Inhalt
Einleitung 7
Teil I Inter- und Transdisziplinarität
13
-
Komplexität, Inter- und Transdisziplinarität. Grundsätze im Wirken
des LIFIS 15
Lutz-Günther Fleischer
-
Inter- und Transdisziplinarität im Wirken der Leibniz-Sozietät der
Wissenschaften zu Berlin – Exemplarisches 53
Gerhard Banse
-
Inter- und Transdisziplinarität – objektive Erfordernisse des
technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts 73
Bernd Junghans
-
Nationale und Europäische Lösungen zur Institutionalisierung
der Wissenschaft 83
Hermann G. Grimmeiss
-
Autonomie der Wissenschaft im Kontext von Verantwortlichkeit 91
Herbert Hörz
-
Inter- und Transdisziplinarität als wissenschaftliche Problemlösungsstrategien? 113
Reinhard Mocek
-
Selbstorganisation und Interdisziplinarität.
Erfahrungen aus der Arbeit in Plenum und Klassen der Akademie
1970 bis 1990 127
Werner Ebeling
-
Städteplanung im 21. Jahrhundert – eine interdisziplinäre Herausforderung.
ElCity – Stadtkonzept des 21. Jahrhunderts 141
Roland Lipp
-
Naturwissenschaft und Glaube. Eine aktuelle Besichtigung 149
Siegfried Wollgast
-
Geschichte und Transdisziplinarität. Zur gesellschaftlichen Verantwortung
der historischen Wissenschaften 165
Wolfgang Küttler
-
Disziplinarität und Interdisziplinarität in der Bildung 179
Karl-Friedrich Wessel
-
Interdisziplinäre Beziehungen zwischen Literaturwissenschaft und Natur-
und Sozialwissen- schaften – Defizite und Perspektiven 187
Hans-Otto Dill
Teil II Erfolgsfaktoren der Interdisziplinarität 201
-
Erfolgsfaktoren der Interdisziplinarität. Ein Bericht 203
Albert Albers, Björn Ebel, Thomas Alink
-
Das interdisziplinäre Projekt „Kosmosspiegel“ 215
Ernst-Otto Reher, Gerhard Banse
-
Aktuelle Ansätze zur Unterstützung interdisziplinärer Zusammenarbeit
im Bauwesen 227
Petra von Both
-
Disziplinen der Produktentwicklung aus der Perspektive des
angelsächsischen Raums 243
Claudia Eckert, Nicole Schadewitz
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Technikfolgenabschätzung –
problemorientiert und transdisziplinär? 255
Michael Decker
-
Jenseits der Disziplinen – Transdisziplinarität als neues Paradigma 281
Günter Ropohl
Autorenverzeichnis 297
Einleitung (Auszug)
Die Themen „Interdisziplinarität“ und „Transdisziplinarität“ sind nicht erst
seit gestern Gegenstand wissenschaftlicher Reflexionen. Sie haben eine lange
Geschichte – wie schon eine Auflistung der entsprechenden Literatur zeigen
würde. Aber gegenwärtig sind sie fast ubiquitär, „allgegenwärtig“, wie
bereits die Anzahl der Ergebnisse bei einer „Google-Anfrage“ belegt: für
„Interdisziplinarität“ 132.000 Einträge (in 0,12 Sekunden!), für
„Transdisziplinarität“ 92.300 Einträge (in 0,25 Sekunden). Es ist aber nicht
nur die beeindruckende Anzahl der Einträge, sondern vielmehr die Vielfalt
der „Gegenstände“, auf die diese Einträge verweisen: elektronische und
gedruckte Artikel, Bücher, Vorträge, Materialen, Projekte, Arbeitsgruppen
u.v.m. – bezogen insbesondere auf Forschung, Lehre und Bildung. Wenn man
diese „Allgegenwart“ nicht vorrangig als modischen Trend, sondern als eine
wesentliche Tendenz der Wissenschaftsentwicklung interpretiert, dann ist
damit auch die Notwendigkeit verbunden, gelegentlich „inne zu halten“, sich
des Erreichten zu versichern, um auf dieser dann gesicherten Basis weiter
vorankommen zu können. Und genau das ist das Ansinnen des vorliegenden
Buches, das Beiträge von zwei wissenschaftlichen Veranstaltungen im Jahre
2009 enthält, einer in Berlin und einer in Karlsruhe, die zwar inhaltlich
unabhängig voneinander konzipiert wurden, sich aber alsbald – nicht nur
infolge persönlicher „Überlappungen“ – als komplementär erwiesen.
