasa. Die angebliche Rückständigkeit Ostafrikas, die nach der sich in Europa seit der Aufklärung durchsetzenden Kategorie des Fortschritts bemessen und für minderwertig befunden wird, dient Bülow – wie den Kolonialmächten überhaupt – als Kontrastfolie für ihre Demonstration der überragenden Leistungsfähigkeit der eigenen Nation(en) und damit als Beleg für eben jene grundsätzliche Überlegenheit der europäischen Kulturen. Diese Konstruktion eines Kulturgefälles zwischen “the West and the rest” (Stuart Hall) bietet zugleich die Rechtfertigung dafür, fremde Kulturen – seien sie nun in Afrika, Asien oder dem Süd-Pazifik – im Namen einer zivilisierenden Mission mit Hilfe von christlichen Missionen, Handel und Militär kurzerhand “umzuwandeln,” wie wir es in Bülows bewundernden Zeilen lesen. Die selbsternannte und die eigenen Maßstäbe universalisierende europäische Metropole nimmt für sich in Anspruch, der zur primitiven Peripherie deklarierten Welt außerhalb Europas das “Gepräge der eigenen Art,” d.h. die eigenen Sicht- und Lebensweisen, Normen und Strukturen “aufzwingen” zu dürfen, ja zu sollen. Denn, so folgt aus der kolonialistischen Logik, erst die zivilisatorischen Eingriffe der KolonialistInnen machen es möglich, “Blüten” aus den vorgefundenen, rohen Zuständen hervorzuzaubern. Entsprechend heißt es in Bülows Reisescizzen und Tagebuchblättern aus Deutsch-Ostafrika:

“Dem Menschen hat es Gott verliehen, der schönen Natur den Stempel seines bewußt strebenden Geistes aufzudrücken; das drängt sich dem Beschauer dieser ostafrikanischen Landschaften immer wieder auf. Sie tragen Reichtum und blühendes Leben in sich verschlossen und scheinen erwartungsvoll dem Herrn der Erde entgegenzusehen, daß er die edlen Keime aus dem langen Schlaf erwecke und an’s Licht ziehe” (19. August 1887; Hervorhebungen, KvH).
Jenen “Menschen,” “Betrachter” und “Herrn der Erde,” der vom christlichen Gott mit “strebendem Geist” und einer Keime treibenden Tatkraft ausgestattet sei, erblickt Bülow offenbar nicht in den einheimischen arabischen, indischen oder afrikanischen Bewohnern und Besitzern des ostafrikanischen Bodens, sondern in den europäischen, insbesondere deutschen Kolonial­herren und -damen, welche das willig-“erwartungsvolle” Land aus einem vermeintlichen Dornröschenschlaf “erwecken” und sich – im Bewusstsein ihrer Legitimation durch Geist, Strebsamkeit und ihre vorgeblich höhere Zivilisationsstufe – seinen “Reichtum und [sein] blühendes Leben” aneignen wollen und sollen.
Eurozentrische Einstellungen und Handlungsweisen, kolonialistische Hoffnungen, das nationalistische Selbstverständnis und die offen zugegebene Rivalität gegenüber den historischen Kontrahenten im Wettstreit um die Eroberung Afrikas, wie sie uns in Frieda von Bülows Band immer wieder begegnen, sind keineswegs überzogene Ausnahmen, sondern durchaus repräsentativ für die im Europa und Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts verbreiteten kolonialistischen und rassistischen Sichtweisen. Insofern stellen Bülows Reisescizzen und Tagebuchblätter, die ein Bild des kolonialen Alltags sowie der Landschaften, Menschen und Machtverhältnisse in Ostafrika aus der Perspektive einer weißen, deutschen Betrachterin wiedergeben, ein Zeitdokument des deutschen kolonialistischen Diskurses um 1890 dar.
