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[= Medizin und Gesellschaft, Band 62], Berlin 2007, 84 S., ISBN 978-3-89626-812-9, 13,80 EUR
Vorwort 5
Hans-Ullrich Deppe:
Zur aktuellen Gesundheitspolitik 2007 7
Rolf Rosenbrock:
Anforderungen zukünftige Gesundheitspolitik 14
Klaus Jährig:
Kindermedizin heute - Entwicklung - Stand und Perspektiven 26
Klaus Fuchs-Kittowski,
Hans-Alfred Rosenthal, Andre Rosenthal:
Die Entschlüsselung des Humangenoms – ambivalente Auswirkungen auf Gesellschaft
und Wissenschaft 37
Helmut Apel:
Die Zukunft der Energieversorgung – Perspektiven und Schwierigkeiten 52
Ingeborg Rapoport:
Carl Coutelle (1908–1993) zum Gedenken 57
R. Wernicke:
Veterinärmedizin und Verkehr – Ein historischer Überblick 63
1. Ökonomisierung
Seit über zwei Jahrzehnten können wir feststellen, dass in der Medizin weltweit Entscheidungen getroffen werden, die vor allem aus der Handschrift der Ökonomie stammen. Markt, Wettbewerb und Privatisierungen sollen notwendige medizinische Eingriffe steuern. Das betrifft inzwischen die meisten Bereiche auch unseres Gesundheitssystems. Als vorläufig letzten Akt konnten wir in den vergangenen Monaten das Gerangel der Großen Koalition in Berlin um die„Gesundheitsreform 2006“ miterleben. Gesundheitspolitik, gemeinhin eher ein politisches Randgebiet, ist vorübergehend, aber recht heftig in das Zentrum der Politik gerückt. Damit sei sogar die Machtfrage verknüpft gewesen, vermuteten einige Zeitungen. Hier ging es zwar nicht nur – aber doch vorwiegend um ökonomische Probleme. Ohne den grundlegenden Zusammenhang von Ökonomie und Krankenversorgung in Frage stellen zu wollen, ist jedoch genau darauf zu achten, wo die ökonomischen Grenzen anzusetzen sind, und wo politische oder ethische Fragen Gesellschaft bestimmend werden. Die um sich greifende und bruchlose Übertragung ökonomischer Gesetze und Instrumente auf außerökonomische Sachverhalte wird als Ökonomisierung bezeichnet. Eine Ökonomisierung tritt in der Regel dann ein, wenn das Gewinnkalkül oder der Tauschwert das Übergewicht über seinen Träger, den Gebrauchswert,gewinnt. Von Ökonomisierung wird auch dann gesprochen, wenn die Eigendynamik der Ökonomie diese aus der Gesellschaft entbettet, um sich ihr dann allerdings wieder wie ein Albaufzulegen. An der Ökonomisierung wird zu Recht kritisiert, dass die Menschen, die davonbetroffen sind, auf das Konstrukt des homo oeconomicus, den natürlich egoistischen und Nutzen maximierenden Menschen, reduziert werden. Es geht bei einer solchen Zuspitzung keines-wegs um eine generelle Verurteilung von Ökonomie, sondern um die Kritik ihres Allmachtsanspruchs. Zu fragen ist dabei nicht nur nach dem Zuviel an Ökonomie, also dem Grad der Kommodifizierung, sondern auch danach, ob die eingesetzten Instrumente dem jeweiligen Sachverhalt angemessen sind. Die Ökonomie unterliegt nämlich der Gefahr, ihre Grenzen zu sprengen und zur Norm des menschlichen Zusammenlebens insgesamt zu werden, wenn sie das gesell-schaftliche Ganze ihren Imperativen subsumiert. Und unter den hegemonialen Bedingungen von Kapital, Markt und Konkurrenz reduziert sich Gesellschaft auf das Konstrukt einer blanken Marktgesellschaft. Zu beachten ist deshalb stets das spezifische Modell von Ökonomie, das den jeweiligen Gesellschaftsstrukturen zugrunde liegt. Insgesamt besteht ein Spannungsfeld zwischen der Ökonomisierung des Sozialen einerseits und der Sozialisierung des Ökonomischen andererseits. Wir kennen solche Wirkungsprozesse im Gesundheitswesen auch in umgekehrter Richtung. Das Stichwort lautet hier: Medikalisierung, die Amalgamisierung der Medizin mit anderen Lebensbereichen unter dem hegemonialen Anspruch der Medizin. Das meint, dass soziales Verhalten, gesellschaftliche Verhältnisse, ihre Entwicklung und Kontrolle medizinisch - durch Arzneimittel, Operationen oder psychotherapeutische Interventionen – symptomatisch geregelt werden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Begriff der Biologisierung. Gerade in der Medizin wird niemand ernsthaft bestreiten, dass die Biologie eine notwendige und wichtige Wissenschaft ist. Gleichwohl wird die Lösung sozialpolitischer Probleme mit biologischen Methoden als Biologisierung bezeichnet. Eine solche Tendenz hatte sich in unserer Geschichte mit der menschenverachtenden nationalsozialistischen Rassenhygiene durchgesetzt.
