van der Heyden, Ulrich (Hrsg.):

 

Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten

[= Cognoscere Historias, Bd. 18], 2008, 284 S., ISBN 978-3-89626-844-0, 32,80 EUR 

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Rezension bei Spiegel-online

Klappentext

Die Geschichte des antikolonialen Kampfes in den überseeischen deutschen Kolonien wird ebenso wie die Rückwirkungen des Kolonialismus auf die europäischen Gesellschaften zunehmend intensiver und umfassender erforscht. Weniger Aufmerksamkeit in den einschlägigen Forschungen findet bislang die Alltagsgeschichte der Europäer in den Kolonien, wie sie in den unbekannten Regionen in Übersee der einheimischen Bevölkerung und deren Kultur begegneten, wie und mit welchen Vorstellungen sie die Fremde für sich entdeckten und ihre Erkenntnisse und Erfahrungen nach Europa transferierten.
Der vorliegende Band von COGNOSCERE HISTORIAS stellt einige wenig oder gar nicht bekannte Dokumente vor, die von verschiedenen Deutschen stammen, die in die Kolonie Deutsch-Ostafrika kamen und über ihr Erlebtes und Gesehenes schriftlich berichteten, was allerdings seinerzeit nur für einen eng begrenzten Kreis von Lesern bestimmt war.

Inhalt

Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten 7

Einführung von Jörg Ludwig 13
Reisebericht von Hermann Schubert 19

Einführung von Peter Sebald 83
Wilhelm Hain
Auf Wanderschaft in Süd- und Ostafrika 1896–1898 87

Einführung von Katharina von Hammerstein 147
Eine unblutige Eroberungsfahrt an der ostafrikanischen Küste
Briefe von Frieda Freiin von Bülow. 157

Allerhand Alltägliches aus Deutsch-Ostafrika.
Von Frieda Freiin von Bülow 173

Einführung von Ulrich van der Heyden 193
Bericht einer Reise von Hans Paasche nach Ostafrika 1906 197

Einführung von Ulrich van der Heyden 231
Anna Zeeb: Von Sansibar bis Chinde 235

 