Bülows Beobachtungen, die sie für ihr zeitgenössisches deutsches Publikum in anschaulichen “Scizzen” schriftlich aufbereitet, werden von mir im Folgenden jedoch weniger als Abbildungen historischer Realität und Zeugen dafür, “wie es eigentlich gewesen ist” (Leopold von Ranke), verstanden, sondern vielmehr als Bildkonstruktionen, die zu dieser spezifischen Zeit aus einer spezifischen Weltanschauung heraus entstanden sind und einen spezifischen Zweck verfolgten. Diese Konstruktionen gilt es nun, zum einen aus dem historischen Zusammenhang heraus und zum andern auf der Grundlage postkolonialer Kenntnisse und Perspektiven von heute zu deuten. Die Auswertung der Art und Weise ihrer Darstellung, ihrer Kolorierung und Perspektivierung und ihrer Auslassungen ist dabei ebenso wichtig wie der mögliche Informationswert des Dargestellten selbst. Für Leser(inn)en von heute eröffnen Bülows Aufzeichnungen ferner wertvolle Hinweise auf Brüche in dem hierarchisch angelegten kolonial(istisch)en Diskurs sowie auf interkulturelle Begegnungen und deutsch-ostafrikanischen bzw. ostafrikanisch-deutschen Austausch, welche die scheinbare Einseitigkeit von Bülows Blickwinkel – möglicherweise unbeabsichtigt – unterminieren und kaum merkliche Spuren von Multiperspektivität durchscheinen lassen.
Bei Frieda von Bülows Reisescizzen und Tagebuchblättern sowie ihren übrigen Schriften aus Deutsch-Ostafrika, das um 1890 die Gebiete der heutigen Staaten Tansania, Ruanda und Burundi umfasst, handelt es sich um die ersten Wortmeldungen einer Frau aus den deutsch-afrikanischen Kolonien, denen erst nach der Jahrhundertwende weitere weibliche Stimmen – vornehmlich aus der Siedlerkolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, – nachfolgen. Bülow ergänzt die deutsch-afrikanische Kolonialliteratur erstmals um die Sichtweise einer (weißen) Frau, die sich damit zugleich einschreibt in drei am Ende des 19. Jahrhunderts höchst aktuelle und miteinander verflochtene nationale, soziale, politische und historisch weitreichende Großprojekte: Nationalismus, Kolonialismus und Feminismus.
Schenkt man Bülows Freundin und erster Biographin Sophie Hoechstetter Glauben, so ist es Bülow gerade in den Jahren zwischen ihrem ersten (1887–1888) und zweiten Ostafrika-Aufenthalt (1893–1894)

“ein stärkstes Bedürfnis gewesen, von ihren Erlebnissen in Afrika zu sprechen, die neuen Verhältnisse von dort zu schildern. Sie wirkte auf diese Weise für die Verbreitung der kolonialen Ideen – sie vermittelte Anschaulichkeit, sie wußte durch die in Erzählungsform gebrachten Dinge aus den neuen Kolonien das Interesse und die Teilnahme weitester Kreise für die Sache, an der ihr Herz hing, zu erwecken” (Hoechstetter 1910, S. 176–77; Hervorhebungen, KvH).

Entsprechend gilt Frieda von Bülow in der deutschen Literaturgeschichte als “Schöpferin des deutschen Kolonialromans” (Warmbold 1986). Den Anfang ihres durchaus politisch motivierten schriftstellerischen Einsatzes für die koloniale Sache – mit dem ausdrücklichen Ziel, durch literarisch vermittelte Anteilnahme am Leben und Denken in den Kolonien “weiteste Kreise” dafür zu gewinnen, – machten jedoch nicht ihre fiktionalen Werke, sondern ihre autobiographischen Reisebeschreibungen und Tagebucheintragungen. So wie der vorliegende Band 1889 als Zusammenfassung ihrer ostafrikanischen Aufzeichnungen aus den Jahren 1887 und 1888 erschien, so veröffentlichte Bülow schon zuvor und auch danach einzelne Briefe und Aufsätze über ihre dortigen Erlebnisse und Betrachtungen in Zeitschriften wie Daheim, Kolonialpolitische Korrespondenz, Die Zukunft und Die Frau – Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit sowie in Zeitungen wie der Illustrirten Zeitung und der Unterhaltungsbeilage der Täglichen Rundschau (s. Literaturhinweise im Anhang).