2.Soziale Kosten
Innerhalb des heute hegemonialen Modells von Ökonomie ist deutlich zwischen einer betriebswirtschaftlichen und einer gesamtwirtschaftlichen Rationalität zu unterscheiden. Die Logik der Mikroökonomie und die der Makroökonomie werden zunehmend einander fremd. Am Ende der betriebswirtschaftlichen Rationalität steht immer die Rentabilität, der Gewinn des einzelnen Betriebs. Und die Gewinnperspektive ist umso günstiger, je schneller sich die Investitionen amortisieren. Was aber für den einzelnen Betrieb von Interesse ist, muss für die Gesamtwirtschaft noch lange nicht zweckmäßig und sinnvoll sein. Nicht selten widerspricht sich sogardie Wirtschaftlichkeit dieser beiden Dimensionen. Besonders deutlich wird das beim Umweltschutz. So fehlte beispielsweise den Stahl- und Chemieunternehmen zunächst jeglicher Anreiz,die von ihnen verursachte Umweltverschmutzung zu reduzieren. Die Reinigungs- und Gesundheitskosten, die durch ihre Produktionsverfahren nötig geworden waren, wurden nämlich größtenteils nicht von ihnen selbst, sondern gesamtgesellschaftlich getragen. Noch dramatischer ist es bei den Folgekosten der Atomindustrie. Die so entstehenden sozialen Kostenkönnen oder konnten von einzelnen Unternehmen solange ausgeklammert und vernachlässigt werden, bis das Gemeinwesen unter gesamtwirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten interveniert. Die sozialen Kosten der unternehmerischen Freiheit sind bisweilen exorbitant. Auch im Gesundheitswesen kennen wir dieses Phänomen. So kann beispielsweise die Verschiebung von Kosten aus dem ambulanten in den stationären Sektor und umgekehrt durchaus für die jeweilige Institution einen Vorteil bedeuten, obwohl sie unter einer Gesamtsicht verteuernd wirkt. Mit betriebswirtschaftlichen Verfahren lässt sich in der Beziehung zwischen sozialer Arbeit und ihren Adressaten allenfalls messen, ob etwas richtig getan wird, nicht aber, ob auch das Richtige getan wird. Und der kanadische Gesundheitsökonom Robert Evans stellt für das Gesundheitswesen sarkastisch, aber treffend fest, dass aus betriebswirtschaftlicher Sicht unwirksame oder gar gefährliche gesundheitliche Dienstleistungen den gleichen Gewinn erbringen können, wie wirksame und nützliche.
