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Gerhard Schumacher

Bericht der Maräne. Eine Erzählung

2007, 126 S., ISBN 978-3-89626-764-1, 9,80 EUR  

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Leseprobe

 

Von den Dingen

Länger noch die Schindmähre zu sein, bin ich es müde. Der wohl erwogene Entschluß steht fest. Will nicht weiter den Wortmüll durch meine Zeit schleppen, habe es gründlich satt, mühsam zu trennen zwischen dem was wirklich war und dem, was gewesen sein könnte, aber nicht war. So ist es wenig verwunderlich, daß ich mich nach Kundigen umschaue, die Auskunft erteilen können von den Dingen, die sie erlebt haben, nach Sehenden, deren Wissen als gesichert gelten kann. Mit der Einschränkung: so gut wie, denn völlige, hundertprozentige Sicherheit gibt es natürlich nicht, kann es nicht geben. An ihre Stelle tritt Vertrauen, auch das nicht absolut, aber immerhin. Gewiß, es ist ein Risiko dabei, ich muß es in kauf nehmen und bin bereit dazu.

Vielleicht war es der Zufall oder sonst eine glückliche Fügung, die vor einigen Monaten zwei Charaktere zusammenführte, wie sie unterschiedlicher kaum vorstellbar sind. Eine Paarung, die ihren Reiz eben durch die Gegensätzlichkeit der Interessen sich entwickeln, sie zu guter Letzt aber in erstaunlicher Einmütigkeit münden läßt.

Die genauen Umstände, die Einzelheiten des ersten Zusammentreffens und der folgenden Begegnungen, die Fragen nach dem Wie und Wo sind unerheblich und nur für diejenigen interessant, die in ihrer detailverliebten Genauigkeit vom Wesentlichen ablenkend, die größeren Zusammenhänge nicht zu erkennen vermögen und sich in belanglosen Kleinigkeiten nur allzu gerne verfangen. Hilflos hängen sie in den Netzen ihrer eigenen Unzulänglichkeiten und schnappen vergeblich nach der Luft der Erkenntnis, die armen Tröpfe. Aber genug davon, ihr Schicksal ist es nicht wert, sich in ihm zu verlieren.

Wir vermerken demnach zum Beginn, wie ich das Behältnis in den See halte, einen kleinen Teil von ihm abzuschöpfen, um es samt Inhalt zum zeitweiligen Verbleib in meine bescheidene Behausung zu verbringen, ehe ich später, viel später dem See wieder zurückgebe, was ich ihm für kurze Weile genommen habe.

Und dort in meiner Behausung will ich also von den Dingen erzählen, oder besser gesagt, erzählen lassen. Nur hin und wieder zu Wort mich melden, erklären, wenn es zum Verständnis nötig erscheint, ansonsten den allzu oft vorlauten Mund halten und mich mit meiner Aufgabe am Herd bescheiden.

Nicht habe ich sie sehenden Auges erlebt, das war kaum möglich, kann dennoch ihre Wahrheit bezeugen, weil ich weiß, es hat sich so zugetragen. Genau so, nur in unwesentlichen Teilen anders vielleicht.

Woher ich das weiß?

Nun, ich weiß es eben, ungläubiger Frager, das muß genügen. Ich spüre, daß sie wahr ist.

Man muß, und davon künden nicht nur diese, sondern alle anderen wahren Geschichten, ihren Kern in sich saugen, bereit sein, ihre Botschaft aufzunehmen, die Augen schließen und sie wirken lassen. Im Inneren, in sich drin. Natürlich kommt es auch darauf an, wer sie erzählt, die Dinge, von denen zu berichten sich lohnt. Im Einklang von Botschaft und Erzähler entscheidet sich ganz von allein, was stimmt und was nicht. Es ist gar nicht notwendig, selbst viele Mühen aufzuwenden. Ausschlaggebend ist nur eine Voraussetzung, die erforderlich ist, als unabdingbar sich erweist: die nämlich, bereit zu sein.

So einfach ist das, oder so schwer.

Ein anderes ist die Zeit. Sie ist immer gewesen, nicht erst, seitdem man sie mißt oder über sie redet. Zeit war zuverlässig stets gestern, ist es heute und wird es morgen sein.

Gegenwart indes, sagt die Maräne, findet ausschließlich in Vergangenheit und Zukunft statt, niemals in sich selbst. Wenn wir von Gegenwärtigem reden, und sie erhebt die Flosse dozierend, sprechen wir von Vergangenem wie von Zukünftigem, und immer von Zeit.

