[= Edition Wortmeldung, Bd. 4], 2008, 124 S., ISBN 978-3-89626-807-5, 12,80 EUR
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Es ist
nicht zu überhören, täglich berichtet die Presse: Riesengewinne der
Konzerne, enorme Abfindungen für gekündigte Manager, Nahversorgung
schwindet, Betriebe wandern ab, Teuerungswelle. Den Bürgern zerrinnt das
Geld, die Löhne werden gedrückt: verlängerte Arbeitszeiten bei gleichem
Lohn, Leistungssteigerungen usw. Die Klagen werden goutiert, man stimmt
ihnen zu und läßt es dabei sein. Die Hinweise werden nicht zu Ende
gedacht. Man blockt ab, scheut vor den hochkommenden Konsequenzen. |
LESEPROBE
Vorwort
Die Sprache, sie
ist Gott, sie ist es die alles schuf und schafft.
Eingebettet in „Der Worte Schöpfung“ – ein lustvolles Hinterfragen des
etablierten Weltbildes – das Wirtschaftsgeschehen. Eine ineinander aufgehende
Darstellung.
Alle Welt verteufelt den Turbokapitalismus, dem alten „guten“ Kapitalismus
nachtrauernd. Es gehört nicht zum guten Ton, dessen Entwicklung nachzugehen. Das
System Kapitalismus, eine Realität, wird in dem Buch in seine Bauteile zerlegt,
deren Funktion dargestellt, jedoch, wie denn auch, nicht ersetzt.
Das System ist nicht erfunden worden, es hat sich geschichtlich ergeben, wird
Gewinn abwerfend benutzt und ist zu einem nicht wegzudenkendem Brauchtum
geworden. In wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen werden die in Rechnung
gestellten Zahlen korrekt abgerechnet. In der Formel ist die Arbeitskraft, als
auch das Kapital, nebeneinander als Zahl, sich verrechnend, eingesetzt. Wertung
ist keine mathematische Größe!
Der Kampf gegen Obrigkeit und Macht, wie immer diese sich darstellen, ist nicht
zu gewinnen. Gesellschaftliche Schichtung ist vorgegeben. Ihre Neigung, deren
Statik, entspricht dem natürlichen Geriesel eines Sandhaufens. Das ist so. Einer
geht immer voran, sie sich erneuert. Das einzige was bleibt ist, unermüdlich dem
zu begegnen.
„Die Welt, ein Mosaik von Annahmen“
Der Worte Schöpfung, oder am Anfang war das ABC.
Und Gott sprach zu den Menschen: „Macht euch die Erde
untertan, benennt sie“! Und sie taten, übereinkommend,
das was sie taten, weiter.
Fragen geleiten die Kinder in das ihnen fremde Leben, sie sollten dessen nicht
müde werden. Es ist menschlich, die Welt zu hinterfragen.
Am Anfang war das schöpferische Wort. Vordem verständigte und informierte die
lebende Materie, ein kristallines Gesetz wie das der Steine, sich immer schon,
durch Laute, Berührungen, richtungsweisend durch Blicke und Gesten, so wie sie
es immer schon bedurfte, der Formation entsprechend. Der Mimik, deren
vielschichtiger Ausdrucksform, dem Lächeln, dürfte es zuzuordnen sein, daß unter
dem Druck des Kommunizierens – wie auch den Tieren eigen – letztens aus der
Organveränderung, dem abgesackten Kehlkopf, der sich daraus ergebenden Stimme,
dem non verbalen Sing-Sang, Worte sich modulierten, es zur Sprache kam. Der den
weisenden Finger begleitende Laut artikuliert zu unterscheidenden Wörtern.
Rhythmisch (Grammatik) reihen die sich zu einem Satz, zu einer Aussage. Eine
kulturelle Evolution eröffnet sich. Das sich Erkennen, das individuelle
Bewußtsein, der Schmerz, erhaltendes Wesen des Lebendigen, mag dem Wort
vorausgegangen sein, er das Verständigen mit sich, bereitete. Diese Entwicklung
war nicht vorgesehen, sie ergab sich. Die Zwiesprache, ein Dialog, eine
Auseinandersetzung, eine Beschäftigung mit sich selbst formte den Intellekt.
