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Klich, Monika / Preuße, Günther H. W.

MEDINA oder Mein Leben im Schweinsgalopp

2010, 224 S., Tb, zahlr. Abb. und Fotos, ISBN 978-3-89626-836-5, 16,80 UR

 

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Inhalt

 

Vorwort 7

1. Brief 9
2. Zeitenblick 13
3. Der erste Akt 20
4. Die Frau am Bett 27
5. Im Kiez und anderswo 33
6. Das Orakel 62
7. Schmelztiegel Kindheit 66
8. Aufbruch 96
9. Steigen zwei zum Himmel dicht 130
10. Tiefen und Höhen 155
11. Der Clown, der Clown ... 167
12. Wer die Antwort nicht wissen will ... 196

Nachtrag 206

 

 

Vorwort


Mein Leben im Schweinsgalopp ...

Dieses Buch erzählt die Geschichte der Monika Klich.
Es berichtet vom Werdegang eines Mädchens aus dem Ostberliner Kiez von Mitte und Prenzlauer Berg.
Die heute unter dem Namen Medina bekannte Berlinerin beschreibt Episoden ihres Erlebens der Zeit zwischen 1954 und 2008. Sie erinnert sich in der ihr eigenen, oft turbulenten Weise prägender Lebensbegebenheiten als Kind und Schülerin, Artistin im Zirkus und später Lebensberaterin und Energetikerin.

Behutsam bearbeitete der Schriftsteller Günther H. W. Preuße ihre persönlichen Aufzeichnungen und verwob sie mit romanesken Bildern, zeitgeschichtlichen Reminiszenzen, fiktiven Szenen und Gedanken aus Gesprächen mit Monika Klich.
In solcher Zusammenarbeit entstand das Mosaik eines Zeitenspiegels. Darin Reflexionen auch vom Leben einer Ostdeutschen in zwei Gesellschaften.

Es ist die Geschichte der Medina, die überzeugt blieb, dass uns immer zur rechten Zeit die richtigen Menschen begegnen, die uns weiterbringen! Weil es kommt – wie es soll, im Gefüge der großen höheren Ordnung der wir angehören, inmitten unserer kleinen subjektiven Unordnung.

Ihr Erzählen hier – eine Rückschau vor dem Weitergehen.
 

 

Leseprobe

 

 

Zeitenblick


Manchmal kommen diese Gedanken:
Gestalten aus dem Zeitennebel – mit fragenden Gesichtern.
Sind wir immer schon da gewesen?
Immer dieselben?
Gesichter, Charaktere, Typen ...?


Einander immer wieder ablösend, verweht und wieder zusammengeführt im Reigen der Zeit? Ist die Zeit ein Kreis, eine Arena, in die wir immer wieder neu hinein geworfen werden?
Die Welt in der kommenden Runde nur äußerlich verändert?
Schauen wir uns um: irgendwo, in der Straßenbahn, auf dem Markt, im Café an der Ecke:
Der markante Typ da, mit dem kantigen Kinn – war das nicht dieser bullige Haudegen? Die Forke, wie eine Hellebarde fest in der Faust, damals im Tross der Bauern bei Frankenhausen, als der Bauernaufstand in den Landen mit Gebrüll gegen die Herren wütete?
Oder die kleine Schüchterne mit dem zarten Madonnengesicht und schwarzen Korkenzieherlocken? Saß sie nicht ganz schüchtern mit großen Augen hinten am Rand des Kreises der Lauschenden, nah am Tisch der großen Männer und Frauen im Hause von Anna Amalia? – Nur einen Zeitensprung zurück.
Und dieser große forsche blonde Schönling mit dem Athletenkörper, den Schalk im Blick, den Bizeps gespannt: Einer der Gaukler beim Rundtanz zur Belustigung der Stände vor Zeiten?
Oder jener andere dort: Ein schmaler Junge mit weiten dunklen ernsten Augen? Der mit der dicken Jacke und dieser Schiebermütze, tief in die Stirn gezogen vor dem Tabakladen ... War er das nicht ? An der Rampe damals, neben den Güterwagen in der Menge der Anderen, vor dem Tor des Lagers? Hinter dessen Mauern die Arbeit frei machen sollte?

Begegnen wir uns immer wieder auf unserem Rundkreis durchs Universum – zu neuem Lebenslauf, zu neuem Lernen und Lieben – wie Sterne auf neuer Bahn? Das Offengebliebene jetzt endlich vollendend?
Tragen wir es in uns, dieses uralte Wissen, so fein versteckt, wie Flugsand? Mehren wir diesen Goldstaub längst verschwundener Generationen mit den immer neuen Erfahrungen einer jeweils weiteren Existenz?

Warum immer wieder dieser Jammer, dieser Kummer und so dicht daneben Jauchzen und Jubel? Großartiges inmitten des unendlich Banalen. So vieles Leben das staunend und ratlos macht! Diese wirren Linien zwischen den Punkten unserer Jahre. Geschehen vielleicht große Dinge im Gespinst unserer kleinen Hilflosigkeit? Geht alles gut?

