Klappentext
Die Geschichte des antikolonialen Kampfes in den überseeischen deutschen
Kolonien wird ebenso wie die Rückwirkungen des Kolonialismus auf die
europäischen Gesellschaften zunehmend intensiver und umfassender
erforscht. Weniger Aufmerksamkeit in den einschlägigen Forschungen
findet bislang die Alltagsgeschichte der Europäer in den Kolonien, wie
sie in den unbekannten Regionen in Übersee der einheimischen Bevölkerung
und deren Kultur begegneten, wie und mit welchen Vorstellungen sie die
Fremde für sich entdeckten und ihre Erkenntnisse und Erfahrungen nach
Europa transferierten.
Der vorliegende Band von COGNOSCERE HISTORIAS stellt einige wenig oder
gar nicht bekannte Dokumente vor, die von verschiedenen Deutschen
stammen, die in die Kolonie Deutsch-Ostafrika kamen und über ihr
Erlebtes und Gesehenes schriftlich berichteten, was allerdings
seinerzeit nur für einen eng begrenzten Kreis von Lesern bestimmt war.
Inhalt
Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten 7
Einführung von Jörg Ludwig 13
Reisebericht von Hermann Schubert 19
Einführung von Peter Sebald 83
Wilhelm Hain
Auf Wanderschaft in Süd- und Ostafrika 1896–1898 87
Einführung von Katharina von Hammerstein 147
Eine unblutige Eroberungsfahrt an der ostafrikanischen Küste
Briefe von Frieda Freiin von Bülow. 157
Allerhand Alltägliches aus Deutsch-Ostafrika.
Von Frieda Freiin von Bülow 173
Einführung von Ulrich van der Heyden 193
Bericht einer Reise von Hans Paasche nach Ostafrika 1906 197
Einführung von Ulrich van der Heyden 231
Anna Zeeb: Von Sansibar bis
Chinde 235
Vorwort
Die ehemalige deutsche Kolonie
„Deutsch-Ostafrika“, heute bestehend aus den selbstständigen Staaten Vereinigte
Republik Tansania sowie Burundi und Ruanda, stand ab dem Jahre 1890 offiziell
unter der „Schutzherrschaft“ des Deutschen Reiches. Schon um die Mitte des 19.
Jahrhunderts hatten deutsche Forscher und Missionare, wie Johann Ludwig Krapf
und Johannes Rebmann, mit als erste Europäer die ostafrikanische Region in den
Grundzügen geographisch erforscht und beschrieben.
Gegen Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann dann eine neue
Periode des europäischen Vordringens in das Territorium des heutigen Staates
Tansania. Das kaiserliche Deutschland und Großbritannien rangen erbittert um die
Vorherrschaft über das östliche Afrika. Während die Briten den Sultan von
Sansibar gegen seine arabischen und afrikanischen Konkurrenten unterstützten, um
sich auf dieser Weise Einfluß auf Ostafrika und den Persischen Golf zu sichern,
unterstützte das Deutsche Reich unter Federführung des Kanzlers Otto von
Bismarck zum ersten Mal Bestrebungen, für das in der kolonialen Aufteilung der
Welt zu kurz gekommene, wirtschaftlich jedoch prosperierende Land in der Mitte
Europas in verschiedenen Teilen der Welt, darunter auch in Ostafrika,
Kolonialbesitz zu erwerben. Deshalb erhielt im Jahre 1885 die
Deusch-Ostafrikanische Gesellschaft einen „Kaiserlichen Schutzbrief“ für die von
dem rücksichtslosen kolonial-ambitionierten Abenteurer Carl Peters erschlichenen
Territorien, die durch „Verträge“ mit verschiedenen afrikanischen Herrschern
„erworben“ worden waren, die indes auch nach den damaligen Vorstellungen
juristisch und völkerrechtlich völlig wertlos waren. Es ging jedoch um
geopolitische Machtkonstellationen und so wurden etwaige Bedenken über die
Rechtmäßigkeit der Verträge vom Tisch gefegt. Der insbesondere von der
nationalistischen deutschen Presse propagandistisch breit kommentierte
„Schutzbrief“ dokumentierte für jedermann den Anspruch Deutschlands auf
Kolonialbesitz in jener Region.