Aufgewachsen ist Frieda von Bülow in einer angesehenen altadligen, preußischen Familie als älteste Tochter Hugo von Bülows und seiner Frau Clotilde, geb. von Münchhausen. Ihr belesener und seinerseits schriftstellerisch tätiger Vater war einige Jahre Legationsrat und Leiter der preußischen Botschaft in Smyrna, dem heutigen Izmir in der Türkei. Dort verbringt Frieda zwischen 1863 und 1865 glückliche Kinderjahre in der als exotisch empfundenen Fremde, von der sie und ihre Lieblingsschwester Margarete sich ausgesprochen angezogen fühlen. Ab 1865 übersiedelt die Mutter Clotilde mit vieren ihrer fünf Kinder nach Thüringen in die pietistische Herrnhuter Brüdergemeine von Neudietendorf, wohin nach dem vorzeitigen Tod des Vaters 1869 auch die zunächst bei ihm verbliebene Margarete nachkommt. Gemeinsam vergnügen sich Frieda und Margarete auf dem nahe gelegenen Gut Ingersleben ihrer Großmutter Henriette von Münchhausen, deren Park und wohl sortierte Bibliothek ihnen vielseitige Anregung und uneingeschränkten Spielraum für literarische Schreibübungen und phantasievolle Aufführungen bieten. Anfang der 1880er Jahre ziehen sie gemeinsam mit der Großmutter nach Berlin, wo Margarete sich zur Schriftstellerin entwickelt und Frieda im Lucie Crain Institut unter der Leitung Helene Langes, der späteren Führerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung und lebenslangen mütterlichen Freundin, eine Ausbildung zur Lehrerin erhält und an einer höheren Mädchenschule unterrichtet. Als Töchter aus einer vergleichsweise armen Adelsfamilie müssen die Schwestern damit rechnen, unverheiratet zu bleiben und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen zu müssen. Eine unerwartete Wendung nimmt Frieda von Bülows Leben, als Margarete im Januar 1884 im Rummelsburger See bei Berlin ertrinkt, nachdem sie ein ins Eis eingebrochenes Kind gerettet hat. Mit ihr verliert Frieda ihre Seelenverwandte.
Ein neues Lebensziel bietet sich Bülow im Engagement für die koloniale Entwicklung Ostafrikas. Als sie 1885 bei dem kurz zuvor zu Berühmtheit gelangten deutschen Kolonialverfechter Carl Peters vorspricht, um sich für ihren ebenfalls von der Kolonialfrage inspirierten Bruder Albrecht zu verwenden, verliebt sie sich in Peters. Es folgen knapp drei Jahre einer intensiven Liebesbeziehung und praktischen Zusammenarbeit und für Bülow eine lebenslange emotionale Gebundenheit an Peters (vgl. Czernin). Trotz der Auflösung der Verbindung 1887/1888 und trotz des öffentlichen Skandals, der sich in den 1890er Jahren aufgrund der Anklage des Amtsmissbrauchs und der Grausamkeit gegenüber ostafrikanischen Einheimischen um Peters rankt, verteidigt Bülow ihn wiederholt in privaten Briefen und öffentlichen Schriften. In den Reisescizzen und Tagebuchblättern bezeichnet sie ihn als rastlos vorwärts eilenden, “genialen Mann” (19. August 1887), in ihrem Aufsatz “Ein Mann über Bord” von 1897 verwahrt sie sich dagegen, dass mit ihm einer von “unseren entschlossensten und begabtesten Kolonialpolitikern” “in öffentlicher Reichstagssitzung als ein gemeingefährlicher Verbrecher” hingestellt werde (Bülow, “Mann über Bord”, S. 552f.), und mit der Figur des Ralf Krome in ihrem Roman Im Lande der Verheißung setzt sie ihm 1899 ein literarisches Denkmal. Dieses Werk erlebt unter dem erweiterten Titel Im Lande der Verheißung: Ein deutscher Kolonialroman um Carl Peters eine mehrfache Neuauflage in der kolonialpolitisch ambitionierten Nazizeit, in der Peters ferner in dem Film “Carl Peters” (1941) mit Hans Albers in der Hauptrolle zum Helden im furchtlosen Einsatz für die rühmliche Erweiterung des Deutschen Reiches nach Afrika stilisiert wird.