Der Spanier Calderón schrieb: „So muss in den irdischen Schranken / Jeder an sich selbst erkranken, / Bis er seinen Tod gewinnt.“
Gewinnt!
Jeder ist ein Kelch, in dem der Punsch seines Lebens brodelt. Mancher schenkt daraus aus und schenkt ein, dem der etwas benötigt vom Elixier des Anderen. Wir staunen manchmal, was er einem Nächsten helfen kann, dieser kleine Schluck unseres Gebräues aus selbst gelebten Jahren.

Nicht erst am Tage der Feier des großen Finales! Jetzt schon, inmitten unserer Zeit soll geteilt werden: Wissen, Glauben, Irren und Hoffen. Von anderen hören oder lesen und sei die Geschichte noch so klein, heißt Eigenes erleichtert begreifen.
Mein Weg bisher – er führt hindurch durch dieses Buch und soll, bevor mein Lebenssommer in die Herbstjahre mündet, wie ein erzählender Tropfen sein, aus meinem Lebenskelch. Eine Geschichte – mein Dank an die Vorfahren, die ich im Herzen trage, erzählt im Galopp – salopp im Schweinsgalopp, so wie das Leben eben vergeht.
Und es gilt dabei hier und da zu sagen, was zu sagen ist.
Entgegen allen Konventionen!
Viel zu lange lebte ich in sinnlosen Regelkorsetten: Das tut man nicht, darüber spricht man nicht, das gehört sich nicht! Passe Dich an!
Auferlegt und geraten meist von Menschen, die sich selber von eben diesen Ordnungen oft generös ausgenommen hatten oder daran zwanghaft gekettet blieben.

Reden auch vom Nichtgreifbaren!
Von dem, was sich in mir seinen Weg bahnte ganz leise, über eine weite Strecke. Diese Gewissheit, dass Vergangenheit, Gegenwart und das, was wir Zukunft nennen, eine Einheit bilden. In der Hektik eines Alltages ist das schwer zu verstehen.
Es sind nicht nur Schatten, die aus der Vergangenheit nach uns langen. So wenig, wie uns in Zukunft ständig die Sonne erwartet.
Wer die Weisheit sucht, ist ein Weiser, wer glaubt, sie gefunden zu haben, ist ein Narr!
Dieser alte Spruch steht mir lange schon zur Seite, wie ein Gefährte. Wie viele Narren es doch gibt! Und was bedeutet schon Weisheit? So ein großer täuschender Begriff!
In frühen Zeiten gab es in jedem Dorf so eine „Weise Frau“. Manchmal sogar einen weisen Mann. Zu denen ging meist heimlich, wer nicht mehr weiter wusste im Leben.
Hellseherinnen, Wahrsager – das sind abenteuerliche Begriffe für Menschen mit einer scheinbar ungewöhnlichen Gabe. Hinter der sich dabei nichts anderes verbirgt als ein unbeschädigter Tiefenblick. Durch die Grenzen hindurch, die wir dummerweise zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gezogen haben mit Kalenderzahlen und Epochebegriffen. Vielleicht nur, um uns vor dem einen oder anderen sicherer zu wissen.
Weisheit bedeutet nichts anderes, als Mitbesitz an ganz einfachen Wahrheiten, die man oft der Bequemlichkeit des Augenblickes wegen zugeschüttet hat oder übersieht, die aber wie unter einer Düne darauf warten, wieder frei geweht zu werden.

Seit Jahrzehnten kommen Menschen zu mir und fragen nach ihrem Leben, nach dem was war, was ist oder noch kommen wird. Inzwischen gelte ich einigen Leuten selber als eine solche „Weise Frau“, manchem als Geheimtipp! Ich – diese einst kleine dreiste Göre aus der Ackerstraße.
Dann versuche ich Wege aufzuzeigen, will die Menschen aufrütteln, ihnen ihre Barrieren erklären oder sie auch ermahnen – je nach dem, was sich mir in ihnen offenbart, das sie selber nicht zu erkennen vermögen. Blockierte Energien wieder zum Fließen bringen.
Ich versuche gleichnishaft auch deutlich zu machen: Gedanken sind die Zukunft, das ausgesprochene Wort – die Vergangenheit und das im Moment Gesagte ist die Gegenwart. Unsere Gegenwart ist nur sekundenlang. Ich rufe etwas in den Wald – aus der Gegenwart in die Zukunft. Es kommt im Echo als Vergangenheit zurück. So wiederholt es sich immer und immer wieder, egal was man tut.

