Preuße, Günther H. W. / Johns, Friederike

Die Negerhur

Autobiographischer Roman, [= Autobiographien, Bd. 26], 2te, durchgesehene Aufl., trafo Literaturverlag 2008, 199 S., zahlr. Fotos,  ISBN 978-3-89626-780-1, 14,80 EUR

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ZU DEN REZENSIONEN

Das einstige Bauernmädchen, die Krankenschwester Friederike, sieht sich magnetisch angezogen vom Zauber der amerikanischen Clubs nahe Frankfurt am Main, von Soul, Swing und Reggae. So trafen sich zwei Menschenwege, deren Ursprung, deren Mentalitäten und Ziele unterschiedlicher nicht sein konnten. Für Friederike werden die Jahre, ihr Bemühen um eine normale Beziehung, ihr Kampf für sich selbst und um die Liebe ihrer Kinder, oft zum Martyrium. Das Leben mit einem Schwarzen, ein farbiges Kind an der Hand, haben sie in ihrer vermeintlich fortschrittlichen Welt oft stigmatisiert. Friederike Johns schaut auf eine Zeit, die sie so nicht wiederholen will. Ihre Rückblende versteht sich dennoch nicht als Anklage, eher als ein unbegreifbarer Spiegel, der dem Betrachter offenbart, wie wir sind und – trotz allem, eigentlich doch – was für ein Wunder, einer für den Anderen. 

Die »Negerhur’« erzählt ihre Geschichte: Vom Kind, das keiner mehr kennt, von der jungen Frau in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, von der alternden Frau mit einem Raben auf der Schulter. Sie berichtet über ihre Faszination für Wesen, die schwarz sind. Friederike Johns erinnert sich des Zaubers, der zwischen zwei lebenshungrigen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe erstrahlen kann. Ein Zauber, der zur Liebe erhoben wird und bald in einem Abgrund von Missverstehen, verspieltem Vertrauen und Gewalt unrettbar zerschmettert. Die Lebensrückschau der Friederike Johns berichtet von den Fragwürdigkeiten der alten Gleichung: ICH + DU = WIR. Der farbige Texaner Jim und das hessische Mädel wurden ein Paar – aber keine einige Zweiheit. Der adrette amerikanische Soldat, auf der Suche nach Abenteuer und Geltung, landete Mitte der siebziger Jahre nicht wie geplant in Vietnam, sondern auf einem Stützpunkt der US-Army im friedlichen Hessen. Frau und Kind blieben in den Staaten.

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Ein Städtchen in Hessen – Sommer 1982 

Friederike – 22. Januar 2000 

Leech in Hessen – Anfang der sechziger Jahre 

Jim – USA – Texas 

Friederike – 23. Januar 2000 

Wieder in Leech – in den Sechzigern 

Ein Traum 

Freuden, Pflichten und Leiden 

Alltag heute 

Flügge werden 

Judith 

Bob 

Anthony 

2002 im August 

Ein Vater für Anthony 

Auf und ab 

2002 – Besuch 

Alles wieder auf Anfang 

Dunkle Zeiten 

Endoskop 

Jahresläufe 

Jims Resümee 

Der Rabe 

 

 

Leseprobe

 

