Roman, 2008, 329 S., ISBN 978-3-89626-826-6, 18,80 EUR
Sieben Jahre ist es her, seit Walja am 11. September 2001 ein letztes Lebenszeichen nach Deutschland schickte. Es war eine Ansichtskarte vom World Trade Center. Die vereinbarte Zeit des Schweigens ist abgelaufen. Nun darf erzählt werden, wie ihre verhängnisvolle Geschichte an einem Juniabend 1989 im Club der Kulturschaffenden Berlin-Mitte begann, als sie sich mit Schriftstellerkollegen zum Stammtisch traf und die Kulturschaffenden in die Fänge des Gewaltigen Herrn Natasjan gerieten. Die Begegnung blieb nicht ohne Folgen. Nicht für die Dreizehn und möglicherweise auch nicht für die inzwischen längst vergangene deutsche Kleinrepublik, die sich Sozialistische Räterepublik Nemezien nannte. Der Roman ist eine Verbeugung vor dem Dichter von „Der Meister und Margarita“ Michail Bulgakow. |
LESEPROBE
Erklärung:
Sieben Jahre sind vergangen,
seit mich Walja Kunze im Sommer 2001 aufsuchte und mir tage- und nächtelang ihre
Geschichte erzählte und ich mir auf ihren ausdrücklichen Wunsch alles notierte.
Ihr selbst, die das Schreiben als Beruf hatte wie ich, war es verwehrt, sich auf
diesem Wege von ihrer Vergangenheit zu lösen. Oft habe sie versucht,
aufzuschreiben, was ihr seit dem abendlichen Gang zum Club der Kulturschaffenden
in Ostberlin im Juni 1989 widerfahren sei, sagte sie mir. Doch jedes Mal habe
sie ihre Erinnerung so heftig überfallen, dass sie meinte, sich immer noch im
Kreis der zwölf Kollegen im CdK zu befinden. Keine Hand habe sie rühren können,
sobald sie dachte, ihre Erlebnisse niederzuschreiben, sagte sie. Dass Walja nach
elf Jahren aus den Staaten nach Deutschland zurückkehrte, diente offenbar einzig
und allein dem Zweck, ihre Geschichte loszuwerden. Wir jüngeren Autoren im
Verband kannten uns alle irgendwie, wie überhaupt die Nemezen, ob turingischen,
sächsischen, brandenburgischen oder mekelnburgischen Stammes. Warum Walja mich
ausgesucht hatte, war mir zunächst nicht deutlich, da ich in Zeiten der SRR
Nemezien jede ihrer Annäherungen unfreundlich und sehr bestimmt abgewehrt hatte.
Die Antwort hat mit ihrer Geschichte zu tun, weshalb ich sie nicht vorwegnehmen
möchte. Walja wirkte sehr gehetzt, angespannt.
Ihr eigentlich rundes Gesicht noch abgezehrter als in jungen Jahren, sodass ich
annahm, sie ernähre sich ausschließlich von Äpfeln und Brokkolis, womit ich
nicht ganz falsch lag.
Walja hat mir aufgetragen, erst dann ihren von mir verfassten Bericht der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wenn ich nach Jahren immer noch keine neue
Nachricht von ihr habe. Nach wie vielen Jahren genau? fragte ich nach, um ja
keinen Fehler zu begehen. Sieben, sagte sie. Sieben ist eine schöne Zahl. Das
fand ich auch.
Nun also ist es Zeit, einen Verlag zu suchen, der die Aufzeichnungen druckt. Ob
ich ihn finde, liegt nicht in meiner Hand.
In diesem Fall bin ich froh, dass ich alles Weitere dem Schicksal überlassen
kann.
Zu Beginn der Handlung befinden wir uns im Juni des Jahres 89 in der
Sozialistischen Räterepublik Nemezien, die wir milde spottend
Ständig Ratlose Republik Nemezien oder Siegreiche Rentner Regieren Nemezien oder
auch bissig SowjetRussisch Regiertes Nemezien
nannten. Stärkere Spottnamen spare ich aus. Ich beteilige mich nicht an dem
Spiel, das da heißt, tote Riesen oder Zwerge zu treten. Auch bestätigt uns
westliche Geschichtsschreibung zur Genüge, dass wir in einem Satellitenstaat der
inzwischen ebenfalls untergegangenen UdSSR lebten. Wir selbst haben immer
versucht, uns vom großen Bruder abzugrenzen und uns einfach als Nemezen gesehen,
mit einem durch den Krieg bedingten Sonderschicksal bedachte ostdeutsche Stämme.
Hier nun, was ich nach Waljas Erzählungen niederschrieb: