Marcus C.

Ritterfeldt                           

Verfahrene Verhältnisse

politischer Thriller, 2008, 282 S., ISBN 978-3-89626-762-7, 14,80 EUR

 

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Zum Inhalt

Deutschland befindet sich im Kriegszustand. Städte brennen. Deutsche Soldaten sterben auf den Schlachtfeldern Asiens und des nahen Ostens. Nichts ist mehr, wie es war.

Die Katastrophe hat eine Vorgeschichte, die sich aktuell vollzieht…

Der Ex-Geheimdienstler Jürgen Steinitz ist ein Gewinner der deutschen Einheit. In den letzten Tagen der DDR gründet er in einer verdeckten Aktion mit Geld aus schwarzen Kassen des in der Öffentlichkeit kaum bekannten „Militärischen Nachrichtendienstes“ ein Forschungsinstitut, das als Tarnunternehmen für illegale Waffengeschäfte dient und Mitgliedern der alten DDR-Eliten den Weg in die neue Zeit ebnen soll.

Der karriereorientierte Geheimdienstler mutiert zum erfolgreichen Unternehmer, der von den neuen Verhältnissen profitiert. Steinitz wird zum Mitglied jenes Establishments, das er einst bekämpfte und beseitigen wollte. Der ursprünglich geplante soziale Aufstieg des Jürgen Steinitz findet unter neuen Rahmenbedingungen statt und erschließt nicht nur kommerzielle, sondern zunehmend auch politische Betätigungsfelder. Ziel ist die strategische Einflussnahme auf die Politik in der Bundesrepublik Deutschland.

Durch die Lieferung wichtiger Rüstungstechnologie in Spannungsgebiete gerät Steinitz ins Visier der Geheimdienste. Er versucht durch Allianzen mit diesen geheimen Spielern auf der politischen Bühne Bestand und Expansion seines Wirtschaftsimperiums zu sichern. Vor dem Hintergrund eskalierender Konflikte im Nahen Osten und in Afghanistan gerät Deutschland – unter Beteiligung der Hauptfigur – durch die unglückliche Verquickung der Umstände und die politische Instrumentalisierung der Medien in einen globalen militärischen Konflikt, der das Land grundlegend verändert. Es enstehen, neue „verfahrene Verhältnisse“.

Über den Autor

Leseprobe

Frankfurt/M., in einem der diskreten Konferenzräume des Hotels four seasons sitzen sich Steinitz, Kusnezov und Leonid Sergejev, der Geschäftsführer von Maschstroiimpex, gegenüber. Sergejev entspricht so gar nicht dem Klischee eines russischen Wirtschaftsführers. Statt eines unbeweglichen, etwas zur Fülle neigenden älteren Apparatschiks sitzt hier ein Mann Anfang vierzig, schlank, sportlich, in edlen Zwirn gehüllt, der wie ein Zwillingsbruder des jungen Robert Redford aussieht. 

Weil man nicht sicher sein kann, ob und durch wen das Gespräch mitgehört wird, werden die wirtschaftlichen Konditionen der geplanten Kaukasus-Operation gesondert und völlig seriös verhandelt.

Steinitz wendet sich nach dem üblichen Begrüßungsritual seinem offiziellen Verhandlungspartner zu.

„Herr Sergejev, ich freue mich, dass wir vor dem Hintergrund unserer sehr guten Erfahrungen nun über die weitere Zusammenarbeit sprechen können. Unsere Kunden waren bisher mit den von ihnen gelieferten Geräten und dem Servicepaket sehr zufrieden und wir können mit diesen Referenzen sicherlich noch besser auf die Bedürfnisse potentieller Kunden reagieren.

Aber sie wissen ja, letztlich wollen wir alle Geld verdienen. Ob ein Geschäft attraktiv ist, hängt natürlich von den Konditionen ab.“

Sergejev tauscht einen kurzen Blick mit Kusnezov.

„Lieber Herr Steinitz, sie wissen, dass wir uns bemühen, die Interessen unserer Partner zu berücksichtigen. So, wie die Situation in unserem Land momentan ist, können wir allerdings nichts verschenken. Sie sollten bedenken, dass wir hier über eine strategische Allianz reden, die es uns ermöglichen soll, nicht nur alte Kunden zu halten, sondern neue Märkte zu penetrieren. Wir haben in den letzten zwei Jahren unser Angebotsspektrum um einige wirkliche Innovationen erweitern können. Diese Dinge wird man ihnen förmlich aus der Hand reißen. Natürlich sind wir aus verschiedenen Gründen auf externe Distributionsleistungen angewiesen, East-West-Consult wäre aber substituierbar, wenn wir das Gefühl hätten, wir müssten unsere Produkte verschleudern. Schließlich haben wir ein Image zu erhalten.“

Steinitz ist dieser „neue Russe“ sympathisch. Als Pragmatiker hat er es lieber mit Leuten seines Schlages zu tun. Wenn man früher mit russischen Entscheidern verhandelte, musste man mit den Leuten trinken, in die Sauna gehen und lästige Verbrüderungsrituale ertragen. Nun scheint endlich westliche Rationalität einzuziehen.

„Herr Sergejev, dass sie einen Ruf zu verlieren haben, können sie getrost als bekannt voraussetzen. Nicht zuletzt haben Sie diesen guten Ruf aber auch unserer Organisation und Kundenbetreuung zu verdanken. Wir sollten da nichts aufrechnen. Wichtig sind die Synergieeffekte einer strategischen Zusammenarbeit. Wir wissen wechselseitig, was wir aneinander haben. Daher bin ich auch bereit, ungeachtet der mit Herrn Kusnezov bereits vorab besprochenen Risiken, ihnen entgegenzukommen. Wir übernehmen den kompletten Vertrieb ihrer Produkte in noch zu fixierenden nationalen Märkten des Mittleren Ostens, Südafrikas, in Südostasien und in Lateinamerika.

Sie verpflichten sich, in den nächsten zehn Jahren ausschließlich über uns zu liefern. Wir garantieren ihnen eine jährliche Umsatzsteigerung zwischen drei und zehn Prozent. Die Preispositionierung nehmen wir vor, wobei allerdings aus Image-Gründen ein nicht zu unterschreitender Mindestpreis gemeinsam definiert wird. Nach Ablauf der zehn Jahre können sie den Vertrag entweder aufrecht halten oder sie übernehmen die gesamte Vertriebsstruktur zu noch zu vereinbarenden Bedingungen. Wir sollten aber ausschließen, dass sie den Vertrag kündigen und alles unserer Konkurrenz übergeben. Das würde uns dann doch stören.“

Kusnezov hat bisher geschwiegen. Nun ist er der Meinung, dass dieses Scheingeplänkel beendet werden sollte. Er wendet sich Sergejev zu:

"Leonid Andrejewitsch, wir sind nach Abwägung aller Umstände der Meinung, dass ein solches Abkommen nicht nur positiv für die beteiligten Unternehmen wäre, sondern darüber hinaus nationalen Interessen entspricht. Schließlich haben wir es mit einem Novum zu tun. Eine Zusammenarbeit in dieser sensiblen Branche fördert das wechselseitige Vertrauen in Europa und kann ein wichtiger Bestandteil der neuen russisch-deutschen Partnerschaft sein. Wir haben die Vorschläge von Herrn Steinitz ebenfalls sehr kritisch geprüft und meinen, dass hier ein faires Angebot auf dem Tisch liegt.“

Nach zwei Stunden werden die Verträge unterschrieben und Steinitz Unternehmensgruppe ist mit einem Schlag in die erste Liga der Waffenhändler katapultiert worden. …

 

Es ist 23.00 Uhr. Die drei Froschmänner ducken sich hinter der kleinen Brüstung, die das Anwesen zur Wasserseite hin abschließt. Den Schatten der vor dem Haus stehenden Büsche ausnutzend, gleiten sie vorwärts. In ihren schwarzen Neopren-Anzügen sind sie auch für ein geübtes Auge nicht auszumachen. Dann haben sie sich bis auf ca. fünf Meter an den Wintergarten herangearbeitet. Im Innern sind fünf Männer zu sehen. Einer blättert in einem Magazin, zwei spielen Schach und zwei verfolgen im Fernsehen ein Fußballspiel.