Vorwort

Die ehemalige deutsche Kolonie „Deutsch-Ostafrika“, heute bestehend aus den selbstständigen Staaten Vereinigte Republik Tansania sowie Burundi und Ruanda, stand ab dem Jahre 1890 offiziell unter der „Schutzherrschaft“ des Deutschen Reiches. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten deutsche Forscher und Missionare, wie Johann Ludwig Krapf und Johannes Rebmann, mit als erste Europäer die ostafrikanische Region in den Grundzügen geographisch erforscht und beschrieben.
Gegen Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann dann eine neue Periode des europäischen Vordringens in das Territorium des heutigen Staates Tansania. Das kaiserliche Deutschland und Großbritannien rangen erbittert um die Vorherrschaft über das östliche Afrika. Während die Briten den Sultan von Sansibar gegen seine arabischen und afrikanischen Konkurrenten unterstützten, um sich auf dieser Weise Einfluß auf Ostafrika und den Persischen Golf zu sichern, unterstützte das Deutsche Reich unter Federführung des Kanzlers Otto von Bismarck zum ersten Mal Bestrebungen, für das in der kolonialen Aufteilung der Welt zu kurz gekommene, wirtschaftlich jedoch prosperierende Land in der Mitte Europas in verschiedenen Teilen der Welt, darunter auch in Ostafrika, Kolonialbesitz zu erwerben. Deshalb erhielt im Jahre 1885 die Deusch-Ostafrikanische Gesellschaft einen „Kaiserlichen Schutzbrief“ für die von dem rücksichtslosen kolonial-ambitionierten Abenteurer Carl Peters erschlichenen Territorien, die durch „Verträge“ mit verschiedenen afrikanischen Herrschern „erworben“ worden waren, die indes auch nach den damaligen Vorstellungen juristisch und völkerrechtlich völlig wertlos waren. Es ging jedoch um geopolitische Machtkonstellationen und so wurden etwaige Bedenken über die Rechtmäßigkeit der Verträge vom Tisch gefegt. Der insbesondere von der nationalistischen deutschen Presse propagandistisch breit kommentierte „Schutzbrief“ dokumentierte für jedermann den Anspruch Deutschlands auf Kolonialbesitz in jener Region.
Im Jahre 1888 schloß deshalb die deutsche Regierung mit dem Sultan von Sansibar einen Pachtvertrag über das Küstengebiet des heutigen Tansania. Einen Aufstand der einheimischen Bevölkerung unter Führung Buschiris ließ Deutschland mit Hilfe von afrikanischen Söldnern niederschlagen. Als Ende des Jahres 1889 Buschiri die Unterstützung der afrikanischen Küstenbevölkerung verloren hatte, konnte er von der deutschen „Schutztruppe“ gefangen genommen und hingerichtet werden. Nachdem für Deutschland nunmehr der Weg frei war und es nun uneingeschränkt die „Schutzherrschaft“ über die ostafrikanische Festlandregion erklärt hatte, wurde noch im gleichen Jahr Sansibar britisches Protektorat. Die Engländer überließen dafür die Nordseeinsel Helgoland den Deutschen.
Die afrikanische Bevölkerung hat sich zu keinem Zeitpunkt mit ihrem kolonialen Schicksal abgefunden. Immer wieder kam es zu Kriegen, Aufständen oder kollektivem Ungehorsam gegenüber den auferlegten Zwangsbedingungen kolonialer Herrschaft; von individueller Verweigerung, die heute nur schwer zu rekonstruieren ist, ganz zu schweigen.
Vor allem provozierte eine Kopf- und Hüttensteuer die afrikanische Bevölkerung. Die traditionelle afrikanische Wirtschaftsweise wurde zerstört und die Kolonie Deutsch-Ostafrika wurde nicht zuletzt durch die Anlegung von Monokulturen, wie Kaffee, als Rohstofflieferant und nicht zuletzt als Absatzgebiet für Produkte der deutschen Wirtschaft schonungslos ausgebeutet. Begleitet wurde dieser sich über insgesamt gut zweieinhalb Jahrzehnte hinziehende Kolonisierungsprozeß in Deutsch-Ostafrika durch das gleichzeitige Wirken von deutschen evangelischen Missionsgesellschaften, wie der Leipziger und der Berliner Missionsgesellschaft, der Herrnhuter Brüderunität sowie einigen katholischen Kongregationen.