In einem Gespräch redeten mein Vater und ich vor einiger Zeit über den Tod. Er meinte: Danach gibt es nichts. Nach dem Leben ist nur Dunkel. Er glaube nur an das Jetzt, an das, was er mit eigenen Augen sehen, mit Händen greifen kann.
Was sagt man einem Vater, der 75 Jahre alt ist und an nichts sonst glaubt?
Nach kurzem Überlegen sagte ich zu ihm: Papa, stell dir vor, ich hätte drei Münzen. Wir gehen in den Park, graben dort ein Loch, legen die Münzen hinein und verschließen das Loch wieder.
Du siehst die Münzen nicht mehr. Aber sie sind da, auch wenn Du sie mit Deinen eigenen Augen nicht mehr siehst. Die Münzen scheinen definitiv weg. Gras wächst darüber. Vielleicht vergisst du sie bald. Nichts erinnert an sie. Aber sind sie wirklich fort? Ähnlich ist es auch mit dem Tod.
Mein Vater wich mir aus und meinte, so habe er es nicht gemeint. Im Übrigen sei das Beispiel zu simpel.
Aber ich meinte es durchaus so. Da habe ich in meinen frühen Jahren und später besonders als Beraterin zu viel erlebt und erfahren und dabei gelernt, manche Hilfe zu nutzen, Zeichen zu erkennen und zu deuten. Das klingt sehr mystisch, ist es aber gar nicht.

Bevor ich berichte, wie mein Weg bis in das Jahr dieses Gespräches mit meinem Vater verlief, mag noch eine Geschichte heutiger Tage erzählt sein:

Heidi, eine hübsche Frau in mittleren Jahren erfuhr durch eine Freundin von MEDINA.
Sie selber hatte keine sonderlichen Probleme, aber es drängte sie etwas zu wissen, was die Zukunft ihres Sohnes anbetraf.
Im Geleit dieser Freundin machte sie sich auf den Weg zu mir. Erstaunen dann an der Tür zunächst darüber, das ich ihr so viele Jahre jünger schien. Uns trennten 12 Lebensjahre. Sie war die Ältere. Sie schaute sich um. Bei mir brannten keine Weihrauchstäbchen, keine Kerzen, kein Kater strich durchs Zimmer und auf dem Fensterbrett hockten weder Rabe noch Eule. Den Tisch an den ich sie bat, zierten weder roter Samt noch kristallene Kugel.
Sie war skeptisch. Für sie war ich plötzlich zu „normal“.
Die Freundin tröstete sie: Warte mal ab, Du wirst schon noch sehen. Ich entschied mich, in ihre Hände zu schauen.
Dann erzählte ich ihr etwas über Krankheitsdispositionen und Erbanlagen in ihrer Familie. Sie bestätigte alles. Schließlich aber fragte sie sehr energisch nach ihrem Sohn.
Was ist mit dem Jungen?
Ich erklärte ihr, dass man aus ihrer Hand nichts über die Zukunft des Sohnes lesen könne, nur ob sie einen Sohn oder eine Tochter geboren hat. Dann schaute ich mir ihre Hände genauer an und entdeckte einen geschlossenen Saturnring zwischen Zeigefinger und Ringfinger. Außerdem sah ich das Zeichen der Kinderlosigkeit. Ihre Hände in den meinen, vergewisserte ich mich ganz genau, bevor ich weiter redete.
Dann schaute ich ihr in die Augen und sagte, dass sie keinen Sohn geboren habe, sondern ihr Junge müsse ein Adoptivsohn sei.
Die Frau sah mich fassungslos an und wurde aschfahl im Gesicht. 20 Jahre lang hatte sie diesen Umstand verdrängt, nicht den Mumm aufgebracht, dem Jungen zu sagen, das er nicht ihr leibliches Kind sei. Adoptiert!
Sie brachte einfach nicht die Courage auf, es ihm zu sagen. Vielleicht aus Furcht, von ihm nicht mehr geliebt zu werden. Sie war eine liebevolle und fürsorgliche Mutter gewesen alle Jahre.
Dann fing sie an zu weinen.
Ich hatte das Geheimnis gelüftet. Niemand in ihrem Umfeld wusste davon. Der Junge war drei Wochen alt, als sie zu seiner Adoptivmutter wurde. Für sie – ihr eigenes Kind.
Wir redeten lange mit einander. Sie beruhigte sich. Ich konnte ihr sagen, was für mich noch erkennbar gewesen ist. Dinge die sie ungläubig und doch mit großer Aufmerksamkeit hörte.
Am Ende der Stunde wusste ich, dass von dieser Frau noch zu hören sein wird. Sie war jetzt praktisch aus einen Bannkreis herausgetreten, der sie lange umgeben und eingeengt hatte.

Auch ich habe mich viele Jahre in einem solchen Bannkreis bewegt, der bestimmt war vom Milieu meiner Herkunft, von gesellschaftlichen Fesseln, von geleugneten Wahrheiten, von Menschen, die mir Normen aufzwingen wollten.
Jedoch, nach kindlichem Zögern wurde ich bald rebellisch genug, dagegen anzugehen. Angetrieben von Kräften, die uns alle bewegen, die wir nur wirken lassen müssen, wenn wir den Mut dazu aufbringen.
 

 

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