1982

Milde Nachmittagssonne übergießt das Pflaster der Gasse und verwandelt ihre uralten Steine in Perlmutt. Dicht aneinander gerückt flankiert hier ein schmaleres, da ein breiteres Fachwerkhaus den schmalen Bordstein. Schmuck erstrahlend im feiertäglichen Kontrast ihrer schwarzhölzernen Balken und Bohlen, den weißen Putzfüllungen und vieler roter Dächer. Geputzt, gefegt, geleckt harrt die Gasse ihrer Passanten. Blanke Fenster halten Ausschau. Türen klappen. Eine hübsche junge Frau in hellem Sommermantel tritt vor eines der Häuser. Sie verschließt sorgfältig die Tür. An ihrer Hand ein Kind. Ihr Sohn. Etwas über vier Jahre alt, flitzt er springend und singend um sie herum. Schwatzt emsig auf sie ein und greift schließlich nach ihrer Hand. Beide gehen durch die Gasse. Die junge Frau trägt einen Einkaufskorb über der Schulter. Ihre linke Hand umschließt die des Sohnes. Aus den kurzen Ärmeln seines Sommerhemdes und den ledernen Höschen schauen samtbraune Arme und Beine. Sein dunkles Gesicht strahlt. Sie streicht ihm im Laufen liebevoll über das krause schwarze Haar. Auf dem Weg in die Stadt, zum Einkauf, macht Anthony gelegentlich ein Hüpfer, einen Ausfallschritt, einen Dreher. Er ist fröhlich, freut sich, dass Mutter heut Nachmittag Zeit für ihn hat. Selten sind diese Tage. Oft lebt er wochenlang bei der Oma, wenn Mutter in langen Früh-, Spät- oder Nachtschichten im Krankenhaus ihrer Arbeit nachgeht. Aber er ist stolz auf Mama! Immerhin ist sie Krankenschwester. Tag für Tag damit beschäftigt anderen zu helfen, Blut abzuwischen, sie wieder gesund zu machen. Toll! Hinter den halb geöffneten Fenstern der Häuschen erwacht Leben. Weiße, gestärkte Gardinen werden sacht bewegt. Augenpaare verfolgen die junge Frau mit dem kleinen Sohn. Köpfe werden geschüttelt. Zeigefinger weisen spitz auf die Straße. Münder bewegen sich flüsternd, und zischend: Dort! Da läuft sie wieder, durch unsere Straße – die Negerhur’. Beide hören das Geifern nicht. Aber Friederike weiß davon. Manchmal spürt sie den freundlich verzogenen Mienen der Nachbarn ihr Denken ab. Liest aus den verkniffenen Blicken die Ablehnung. Anthony weiß davon nichts. Noch nicht! Sie erreichen den Marktplatz. Er ist buntbewegt. Marktstände zeigen ihre Waren. Gemüse, Obst, alle möglichen Artikel für einheimische und Gäste. Leder, Holz, Wein, Keramik, Blumen … es ist ein freundliches Städtchen. Sauber, ordentlich, gepflegt. Fast alle Fenster der Fachwerkhäuser schmücken blühende Blumenkästen. Der Wind streicht sanft über den Platz. Am Rande entlädt ein Bus elegante Damen und Herren mit Hut und Spazierstöckchen. Die Stimme ihres mit schrillfarbenem Schirm bewaffneten Stadtführers gellt über die Gruppe: Hier befinden wir uns im historischen Zentrum der Stadt. An dem Gebäude Nr. 7 erkennen sie die Gedenktafel für einen hier hoch verehrten Standesherrn, der im Jahre 1732 beim damaligen großen Stadtbrand durch sein hochherziges Tun zu – bis heute – unvergessenen Ehren kam … Friederike hört im Vorbeischlendern beifälliges Touristengemurmel, beobachtet andächtiges Kopfnicken. Anthony zuckelt an ihrer Hand und strebt zu einem Marktstand mit buntem Spielzeug. Blicke folgen ihnen. Eine der Busdamen stößt ihren Mann an: Schau mal dort! Blicke wechseln. Sie folgen der jungen Frau und betrachten den farbigen lustigen Jungen. Tasten aus der Distanz über seinen schwarzen Wollkopf und die schokoladenbraunen Glieder. Friederike schaut sich um, Anthony blickt fragend hoch. Entschuldigung, der Bub ist ja wirklich allerliebst. Wir tragen uns seit Jahren mit dem Gedanken, zu adoptieren. Ja, ja. Wissen Sie, wir Deutschen, uns geht’s ja wieder gut. Fleiß, Fleiß, das liegt eben so in uns, nicht war? Und Ordnung natürlich. Also man soll dann auch was tun, für die armen Neger in der Welt. Nicht war? Also – den Buben würden wir gern nehmen. Wir haben ein Haus, großes Grundstück. Er hätt’ es sehr schön bei uns. Sie wären sicher froh, ihn gut versorgt zu wissen? Schöne Kindheit, gute Ausbildung später … Friederike schaut fassungslos. Zwei drängende Augenpaare taxieren Anthony: 

Also, kurzum: Was soll er kosten? Wir können uns leicht einig werden. Wir nehmen ihn gern …junge Frau … hallo! Schroff reißt Friederike an Anthonys Hand und läuft vom Marktplatz. Seine Beine fliegen hinterher. Ihr graust es vor diesen dummen Wohlstandstypen. Das hier geschah ihr nicht zum ersten Mal. Warten Sie doch, schrillt es unter dem Hut der Dame noch hinter ihr her. Die beiden schauen sich an. So ist es meist, spricht der Herr zu seiner Frau, erst kriegen’s net genug, erst treiben’s diese Nutten mit den Schwarzen und dann laufen’s mit dem kleinen Negerpack hier durch die Gegend. Will man ihne dann helfe, rennen’s einfach weg. Schlampe – zischt die Frau. Negerhur’!

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