Im Jahre 1888 schloß deshalb die deutsche Regierung mit dem Sultan von Sansibar
einen Pachtvertrag über das Küstengebiet des heutigen Tansania. Einen Aufstand
der einheimischen Bevölkerung unter Führung Buschiris ließ Deutschland mit Hilfe
von afrikanischen Söldnern niederschlagen. Als Ende des Jahres 1889 Buschiri die
Unterstützung der afrikanischen Küstenbevölkerung verloren hatte, konnte er von
der deutschen „Schutztruppe“ gefangen genommen und hingerichtet werden. Nachdem
für Deutschland nunmehr der Weg frei war und es nun uneingeschränkt die
„Schutzherrschaft“ über die ostafrikanische Festlandregion erklärt hatte, wurde
noch im gleichen Jahr Sansibar britisches Protektorat. Die Engländer überließen
dafür die Nordseeinsel Helgoland den Deutschen.
Die afrikanische Bevölkerung hat sich zu keinem Zeitpunkt mit ihrem kolonialen
Schicksal abgefunden. Immer wieder kam es zu Kriegen, Aufständen oder
kollektivem Ungehorsam gegenüber den auferlegten Zwangsbedingungen kolonialer
Herrschaft; von individueller Verweigerung, die heute nur schwer zu
rekonstruieren ist, ganz zu schweigen.
Vor allem provozierte eine Kopf- und Hüttensteuer die afrikanische Bevölkerung.
Die traditionelle afrikanische Wirtschaftsweise wurde zerstört und die Kolonie
Deutsch-Ostafrika wurde nicht zuletzt durch die Anlegung von Monokulturen, wie
Kaffee, als Rohstofflieferant und nicht zuletzt als Absatzgebiet für Produkte
der deutschen Wirtschaft schonungslos ausgebeutet. Begleitet wurde dieser sich
über insgesamt gut zweieinhalb Jahrzehnte hinziehende Kolonisierungsprozeß in
Deutsch-Ostafrika durch das gleichzeitige Wirken von deutschen evangelischen
Missionsgesellschaften, wie der Leipziger und der Berliner Missionsgesellschaft,
der Herrnhuter Brüderunität sowie einigen katholischen Kongregationen.
Wenn es auch vereinzelt Aktionen der Missionare gegeben hat, das durch die
koloniale Herrschaft verursachte Leid der afrikanischen Bevölkerung zu lindern,
so überwiegt doch in der Beurteilung des Wirkens der deutschen Missionare in der
Kolonie Deutsch-Ostafrika deren die Widerstandskraft der einheimischen
Bevölkerung lähmende christliche Propaganda, die die Unterwerfung der Christen
unter der „gottgewollten Ordnung“ verlangte. Trotz einiger Proteste einzelner
Missionare gegen als besonders hart empfundene Maßnahmen der kolonialen
Verwaltung konnten sich die Missionsgesellschaften als Ganzes nicht den
kolonialen Träumereien der Mehrheit der deutschen Bevölkerung entziehen und
handelten in ihrem Verhältnis zwischen Kolonialadministration und einheimischer
Bevölkerung im Großen und Ganzen so, wie es ihre staatliche Regierung von ihnen
erwartete und verlangte. Andere mutige Handlungen und Widerstandsaktionen von
einzelnen deutschen Missionaren gegen besonders brutale koloniale
Herrschaftsformen, wie während des sogenannten Maji-Maji-Krieges von 1905 bis
1907 zuweilen geschehen, stellten Ausnahmen dar.
In den vergangenen Jahrzehnten, als sich inspiriert durch die Befreiung der
kolonisierten Länder Afrikas von ihren ehemaligen europäischen Mutterländern und
vor allem durch die Erlangung der Eigenstaatlichkeit eine antikolonialistische
Geschichtsschreibung herausgebildet und entwickelt hatte und mit ihr eine neue
Sicht der Afrikahistoriographie insgesamt, stand verständlicher Weise die
Erforschung der afrikanischen Gesellschaften, vor allem deren antikolonialer
Widerstand, im Mittelpunkt des akademischen Interesses. War dieser doch bislang
von den europäischen Wissenschaftlern negiert, verfälscht oder einfach nicht aus
der Sicht der Betroffenen beschrieben worden. Eine ganze Reihe von
beeinruckenden Studien sind nicht zuletzt zu Deutsch-Ostafrika in den beiden
deutschen Staaten, zunächst allerdings in der DDR, publiziert worden. Sie haben
wesentlich das Bild Afrikas und das von dem sich gegen die koloniale
Unterdrückung wehrenden Afrikanern in der deutschen Öffentlichkeit begradigt
bzw. vervollkommnet, wenn nicht sogar erst gezeichnet. Die Afrikaner wurden als
Akteure der Geschichte ernst genommen. Eine Vielzahl nicht nur von Büchern und
Aufsätzen sind entstanden, sondern auch in der Kunst und in filmischen
Dokumentationen wurde diese neue Sicht auf die Kolonialgeschichte popularisiert.
