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João Guimarães Rosa

Mein Onkel der Jaguar

Erzählung, 2009, übersetzt von Curt Meyer-Clason, herausgegeben von Ligia Chiappini und Marcel Vejmelka, mit einem Nachwort von Walnice Nogueira Galvão, 137 S., ISBN 978-3-89626-825-9, 11,80 EUR

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Zu den Rezensionen

 

In einer Hütte im brasilianischen Hinterland des Sertão erzählt ein mestizischer Einsiedler seinem unsichtbaren und stummen Gast während einer Nacht und in einem ununterbrochenen Redefluss davon, wie er sich vom Jaguarjäger zu einem Menschen jagenden Jaguar gewandelt hat.

Diese Erzählung über eine sich zwischen der europäischen und indigenen Kultur verlierenden Existenz, über die „Tragödie der Auslöschung und der Konstitution von Kulturen“ bildet einen der Höhepunkte im Werk des Brasilianers João Guimarães Rosa (1908-1967). Das Jahr seines 100. Geburtstags bildet den Anlass, sie in der Übersetzung von Curt Meyer-Clason dem deutschsprachigen Lesepublikum wieder zugänglich zu machen.

Begleitet wird die Erzählung von einem Nachwort von Walnice Nogueira Galvão. Ihre Lektüre der „Unmöglichen Rückkehr“ des Protagonisten und Erzählers zu den Ursprüngen seiner von allen ethnischen, sozialen und kulturellen Elementen der Kolonisierung und Entstehung Brasiliens durchkreuzten Existenz gilt als eine der erhellendsten Deutungen dieses Textes.

Zum Autor:

João Guimarães Rosa wurde 1908 in Cordisburgo/Minas Gerais geboren und starb 1967 in Rio de Janeiro. Er arbeitete zunächst als Arzt, dann als Diplomat, war 1938-1942 Vizekonsul in Hamburg, schließlich Beamter im brasilianischen Außenministerium. Sein von sprachlicher Innovation und Durchmischung geprägtes Werk, das Tradition und Moderne kritisch ineinander spiegelt, zählt zu den bedeutendsten der brasilianischen und lateinamerikanischen Literatur im 20. Jahrhundert und wurde in weiten Teilen ins Deutsche übersetzt (u.a. Grande Sertão, 1964, Corps de Ballet, 1966; Sagarana, 1982; Tutaméia – dritte Erzählungen, 1994).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort der Herausgeber

Am 27. Juni 2008 wäre João Guimarães Rosa einhundert Jahre alt geworden. Sein Heimatland Brasilien gedenkt in diesem Jubiläumsjahr einem seiner bedeutendsten und einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts mit einer großen Zahl von kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen und Veröffentlichungen.

João Guimarães Rosa wird am 27. Juni 1908 in Cordisburgo, einer kleinen Stadt im Landesinneren des Bundesstaats Minas Gerais geboren, studiert zunächst Medizin in Belo Horizonte, arbeitet mehrere Jahre als Landarzt in seiner Geburtsregion, bis er schließlich in den diplomatischen Dienst eintritt. Die erste Station dieser zweiten Laufbahn ist ab 1938 der Posten als Vizekonsul in Hamburg, wo er aus nächster Nähe die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten, die einsetzende Judenverfolgung und die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs erlebt. Mit dem Kriegseintritt Brasiliens auf Seiten der Alliierten 1942 wird Guimarães Rosa gemeinsam mit allen brasilianischen Diplomaten inhaftiert und nach einigen Monaten im Austausch mit in Brasilien verhafteten deutschen Diplomaten in seine Heimat entlassen.