Zu unbestimmter, gegenwärtiger, vergangener oder zukünftiger Zeit also stehe ich am Ufer. Das Seewasser spült den blanken Fuß, kleine Wellen, vor und zurück, wässern den Zeh, den Rist, fast bis zum Knöchel unterhalb der Fessel. Verschwemmen den Abdruck der Sohle im Ufersand, als wäre er nie gewesen. Wende dann den Schritt, die Füße nunmehr in Sandalen halbwegs wohl verwahrt, übern Damm, rechts und links bedrängt wiederum von Wasser, hin zur Kate, denn mehr gibt es nicht her, das bucklige Häuschen aus rohem Material, ein Verschlag eher denn eine Behausung, klein und ungefügt, bis in die Kochstube zu Herd und Pütt und Pann.

Denn kochend, während das Mahl ich bereite, will ich die Maräne erzählen lassen von den Geschehnissen, den Dingen, die sie mir geflüstert, nachts und so manches Mal auch tagsüber im Traum. Aber es ist ein geschwätziges Volk, das maränische, neugierig und jederzeit bereit, den abenteuerlichsten Gerüchten durch allerlei Schabernack Vorschub zu leisten. Man sollte sie normalerweise nicht allzu ernst nehmen. Nicht ohne Grund empfehle ich Obacht vor ihren Gesängen, wie das schon die Altvorderen taten, weise den mahnenden Finger gehoben, ihrerseits durch die Erzählungen der Alten gewarnt und verunsichert, daß sie manche Nacht nicht schlafen konnten, sondern wachen Auges in den Kissen sich versteckten, ängstlich vor den Schatten an Wand und Decke neben und über der Schlafstatt. Soweit soll es gar nicht erst wieder kommen, deshalb bin ich festen Willens, einzugreifen, wenn mit dem Fisch, der profane Vergleich sei mir verziehen, die Gäule durchgehen, im wahrsten Sinne der Worte.

Aus der literarisch übermittelten Geschichte, aus Mythen und Märchen, kennen wir die Unverschämtheiten sprechender Tiere. Erinnert sei an diverse Hunde, Katzen, Kater, gestiefelte zumal, Füchse, Vögel, Unken, Ratten, ja selbst Fische erdreisten sich zuweilen einer Schwatzhaftigkeit, die schon lange vergeblich sucht, ihresgleichen zu finden.

Es sei, als Beweis, auf jenen ilsebillschen Butt verwiesen, der das Maul partout nicht halten wollte oder konnte und seinen monologisierenden Plapperzwang selbst vor dem feministischen (sic!) Tribunal nur dann, und auch lediglich vorübergehend unterbrach, wenn er beleidigt mit der weißen Bauchseite nach oben schwamm oder sich arrogant im Kiesgrund des eigens für ihn gerichteten Beckens eingegraben hatte.

Nicht wenige nennen das heute noch einen geradezu ungeheuerlichen Vorfall.

 

Dabei, sagt die Maräne, sei durchaus anerkannt, daß viele, die meisten Tiere sogar, in der Lage und willens seien, sich von den Menschen die lächerlichsten Verrichtungen beibringen, sich also korrumpieren zu lassen, was das Zeug hält. Und alles nur, um näher, und vor allen Dingen bequemer dem Futter zu sein, dem begehrten, denn viele haben es aufgegeben, sich selbst zu versorgen.

Was, fragt sie, empört fast ob ihrer Artgenossen, verbleibt, zum Exempel, einem Seehund noch an Würde, wenn er vor gaffender Masse im Zirkus bunte Bälle auf der Nase balanciert, was ihm mit einem brackigen Hering entlohnt wird? Was dem Löwen, der großkotzig sein Maul aufreißt, die kariösen Zähne furchterregend in die Kuppel streckt und alles nur um ein armseliges Stückchen madigen Fleisches. König der Tiere?, die Maräne kann nicht umhin, unverschämt das fischige Antlitz zu verziehen, daß sie nicht lache.

 

Und deren Dümmlichkeiten gäbe es unzählige mehr. Zum Beispiel den Hund, der Sitz macht und Männchen, sich um die eigene Achse dreht und anderen Unsinn mehr, der nicht weiß, wie ihm, was ihm geschieht, der Depp, der vierbeinige.

Doch das Sprechen, die Maräne dreht sich zweimal um die eigene Achse, dabei geschickt die Flossen gegenseitig kräuselnd, das Sprechen sei, zugegeben, schon eine andere Qualität, nicht jedermanns Sache, ohne Frage. Seit alters her dem zweibeinigen Tier vorbehalten, das sich, aus nicht immer durchsichtigen Gründen, vernunftbegabt in anmaßendem Eigenlob betitelt. Zwar sei das alles nicht so recht belegt, Esel, Katze, Hund und Hahn, Denkmal hin oder her, die Ilsebill, der Butt, Rättin, Ratz, Fuchs, Rabe, Elster, Igel, Hase, die Rufe der Unke, aber ein Ding wäre das schon, wenn’s denn stimmen täte, das mit dem Sprechen, und verschluckte sich fast am wässerigen Naß. Ein Ding wäre das schon. Und außerdem, jetzt war sie einigermaßen erregt, die Maräne, gehörten immer zwei, mindestens, dazu: einer der spricht und ein anderer, der zuhört.