3. Kommerzialisierung
Mit der wachsenden Durchdringung medizinischen Handelns von betriebswirtschaftlichen Konstrukten und Anreizen findet eine immer stärkere Kommerzialisierung statt. Entscheidungen werden - zunächst bewusst und später unbewusst - zunehmend nach Gesichtspunkten der Rentabilität gefällt. Das ist keineswegs neu. Im ambulanten Sektor kennen wir seit langem den niedergelassenen Arzt als Unternehmer, der um seiner Existenz Willen als Arzt sein investiertes Kapital amortisieren muss. Aber durch die neoliberale ökonomische Orientierung nimmt dieser Druck zu und weitet sich auch auf Felder wie die stationäre Versorgung oder die Krankenpflege aus. Es verschiebt sich die Grauzone, wo die Eigendynamik konstruktiver wirtschaftlicher Regulierung in destruktives ärztliches Handeln umschlägt. Aus der Literatur kennen wir zahlreiche Beispiele dafür, dass sich unterschiedliche ärztliche Entscheidungen nicht mehr mit „medizinischem Sachverstand“ erklären lassen:
* So wurden in den USA 2,5 mal so viele Frauen hysterektomiert und knapp doppelt so viele Kaiserschnitte durchgeführt wie in Schweden.*Ebenfalls in den USA wurden 4,4 mal so viele koronare Bypässe operiert wie in Kanada.
*Eine Studie aus dem Schweizer Kanton Tessin stellt fest: Tonsillektomien, Hyterektomien, Cholecystektomien und Hämorrhoentfernungen wurden bei Ärztinnen/Ärzten und Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälten deutlich seltener durchgeführt als bei der Allgemeinbevölkerung, Während sich die Rate der Eingriffe bei Ärztinnen/Ärzte und Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälte kaum voneinander unterscheidet, lag diese bei der Allgemeinbevölkerung um 19 bis 84% höher.
*Das kassenärztliche Abrechnungsgeschehen in Deutschland zeigt, dass Internisten mit eigener Röntgeneinrichtung ein Vielfaches an Röntgenleistungen veranlassen, als Internisten, die Röntgenuntersuchungen als Auftragsleistungen durchführen lassen.
* Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland mit diagostischen Herzkathederuntersuchungen und Koronarinterventionen weit an der Spitze. Deutschland überschritt den Durchschnittswert in Europa um knapp das Fünffache (Frankreich: 2.754, Österreich: 2.721, Schweiz: 2.602). Für Koronarinterventionen gilt das gleiche.
* Ähnliche Ergebnisse liegen vor für Arthroskopien des Kniegelenks, regional unterschiedliche Operationshäufigkeiten oder stark differenzierten regionalen Arzneimittelverbrauch.
Wir haben es hier mit Untersuchungen zu tun, die aus Ländern stammen, die etwa gleiche moralische Wertmaßstäbe haben, die gemeinhin zu den reichen zählen und in denen die Medizinstudierenden mit den gleichen medizinischen Lehrbüchern lernen. Offensichtlich liegen den aufgeführten Beispielen ärztliche Entscheidungen zugrunde, die sich nicht mehr allein mit medizinischer Erkenntnis interpretieren lassen. Von vielen Ärzten wird der Widerspruch zwischen ökonomischen Zwängen und einzelfallabhängiger Patientenversorgung noch als grundlegend unvereinbar miteinander wahrgenommen. Allerdings ist festzustellen,dass außermedizinische Selektionskriterien in die Entscheidungen von Ärzten eingehen. In einer Studie zu diesem Thema heißt es: „Zu beobachten ist eine schleichende Anwendung von Altersgrenzen, weitere Kriterien sind Versichertenstatus, Beruf, Bildung und sozialer Status. Doch mit den Worten eines Gesprächspartners: „Das würde nie jemand offen sagen“. Keines dieser Kriterien ist durch moralische, rechtliche oder medizinische Legitimationsmuster gestützt.“ Das war bereits Mitte der 90er Jahre. Und nach einer neueren Untersuchung lehnen85,8 Prozent der Krankenhausärzte noch immer eine Rationierung aus ökonomischen Gründen ab, obwohl sie es inzwischen aber täglich machen müssen. In der Literatur wird hier von einer„moralischen Dissonanz“ gesprochen.