Denken bedarf der Sprache, es ist Sprache, Zwiesprache. Erkenntnis ergab sich.
Und sie traten hinaus noch als lebende Materie und suchten sich zurechtzufinden,
das war der Austritt aus dem Paradies in die Welt des dämmernden Bewußtseins,
die eine andere ist, die der Erkenntnis. Noch deuten sie, gebrauchen Gesten,
dann verteilen sie Namen, setzen Regeln, um sich zu orientieren. Mit der
Namensgebung, „der Taufe“, – ein vereinnehmender ritueller, heiliger Akt – wird
aus der Wahrnehmung ein Ding und reiht sich ein in eine Rangordnung. Ein
heiliges Sakrament eröffnet sich. Mit der Namengebung und dem Artikel davor wird
Irreales, Vages benannt und ins Dasein gestellt. Götter gehen hervor, der Gott,
der Teufel, und auch die Natur, sie werden zu handelnden Personen. Ein
Ungetaufter könne (daher) nicht in das (namenlose) Reich Gottes kommen (Joh 3,5)
bestätigt Jesus, da erst (ihm) sich das Reich Gottes mit der Namensgebung
eröffnet. Sie, die Skala reiht, realisiert all das, was es ringsum gibt. Es ist
kein Schauen mehr, es ist ein Sehen, ein abstraktes Differenzieren und
Realisieren von einem und demselben, (ein Schwerer als schwer) ein Vermessen und
Einordnen, ein Gestalten. Alle Erklärungen und Erkenntnisse destillieren sich
aus der Differenz. Sind Zahlen denn nun nicht auch ein Produkt der Differenz,
von viel, weniger und wenig, oder umgekehrt? Kann die Algebra, das
Zusammenfügen, demnach als ein Überwinden fragwürdiger Wertigkeit von Zahlen
begriffen werden? Sucht sie mit Buchstaben den fiktiven Zahlenbegriffen zu
entkommen? Erweist sich die „exakte“ Wissenschaft der Mathematik denn nun nicht
als ein angenommenes Gebilde, auf einer fiktiven Differenz basierend? Die
fiktive Differenz entwickelt sich zu Produkten, zur Zivilisation. Das Wort
erschloß die Differenz – ein Schöpfungsakt. Nicht der Glaube, das Wort versetzt
Berge. Er ist des Wortes, bewegt die Welt.
Der Dialog (Dualismus), der Widerspruch setzt zwei Möglichkeiten, somit ein
„Links“ und ein „Rechts“. Mit dem Differenzieren einer Vorstellung ergibt sich
eine Kartographie, die an die Umgebung angelegt sich orientieren läßt. Ab nun
leben sie nicht mehr in Gegebenem, sie nehmen wahr, benennen ihre Umgebung nach
ihrem Dafürhalten, und das Ganze Natur. Es wurde ihnen nicht gewahr, daß sie es
übertrugen, fassungslos standen sie davor, es ist geplant, von (benannten!)
Göttern. Glaubenstarke Vorstellungen lassen sich geschichtlich zurückverfolgen
bis zu den ersten Bestattungen, in ein Jenseits hinein, und legen Zeugnis der
Entwicklung menschlicher Projektion.
Sich auferlegte Rituale sind’s, „realisieren“ Gott. Er ersteht, nimmt in der
feiernden Glaubensgemeinschaft Gestalt an, die sich, das Leben überwindend,
darin spiegelt. Dem Leben in Geborgenheit entfliehend, Sehnsucht nach Nähe, nach
Berührung, nach Vertrauen, nach Begleitung, nach austauschender Gemeinsamkeit.
Gott, ein überhöhtes Ich.
