Inhalt
Geleitwort von Ulrich van der Heyden
Über zwei Weltmeere – Verbreitung der Auslegerboote
Der lange Weg nach Afrika – Trimarane im Monsun
Tradition und Erfahrung aus dem Raum zweier Meere –
Entwicklung der Bootsausleger
Das Boot der Afrikaner – Konstruktion der Nglawa
Handwerkskunst und Allahs Segen – Bootsbau
Segeln auf Balance – Stabilität und Segeltechnik
Im Monsun und Küstenwind – Fangreviere und
Fischereimethoden
Tradition und Handel – Fischereisystem und Markt
Rituale und Tabus – Arbeitskultur und Lebenswelt der
Fischer
Sie segeln noch – Traditionelle Wasserfahrzeuge vor
Ostafrika
Segler durch die Zeiten – Analyse eines Widerspruchs
Literatur
Dank
Geleitwort
Abseits ausgetretener Touristenpfade hat Hermann Winkler seit
Jahrzehnten Informationen über Schiffbau und Fischerei und nicht zuletzt
über das Alltagsleben der Fischer an der Ostküste des afrikanischen
Kontinents gesammelt. Die Ergebnisse seiner Forschungen liegen nunmehr
vor. Dafür muß ihm im Namen der Wissenschaft Dank gesagt werden. Es sei
außerdem dem Verleger Dr. Wolfgang Weist für seine Bemühungen und seine
Risikobereitschaft gedankt, denn mit der vorliegenden Arbeit von Hermann
Winkler liegt zweifelsohne eine einzigartige Publikation vor.
Zweifelsohne ist die vorliegende akribische Ausarbeitung über die
ostafrikanischen Auslegerboote eigentlich viel mehr als nur das Produkt
einer jahrelangen intensiven Beschäftigung eines
maritim-kulturgeschichtlich interessierten Seemannes mit einer oftmals
als exotisch angesehenen Thematik, denn hier werden nicht nur
seefahrtstechnische und maritime Besonderheiten einer von Küstenseefahrt
und Fischerei geprägten Kultur vorgestellt, sondern es werden in einer
verständlichen Sprache übersichtlich geordnet auch historische,
kulturelle und ethnographische Aspekte derjenigen Menschen dem
deutschsprachigen Leser nahe gebracht, die diese Boote zum
Lebensunterhalt benutzen, ja für welche sie zum Lebensinhalt geworden
sind. Dabei ist die Sichtweise eines Nautikers mit Kapitänspatent mit
langjähriger Berufserfahrung, dessen spezielles Wissen nicht zuletzt
während unzähligen Fahrten und späterer Reisen in die ostafrikanische
Küstenregion entstanden ist, besonders interessant.
Die maritime Kultur Afrikas sowie die dort gepflegten Traditionen des
Bootsbaus wurden bislang in der afrikanistischen und völkerkundlichen
Fachliteratur kaum beachtet. Dabei gehörten und gehören noch heute die
Wasserfahrzeuge zu den wichtigsten Bestandteilen der materiellen Kultur
nicht weniger afrikanischer Völkerschaften in den verschiedensten
Staaten des „schwarzen Kontinents“. Sie spielen im Leben der Menschen an
Flüssen und Seen und vor allem an der Küste eine entscheidende Rolle bei
der Kommunikation, beim Handel, beim Transport, bei der Jagd und
natürlich beim Nahrungserwerb. Es ist kein Wunder, dass diese maritime
Kultur Eingang in traditionelle Riten und Bräuche sowie in bestimmte
religiöse Vorstellungen gefunden hat.
So fließen in diesem Buch eigene Beobachtungen und Erfahrungen aus
Aufenthalten an der Küste Ostafrikas zusammen mit solchen
Forschungsergebnissen, die Hermann Winkler in jahrelanger Kleinarbeit in
der vorhandenen Sekundärliteratur gewonnen hat. Herausgekommen ist eine
flüssig geschriebene Darstellung, die sowohl den auf afrikanistischem
und maritimem Gebiet arbeitenden Fachmann, wie auch ein breites
interessiertes Lesepublikum begeistern wird. Dem Leser wird eine
ungeahnte Komplexität des Themas sachkundig erschlossen, in dem der
überraschende Reichtum einer lebendigen Küstenkultur am Rande des
Indischen Ozeans im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt wird.
Dabei werden Erkenntnisse der wissenschaftlichen Erforschung der maritim
beeinflussten Küstenkultur Afrikas praxisorientiert vom Autor
verwertet, ohne sich in langen theoretischen Erörterungen zu
verstricken.
Es existiert wohl kaum eine andere Region in Afrika, wo es noch heute
Gelegenheit gibt, afrikanische Schifffahrt in ihrer ganzen
Ursprünglichkeit zu studieren, als die Ostküste Afrikas. Bei der
Auswertung relevanter, vor allem historischer Quellen hat sich Winkler
auf eine breite Palette, allerdings weit zerstreut vorhandener,
schriftlicher Zeugnisse berufen können. Sachkundig und zugleich den Text
auflockernd, hat er frühe Beschreibungen der ostafrikanischen
Fischerboote, die schon von den ersten Europäern, die die schnellen
Boote bestaunten und ihr Erscheinen am Horizont mit dem Flug von Vögeln
verglichen, sowie von arabischen Reisenden ausfindig gemacht und mit dem
Gespür für eine spannende Darstellung in dem Text platziert. Zugleich
untermauern solche historischen Beschreibungen seine vor allem auf
eigener Erfahrung basierenden Ausführungen.