Frieda von Bülows eigener aktiver Einsatz für den deutschen Kolonialismus beginnt damit, dass sie im Jahr 1886 die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika mitbegründet. Als einzige Frauen sitzen sie und Martha Gräfin Pfeil unter 18 Männern im Vorstand (vgl. Bückendorf S. 320ff., Wildenthal 2001, S. 21ff., Czernin S. 98ff.) und argumentieren erfolgreich dafür, die Bemühungen der Missionsgesellschaft vorerst auf Krankenpflege statt auf Missionsarbeit zu konzentrieren und Frieda von Bülow nach Ostafrika zu entsenden, um an der dortigen Küste Krankenstationen einzurichten. Doch kommt es bereits vor der Abreise zu Meinungsverschiedenheiten über konfessionelle, weltanschauliche und finanzielle Fragen (vgl. Wildenthal 2001, S. 24ff.). Eva und Martha von Pfeil, Frieda von Bülow und weitere Damen der gehobenen Gesellschaft gründen im gleichen Jahr mit der Unterstützung von Carl Peters den nicht konfessionell gebundenen Deutschnationalen Frauenbund, der sich ausschließlich der Krankenpflege in den Kolonien widmet. Im Unterschied zu den Schwestern Pfeil verfolgt Bülow, die die starke Religiösität ihrer pietistischen Mutter nicht teilt, mit dem Frauenbund eine sekularisierte und national ausgerichtete Konzeption, die obendrein feministische Züge trägt: “Bülow was interested in female nursing as a form of patriotic expression for women and as a potential solution to the problem of suitable paid employment for unmarried middle-class women. She abhorred the notion that nurses ought to work out of pious self-denial and in utter subordination to authority” (Wildenthal 2001, S. 25, vgl. Dietrich S. 256). Nachdem die Evangelische Missionsgesellschaft nun vorzieht, mit der Krankenschwester Marie Rentsch eine konformere und weniger eigenständige Repräsentantin nach Ostafrika zu entsenden, tritt Frieda von Bülow ihre Reise jetzt ausschließlich im Auftrag des Deutschnationalen Frauenbunds an. In verantwortlicher Rolle soll sie mit Unterstützung der ihr unterstellten Krankenschwester Bertha Wilke an einigen Küstenorten wie z.B. Dar-es-Salaam und Pangani, die sich bereits in deutscher Hand befinden, den Aufbau von Krankenstationen leiten. Die Reise der beiden Pionierinnen beginnt im Mai 1887 in Berlin und führt zunächst per Zug nach Venedig; von dort überqueren sie mit dem Schiff das Mittelmeer mit Ziel Alexandria und reisen mit dem Zug nach Suez, von wo sie abermals mit dem Dampfer erst durch das Rote Meer nach Aden und anschließend auf dem Indischen Ozean über Lamu und Mombasa auf die Ostafrika vorgelagerte Insel Sansibar gelangen.
Da Frieda von Bülows erster Aufenthalt in Ostafrika vom Juni 1887 bis Anfang 1888 in die frühe Phase der deutschen Kolonialisierung Ostafrikas fällt, soll diese als historischer Kontext des vorliegenden Bandes hier skizziert werden. Im Unterschied zu den jahrhundertealten Kolonialmächten England, Frankreich und Portugal nimmt Deutschland am kolonialen Wettlauf um die Eroberung Afrikas erst seit der sogenannten Kongo-Konferenz teil, die Reichskanzler Otto von Bismarck 1884–1885 in Berlin ausrichtet und auf der die europäischen Großmächte Afrika unter sich aufteilen. Bereits 1884 hatte Carl Peters zusammen mit Felix Wilhelm Leonhard Graf Behr-Bandelin die Gesellschaft für deutsche Colonisation gegründet, die sich die Errichtung deutscher Ackerbau- und Handelskolonien zum Ziel setzte, und aus der 1885 die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) hervorgeht. Schon im November und Dezember 1884, d.h. noch während die Kongo-Konferenz in Berlin tagt, unternimmt Peters im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Colonisation von Sansibar aus mit wenigen Bundesgenossen und vielen afrikanischen Führern und Trägern einen als Usagara-Expedition bekannt gewordenen Gewaltmarsch von ca. sechs Wochen, der der Gesellschaft weiträumige Landnahme im ostafrikanischen Inland sichert. Mit lokalen Potentaten schließt er unter Zelebrierung symbolischer Akte wie dem Schließen von Blutsbruderschaft und Hissen der deutschen Fahne sowie der Vergabe von Alkohol und Gastgeschenken Schutzverträge ab. Darin erklären sich die – der deutschen Sprache zweifellos unkundigen – Häuptlinge als alleinige, d.h. vom Sultan von Sansibar unabhängige Herrscher und sagen der Gesellschaft für deutsche Colonisation die unumschränkte Nutzung ganzer Landstriche zu; im Tausch dafür erhalten sie die Zusage deutschen Schutzes gegen Sklavenraub von ihrem Gebiet und gegen Überfälle seitens feindlicher Nachbarn. Obwohl diese Verträge sogar in den Augen einiger deutscher Zeitgenossen “reine
Komödienstücke in der Geschichte der Kolonisation” darstellen (Falkenhorst S. 34), wird durch sie doch die Oberhoheit des Sultans von Sansibar im Inland von Ostafrika unterminiert und werden auf diese Weise von deutscher Seite her die Ansprüche anderer Kolonialmächte auf diese Gebiete ausgeschlossen (vgl. Förster S. 7–13, Falkenhorst S. 15–36, Pesek S. 168–179).