Rituale, Halt bietend an einer vertrauten Abfolge einer festlichen Handlung und
– es ist, befriedigend, getan.
“Die Welt ist eine Funktion, eine Fiktion des Ich, und mit jedem Ich geht die
Welt zugrunde.“
Alfred Polgar.
“Und die Welt geht so wenig unter, als sie aufgeht wie die Sonne. Aber ein
Blick, und sie ist da, ein Schlagen der Wimpern, und sie ist fort und wieder ein
Blick, und wieder ist sie da (…)“
A. Lernet-Holenia.
“Gott schuf die Erde und alle Dinge auf Erden, aber er gab keinem Ding einen
Namen (…)
Dann vertraute er diese Vielzahl unbenannter Dinge dem Ermessen der Menschen an,
und der Mensch, kaum erwacht aus seiner lehmigen Starre, ging daran, alles, was
ihn umgab, zu bemessen. Jedes der Worte, die er damals erfand, veränderten das
Aussehen und die Umrisse der Dinge (…)“
Sylvie Germain.
“Aborigines: (…) totemistische Wesen, die einst in der Traumzeit über den
Kontinent wanderten und singend alles benannten, was ihre Wege kreuzte – Vögel,
Tiere, Pflanzen, Felsen, Wasserlöcher – und so die Welt ins Dasein sangen.“
Bruce Chatwin.
„Wir schaffen sie (die Welt), so behaupten die Semiotiker, in den Geschichten,
die wir uns ausdenken, um sie zu erklären, und durch die Art und Weise, wie wir
in ihr leben (…) Es ist eine Welt, die durch die Sprache geschaffen wurde und
von Metaphern und akzeptierten gemeinsamen Bedeutungen zusammengehalten wird,
von denen sich jede in der Zeit ändern kann.“
Jeremy Rifkin.
“ (…) deshalb ist es auch so schwer, diese Welt zu beschreiben, weil man sich
selbst beschreiben müsste; denn die Welt nimmt unsere Farben an.“
Cees Nooteboom.
“Es dreht sich – von links nach rechts, von rechts nach links“. Ist das das
„Sich“ drehen? (…) erkennt man leicht, dass, wenn die Menschen fehlten, die Erde
aufhörte, sich zu drehen.“
Jose Saramago.
„Es gibt in der Natur der Erdkugel, ebenso wenig wie im unbegreifbaren
Universum, kein „Oben“ und kein „Unten“, kein Richtig und kein Falsch; es gibt
weder Gut noch Böse, weder Schön noch Hässlich, sondern nur Lebensformen, die
ihre Bestimmung erfüllen, weil sie existieren, und deren Bestimmung ihre
Existenz ist“. „Alles, was ich denke, ist wirklich; die einzige Realität ist das
Denken“.
Rémy de Gourmont.
„Die Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommunikation, sie wird konstruiert“.
Sagt die Wissenschaft.
Walter Wippersberg.
Das All steht still, dessen Bewegungen heben sich auf. (Brich den Gedanken nicht
ab, laß ihn sich entwickeln!) Erst von einem eingenommenen Standort aus ergibt
sich Bewegung. Sie ergibt sich aus der Differenz von Geschwindigkeiten. Die
Geschwindigkeit aber hat es so an sich. So befinden sich am Uhrzeiger
Geschwindigkeiten von Null bis Unendlich, je nach der Länge des Zeigers, bei ein
und derselben Umdrehung, aber auch nur dann bleibt das Zifferblatt stehen. Weist
aber eine Drehung eine Unzahl von Geschwindigkeiten auf, dann werden sie
bedenklich. Entlang des Zeigers läßt sich keine Bewegung wahrnehmen. Die Zeit
steht still. Denkt man sich den Zeiger weg, bleibt eine Unzahl von
Geschwindigkeiten bestehen, die sich von Null bis Unendlich bzw. von Null zu
Null, linear, daher nicht erkennbar, reihen. Stehen sie sich auch wirr, wie am
Firmament, gegenüber, so vereint sie eines zur Unkenntlichkeit: die gemeinsame
(die Formel – ausgekürzt bleibt sie stehen) Konstante. Die Bewegungen, ohne
Standort, lösen sich auf.