Plötzlich geht alles sehr schnell. Die mit Schalldämpfern versehenen Maschinenpistolen der Froschmänner geben ein leises Knattern von sich. Die Scheiben des Wintergartens bersten und die Männer brechen völlig überrascht im Kugelhagel zusammen. Dann sind die Angreifer im Haus. Ihr Anführer deutet nach oben. Während einer die unteren Räume kontrolliert, stürmen zwei die Treppe hinauf. Eine Tür öffnet sich, doch bevor der nur mit einer Pyjamahose bekleidete Mann seine Magnum heben kann, zerreißen Kugeln seinen Brustkorb. Er wird zurückgeschleudert und bleibt am Fußende des Bettes verkrümmt liegen. Die Angreifer treten jetzt eine Tür nach der anderen ein, werfen Blendgranaten und feuern in die Räume. Zwei Männer versuchen aus dem Fenster zu springen, um zum See durchbrechen zu können. Sie ereilt der Tod auf halber Strecke zwischen Wintergarten und Ufer. Zwei ihrer Kollegen versuchen das Ende hinauszuzögern. Sie haben sich in einer Abstellkammer verbarrikadiert. Fliehen können sie aus dem fensterlosen Raum nicht. Als sie keine Munition mehr haben, kommen sie mit erhobenen Händen heraus. Einer der Froschmänner bedeutet ihnen, sich mit dem Gesicht zur Wand zu stellen. Sein Partner tritt ihnen von hinten in die Kniekehlen. Sie brechen auf die Knie. Dann werden ihre Körper aus nächster Nähe von Kugeln zerfetzt.

Als die drei Froschmänner wieder über die Uferbrüstung gleiten, schaut ihr Anführer auf die Uhr. Es ist 23.10 Uhr.

Am Morgen des nächsten Tages steht Hauptkommissar Hilpert von der Abteilung Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamtes in einer Grunewaldvilla fassungslos vor den Leichen von fünf Männern.

Alle sind durch Genickschuss aus nächster Nähe hingerichtet worden. Einer von ihnen ist der Generalkonsul der Islamischen Republik Iran. Hilpert wendet sich ab und denkt an die Journalisten, die den Fall ausschlachten werden und daran, dass die Iraner sich werden rächen wollen.

Wer immer das getan hat, ist entweder verrückt oder hat Rückendeckung von ganz oben. Hilpert beschließt, seine Ermittlungen strikt nach Vorschrift zu führen.

Solche Zwischenfälle führen in der Regel zu Anfragen im Abgeordnetenhaus und zu einer hektischen Suche nach Schuldigen. Wenn man der Öffentlichkeit schon nicht die Täter präsentieren kann (und daran zweifelt Hilpert keine Sekunde), will man wenigstens auf der Ermittlungsbehörde herumhacken können. Die Schlagzeilen sieht der Beamte schon vor sich: „Kompetenzverlust beim LKA führte zum Blutbad!“

 

Internationales Congress Centrum (ICC) in Berlin. Die Bundesregierung hat zu einer Konferenz über die Neugestaltung der Weltwirtschaftsbeziehungen eingeladen. …

Berlin befindet sich seit Tagen im Ausnahmezustand. Hubschrauber überwachen die Zufahrtswege, die Bundespolizei kontrolliert Straßen und Bahnhöfe, das ICC wurde weiträumig abgesperrt, Anwohner erhielten Sonderausweise. Der S-Bahnverkehr auf den Linien, die am ICC vorbeiführen, wurde eingestellt, die Tiefgaragen sind für die Delegationen reserviert und werden durch eine Hundertschaft der Bundespolizei, verstärkt durch Hundestaffeln der Berliner Polizei, überwacht.

Die Bundeswehr hat im Umland Fla-Raketenkomplexe installiert, auf dem Dach des ICC und der Messehallen sind Scharfschützen der Sondereinsatzkommandos in Stellung gegangen.

Außerdem stehen Einsatztrupps mit Stinger-Raketen in Bereitschaft, die Luftziele im Anflug auf die Tagungsstätte bekämpfen sollen.