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Handlungsleitend waren die faktische Einsicht und die persönliche Erfahrung,
dass sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend theoretische und unabweisbare
praktische Probleme in den Vordergrund drängen, die Prozesse der Gewinnung
und Umsetzung einer wachsenden Vielzahl und Vielfalt wissenschaftlicher
Erkenntnisse in allen Bereichen und Nutzungsformen der Gesellschaft
umfassen. Diese drängenden Probleme betreffen originär die Institution
Wissenschaft – mit ihren Grundfunktionen Bildung, Forschung und Entwicklung
– insbesondere bezogen auf die
• Prioritäten ihres Wirkens;
• institutionelle Autonomie;
• effektiven inneren Organisationsstrukturen und Kooperationsformen;
• innerwissenschaftliche und gesamtgesellschaftliche Bewertungen von
Strategien und Ergebnissen;
• tatsächlich wahrnehmbare Verantwortung der Wissenschaftler für die
schnelle, fortschrittsfördernde und humanistische Nutzung der Ergebnisse;
• optimale Gestaltung der Überführungsprozesse in die gesellschaftliche
Praxis;
• Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft sowie der Politikberatung.
Wissenschaft steht – trotz aller Eigengesetzlichkeiten – in dialektisch
verbundenen politischen, ökonomischen, ökologischen, sozialen, ethischen und
geistig-kulturellen Kontexten. Zu ihren maßgebenden Pflichten gehört es,
relevante Problemstrukturen zu analysieren, zu erörtern, der Öffentlichkeit
nahe zu bringen, Lösungsansätze anzubieten – zumindest aber praktikable Wege
zu skizzieren und effektiv zu begleiten. Häufig fallen bisher leider gerade
die drängendsten Lebens- und Überlebensfragen „durch die Maschen“ des schön
und zunehmend enger geknüpften Netzes unserer ehrwürdigen klassischen
Wissenschaften. Unverkennbar und spürbar sind erhebliche Asymmetrien von
Problem- und Wissenschaftsentwicklungen, vor allem die enorm wachsende
Komplexität und Kompliziertheit notwendigerweise ganzheitlich zu
betrachtender und zu lösender gesellschaftlicher Anforderungen und die rasch
fortschreitende Diversifikation der Wissenschaft. Als Reflex darauf oder gar
als „Therapie“ werden neue inter- und transdisziplinäre Modelle,
qualifiziertere Verflechtungs- und Intergrationsstrategien – Inter- und
Transdisziplinarität als Ziel und Mittel in Theorie und Praxis – gefordert
und erörtert: „Wir brauchen also neue Konzepte, neue Ideen und Methoden,
eine anspruchsvollere, den neuen Konzepten entsprechende Methodologie“, kann
man so oder ähnlich vielfach hören und lesen.
Interdisziplinarität wurde – in einer ersten Annäherung auf dem Weg zur
Erkenntnis – als jene Form wissenschaftlicher Problembearbeitung verstanden,
bei der erstens die Probleme und Methoden komplexer Forschungsgegenstände
oder –bereiche von jeweils unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen
formuliert und begründet und zweitens die jeweiligen (Teil-)Erklärungen zu
einem ‚ganzheitlichen‘ Verständnis der interessierenden
Forschungsgegenstände und -bereiche zusammengeführt werden. Die Meinungen
und Stellungnahmen der Wissenschaft zur Transdisziplinarität divergieren
deutlicher. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie ein seit langem
bewährtes Ingrediens der Wissenschaft sei, andere erheben sie in den Rang
eines emergenten Paradigmas. Häufig wird sie jedoch dynamisch, als währende
Integration von wissenschaftlichem und außerwissenschaftlichem Wissen, als
gemeinsamer Lernprozess von Gesellschaft und Wissenschaft verstanden, der
reflexiv verläuft. Bei dieser Form der Problembearbeitung werden nicht nur
die Disziplin- und Fachgrenzen, sondern auch die zwischen wissenschaftlichem
Wissen und relevantem Praxiswissen überschritten. Inter- und
Transdisziplinarität sind allerdings unbestritten sowohl forschungsleitende
Prinzipien als auch wissenschaftliche Organisationsformen.