Der Umkehrschluß, von einem so zweifelhaften, vieldeutigen Ding, wie der
Zeitanzeiger es ist, auf eine Bewegung schließen zu wollen, stockt, gestützt auf
die „Konstante“ (Standort) der Erdumdrehung – die die des Zeigers ist. Die
Geschwindigkeit, mit ihr die Bewegung, ergibt sich als Fiktion. Der Standort ist
der des Menschen, so ist Bewegung a priori durch ihn. Der Mensch, er ist es,
gibt all dem Sinn, betreibt Anatomie. Projiziert, von seinem Gesichtsfeld auf
die Sonne hin, deren Weg von links nach rechts, auf den Zeiger.
Immer bestimmt das Ich von seinem Dünken, seinem Standort aus und ortet. Da ich
nun einmal der Standort bin, ist Bewegung durch mich, übersehen wir nun einmal,
daß es so etwas wie Bewegung, sinn- und zwecklos, gibt. Ohne Bewegung aber kann
es keinen Zufall, kein Aneinandergeraten der Elemente geben. Oder ist dieses
Geschehen auch nicht? Bin ich oder bin ich nicht? „Ich denke – also bin ich!“
René Descartes 1596–1650. Denke ich, weil ich bin, oder bin ich – weil ich
denke? Die Frage verwirrt. Entscheide ich mich, daß ich bin, weil ich denke,
dann finde ich mich unversehens auf einem Scheideweg, von hienieden nach hoch
oben, orte das Denken von dort gewährt. Anders lautet es, wird an Stelle des
verfänglichen Wörtchens „oder“ „und“ gesetzt – nun liest sich’s so: Ich denke,
weil ich bin und bin, was ich bin, weil ich denke! Wenn die Bewegung durch mich
ist, dann auch die Begegnung, dann bin ich durch mich, so unwahrscheinlich ist
er nicht, der sich selbst schaffende Mensch. Bin ich oder bin ich nicht? Aber
wenn ich bin – und ich bin – dann muß es eine Bewegung gegeben haben (wegen des
Zufalls) oder ich war und bin (das Leben an sich) immer schon. Wo liegt denn des
Pudels Kern? Er läßt sich nicht und nicht fassen. Der Gedankengang ist in ein
Labyrinth geraten, irrt im Kreis – dem Wahnsinn nahe. Aber findet sich denn
nicht gerade in ihm, dem Wahn, Sinn? Was immer vor der Zeit – der der Erkenntnis
– sich begab, begab sich nicht, erst der Wahn gab dem Bedeutung – Sinn.
Ein Kind, die Namen noch nicht eingeprägt, wie erlebt es die Dinge? Wie kommt
auf ihn die Umwelt zu? Gewiß nicht wie auf den Entwachsenen, von fixierten
Bildern abgeblockt. Noch muß es sich nicht dem Erwachsenen mit Worten
verständlich machen. Es denkt für sich. Wie? Wortlos? Bedarf das Denken der
Worte? Ist es ohne Worte, ohne Grammatik unbefangener? Findet sich ein
Wortersatz? Daß in ihm, dem Kind, viel vorgeht, ist ihm anzusehen. Aber was? Es
weint, lächelt, horcht versonnen in sich hinein, träumt. Die den Kindern eigene
Welt, ist wohl die eines Ahnens, eines Erinnerns, das von irgendwoher anweht.
Ein Heimweh danach bleibt bis ins hohe Alter, mehr nicht. Es gelingt nicht, sich
zurückzuversetzen. Es ist endgültig verloren.
Wo stand denn nur die Geschichte von dem alten König, wie hieß er denn nur, der
wissen wollte, welche Sprache die Kinder von selbst sprechen würden, Neugeborene
in ein Verlies bringen ließ, wo ihnen an nichts fehlte außer dem, daß an sie
kein einziges Wort gerichtet werden durfte. Die Kinder starben an dem Schweigen.