Reichskanzler Otto von Bismarck steht Peters Unternehmungen ablehnend gegenüber. Er ist Verfechter einer Politik des europäischen Gleichgewichts und prinzipieller Gegner teurer wirtschaftlicher und militärischer Investitionen in die Kolonien. Doch kann er sich den Großmachtwünschen, die nach der Reichsgründung von 1871 in Deutschland verstärkt erwachen, und dem damit verbundenen Ruf nach Kolonien nicht verschließen, zumal der Kolonialismus obendrein eine willkommene Ablenkung von innenpolitischen Spannungen und den wachsenden Sympathien für die trotz Verbot aktiven Sozialdemokraten darstellt. Als Peters droht, die 1884 vertraglich erbeuteten ostafrikanischen Gebiete an Belgien zu verkaufen, willigt Bismarck ein, für sie den kaiserlichen Schutzbrief ausstellen zu lassen, verfolgt jedoch zugleich das auf Konfliktvermeidung hin ausgerichtete und 1886 zustandekommende deutsch-englische Ostafrika-Abkommen, das die Grenze zwischen der deutschen und der englischen Interessensphäre klar festlegt und dem Sultan von Sansibar zunächst die Souveränität der Insel Sansibar garantiert.
Auch die ostafrikanische Küste untersteht zum Zeitpunkt von Bülows dortigem Aufenthalt noch dem Sultanat Sansibar unter dem Sultan Said Bargasch (1837–1888, reg. 1870–1888). Dessen Vater Sayyid Said (1791–1856) hatte als Sultan von Oman den Regierungssitz von Maskat nach Sansibar-Stadt verlegt, wo sich Bargaschs älterer Bruder Madjid (1834–1870; reg. 1856–1870) als Sultan von Sansibar etabliert und Bargasch ihm auf den Thron folgt. Die Wirtschaft des Sultanats lebt stark vom Sklavenhandel entlang der ostafrikanischen Küste. Sultan Bargasch führt westliche technische Errungenschaften wie z.B. elektrisches Licht ein, entwickelt eine moderne Infrastruktur, unterhält Handelsabkommen mit einigen der wichtigsten Handelsmächte der damaligen Welt, darunter mit Deutschland – insbesondere mit mehreren Hamburger Handelshäusern –, und schafft 1873 unter dem Einfluss des britischen Konsuls Sir John Kirk offiziell den Sklavenhandel ab, selbst wenn dieser inoffiziell weitergeführt wird. Seine Regierungszeit sieht zunächst eine wirtschaftliche Blüte und dann den Beginn des Niedergangs des Sultanats. Nachdem Peters 1884 die besagten Schutz- bzw. Landabtretungsverträge mit lokalen Herrschern des ostafrikanischen Hinterlands abgeschlossen hat, wird Bargasch 1885 unter dem Druck deutscher Kanonenboote gezwungen, jene Inlandsgebiete als deutsches Protektorat anzuerkennen.
Im Sommer 1887, d.h. während der im vorliegenden Band beschriebenen Begebenheiten, in denen Carl Peters eine nicht unwesentliche Rolle spielt, handelt Peters entgegen den Wünschen des deutschen Auswärtigen Amtes einen Präliminarvertrag mit Sultan Bargasch aus, nach welchem dieser der DOAG – über die Abtretung des ostafrikanischen Hinterlands hinaus – die Verwaltung einschließlich des Rechts, Zölle und Steuern zu erheben, am ostafrikanischen Küstenstreifen zwischen den Flüssen Umba im Norden und Rovuma im Süden, d.h. zwischen der britischen Interessensphäre im Norden (heute Kenia) und der portugiesischen im Süden (heute Mosambik) verpachten würde. Dafür soll das Sultanat eine vereinbarte Pachtsumme sowie die Hälfte des Zollgewinns erhalten.