Sven Hartmann blickt gelangweilt auf die Uhr. Seit Tagen steht er schon an der Einfahrt zur Tiefgarage des ICC und kontrolliert Dienstwagen von Delegationen, Botschaften, Journalisten und die vielen Lieferfahrzeuge, die alles heranbringen, was für die Versorgung so vieler Menschen in den Konferenzpausen notwendig ist. Hartmann und sein Kollege Thorsten Gabriel sind Beamte der Berliner Polizei. Normaler Weise bewachen sie jüdische Einrichtungen in Berlin. Sie sind Wachpolizisten, die sich eine unerschütterliche Gelassenheit als Selbstschutz vor den Belastungen des öden Dienstes zugelegt haben. Man steht bei Wind und Wetter vor irgendwelchen Hauseingängen und nichts passiert. Ein Schwätzchen mit den Anwohnern, ein Kaffee in der knappen Pause, der Klatsch der Kollegen im Polizeifunk – und die Tage schleichen dahin. Die ewige Routine des Wachdienstes zerrt an den Nerven und schränkt die Aufmerksamkeit ein.

Hartmann blickt gelangweilt auf einen sich nähernden Mercedes-LKW der Catering-Firma „Finesse“. Er legt seinen „Kurier“ genervt zur Seite. Hoffentlich ist das Spektakel bald vorbei, denkt er.

„Da bringen sie wieder das Edelfutter. Bei Hummer und Kaviar kann man toll über das Elend der Welt reden.“

Thorsten Gabriel lacht. „Du bist bloß neidisch. So ist das nun mal - die einen kriegen Kaviar und die anderen Überstunden. Na los, sehen wir uns den Wagen an.“

Der Fahrer weist die erforderlichen Papiere vor. Er steht auf der zuvor von der Firma eingereichten Personalliste. Jeder wurde vor Beginn der Konferenz überprüft. Die Unternehmen hatten in vorauseilendem Gehorsam zudem darauf geachtet, dass nach Möglichkeit nur deutsche Mitarbeiter eingesetzt wurden.

„Deutsche sind keine Terroristen, die gehen höchstens nicht wählen, wenn ihnen 'was nicht passt.“, hatte der Personalchef von „Finesse“ erklärt.

So steuert also Maik Borchert aus Berlin-Marzahn seinen Truck vor den Lastenaufzug. Er ist wütend, dass er statt seines libanesischen Arbeitskollegen diese Tour fahren muss. Wenigstens musste der Scheiß-Ali den Wagen beladen, denkt Borchert und streicht sich über den kahlgeschorenen Schädel. Alle Alis mussten runter vom Bock und an die Laderampe. Und er kann sich einen Wolf fahren. Gott sei Dank dauert der Zirkus nur bis Freitag. Dann kann sich dieses Kanaken-Pack nicht mehr drücken. Borchert gehört als sogenannte „Alt-Glatze“ zum harten Kern der rechten Szene in Marzahn. Dass er mit Ausländern, speziell mit Arabern, zusammenarbeiten muss, empfindet er als schreiende Ungerechtigkeit und permanente persönliche Demütigung. Am Wochenende wird er mit den Kameraden zu einem Konzert nach Löwenberg, nördlich von Berlin, fahren. Da kann er sich abreagieren. Wenn bloß die lästigen Bewährungsauflagen nicht wären… Zwei Jahre wegen schwerer Körperverletzung. Sie hatten Ausländer „geklatscht“, um ihren Kiez endlich zur „national befreiten Zone“ erklären zu können.

Noch wird ein anderer LKW entladen und Borchert geht erst einmal in die provisorisch eingerichtete Fahrerkantine einen Kaffee trinken. Er wäre lieber eine längere Strecke gefahren. Der Wagen ist erst gestern Nachmittag aus der Werkstatt gekommen und wurde mitten in der Nacht beladen. Nun sitzt er hier herum und wartet darauf, dass ein paar gestresste Mitarbeiter den Truck entladen.

Er will gerade den ersten Schluck trinken, als plötzlich eine Feuerwand auf ihn zu rast. Das ist das Letzte, was er sieht. So wird Maik Borchert aus Marzahn zum Werkzeug Allahs.