Die kleinen Kinder an der Hand, werden eingeführt ins Leben. Ihre Händchen
suchen tastend nach Halt an der Hand.
Eine Äonen alte Entwicklung setzt sich fort, einem System entsprechend,
vorausbestimmt, daher nicht zufällig, dem gerne, um sich behütet zu wissen,
Absicht unterstellt wird. Der Dialog allein aber ist es, das Zwiegespräch, das
schematisch sich vollzieht – in der Grammatik (einer Ordnung der Daten zur
Verständigung), der Mathematik, im bewegenden Takt, dem Rhythmus, der pulsierend
überall sich wieder- findet, in der Information gibt es sich zu erkennen – das
als Vorsehung begriffen wird.
Die Welt, die sich aufbaut ist die des Wortes, des Dualismus, (binär, bipolar),
die der Frage und der Antwort. Die Zweiteilung, sie ist nicht nur Ursprung aller
Entwicklung, Halt suchend bedarf es der Zweisamkeit, die der Nähe, und sei es,
wie bei Kindern, an einem Teddybär.
Kinder, dem Ursprung noch weit näher, noch aufrichtig, lernen redend erst, um
die vier Jahre herum, das Lügen. Erst mit dem sich ihrer bewußt werdend, die
Folgen einer Aussage begreifend, dem sich entziehend, beginnen sie die Wahrheit
zu umgehen. Vögel hinken dem Fuchs, ihn vom Nest ablenkend, etwas vor, täuschen.
Demnach, im Vergleich, bewegt sich die Täuschung über die Sprache hin zur Lüge,
ihr bleibt sie vorbehalten. Noch bevor im Kind die Macht der Sprache, in der
Erfüllung seiner Wünsche als Magie sich verinnerlicht, in der Fürbitte des
Gebets sich wiederfindet, geschah es bereits in der Kinderstube der Menschheit.
Mit der Sprache wandelt sich die Information, die es vorher auch schon gab, in
ein Benennen und rückt so das Unbenannte schöpferisch in eine Ordnung. Das
Differenzieren, das Abwägen, das Vergleichen, das Vermessen, ergibt ein
Bewerten, einen Wert. Die Wertung, eine subjektive Übereinkunft, ergibt den
Baustein, schichtet eine Ordnung. Das Wahrzunehmende entspricht ab nun dieser
Ordnung. Mit ihr, dieser Annahme, läßt sie sich trefflich erklären. Allerdings,
eine provokante Frage, sie läßt sich nicht vermeiden, ob nicht mit einem jeden
anderen, wie immer auch x-beliebig gestrickten Muster sich nicht auch das
Universum erklären d. h. errichten ließe, so es in sich schlüssig ist? Vor dem
wurde es nicht als eine solche wahrgenommen. Eine Plus-Minus-Ordnung, die in der
Bestimmung von Links und Rechts, bei der der Daumen an der Hand links ist, ihre
ganze Fragwürdigkeit zu erkennen gibt.
Wie fadenscheinig und verfänglich, läßt sich mit einem eigenartigen Erlebnis
belegen: Eine Fahrt vom Karlsplatz zum Praterstern. Die Rolltreppe, tief
hinunter geht es zur U-Bahnstation. Links und rechts ein Perron. Kaum ist der
Sitz eingenommen fährt der Zug an, bewegt sich jedoch in entgegengesetzter
Richtung, zum Reumannplatz. Das ist doch nicht möglich, wehrt sich der Verstand.