Die Küstenorte Dar-es-Salaam und Pangani stehen zur Zeit von Bülows Aufzeichnungen bereits unter deutscher Verwaltung. Weitere Häfen sollen hinzukommen. Carl Peters schreibt in seinem Band Die Gründung von Deutsch-Ostafrika: “Durch den neuen Vertrag fallen uns etwa 12 entwicklungsfähige Küstenplätze zu, wo wir Zoll-und Steuerrecht besitzen” (Peters 1906, S. 223). Er plant die auch bei Bülow erwähnten Küstenorte Pangani, Bagamoyo, Dar-es-Salaam, Kilwa-Kissiwani und Lindi als deutsche Stationen und Küstenzentren und will bei deren Einrichtung “mit Nachtdruck und Energie vorgehen, wofür ich ja die volle Handhabe besitze in den Küstengarnisonen, welche in Zukunft uns zu gehorchen haben werden”; weiter bemerkt er: “Der Zoll, der früher auf Zanzibar kam, wird in Zukunft auf die betreffenden Küstenplätze fallen” (ibid S. 221). Es ist Peters’ Langzeitplanung,

“den Sultan von Zanzibar zu zwingen, uns später auch den Zoll von Zanzibar unter ähnlichen Bedingungen wie die Zölle auf dem Festlande abzutreten, das heißt in Wahrheit die deutsche Oberherrschaft anzunehmen. [...] in der Anwartschaft auf Zanzibar kann uns nach diesem Vertrage auch England in Zukunft keine Konkurrenz machen, da wir das natürliche Hinterland mit dem Zollrecht jetzt besitzen” (ibid; Hervorhebungen, KvH).

Sultan Bargasch widersetzt sich weitmöglichst der deutschen Machtübernahme am Küstenstreifen, stirbt aber 1888. Sein Nachfolger Sultan Khalifa überträgt der DOAG im April 1888 die Verwaltungsmacht über die Küste von nördlich von Tanga bis südlich von Kap Delgado gegen eine festgelegte Pachtsumme und einen prozentualen Anteil an den dortigen Zoll- und Steuereinnahmen.
Als die DOAG im Sommer 1888, d.h. kurz nach der in Bülows Aufzeichnungen reflektierten Zeitspanne, diese Verwaltungshoheit an der Küste durchsetzen will, kommt es in den Hafenorten zum Aufstand vornehmlich der arabischen Händlerschicht unter der Leitung von Abushiri bin Salim al-Harthi. Dieser sogenannte Araber-Aufstand wird durch den Einsatz deutscher Kriegsschiffe, Marinesoldaten und einer unter Hermann von Wissmann zusammengestellten Truppe mit Hilfe von afrikanischen Askaris (schwarzen Söldnern) brutal niedergeschlagen. Ende 1890 stellt das Deutsche Reich das gesamte vormalige Schutzgebiet der DOAG unter staatliche Verwaltung, wodurch Deutsch-Ostafrika vom bloßen Schutzgebiet zu einer deutschen Kolonie avanciert. Carl Peters’ Plan, auch Sansibar dem deutschen Kolonialreich einzuverleiben, zerbricht mit dem Sansibar-Helgoland-Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien im Jahr 1890. Darin verzichtet Deutschland auf Ansprüche in Uganda und Somaliland und bestätigt den britischen Einfluss auf Sansibar; dafür überlassen die Briten den Deutschen die Insel Helgoland in der Nordsee und den Caprivi-Zipfel in Südwestafrika, und die Deutschen erhalten für vier Millionen Mark die Landrechte an dem umstrittenen ostafrikanischen Küstenstreifen.
Als Carl Peters’ Gefährtin in dieser frühen Phase der deutsch-ostafrikanischen Kolonialisierung mag Frieda von Bülow von seinen kolonialpolitischen Manövern gewusst und seine hochfliegenden, expansionistischen Pläne gekannt und geteilt haben.

 

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