Als die Explosionssäule den Aufzug hochschießt, steht sofort alles in Flammen. Weitere Explosionen folgen. Die Feuerwalze erreicht in Sekundenbruchteilen den Sitzungssaal. Anwesende Politprominenz und Journalisten werden - sofern sie nicht durch den Zufall aufgehalten wurden - mitten in der Eröffnungsrede des deutschen Bundeskanzlers Opfer des Infernos.

Im Umfeld spielen sich Szenen ab, die an die Anschläge auf das World Trade Center erinnern. Von den Flammen entstellte Körper taumeln durch die von erstickendem Qualm erfüllten Gänge. Auf dem Weg zu den nur teilweise passierbaren Notausgängen werden Flüchtende von den Nacheilenden zu Tode getrampelt. Wem der Weg versperrt ist, versucht die Flucht aus den Fenstern.

Es dauert 20 Minuten, bis endlich die Feuerwehr eintrifft, weil etwa 45 Minuten vor dem Anschlag in den Außenbezirken Berlins mehrere Großbrände in Fabrikhallen, Altenheimen und Krankenhäusern gemeldet wurden. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und DRK sind so völlig überlastet. Das Computersystem der Feuerwehr und des Zivilschutzes bricht zusammen, weil ein Virus die Festplatten der Rechner löscht.

Mehrere Hundertschaften der Polizei aus Berlin und anderen Bundesländern sind zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, eine nicht angemeldete Großdemonstration gegen „ungerechte Weltwirtschaftsbeziehungen“ im Bezirk Mitte/Tiergarten aufzulösen.

Der Bundesinnenminister, der wegen eines Tarif-Gesprächs mit Vertretern der Gewerkschaft der Polizei der Konferenz ferngeblieben war, übernimmt die Regierungsgeschäfte. In Übereinstimmung mit Artikel 115a, Absatz (4) des Grundgesetztes wird der Verteidigungsfall für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt.

Flughäfen, Häfen und die nach dem Schengener Abkommen verwaisten Grenzübergangsstellen werden geschlossen. Alle verfügbaren Einheiten der Bundeswehr werden zum Katastropheneinsatz abkommandiert. Die Kreiswehrersatzämter bereiten die Einberufung von Reservisten vor.

In der Deutschlandhalle und in den Messehallen werden Verbandsplätze eingerichtet. Transporthubschrauber des Heeres starten im Minutentakt vor der Deutschlandhalle und verteilen die vielen Opfer mit Brandwunden - sofern sie überhaupt transportfähig sind - auf Krankenhäuser und Lazarette in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen.

Während die Einsatzkräfte um das Leben der Terroropfer kämpfen, skandieren Demonstranten am Brandenburger Tor „Frieden für Afghanistan - Nieder mit dem Kriegskabinett“ und „Widerstand gegen den deutschen Staatsterrorismus“. Autos und Mülltonnen werden angezündet. Der sogenannte Schwarze Block greift mit Eisenstangen, Pflastersteinen und Signalgeschossen die Polizei an. Die Nobelläden und Restaurants „Unter den Linden“ werden gestürmt und geplündert.

Die Ausstellungsfahrzeuge der Niederlassungen von VW und Peugeot werden zu Barrikaden und rollenden Brandbomben umfunktioniert. Mehrer Häuser brennen ab, weil die Löschzüge der verspätet eintreffenden Feuerwehr nicht durchkommen.

Als ein Polizist die Waffe zieht und in die Luft schießt, um einen Angreifer zu stoppen, der mit einer Gasdruckwaffe auf ihn zielt, stürmt der harte Kern militanter Demonstranten eine Polizeiwache in der Nähe der Britischen Botschaft.

Nun gibt es kein Halten mehr. Bewaffnet mit Maschinenpistolen und Pistolen gehen die „Demonstranten“ hinter jenen Blumenkübeln und Pollern in Stellung, die man einst extra zum Schutz der Botschaft vor Bombenanschlägen dort aufgestellt hatte.

Ein Einsatzzug der Bundespolizei soll sich zur Botschaft durchkämpfen, um sie zu sichern. Die Beamten laufen direkt in das Schussfeld der „Demonstranten“. Maschinenpistolen rattern los, Menschen schreien auf und brechen zusammen.