Kooperativität ist – verwoben mit der Inter- und Transdisziplinarität – ohne
Zweifel ein herausragender Wesenszug der Wissenschaft. „Allein, wie viel und
mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in
Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken
mitteilen, dächten!“, konstatierte schon 1786 Immanuel Kant in seinem
Beitrag „Was heißt: sich im Denken orientieren?“. Seit Kant haben sich die
Notwendigkeiten, aber auch die Möglichkeiten kooperationsfähiger,
traditioneller und weit mehr neuer Wissenschaftsdisziplinen dank epochaler,
auch weltbildformender, auf das Ganze gerichteter Erkenntnisse,
vortrefflicher Methoden und exzellenter Instrumentarien außerordentlich
entwickelt.
Ohne ihre Potenziale zu überschätzen, trägt die Wissenschaft – wie in vielen
Beiträgen auch dieses Buches facettenreich belegt und veranschaulicht – eine
herausragende und ihr inhärente Verantwortung. Gewiss wird es sachlich
fundierte, zwischen wissenschaftlichen Urteilen und Werturteilen sorgfältig
unterscheidende weiterführende Diskussionen über erstrebenswerte Ziele und
adäquate Mittel geben müssen. An exponierter Stelle stehen dabei effektive
und effiziente Kooperationsformen. Entscheidend wird es aber sein, für ein
erfolgreiches Wirken – „theoria cum praxi“ – praktische inhaltliche und
organisatorische Schlüsse zu ziehen.
Die Meinungsfülle, der Reichtum an Fakten und die Vielfalt
hoffnungstragender Applikationsfelder widerspiegeln sich im
unterschiedlichen Charakter der Beiträge der zwei Teile der vorliegenden
Publikation.
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Teil I: Inter- und Transdisziplinarität
Im Jahr 2008 hatte der Wissenschaftliche Beirat dem Präsidium der
Leibniz-Sozietät empfohlen, die „8th Leibniz Conference of Advanced Science“
des Leibniz-Institutes für interdisziplinäre Studien (LIFIS), die bereits in
Kooperation mit der Sozietät vorbereitet wurde, zugleich als deren 2.
Wissenschaftliche Jahrestagung durchzuführen. Das Präsidium war dieser
Empfehlung gefolgt, und so fand die Konferenz „Wissenschaft im Kontext.
Inter- und Transdisziplinarität in Theorie und Praxis“ am 18./19. Mai 2009
in Berlin als gemeinsame Veranstaltung beider, gleichermaßen der
Interdisziplinarität verpflichteter Institutionen statt. Diese gemeinsame
Maxime trug als ein wesentlicher Faktor zu ihrem erfolgreichen Verlauf bei.
Die Realisierung und publizistische Nachbereitung der Konferenz war bzw. ist
möglich, weil sie ein Teilprojekt des von der Berliner Senatsverwaltung für
Bildung, Wissenschaft und Forschung geförderten Projekts der
Leibniz-Sozietät „Pflichten der Wissenschafts- und Gesellschaftsanalyse“
sind. Dafür sei seitens der Leibniz-Sozietät und des LIFIS Dank gesagt.
Essenzielle Anregungen zur Konferenz gab auch die vom LIFIS initiierte und
mitgetragene Diskussion zu „Wissenschaft im Kontext“. Die
Internetzeitschrift LIFIS ONLINE publizierte bisher zu diesem Themenfeld,
aus der Sicht verschiedenster Wissenschaftsgebiete, ca. 20 interdisziplinäre
Beiträge (vgl. näher http://www.leibniz-Institut.de), die erfolgreich den
interdisziplinären Dialog innerhalb der Wissenschaft sowie den zwischen
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik fördern. Die, mit steigender Tendenz,
mehr als 50 Zugriffe pro Tag sind ein Indiz für das Interesse der
individuellen und institutionellen Nutzer dafür.
