Isabel Rohner

"KunstmörderIn"

         

Zu den REZENSIONEN

Kriminalroman, 2008, 177 S., ISBN 978-3-89626-811-2, 11,80 EUR

Sehr gute Besprechungen bei AMAZON.de

=> Lieferanfrage

Zurück zur letzten Seite                    Zur Startseite des Verlages

 

Leseprobe

MONTAG

Das letzte, was Bernd Matuschek sah, bevor sich die Kugel über dem rechten Auge in seinen haarlosen Kopf bohrte, war der rote Feuerball der Sonne, der den verlassenen Schrottplatz in ein blutiges Licht tauchte. Noch nie war ihm die Sonne so kraftvoll vorgekommen und in ihrem intensiven Rot so kompromisslos. Schön war sie, das sah er nun. Doch es war zu spät. Vor der Kugel, die ihn gleich treffen würde, gab es kein Entrinnen, das wusste er. Dann wäre alles vorbei. Er spürte keine Angst, nur Gewissheit und eine eigentümliche Ruhe. Sein letzter Gedanke galt seiner Tochter, die am Abend am Flughafen Köln/Bonn ankommen wollte, um ihn zu besuchen, und sich wundern würde, wo er steckte. Dann drang die Kugel in ihn ein, und er fühlte nur noch wattige Dunkelheit. Wie sein Gehirn aus seinem Kopf herausquoll, fühlte er nicht mehr.
Sabine rannte auf den Schrottplatz, doch sie konnte gerade noch sehen, wie der glatzköpfige Mann zu Boden sank, sein Kopf eine einzige klaffende Wunde. Sie war zu spät gekommen, Dragolov hatte schon wieder zugeschlagen. Hastig blickte sie sich um und sprang kraftvoll hinter ein ehemals grünes VW-Käfer-Wrack in Deckung. Dann presste sie für einen kurzen Moment die Augen zusammen und atmete tief ein. Sie hatte ihr Versprechen gebrochen, hatte Matuschek nicht mehr helfen können. Sie hatte seinen Hilferuf nicht ernst genug genommen, hatte daran gezweifelt, dass er wirklich aussteigen wollte. Nun hatte er dafür bezahlen müssen. Dragolov hatte ihn hingerichtet.
Als sie die Augen wieder öffnete, sprach Wut und Entschlossenheit aus ihrem Blick. Jede Faser ihres Körpers war angespannt. Hass stieg in ihr auf. Das würde Dragolov ihr büßen, dieser Mistkerl. Diesmal würde er ihr nicht entkommen. Diesmal nicht. Koste es, was es wolle. Mit einer gezielten Bewegung griff sie nach ihrer Pistole, die in dem Waffengurt unter ihrer schwarzen Lederjacke steckte und entsicherte sie mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Handgelenk. Die Verstärkung, die sie angefordert hatte, würde nicht rechtzeitig kommen, das war ihr klar. Ebenso, dass sie ihre Pistole besser als alle anderen in ihrem Team beherrschte, und sie wusste genau, was jetzt zu tun war. Zielsicher und lautlos bahnte sie sich ihren Weg über den Schrottplatz, vorbei an den alten Autowracks, die im Licht der untergehenden Sonne etwas Skelettartiges hatten, etwas knochenhaft Ausgehöhltes. Und dann sah sie ihn: Er stand da, eine hochgewachsene, hagere Gestalt, nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Er trug einen fast bodenlangen schwarzen Mantel und hatte sich rücklings an einen dunkel glänzenden Mercedes gelehnt. In seiner Hand konnte sie die Waffe erkennen, deren Kugel gerade Matuscheks Kopf gesprengt hatte. Er schien sie zu polieren, fast liebevoll wischte er mit einem Tuch über das silbern glänzende Metall. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, und sie meinte, ein selbstsicheres Grinsen auf seinem Gesicht zu erkennen.
Hastig durchstreifte Sabines Blick den Schrottplatz. Hatte sie etwas übersehen? War noch jemand hier außer ihr? Irgendetwas stimmte nicht. Worauf wartete Dragolov? Konnte er sich nicht denken, dass Matuschek ihn verraten hatte und die Polizei unterwegs war? Dragolov musste noch ein Ass im Ärmel haben, warum sollte er sonst so selbstsicher stehen bleiben. Das musste eine Falle sein, eine Falle für sie. Sie wusste, dass sie jetzt schnell handeln musste und hatte auch schon eine Idee. Sie musste…
«Schiissdräck! Huere Siech!»
Linn Kegel schien mit ihrem Blick den Bildschirm des alten Laptops förmlich durchbohren zu wollen. Sie verzog ihr Gesicht. Das tat sie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. Und in letzter Zeit dachte sie beim Schreiben immer angestrengt nach.
Bernd Matuschek war also tot, lag erschossen auf einem verlassenen Schrottplatz mit Blick auf die untergehende Sonne, und ihre Polizistinnen-Protagonistin Sabine stand fast Auge in Auge mit dem Bösewicht, die entsicherte Waffe in der Hand, und wusste genau, was nun zu tun war. Ganz im Gegensatz zu Linn: Die kannte, wenn sie ehrlich war, noch nicht einmal die Vorgeschichte zu dieser Schrottplatzepisode, geschweige denn die Fortsetzung. Ihre Protagonistin Sabine hatte sie erst vor einer Stunde auf dem Klo erfunden.
«Schiissdräck, verdammt nommol», fluchte sie wieder in ihrem breitesten Zürcher Dialekt, «das isch doch alles unbruuchbarä Quatsch! So goot da doch nööd!»
In einem Anflug von Ungeduld drückte sie kurzerhand unter Bearbeiten auf alles markieren und löschte den Text. Das Schicksal von Bernd Matuschek und die ungewisse Zukunft von Sabine und Dragolov lösten sich in nichts auf. Die Datei sah nun wieder aus wie ein leeres, weißes Blatt, genau wie gestern und an den Tagen zuvor. Linn konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie zuletzt einen Text gespeichert hatte, anstatt ihn gleich wieder zu löschen. Es schien jedenfalls lange her zu sein. Die Datei, der sie vorsorglich schon einmal den optimistischen Titel Der ultimative Bestseller gegeben hatte, blieb leer.
Entnervt und resigniert starrte sie auf den Bildschirm. Was war nur geschehen? Früher, ja, da schwappte sie förmlich über vor Geschichten. Einmal hatte sie es sogar geschafft, in vier Wochen eine nagelneue Computertastatur zu ruinieren. So viele Ideen hatte sie.
Linn strich sich eine feuerrot gefärbte Locke aus dem Gesicht und kratzte sich am Hinterkopf. Ihr Blick ging zur Decke. Damals hatte sie an jedem Schreib-Wettbewerb mitgemacht, wie niedrig er auch immer dotiert war. Einen hatte sie sogar einmal gewonnen, den Putlitz Preis mit dem sensationellen Preisgeld von 150 Euro. So viel hatte allein die Fahrkarte von Köln nach Putlitz gekostet. Dafür wusste sie jetzt, wo das Kaff lag – und dass selbst solche Käffer an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen waren, wenn auch auf Umwegen. Aber Preis war schließlich Preis.
Das schrille Klingeln ihres Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Kaum hatte sie den Hörer am Ohr, meldete sich eine Stimme, die ihr nur allzu bekannt war.