Der Einsatzleiter der Polizei befiehlt den teilweisen Rückzug und fordert Panzerwagen an. Als diese eintreffen, sind die Gegner verschwunden und unter dem Führungsfahrzeug explodiert ein Sprengsatz mit elektronischer Fernzündung.

Als zusätzliche Polizei-Einheiten und Feldjäger der Bundeswehr verfügbar sind, befiehlt der amtierende Regierungschef die Einkesselung und vorläufige Festnahme der etwa zehntausend Demonstranten.

 

Am Abend brennen Kreuzberg, Neuköln und der Wedding. Randalierende Jugend-Gangs ziehen johlend durch die Strassen. Geschäfte werden geplündert und alte Rechnungen beglichen. Die Polizeireviere werden in allen drei Bezirken angegriffen und im Morgengrauen gestürmt.

Eilig herangeführte Einheiten der Division Spezielle Operationen rücken am Morgen in die Kieze ein. Es kommt zu Straßenschlachten und Häuserkämpfen. Manche Quartiere können erst in den Abendstunden von Randalierern geräumt werden.

Die Blücher-Kaserne und die Steinhoff-Kaserne im Bezirk Spandau werden als Behelfsgefängnisse hergerichtet.

Festgenommene Demonstranten und Randalierer werden durch Feldjäger mit Sturmgewehren bewacht. Beamte von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt beginnen mit den Vernehmungen.

 

Der Krieg ist in das Tal von Shahi Kot zurückgekehrt. Hauptmann Kramer betrachtet prüfend die vor der Kolonne liegenden Höhenzüge. Die Zerschlagung der Taliban war den Amerikanern im Frühjahr 2002 scheinbar nicht so recht gelungen.

Kramer erinnert sich noch an die Jubelberichte über die Offensive der Amerikaner und ihrer Verbündeten. Er war damals gerade zu einem Lehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. In einer der Vorlesungen verglich der Professor die aktuellen Berichte über die US-Offensive mit Verlautbarungen in sowjetischen Medien über ähnliche Operationen der Russen in dieser Gegend. Es gab kaum Unterschiede: immer wurden Zahlen angeblich getöteter Gegner genannt, immer wurde erklärt, dass damit die Operationsbasis der Afghanis zerstört sei. Und ein paar Monate später wurde erneut über Kämpfe in der Gegend berichtet.

Eigentlich galt die Region lange Zeit als befriedet. Hilfsgelder flossen, zivile Helfer bauten Schulen und verteilten Medikamente. Journalisten aus dem Westen wurden herumgeführt und schrieben rührende Geschichten für die Heimatfront.

Seit einigen Monaten ist das Tal aber wieder unpassierbar. Es fing mit der Entführung und Ermordung ziviler Helfer aus dem Westen an. Die Hilfsorganisationen zogen ihre Mitarbeiter ab. Dann folgten Selbstmordattentate gegen Patrouillen der Sicherheitskräfte. Dorfpolizisten und Regierungsbeamten wurden ermordet oder wechselten die Seiten. Vor acht Wochen gab es erste Angriffe auf Konvois und schließlich wurden die wenigen Stützpunkte zuerst nur nachts und dann auch am Tage angegriffen. Die Luftangriffe der Amerikaner und der punktuelle Einsatz von Spezialkommandos blieben wirkungslos, weil der Gegner dem klassischen offenen Gefecht in alter Tradition ausweicht.

Kramer setzt das Doppelglas ab. Eigentlich ist es militärisch dumm, was wir hier tun, denkt er. Wir sollten aus den Erfahrungen der Russen lernen. Wir rollen hier mit einer Panzerkolonne durch die Gegend, erzwingen den Durchmarsch und wenn wir weg sind, herrschen wieder die Taliban.

Er befiehlt einen seiner Kompanieführer zu sich.