Nunmehr erscheint es an der Zeit zu sein, sich der „anderen Seite“ in diesem
Konflikt verstärkt zuzuwenden – kritisch, aber objektiv. Dies wird sicherlich in
Zukunft nicht der Schwerpunkt afrikahistorischer Forschungen sein, denn es gibt
auch jetzt noch genügend über die Akteure der afrikanischen Geschichte zu
erforschen, um die lange vorhandene und über Generation kolportierte
Einseitigkeit in der Sicht auf den Kolonialismus zu überwinden. Damals müssen
trotz allem die Kolonisatoren näher untersucht werden, mehr jedenfalls als
bisher. So etwa deren Sozialstruktur, ihre soziale Herkunft, Mentalität, Bildung
und ähnliches.
Wichtig ist ebenso zu erforschen, wie der koloniale Alltag der Kolonialakteure
ausgesehen hat, wie sie ihre Rolle in Afrika gesehen haben. Wie haben sie das
Bild Afrikas und seiner Bewohner beeinflußt? Und wie haben sie die autochthone
Bevölkerung mit ihrer für sie völlig ungewohnten „fremden“ Kultur gesehen und
bewertet. Welche Denkmuster lagen ihren Beschreibungen und Bewertungen zu
Grunde? Viele solcher und ähnliche Fragen müssen trotz einiger vorliegender
beachtenswerter einzelner Forschungsergebnisse noch gestellt und beantwortet
werden.
Aus diesem Grunde werden in diesem Band der Reihe COGNOSCERE HISTORIAS einige
weniger bekannte zeitgenössische Dokumente vorgestellt, die das koloniale
Alltagsleben aus den verschiedenen Blickwinkeln der Kolonisatoren beleuchten.
Dies sind in erster Linie keine Ergebnisse von Forschungen, sondern vornehmlich
die Bekanntmachung mit bislang weitgehend unbeachtet gebliebenen Zeugnissen der
kolonialen Alltagsgeschichte, die nunmehr für die historische Forschung
dokumentiert werden.
In dem vorliegenden Band der Reihe COGNOSCERE HISTORIAS sind sechs Dokumente
erfaßt, die sich in unterschiedlicher Weise mit bestimmten Aspekten der
Alltagskultur in der Kolonie Deutsch-Ostafrika befassen. Sie stammen von
verschiedenen Autorinnen und Autoren, die es aus mannigfaltigen Gründen in die
an der ostafrikanischen Küste gelegenen deutschen Kolonie verschlagen hat.
Einige wollten nur kurze Zeit dort bleiben, andere planten ihren
Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen. Alle hatten sie bestimmte Vorstellungen,
was sie hier unter Afrikas Sonne erwarten würde und subjektiv gefärbte
Vorstellungen.
Ihre zu Papier gebrachten Reisebeschreibungen und -eindrücke geben ein
anschauliches, wenn auch oftmals zufälliges Bild von Landschaft, Kultur und
Leben in einer europäischen Kolonie in Afrika. Nicht zuletzt erlauben sie
Impressionen vom Leben der afrikanischen Bevölkerung unter kolonialer
Fremdherrschaft und wie diese von Europäer gesehen und bewertet wurden sowie vom
Leben und Denken von Angehörigen des Volkes der Kolonisatoren selbst.