Es spricht viel dafür, dass die Versorgung von Krankheit sich nicht dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage unterwerfen lässt, denn Märkte reagieren nur auf Kosten, die sich in Preisen ausdrücken. Reflexive Konzepte, die davon ausgehen, dass marktwirtschaftlich er-zeugte Defizite sich auch durch marktwirtschaftliche Steuerung im Sinne einer „Selbstheilung“beheben lassen, können offensichtlich nicht, ohne Schaden zu erzeugen, auf die Krankenversorgung übertragen werden. Die hinzugefügte wirtschaftliche Konkurrenz mit ihren existenziellen Konsequenzen verschärft die Situation. Beim Wettbewerb gibt es immer Gewinner und Verlierer. Die Verlierer sind die Schwachen – also genau jene gesellschaftliche Gruppe, die medizinischer Hilfe am häufigsten und dringendsten bedarf. Wettbewerb polarisiert – er verschärft die soziale Ungleichheit. Und das wiederum ist nicht eine Frage „bösen Willens“ oder fehlender ethischer Grundsätze, sondern das ist Ausdruck des Prinzips des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Dieser bedeutet nämlich per se Selektion. Das Gesundheitswesen gilt deshalb auch in der Ökonomie als ein Beispiel für die Theorie des Marktversagens.1 Die Ergebnisse, die die Verteilungskräfte des Marktes, die „invisiblehands“ (Adam Smith), hervorbringen können, sind hier insuffizient. Der Markt ist nämlich eineblinde Macht. Er ist richtungslos und Ziele müssen ihm vorgegeben werden. Das demokrati-sche Gemeinwesen hat deshalb – wie ich meine - wichtige Aufgaben wahrzunehmen. Es hatden Schutz und die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Und Richtung weisende Ent-scheidungen müssen hier politisch gefällt werden.
4. Gesundheitsreform 20062
Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ist am 1. April 2007 in Kraft getreten. Wichtige strukturelle Eckpunkte – insbesondere der Finanzierung – sind:
a. Einführung eines
Gesundheitsfonds 2009
Der Gesundheitsfond ist eine neue Behörde und als neue Geldsammelstelle gedacht.
Daraus wird dann eine einheitliche Grundpauschale pro Versicherten an die
Krankenkassen überwiesen. Die Pauschale kann leicht von Kasse zu Kasse
variieren. Der Gesundheitsfond löst keines der einschlägig bekannten Probleme
(Finanzierungs-, Qualitäts- und Gerechtigkeitsdefizite).
b. Die Kassen und die Sozialversicherten sind die Verlierer.
Kassen
Bisher ziehen die Kassen die Beiträge selbst ein. Das soll auch so bleiben. Die
Kassenkalkulieren darüber hinaus kassenindividuell die Höhe des Beitragssatzes
und beschließen ihn in der Selbstverwaltung. Wenn also Kassen mit ihrem Geld für
die Versorgung des medizinisch Notwendigen nicht auskommen, müssen sie den
Beitragssatz erhöhen, der dann von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt wird.
Auf Grund dieses Mechanismus können Krankenkassen heute nicht Pleite gehen. Mit
der Einführung des Gesundheitsfonds bestimmen die Kassen nicht mehr über die
Höhe der Beiträge von Arbeitgebern und Versicherten. Die Beitragshöhe
(Beitragssatz) wird gesetzlich festgelegt! Die Krankenkassen verlieren damit die
Finanzhoheit. Sie werden entmachtet. Der Staat zieht Gestaltungsmacht von der
Selbstverwaltung an sich. Gleichzeitig wird der Wettbewerb zwischen den Kassen
verschärft. Über die Einführung von Selbstbehaltstarifen und der Möglichkeit
Individualverträge mit den Leistungserbringern abschließen zu können hinaus,
erklärt das neue Gesetz alle Kassen für insolvenzfähig. Damit kann künftig über
das Vermögen jeder Krankenkasse das Insolvenzverfahren eröffnet werden.
Konsequenzen: Die Insolvenz großer Kassen wird auf Seiten der Leistungserbringer
zu Anschlussinsolvenzen führen. Und das wiederum hat erhebliche Auswirkungen auf
die Versorgungsstrukturen, insbesondere im stationären Bereich. Die Einführung
des Insolvenzrechts kann damit auf der Seite der Leistungserbringer dazu führen,
dass Behandlungen nur noch gegen Vorkasse gewährt werden, um sich gegen das
Insolvenzrisiko abzusichern.