Oder zumindest so tut, kann sich der nette Herr von Traubenau nicht versagen, anzufügen. Wer ist der Herr von Traubenau, der sich hier so unvermittelt in die Erzählung einschleicht? Nun, er ist ein Gast, den ich geladen, mit mir zusammen den Fisch zu hören.

Wie auch immer, meint die Maräne, und läßt sich durch den Zwischenruf nicht irritieren, sie selbst sei doch der beste aller Beweise. Spräche sie nicht klar und deutlich mit feiner Akzentuierung unter Berücksichtigung aller hierzulande gebräuchlichen Regeln die Sprache der vermeintlich Vernunftbegabten? Und das nicht nur gegenwärtig, sondern ebenso schon in lange zurückliegenden Zeiten. Man bedenke alleine die Schwierigkeiten, die sprachliche Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte mit sich brachten, insonderheit die Lautverschiebungen. Keine leichte Übung sei das gewesen, weiß Gott nicht.

Und während die Maräne fabuliert in silbrig glänzender Schuppenhaut, ziehe ich das Messer scharf vom Stein, befühle die Hammelkeule an allen ihren Seiten, prüfe sie auf unreine Stellen. Auf dem hölzernen Klotz neben der fetttriefenden Speckseite, die eingeweichten weißen Bohnen, wenige Kräuter aus dem kümmerlich kleinen Garten hinter der Kate, zum See gelegen. Mißtrauisch beäugt die Maräne den irdenen Topf mit Schmant. Weiß sie oder ahnt zumindest, was ich pietätvoll verschweige? Daß er schnittlauchdurchzogen dafür gedacht war, ihre Artgenossen Stück für Stück zu überziehen, damit ihr Eigengeschmack unterstützend verfeinert werde. Karotten mit grün und Sellerie und Lauch für den wärmenden Sud fallen weniger auf, sind auf den ersten Blick unverdächtig und nicht anstößig.

Der Herr von Traubenau, der so unschuldig dreinschauen kann, blinzelt mir wissend zu und die Maräne tut, als habe sie es nicht bemerkt. Ich aber bin mir sicher: sie hat. Und wie! Dennoch ist, auch das weiß sie genau, ihr Leben nicht in Gefahr, höchstens das ihresgleichen, was sie als Kannibalismus verstehen, verabscheuen mag. Jedoch, ein Rest von Unsicherheit bleibt auch dem Wissenden immer im Gedächtnis.

Deshalb sucht sie Verbündete, teilt Geheimnisse mit, macht sich unentbehrlich als Informant, der die Zusammenhänge kennt angeblich und zu deuten weiß.

Zugegeben, was weiß ich von Vergangenem, Gegenwärtigem, Zukünftigem? Nicht viel, weniger als wenig. Dem eigenen Erleben aus nachvollziehbaren Gründen verwehrt, bin ich auf Geschriebenes angewiesen. Eine schale Kost, der man ihren Salzgehalt auf den ersten Zungenschlag nicht anmerkt. Ich bin darum begierig auf jeden Augenzeugenbericht aus kundigem Munde, und sei es, daß dieser nur (was heißt hier nur?) ein Fischmaul ist.

Auch der nette Herr von Traubenau, ein durchaus beschlagener Mensch, konnte sein Wissen sich nur anlesen, aus erreichbaren Quellen, dubiosen oft obendrein, hat nicht selbst erlebt. Wie denn auch? Da ist es nicht leicht, die Unterscheidung zu treffen zwischen unwahr, halbwahr, wahr.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Einfacher gesagt als getan, außer im Märchen vielleicht. Aber was beweisen schon Märchen? Sind die Bremer Stadtmusikanten etwa der Beweis dafür, daß Tiere, so sie wollen, reden können? Nicht wahrscheinlich.

Aber die Maräne ist der Beweis, die kleine, unscheinbare, uralte Maräne. Derzeit Gast in der Kate mit dem einen Raum, der Küche, Wohnzimmer und Schlafkammer zugleich ist und jetzt auch vorübergehend Gelehrtenkabinett und Auditorium Maximum für die arrogant besserwisserischen Seminare der schuppigen Dozentin.

Selbstverständlich mag auch sie uns Geschichte verknitteln. Hier ein wenig weglassen, dort ein wenig beschönigen, das Unliebsame, die eigene Rolle gar, verschweigen, die der anderen aufbauschen oder umgekehrt. Wer weiß das schon, kann es nachprüfen? Der Gast genauso wenig wie ich, obwohl wir uns beide bemühen, den Erzählungen der Maräne kritisch zu begegnen. Letztendlich haben wir in stiller Übereinkunft beschlossen, es zu nehmen wie es kommt, darauf zu vertrauen, sie ließe ihre eigenen Ansichten außen vor und beschränkte sich auf das, was sie gesehen, erlebt hat, verpflichte sich in strenger Selbstdisziplin zur Objektivität.

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