Wenn es auch vereinzelt Aktionen der Missionare gegeben hat, das durch die koloniale Herrschaft verursachte Leid der afrikanischen Bevölkerung zu lindern, so überwiegt doch in der Beurteilung des Wirkens der deutschen Missionare in der Kolonie Deutsch-Ostafrika deren die Widerstandskraft der einheimischen Bevölkerung lähmende christliche Propaganda, die die Unterwerfung der Christen unter der „gottgewollten Ordnung“ verlangte. Trotz einiger Proteste einzelner Missionare gegen als besonders hart empfundene Maßnahmen der kolonialen Verwaltung konnten sich die Missionsgesellschaften als Ganzes nicht den kolonialen Träumereien der Mehrheit der deutschen Bevölkerung entziehen und handelten in ihrem Verhältnis zwischen Kolonialadministration und einheimischer Bevölkerung im Großen und Ganzen so, wie es ihre staatliche Regierung von ihnen erwartete und verlangte. Andere mutige Handlungen und Widerstandsaktionen von einzelnen deutschen Missionaren gegen besonders brutale koloniale Herrschaftsformen, wie während des sogenannten Maji-Maji-Krieges von 1905 bis 1907 zuweilen geschehen, stellten Ausnahmen dar.
In den vergangenen Jahrzehnten, als sich inspiriert durch die Befreiung der kolonisierten Länder Afrikas von ihren ehemaligen europäischen Mutterländern und vor allem durch die Erlangung der Eigenstaatlichkeit eine antikolonialistische Geschichtsschreibung herausgebildet und entwickelt hatte und mit ihr eine neue Sicht der Afrikahistoriographie insgesamt, stand verständlicher Weise die Erforschung der afrikanischen Gesellschaften, vor allem deren antikolonialer Widerstand, im Mittelpunkt des akademischen Interesses. War dieser doch bislang von den europäischen Wissenschaftlern negiert, verfälscht oder einfach nicht aus der Sicht der Betroffenen beschrieben worden. Eine ganze Reihe von beeinruckenden Studien sind nicht zuletzt zu Deutsch-Ostafrika in den beiden deutschen Staaten, zunächst allerdings in der DDR, publiziert worden. Sie haben wesentlich das Bild Afrikas und das von dem sich gegen die koloniale Unterdrückung wehrenden Afrikanern in der deutschen Öffentlichkeit begradigt bzw. vervollkommnet, wenn nicht sogar erst gezeichnet. Die Afrikaner wurden als Akteure der Geschichte ernst genommen. Eine Vielzahl nicht nur von Büchern und Aufsätzen sind entstanden, sondern auch in der Kunst und in filmischen Dokumentationen wurde diese neue Sicht auf die Kolonialgeschichte popularisiert.
Nunmehr erscheint es an der Zeit zu sein, sich der „anderen Seite“ in diesem Konflikt verstärkt zuzuwenden – kritisch, aber objektiv. Dies wird sicherlich in Zukunft nicht der Schwerpunkt afrikahistorischer Forschungen sein, denn es gibt auch jetzt noch genügend über die Akteure der afrikanischen Geschichte zu erforschen, um die lange vorhandene und über Generation kolportierte Einseitigkeit in der Sicht auf den Kolonialismus zu überwinden. Damals müssen trotz allem die Kolonisatoren näher untersucht werden, mehr jedenfalls als bisher. So etwa deren Sozialstruktur, ihre soziale Herkunft, Mentalität, Bildung und ähnliches.
Wichtig ist ebenso zu erforschen, wie der koloniale Alltag der Kolonialakteure ausgesehen hat, wie sie ihre Rolle in Afrika gesehen haben. Wie haben sie das Bild Afrikas und seiner Bewohner beeinflußt? Und wie haben sie die autochthone Bevölkerung mit ihrer für sie völlig ungewohnten „fremden“ Kultur gesehen und bewertet. Welche Denkmuster lagen ihren Beschreibungen und Bewertungen zu Grunde? Viele solcher und ähnliche Fragen müssen trotz einiger vorliegender beachtenswerter einzelner Forschungsergebnisse noch gestellt und beantwortet werden.
Aus diesem Grunde werden in diesem Band der Reihe COGNOSCERE HISTORIAS einige weniger bekannte zeitgenössische Dokumente vorgestellt, die das koloniale Alltagsleben aus den verschiedenen Blickwinkeln der Kolonisatoren beleuchten. Dies sind in erster Linie keine Ergebnisse von Forschungen, sondern vornehmlich die Bekanntmachung mit bislang weitgehend unbeachtet gebliebenen Zeugnissen der kolonialen Alltagsgeschichte, die nunmehr für die historische Forschung dokumentiert werden.
In dem vorliegenden Band der Reihe COGNOSCERE HISTORIAS sind sechs Dokumente erfaßt, die sich in unterschiedlicher Weise mit bestimmten Aspekten der Alltagskultur in der Kolonie Deutsch-Ostafrika befassen. Sie stammen von verschiedenen Autorinnen und Autoren, die es aus mannigfaltigen Gründen in die an der ostafrikanischen Küste gelegenen deutschen Kolonie verschlagen hat. Einige wollten nur kurze Zeit dort bleiben, andere planten ihren Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen. Alle hatten sie bestimmte Vorstellungen, was sie hier unter Afrikas Sonne erwarten würde und subjektiv gefärbte Vorstellungen.