Verunsichert vergewissert er sich, die nächste Station abwartend, es ist
ordnungsgemäß der Stephansplatz. Die erlangte Gewißheit, daß der Praterstern
näher rückt, reicht nicht aus, der Zug fährt weiterhin in Richtung Reumannplatz,
kehrt nicht um. Auf einmal hat sich der Sitzplatz, eingenommen im letzten Waggon
der Garnitur – war es am Stephansplatz oder am Schwedenplatz – nach vorne in den
Triebwagen verlagert. Der sich bietende Stationsabschnitt, sie sind alle von
vorn und hinten gleich, bietet keine Orientierung. Das bedeutet, die Vorstellung
ist haltlos und kehrt sich um. Die Stationsabfolge spult sich entgegen der
eingebildeten Fahrtrichtung ab, die Vorstellung widersetzt sich weiterhin der
Korrektur. Der Zug fährt vom Praterstern weg und kommt ihm doch immer näher,
scheint ihm entkommen zu wollen und fällt dann doch letztlich mit ihm zusammen.
Erst mit dem Aussteigen aus der Bahn, dem festen Boden unter den Füßen, der
unverrückbaren asymmetrisch vertrauten Örtlichkeit, einem wieder gefundenem
links und rechts gegenüber, verfestigt sich das Da-Sein, der Spuk löst sich auf.
Sucht ihn noch zu fassen, um dahinter zu kommen, was denn da geschah. Verfolgt
das Erlebnis zurück, um der Ursache auf die Spur zu kommen. Was war der Anlaß,
daß die Fahrtrichtung sich verkehrte? Hat sich die Realität der parallel
laufenden Gedankenwelt, die der Vorstellung und die des Wahrhabens, verloren?
Ein Déjà-vue-Erlebnis? Tauschten sich ganz einfach die angenommenen Begriffe
links und rechts aus? Verlor sich das Gefühl für diese Orientierung, ein zu uns
gehörendes Grundbedürfnis? Vielleicht war es eine jähe körperliche Drehung, und
schon war es geschehen, links und rechts vertauschten sich. Vielleicht war es
ein Blick auf den Gegenzug, dessen Richtung sich speicherte und beim Anfahren
sich einschlich? Oder war der Auslöser der, daß er eingesponnen sich gegen die
Fahrtrichtung setzte, und gedanklich in der Blickrichtung fuhr? Mit Gewißheit
läßt sich das auslösende Moment nicht fassen. Der Realität (so sie es ist) der
Station hält die Einbildung nicht stand, sie verflüchtigt sich und ist nicht
gewesen. Kein Lidschlag war es, es waren vier U-Bahnstationen lang! Umwelt, vom
eingenommenen Standpunkt aus geortet, baut um ihn sich auf.
Im Zweifel, in ihm und nur in ihm erschließt und erschöpft sich die ganze
Wahrheit und alle Freiheit des Denkens, selbst auch wenn er an der Wahrheit
zweifeln läßt, im Glauben sich verliert. Er ergibt sich aus der über sich
hinausschießenden Neugierde. Es ist ein Erlebnis, wenn im Zweifel die Wahrheit
zum Greifen nahe scheint, doch im Zugriff schwindet und nichts bleibt als die
Gewißheit: Sie war, im «Für und Wider». „Wenn mich niemand danach fragt, weiß
ich es, will ich es erklären, weiß ich es nicht“. Sinn entlehnt von Augustinus.
Er allein, der Zweifel, ist und bleibt unwiderlegbar. Zweifel, Wartezimmer der
Erkenntnis, leben läßt sich’s nicht in ihm! Nur im Glauben, und sei es an das
Gute im Menschen, läßt das Leben sich ertragen.
Der Zweifel bereitet die Frage auf. Frage, Wegbereiter der Antwort. Die Frage,
an das Gegebene angeknüpft, stellt es in Frage. Die Antwort ergibt sich nicht
zufällig, sie kommt nicht von irgendwo her, sie ist das Produkt eines schon
immer wirkenden Systems, dem der lebenden Materie, der DNA komplementären zwei
spiralig angeordneten Kette. Ineinander verschränkt liegt ein sich Austauschen
nahe. So gesehen baut sich über dem namenlos Gegebenen, es übertünchend, die
Sicht lebender Materie auf. Ein Gespinst der Zwiesprache. X, die Unbekannte in
der Gleichung, sich aus dem Gegebenen ergibt.