Versicherte
Was passiert nun, wenn die Kasse mit der vom Gesundheitsfond zugewiesenen
Grundpauschale nicht auskommt? In diesem Fall ist die betroffene Kasse
berechtigt, von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag erheben zu dürfen. Dieser
Zusatzbeitrag wird allein von den Versicherten der jeweiligen Kasse bezahlt. Die
Unternehmen sind daran nicht beteiligt. Die Parität soll hier nicht gelten. Mit
der Einführung eines Zusatzbeitrags und dessen Erhöhung entsteht ein
Automatismus zur weiteren Verlagerung der Krankheitskosten von den Arbeitgebern
auf die Versicherten. An dieser Stelle findet auch – die von Arbeitgebern, CDU
und FDP geforderte –Abkoppelung der Sozialversicherungsbeiträge von der
Lohnentwicklung statt. Der Zusatzbeitrag soll jedoch sozial abgefedert und
begrenzt sein. Er soll 1 Prozent eines Versichertenhaushalts nicht
überschreiten. Wir kennen das bereits von den bisherigen
Selbstbehaltsregelungen. Bei der kontroversen Diskussion um die
Gesundheitsreform in der Großen Koalition waren die 1 Prozent einer der
Hauptstreitpunkte. Aus der Union kamen Forderungen bis zu4 Prozent. Es bedarf
also keiner großen Fantasie, dass an dieser Stellschraube schnell gedreht werden
kann und sich Einkommensschwache einen vollen Versicherungsschutz dann kaum noch
leisten können. Insgesamt soll das Volumen des Zusatzbeitrags nicht mehr als 5
Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben betragen. Auch daran kann man
selbstverständlich drehen. Es ist davon auszugehen, dass über den Zusatzbeitrag
der Hauptwettbewerb zwischen den Kassen stattfinden wird. Damit wird der heutige
Wettbewerb um den Beitragssatzkünftig auf den Zusatzbeitrag verlagert.
b.Steuerfinanzierung
Zusätzlich zu den Beiträgen sollen Steuermittel in den Gesundheitsfond fließen.
Neu ist, dass die Krankenversicherung der Kinder von Sozialversicherten in
Zukunft komplett durch Steuern aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden sollen
(Kosten insgesamt ca. 14 Mrd. Euro). Damit soll im Jahr 2008 mit 1,5 Mrd. Euro
begonnen werden. Jahr für Jahr soll dann eine Aufstockung erfolgen.
Grundsätzlich ist gegen eine Steuerfinanzierung der Krankenversorgung nichts
einzuwenden– immerhin handelt es sich bei der Krankenversorgung um eine
gesellschaftliche Aufgabe. Angesichts der gegenwärtigen Politik des „schlanken
Staates“ sind jedoch Zweifel angebracht. Jahre lang waren die öffentlichen
Haushalte klamm. Erst seit ein paar Monaten hat die Konjunkturentwicklung wieder
mehr Geld in die öffentlichen Kassen gespült. Aber deren Ende ist auch absehbar.
Um zu verstehen, was in Zeiten leer gefegter Kassen passieren kann, brauchen wir
gar nicht lange zu spekulieren. Im vergangenen Jahr wurden 4,2 Mrd. Euro für die
gesetzlich Krankenversicherung aus der Tabaksteuer schlicht gestrichen, um
Haushaltslöcher zu stopfen. Das ist Politik nach Kassenlage. Sie ist für
nachhaltige Gesundheitspolitik abträglich. Diese darf nicht durch kurzfristige
politische Entscheidungen erschüttert werden. Eine solide Krankenversorgung
erfordert eine zuverlässige Planung. Und Krankheiten richten sich schon gar
nicht nach der tagespolitischen Finanzsituation des Staates.