Ihre zu Papier gebrachten Reisebeschreibungen und -eindrücke geben ein anschauliches, wenn auch oftmals zufälliges Bild von Landschaft, Kultur und Leben in einer europäischen Kolonie in Afrika. Nicht zuletzt erlauben sie Impressionen vom Leben der afrikanischen Bevölkerung unter kolonialer Fremdherrschaft und wie diese von Europäer gesehen und bewertet wurden sowie vom Leben und Denken von Angehörigen des Volkes der Kolonisatoren selbst.
Deren Berichte sollten ursprünglich unterschiedliche Zwecke erfüllen: von nicht zur Veröffentlichung gedachten Reports in Brief- oder Tagebuchform bis hin zu amtlichen Dokumenten. Auch ist der Blickwinkel sowie die Art und Weise des unterschiedlichen Schreibens von Frauen und Männern interessant. Gemeinsam ist allen die Neugier, das Interesse an dem Fremden. Deutlich wird auch ihr Eingebundensein in koloniale Strukturen, Verhaltensweisen und Denkmuster. Ihre jeweiligen Beschreibungen sind bunte Mosaiksteinchen in einem Bild von der deutschen Kolonialgesellschaft in Ostafrika, die oftmals weit intensivere Eindrücke vom Leben in den Kolonien vermitteln können, als je amtliche Dokumente oder Zeitungsartikel es vermögen. Einige der hier zum Abdruck gelangten Texte sind schon einmal veröffentlicht worden, bei anderen handelt es sich um bislang in Archiven unbeachtet lagernde Dokumente, mit dem sich nunmehr erstmalig Wissenschaftler auseinandersetzen.
Trotz aller Offenheit für das Fremde und trotz aller späteren Verdienste einzelner Berichterstatter für den afrikanischen Kontinent und seiner Menschen (hier sei vor allem Hans Paasche genannt), wird sich der Leser über die uns heute als rassistisch vorkommende Sprache wundern. In der Tat haben damals in der Hochzeit des deutschen Kolonialismus die meisten Deutschen in überheblicher Weise auf fremde Völker und Kulturen herabgeschaut und sie leider auch oft genug so behandelt. Die Herausgeber der einzelnen Dokumente sowie der Band-Herausgeber haben sich dennoch entschlossen, Originaltexte, so wie sie geschrieben worden sind, für den Druck zu übernehmen. Der aufgeklärte Leser wird die rassistischen oder überheblichen Äußerungen der Europäer zu werten wissen.
Aufnahme in diesen Essayband haben die Aufzeichnungen von Herman Schubert gefunden, der den Staatssekretär im deutschen Kolonialministerium Bernhard Dernburg im Jahre 1907 auf einer Inspektionsreise begleitete und so Deutsch-Ostafrika kennen lernte. Bearbeitet hat das bislang unausgewertete Manuskript der Mitarbeiter des Sächsischen Staatsarchivs Jörg Ludwig.
Wilhelm Hain beschreibt recht eindringlich Deutsch-Ostafrika, als er in den Jahren 1896 bis 1898 durch das südliche und östliche Afrika als Handwerksbursche reiste. Für den Druck vorbereitet hat dieses Manuskript, welches sich in Privatbesitz befindet, der Afrika- und Kolonialhistoriker Peter Sebald.
Zwei Texte von Frieda von Bülow hat die Germanistik-Professorin aus Connecticut in den USA, Katharina von Hammerstein, ediert und für diesen Band kommentiert und sachkundig eingeleitet. Frieda von Bülow, deren Hauptwerk „Reiseskizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika“ demnächst als eigenständiger Band in COGNOSCERE HISTORIAS erscheinen soll, berichtet von ihren Erlebnissen und Erfahrungen in Deutsch-Ostafrika aus dem Jahre 1887, also relativ früh nach der kolonialen Besitzergreifung jener Region durch das deutsche Kaiserreich, sowie von einer Reise aus dem Jahre 1893, als sie zum zweiten Mal nach Afrika aufgebrochen war.
Der ehemalige Kolonialoffizier und spätere Pazifist und Revolutionär Hans Paasche verfaßte von seiner Reise durch Deutsch-Ostafrika im Jahre 1906 einen Bericht für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts des Deutschen Reiches. Hier vermißt man häufig aus eben diesem Grunde persönliche Stellungsnahmen zu den Beschreibungen. Die kurze Einleitung verfaßte der Afrika- und Kolonialhistoriker sowie Politikwissenschaftler Ulrich van der Heyden. Er editiert und kommentiert in diesem Band von COGNOSCERE HISTORIAS ebenfalls den bislang nur wenigen Missionsfreunden bekannten Text von Anna Zeeb, der Frau eines deutschen Missionars, die ihren Mann im Jahre 1898 ins Landesinnere von Deutsch-Ostafrika folgte.


Ulrich van der Heyden
im Juni 2008