Aus dieser Zeit datiert auch der Beginn seiner literarischen Tätigkeit, die mit der Veröffentlichung seines ersten Erzählbandes Sagarana im Jahre 1946 schließlich auch an die breite Öffentlichkeit tritt. Bereits mit Sagarana und spätestens mit der fast zeitgleichen Veröffentlichung des monumentalen Romans Grande sertão: veredas und des Roman- oder Novellenzyklus Corpo de baile im Jahr 1956 revolutioniert Guimarães Rosa die brasilianische Literatur hinsichtlich ihrer Themen und Sprache. In seinem Werk verbindet er eine Neubewertung der regionalen, ländlichen und oralen, allgemein traditionellen Kulturen Brasiliens mit einer subtilen Kritik der Mitte des 20. Jahrhunderts in vollem Gange befindlichen Modernisierung des Landes. Mit seiner intensiven und dichten Spracharbeit synthetisiert er Ausdrucksformen des mündlichen Erzählens, historische Formen des Portugiesischen und dessen moderne Ausprägungen in der brasilianischen Kultur. Insbesondere die sprachliche Innovation und Fusion prägt sein weiteres Werk, das sich mit den Erzählbänden Primeiras estórias (1962), Tutaméia – Terceiras estórias (1967) und schließlich Estas estórias (1969) fortsetzt.

Guimarães Rosa erlebt die Veröffentlichung dieses letzten Bandes nicht mehr, am 19. November 1967, wenige Tage nach seiner berühmten Antrittsrede in der brasilianischen Akademie für Literatur und Sprache, stirbt er in Rio de Janeiro an einem Herzinfarkt.[1]

Das Werk João Guimarães Rosas wurde ab 1964 von Curt Meyer-Clason ins Deutsche übertragen. Auf Grande sertão (1964) folgten Corps de Ballet (1966) und Das dritte Ufer des Flusses (1968), 1982 erschien Sagarana und schließlich 1994 noch Tutaméia und Neuauflagen aller bisher vorliegenden Übersetzungen. Seitdem ist Guimarães Rosas Werk allmählich vom deutschen Buchmarkt verschwunden und der Autor im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten.

Als Vertreterin des einzigen deutschen Lehrstuhls für Brasilianistik am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin sah sich Ligia Chiappini von dieser Situation dazu angeregt, das Jubiläumsjahr auch in Deutschland für eine Neuentdeckung Guimarães Rosas zu nutzen. Das vom 1.-3. Dezember 2008 in Berlin stattfindende Internationale Symposium João Guimarães Rosa (1908-2008). Räume und Wege. Regionale und universelle Dimensionen versammelt weite Teile der heute in Europa existierenden Forschung zu Autor und Werk. Im Rahmen dieser Initiative entstand die Idee, den der Sammlung Estas estórias entnommenen Text „Meu tio iauaretê“ in seiner auf Deutsch erstmalig 1981 in der Übersetzung von Curt Meyer-Clason veröffentlichten Fassung „Mein Onkel der Jaguar“ neu herauszugeben. Nicht nur eignet sich der Umfang dieser langen Erzählung besonders als Einladung für eine erste oder erneute Entdeckung Guimarães Rosas; auch Thematik und Sprache von „Mein Onkel der Jaguar“ können als exemplarisch für sein literarisches Werk betrachtet werden.

Begleitet wird „Mein Onkel der Jaguar“ von einem Nachwort der Literaturwissenschaftlerin Walnice Nogueira Galvão. Ihre Lektüre der „Unmöglichen Rückkehr“ des Protagonisten und Erzählers zu den Ursprüngen seiner von allen ethnischen, sozialen und kulturellen Elementen der Kolonisierung und Entstehung Brasiliens durchkreuzten Existenz erschien 1978 als Teil des Bandes Mitologia rosiana. Der Autorin sei herzlich dafür gedankt, ihren Text für diese Veröffentlichung zur Verfügung gestellt zu haben, das die deutschsprachigen Leserinnen und Leser in denkbar bester Form in die vielschichtigen und vielfältigen Dimensionen des Werks von Guimarães Rosa einführt.

Die Herausgeber danken außerdem herzlich und insbesondere Vilma und Agnes Guimarães Rosa sowie Curt Meyer-Clason für die Erlaubnis zum Abdruck der deutschen Übersetzung, Alex Flemming für die Überlassung des Umschlagbildes und schließlich Wolfgang Weist vom trafo-Literaturverlag für die enthusiastische Bereitschaft zur Umsetzung dieses Projekts. Sie alle haben diese Sonderausgabe erst möglich gemacht.

 

Ligia Chiappini, Marcel Vejmelka

Berlin im November 2008


[1]    Weitere postume Veröffentlichungen älterer Texte sind Ave, palavra (1970) und Magma (1994).

 

© trafo verlagsgruppe 2009