Grundsätzlich stellt sich hier die Frage, ob Steuerfinanzierung oder
Beitragsfinanzierung sozial gerechter ist. Bei der Beantwortung dieser Frage
muss man sehr genau hinschauen, wie das Steuersystem gestrickt ist, wer davon
begünstigt und wer davon benachteiligt wird. Die Gewinner der Steuerfinanzierung
sind gegenwärtig auf jeden Fall die Unternehmen. Und ihre Entlastung ist ja auch
erklärtes Ziel des Gesetzes.
d.
Insgesamt fällt auf, dass trotz vielfältiger Detail-Veränderungen auf die
eigentlichen Finanzprobleme der gesetzliche Krankenversicherung nicht
eingegangen wird, geschweige dass dazu Reformvorschläge gemacht würden. Kein
Wort wird darüber verloren, dass die neo-liberale Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik, die stagnierenden Erwerbseinkommen und die anhaltende
Massenarbeitslosigkeit den Umfang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
eingedampft hat. Wie wichtig dieser Punkt ist, können wir daran sehen, dass
öffentliche Haushalte und gesetzliche Krankenversicherungen schnell wieder
liquide werden, wenn die Arbeitslosigkeit nur geringfügig zurückgeht und
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Eine vernünftige
Arbeitsmarktpolitik ist also die beste Finanzierungsgrundlage für die
gesetzliche Krankenversicherung. Solange hier keine grundsätzliche
Umorientierung stattfindet und die neoliberalen Bedingungen auch weiterhin als
unveränderlich akzeptiert werden, ist die nächste Finanzierungskrise der
Krankenversorgung mit oder ohne Gesundheitsfond vorprogrammiert.
5. Bürgerversicherung
Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz war nicht in der Lage, die vorliegenden unterschiedlichen Krankenversicherungsfinanzierungsmodelle von SPD und CDU/CSU, die Bürgerversicherung und die Kopfpauschale, unter einen Hut zu bringen. Noch am ehesten findet sich darin die ungeliebte Kopfpauschale der Union im Zusatzbeitrag, der so genannten kleinen Kopfpauschale und in der Grundpauschale, die die Kassen einheitlich aus dem Gesundheitsfond erhalten sollen, wieder. Von der Bürgerversicherung, die in unterschiedlichen Variationen von der SPD, der Linkspartei, den Grünen sowie den beiden großen Gewerkschaften IG-Metall und Verdi vertreten wird, ist so gut wie nichts übrig geblieben. Dennoch gibt das GKV-WSG keine eindeutige Richtung vor! Und ein führender Vertreter der GKV formulierte es wie folgt:„Wenn es … gelingt (den Gesundheitsfond einzuführen), dann braucht man nur noch den prozentualen Versichertenbeitrag umzumodeln und in einen Pro-Kopf-Beitrag umzurechnen und hat eine reinrassige Kopfpauschale … Es wäre eine geniale Strategie für den Ausstieg aus der sozialen Krankenversicherung, die auf Solidarität gründet, und die gezielte Hinwendung zur Privatisierung des Krankheitsrisikos“ (H. Rebscher). Dies gilt es – aus meiner Sicht – zu verhindern. Und das Instrument, das bereits existiert aber in der unsäglichen Diskussion um die Gesundheitsreform 2006 in den Hintergrund gedrängt wurde, ist das Konzept der Bürgerversicherung. Während die Kopfpauschale eine Systemveränderung des Bismarck-Modells darstellt, ist die Bürgerversicherung eine Veränderung im bestehenden System. Die Basis der Finanzierung soll mit diesem Modell über Arbeiter und Angestellte hinaus auch auf die Selbständigen und Beamte sowie auf Kapitalerträge ausgeweitet und die Beitragsbemessungsgrenze erhöht werden. Durch die Einbeziehung zusätzlicher Berufsgruppen und Einkommensarten für die Finanzierung der Krankenversorgung würde das Prinzip der Solidarität ausgeweitet. Handelt es sich doch bei Krankheit um ein allgemeines Lebensrisiko, von dem alle betroffen werden könne. Und in der Stunde der Not sind Kranke auf Solidarität angewiesen.
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