Die beschriebenen Fischerboote in jener Region geben lebendiges Zeugnis
davon ab, wie die Besonderheiten der Natur von und für den
Lebensunterhalt der Menschen genutzt werden können. Heute werden solche
Erfahrungen etwa von Fischereitechnikern auch für unsere Breiten wieder
als Alternative zu modernen Fangmethoden für möglich gehalten, weil sie
den gegenwärtig am häufigsten genutzten Techniken sowohl ökonomisch, als
auch ökologisch überlegen sind.
Besondere Hervorhebung verdienen die Einschätzungen des fachkundigen
Autors über die Perspektive des traditionellen Seeverkehrs sowie die
übersichtliche Systematik der an der afrikanischen Küste vorhandenen
Bootstypen, die er im Zusammenhang mit der politischen und
wirtschaftlichen Entwicklung in der Region am Indischen Ozean
aufgestellt hat. Die exakte Zusammen- und Vorstellung der verschiedenen
Typen traditioneller ostafrikanischer Küstenfahrzeuge vom Horn von
Afrika bis nach Mosambik und Madagaskar zählen zu den besonderen
wissenschaftlichen Verdiensten dieser Publikation. Damit hat Winkler
eine Kultur dokumentiert und teilweise analysiert, die trotz ihrer
zeitlos wirkenden traditionellen Seefahrt droht, in Vergessenheit zu
geraten. Neben den Auslegerbooten wird allerdings auch auf andere
traditionelle Wasserfahrzeuge ostafrikanischer Bauweise Bezug genommen.
Hermann Winklers Aussagen werden durch mannigfache Illustrationen
bestärkt und sprechen damit zusätzlich einen größeren Leserkreis als den
rein fachwissenschaftlich orientierten Interessenten an.
Hermann Winkler hat sich mit diesem Werk nicht nur als akribisch
arbeitender Wissenschaftspublizist erwiesen, sondern auch sein Talent
als Fotograf unter Beweis gestellt. Seine Fotos untermauern und ergänzen
die Aussagen des Textes in hervorragender Weise und werden die Leser und
Betrachter in Faszination versetzen. Jeder, der von den Schwierigkeiten
des Fotografierens in islamisch dominierten Regionen weiß, wird solche
Aufnahmen zu schätzen wissen. Es ist dem Autor in wunderbarer Weise mit
seiner Kamera gelungen, viele zusätzliche Informationen ästhetisch
anspruchsvoll ins Bild zu setzen.
Gleichermaßen beeindruckend sind die geradezu detailversessenen
technischen Beschreibungen der Wasserfahrzeuge, die mit Kamera, Bandmaß
und Notizblock festgehalten wurden und zum großen Teil Eingang in die
ausführlichen Darstellungen der Bootstypen gefunden haben. Es ist
Winkler gelungen, die Konstruktion der Fischerboote, insbesondere des
Auslegergeschirrs, mit einer Vielzahl von zum Teil bislang unbekannten
Fakten zu belegen, so dass die These des Autors über die menschliche
Besiedlung Madagaskars mit Hilfe der damaligen Boote, die in ihrer
Grundkonstruktion den noch heute verwendeten gleichen, durchaus
nachvollziehbar ist.
Dazu kann er auf eine besondere Quelle verweisen. Denn das berühmte
Schiffsrelief aus dem javanischen Boro-Budur-Tempel ist jetzt von einem
deutschen Schiffshistoriker als Modell rekonstruiert worden und wird im
vorliegenden Buch erstmalig präsentiert.
Für die Wissenschaft wertvoll sind nicht nur die Ausführungen und Belege
für die von Winkler vorgenommenen Aussagen und Schlussfolgerungen,
sondern auch die Verweise auf Lücken in der Forschung. Insbesondere die
Beschreibung der sich heute noch zahlreich vor der Ostküste des
afrikanischen Kontinents im Einsatz befindlichen verschiedenen Typen
traditioneller Boote und nicht zuletzt die präsentierten
Forschungsergebnisse über den historischen Ursprung des afrikanischen
Bootsbaus dürften einen besonderen wissenschaftlichen Wert haben.
Es besteht dennoch die Gefahr, dass diese Segelfahrzeuge in wenigen
Jahrzehnten vom Indischen Ozean verdrängt sind und somit für
„Feldforschungen“ nicht mehr zur Verfügung stehen. Besonders
bemerkenswert ist die immer wieder zu Tage tretende tiefe Zuneigung des
Autors für die afrikanischen Menschen, die dem Ozean ihre
Lebensgrundlage verdanken.
Nicht nur die an Afrika interessierten Akademiker werden dieses von
Hermann Winkler vor uns ausgebreitete Kapitel afrikanischer
Kulturgeschichte ob des betretenen wissenschaftlichen Neulandes der
maritimen Ethnographie Afrikas schätzen, sondern es als eine ebenso
spannende wie lehrreiche, um visuelle Highlights bereicherte Lektüre zu
genießen wissen.
Ulrich van der Heyden
Januar 2009
|