Die Antwort formuliert sich als Frage, bevor sie als Antwort dasteht, sie
tauschen sich aus. Die Antwort beendet die eröffnende Frage, ohne Antwort bleibt
sie kreißend bestehen. Eine Antwort ohne vorangehender Frage, bleibt ungefragt,
aufgedrängt, totalitär. Oppenheimer sagt: „Das Genie kennt die Antwort vor der
Frage“, das besagt, es greift vor. Stünde die Antwort nicht dahinter, die Frage
ergebe sich nicht. Das aber bedeutet, die bestehende Antwort ruft die Frage nach
ihr hervor. Frage und Antwort ergeben sie sich als ident, dem Kausalgesetz
entsprechend – ! = ? und setzt sich, durch die Wechselbeziehung der Worteteilung
(Begriff – Sinndifferenz) fort. Dem bestehenden Dualsystem entsprechend,
übernimmt die Frage den Part, eröffnet die Ant-Wort. Eine Entwicklung, eine
Folgerung ergibt sich, jedoch ohne Absicht(!), und doch nicht zufällig. Der
Zufall ist kein Zufall, weil er ein Zufall ist, er ist allgegenwärtig. Ein Ding
vermag sich von einem Zustand in einen anderen zu verändern, nicht aber zurück.
Ist damit eine Richtung, eine absichtslose, vorgegeben? Ein Ansatz, ein Druck,
der die Frage zur Antwort fördern könnte? Die Antwort aus der Resonanz der
Fragestellung sich ergibt? Ob mit dem Anlegen der Dialektik, der Frage- und
Antwort-Funktion beizukommen wäre? Die Frage, das Infragestellen, beinhaltet
„Gegebenes“ (These) und schwant (Intuition) „Künftiges“, ebenso könnte es
Vorhergehendes sein (Antithese), die „Antwort“ (Synthese) folgert sich
richtungsweisend, logisch. Somit ein dialektischer Prozeß. Frage und Antwort
könnte sich ebenso auch als die Differenz von ein und dem selben, des Möglichen
herausstellen. Als ein mehr oder weniger Ausführbares. Diese, allerorts gleich
anzutreffende Mechanik wird durch die Beobachtung bestätigt, daß, wo auch immer
gestellte Fragen zu den gleichen und nicht zu unterschiedlichen Antworten
(Erfindungen) führen. In einer präzis formulierten Frage gibt sich im Voraus die
Antwort zu erkennen. Das ist bekannt, und wird auch angewandt. Das aber
bedeutet, daß die Antwort von vornherein, vom Zwiegespräch formuliert, als
Fortentwicklung besteht. Nicht als Fortschritt. Der Begriff „Fortschritt“
schließt eine Richtung, somit ein Ziel mit ein, das aber setzt allein sich der
Mensch. Das Fragen mag aus einem brütenden sich selbst Erkennen sich ergeben
haben, Halt suchend, nun ausgesetzt in eine namenlose Fremde. Das Warum und
Wieso führt hin zu einer dahinterstehenden, fürsorglichen Absicht, leitet, dem
sich anzuvertrauen. Überantwortet sich einem allmächtigen Gott. Ein Begriff, wie
auch die Zeit, die nur der Mensch kennt und hinter fragt. Das eine kommt eben
von dem anderen. So wie das Heute von gestern und der Morgen von heute. Das läßt
sich als Absicht erkennen, aber keine ist. Sie begrenzt sich auf die dem
Dialogmittel Sprache innewohnende Mechanik, (so wie das Abschätzen auch), ein
System, das als Grammatik in Erscheinung tritt, dem eine scheinbare
„Inspiration“ entspringt. Wohin sie führt? Eine widersprüchliche Frage, denn es
mag lediglich ein Austauschen vorliegend sein. Frage und Antwort, Bausteine des
Denkens, sie sind das Denken.
...