Deren Berichte sollten ursprünglich unterschiedliche Zwecke erfüllen: von nicht
zur Veröffentlichung gedachten Reports in Brief- oder Tagebuchform bis hin zu
amtlichen Dokumenten. Auch ist der Blickwinkel sowie die Art und Weise des
unterschiedlichen Schreibens von Frauen und Männern interessant. Gemeinsam ist
allen die Neugier, das Interesse an dem Fremden. Deutlich wird auch ihr
Eingebundensein in koloniale Strukturen, Verhaltensweisen und Denkmuster. Ihre
jeweiligen Beschreibungen sind bunte Mosaiksteinchen in einem Bild von der
deutschen Kolonialgesellschaft in Ostafrika, die oftmals weit intensivere
Eindrücke vom Leben in den Kolonien vermitteln können, als je amtliche Dokumente
oder Zeitungsartikel es vermögen. Einige der hier zum Abdruck gelangten Texte
sind schon einmal veröffentlicht worden, bei anderen handelt es sich um bislang
in Archiven unbeachtet lagernde Dokumente, mit dem sich nunmehr erstmalig
Wissenschaftler auseinandersetzen.
Trotz aller Offenheit für das Fremde und trotz aller späteren Verdienste
einzelner Berichterstatter für den afrikanischen Kontinent und seiner Menschen
(hier sei vor allem Hans Paasche genannt), wird sich der Leser über die uns
heute als rassistisch vorkommende Sprache wundern. In der Tat haben damals in
der Hochzeit des deutschen Kolonialismus die meisten Deutschen in überheblicher
Weise auf fremde Völker und Kulturen herabgeschaut und sie leider auch oft genug
so behandelt. Die Herausgeber der einzelnen Dokumente sowie der Band-Herausgeber
haben sich dennoch entschlossen, Originaltexte, so wie sie geschrieben worden
sind, für den Druck zu übernehmen. Der aufgeklärte Leser wird die rassistischen
oder überheblichen Äußerungen der Europäer zu werten wissen.
Aufnahme in diesen Essayband haben die Aufzeichnungen von Herman Schubert
gefunden, der den Staatssekretär im deutschen Kolonialministerium Bernhard
Dernburg im Jahre 1907 auf einer Inspektionsreise begleitete und so
Deutsch-Ostafrika kennen lernte. Bearbeitet hat das bislang unausgewertete
Manuskript der Mitarbeiter des Sächsischen Staatsarchivs Jörg Ludwig.
Wilhelm Hain beschreibt recht eindringlich Deutsch-Ostafrika, als er in den
Jahren 1896 bis 1898 durch das südliche und östliche Afrika als Handwerksbursche
reiste. Für den Druck vorbereitet hat dieses Manuskript, welches sich in
Privatbesitz befindet, der Afrika- und Kolonialhistoriker Peter Sebald.
Zwei Texte von Frieda von Bülow hat die Germanistik-Professorin aus Connecticut
in den USA, Katharina von Hammerstein, ediert und für diesen Band kommentiert
und sachkundig eingeleitet. Frieda von Bülow, deren Hauptwerk „Reiseskizzen und
Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika“ demnächst als eigenständiger Band in
COGNOSCERE HISTORIAS erscheinen soll, berichtet von ihren Erlebnissen und
Erfahrungen in Deutsch-Ostafrika aus dem Jahre 1887, also relativ früh nach der
kolonialen Besitzergreifung jener Region durch das deutsche Kaiserreich, sowie
von einer Reise aus dem Jahre 1893, als sie zum zweiten Mal nach Afrika
aufgebrochen war.
Der ehemalige Kolonialoffizier und spätere Pazifist und Revolutionär Hans
Paasche verfaßte von seiner Reise durch Deutsch-Ostafrika im Jahre 1906 einen
Bericht für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts des Deutschen Reiches.
Hier vermißt man häufig aus eben diesem Grunde persönliche Stellungsnahmen zu
den Beschreibungen. Die kurze Einleitung verfaßte der Afrika- und
Kolonialhistoriker sowie Politikwissenschaftler Ulrich van der Heyden. Er
editiert und kommentiert in diesem Band von COGNOSCERE HISTORIAS ebenfalls den
bislang nur wenigen Missionsfreunden bekannten Text von Anna Zeeb, der Frau
eines deutschen Missionars, die ihren Mann im Jahre 1898 ins Landesinnere von
Deutsch-Ostafrika folgte.
Ulrich van der Heyden
im Juni 2008
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