In drei Sessions mit Referaten und vorbereiteten (kürzeren)
Diskussionsbeiträgen wurden nicht nur thematisch relevante Meinungen und
Erfahrungen vermittelt, sondern vor allem der interdisziplinäre Dialog
zwischen Natur-/Technikwissenschaftlern und Sozial-/Geisteswissenschaftlern
angeregt und tatsächlich gepflegt:
• Session 1: Inter- und Transdisziplinarität als gesellschaftliche
Erfordernisse;
• Session 2: Inter- und Transdisziplinarität – Pflichten und Chancen der
Wissenschaft;
• Session 3: Inter- und Transdisziplinarität in der Praxis – Exemplarisches.
Die Tagung offerierte ein mannigfaltiges Repertoire an ebenso anregenden wie
weiterführenden theoretischen und praktischen Vorschlägen zur Thematik
„Inter- und Transdisziplinarität“. Originalbeiträge der Konferenz,
inhaltlich erweiterte Beiträge und einige, mit der Konferenzthematik
korrespondierende, Texte „eingeladener“ Autoren werden mit dem vorliegenden
Band der „Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften“ einer
breiteren Öffentlichkeit, der Wirtschaft und Politik zugänglich gemacht. Wir
hoffen auf eine positive Resonanz, Vorschläge eingeschlossen.
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Teil II: Erfolgsfaktoren der Interdisziplinarität
Die Karlsruher Tagung, aus der die Beiträge des zweiten Buchteils
hervorgingen, kann man als „Kind“ der Gründung des Karlsruher Instituts für
Technologie (KIT) betrachten, das aus der im Jahr 2009 erfolgten Vereinigung
des ehemaligen Forschungszentrums Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft
(jetzt KIT Campus Nord) und der ehemaligen Universität Fridericiana
Karlsruhe (TH) (jetzt KIT Campus Süd) hervorgegangen ist. Dieser Prozess
wurde (und wird) u.a. über eine auch finanzielle Förderung von Aktivitäten
begleitet, die zu multi- oder interdisziplinären Vernetzungen von
Wissenschaftlern beider KIT-Standorte beizutragen geeignet sind. Vor diesem
Hintergrund wurde gemeinsam vom Institut für Produktentwicklung (IPEK,
Campus Süd) und dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse
(ITAS, Campus Nord) ein Workshop geplant, in dem es um „mentale Modelle“
gehen sollte, denn: Multitechnologische Produkte und die Kopplung von
Produkten und Dienstleistungen haben in den vergangenen Jahren stark
zugenommen. Diese Zunahme hat dazu geführt, dass sich in den individuellen
Forschungsdisziplinen eigene und leistungsfähige Vorgehensweisen, Modelle
und damit auch Sprachen gebildet haben. Für erfolgreiche Produktentwicklung
ist es indes erforderlich, dass die Entwickler der unterschiedlichen
Disziplinen eine gemeinsame Kommunikationsebene und gemeinsame „mentale
Modelle“ haben. Das – so wurde im Projektantrag dargelegt – ist bislang nur
bedingt vorhanden. Eine Konkretisierung dieser Überlegungen führte dann über
mehrere Zwischenschritte zur Frage, wie eine erfolgreiche interdisziplinäre
Zusammenarbeit gestaltet werden kann, welche Barrieren, Hemmnisse und
Erfolgsfaktoren benannt werden können. Um dem etwas detaillierter und
genauer nachgehen zu können, wurde am 16./17. November 2009 eine
Veranstaltung in Form einer Workshop durchgeführt: Inputs über
Impulsvorträge, Diskussionsgruppen zur schwerpunktmäßigen Vertiefung,
Präsentationen im Forum, gemeinsame Diskussion waren die Methoden. Der den
Teil II einleitende Beitrag von Albert Albers, Björn Ebel und Thomas Alink
resümiert diese Veranstaltung, an der neben Natur-, Technik-, Sozial- und
Geisteswissenschaftlern – als wesentliche Basis für praxisnahe Reflexionen –
auch Unternehmensvertreter aktiv teilnahmen.
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Allen an den beiden Veranstaltungen und vor allem an dieser Publikation
Beteiligten gilt der herzliche Dank der Herausgeber. Wir verbinden den Dank
mit der Hoffnung, dass weitere wissenschaftliche Veranstaltungen zu den hier
vorgestellten Problemfeldern folgen werden, mit weiteren grundlegenden,
wissenschaftlich und gesamtgesellschaftlich gleichermaßen gewichtigen
Aspekten und Perspektiven.
Berlin und Karlsruhe, Mai 2010
Gerhard Banse, Lutz-Günther Fleischer
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