„Sie übernehmen ab sofort die Vorfeldaufklärung. Sehen sie zu, dass wir nicht in einen Hinterhalt geraten. Die Gegend gefällt mir nicht. Wenn ich der Gegner wäre, würde ich mich da vorn, zwischen den beiden markanten Höhen festsetzen. Auf die Art hätten die uns auf dem Präsentierteller.“

„Herr Hauptmann“ - der afghanische Leutnant wirkt unsicher - „ich rate dringend ab, diesen Weg zu nehmen. Wir sollten uns hier eingraben und auf Verstärkung warten. Ich kenne die Gegend gut. Da vorn haben wir auch bei guter Aufklärung keine Chance eine vernünftige Marschsicherung zu gewährleisten. Ohne Kampfhubschrauber ist das außerdem ein Himmelfahrtskommando. Dort gibt es noch jede Menge Höhlen, die die Amerikaner nicht gesprengt haben.“

Kramer schnaubt unwillig. Seit er mit seiner Ausbildungseinheit direkt dem afghanischen Generalstab unterstellt ist, gibt es keinen Spielraum für lange Diskussionen mehr. Als Leihsoldat von East West Consult war das noch anders. Da ging es ziviler zu. Aber gut ausgebildete Einheiten sind knapper denn je. Nun müssen seine Leute mit unsinnigen Befehlen leben.

„Hören sie, Leutnant, wir haben einen Befehl. Wir müssen dort Flagge zeigen. Luftunterstützung ist im Moment nicht möglich - das wissen sie so gut wie ich. Die Maschinen sind alle bei Kandahar im Einsatz. Also gehen wir da jetzt 'rein und machen unseren Job, verstanden?“

Der Leutnant nimmt Haltung an und läuft zu den BMP-Schützenpanzern seiner Kompanie. Die Fahrzeuge bewegen sich mit heulenden Motoren und klappernden Ketten an die Spitze der Kolonne.

Kramers Truppe hat den Befehl, den Weg nach Gardez freizukämpfen und zu sichern. Es ist ein im Grunde ohnmächtiger Versuch, die Initiative in diesem Krieg zumindest teilweise zurückzuerlangen.

 

Die Kolonne setzt den Marsch ohne Zwischenfälle fort. Als die Höhenzüge passiert sind und eine Hochebene vor ihnen liegt, atmet Kramer - in der Luke seines Führungs-BMP stehend - tief durch. Kein Hinterhalt, keine Minen - vielleicht schaffen sie es noch vor Einbruch der Dunkelheit, Gardez zu erreichen.

Plötzlich das typische Knacken in den Kopfhörern der Panzerhaube.

„Direkt vor uns gegnerische Panzer! Etwa Regimentsstärke, in Gefechtsordnung, jede Menge Infanterie! Eröffnen das Feuer!“

Kramer schlägt die Luke seines Panzers zu und gibt Befehl zum Entfalten der Kolonne in Gefechtsordnung.

Die BMP und SPZ Marder rasen los. In diesem Augenblick heulen von vorn und aus den Flanken Raketen heran. Die gegnerischen Salvenwerfer feuern ununterbrochen. Schützenpanzer werden zerrissen, Besatzungen kriechen brennend aus getroffenen Gefechtsfahrzeugen, um dann von Splittern und Geschossen zerfetzt zu werden.

Über Funk sind die Entsetzensschreie der Besatzungen zu hören, die ihre brennenden Panzer nicht verlassen können. Transportfahrzeuge mit Munition und Treibstoff explodieren. In voller Fahrt brechen die gegnerischen Panzer in die nicht voll entfaltete Gefechtsordnung ein. Es handelt sich um amerikanische „Abrams“ der pakistanischen Armee, bedient von „Freiwilligen“.

Die Kampfpanzer schießen Kramers Brigade wie auf dem Übungsplatz zusammen. Die in Deckung der Panzer vorrückenden Taliban schlachten jeden ab, der ihnen lebend in die Hände fällt.

Kramers BMP hat eine Kette verloren und liegt manövrierunfähig im Schussfeld eines „Abrams“. Durch die Winkelspiegel sieht Kramer, wie der Turm in seine Richtung schwenkt. Es scheint, als zögere der Kommandant des Panzers den Moment hinaus, um die Hilflosigkeit seines Gegners auszukosten. Kramer betätigt den Auslöseknopf der über der 72-mm Kanone noch auf der Startschiene befindlichen Panzerabwehrlenkrakete. In diesem Moment bricht aus der Kanone des Gegners das Mündungsfeuer - es ist die letzte Wahrnehmung des Hauptmann Kramer aus Eckernförde.

...

 

 

 

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