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Morgenstern, Beate

Nachrichten aus dem Garten Eden

Roman, trafo verlag 2007, 401 S.,  ISBN 978-3-89626-734-4, 23,80 EUR

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LESETERMINE DER AUTORIN

 

Bauer Friedrich Luther, Jahrgang 45, vermutlich Nachkomme der Familie des Reformators und im Land zwischen Wittenberg, Eisleben und Mansfeld lebend, erzählt Jahre nach der Wende seinem Freund, wie sich das Dorf entwickelte, nachdem »Jerards« Clan vor der Kollektivierung 1958 in den »Westen machte«, und wie Friedrichs Vater seinen nach »natürlichen Grundsätzen« bearbeiteten »Garten Eden« vor dem Zugriff der Genossenschaft rettete. Friedrich redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, munter, humorvoll in Umgangssprache, in die Mansfelder Dialekt einfließt.

 

Leseprobe

Wie seids ihr in meine Gedanken geraten? Habts ihr womöglich schon auf mich geglupscht, wie mir aus all dem Kram von Zeitungen und Werbung der Brief auf den Boden fiel, daß ich ihn aufheben mußte und mir gleich komisch war wegen dem hellblauen Umschlag, sehr leicht und feines Papier, was gar nicht in meine Hände paßt, rote verarbeitete Hände, die noch eine ganze Weile zupacken werden, hoffe ich. Bin ja kein ganz oller Mann. Jahrgang 45. Dies Jahr 55 geworden. Zum Ankucken für eine Frau bin ich wohl nicht mehr. Ist mir auch ziemlich schnurzpiepe. Höchstens, wenns Marjittchen sich auf mich besinnen täte, da wäre es mir nicht egal. Und was das andere Wiepchen ist, für das ich ein Interesse hätte, da ist sowieso keine Aussicht, obwohl die auch alleine lebt, aber in Berlin.

Was so ein Luftpostbrief bei mir will, habe ich mich gefragt. Die Adresse mits Maschine geschrieben. Germany. englische Sprache breitet sich aus, seitdem wir im Westen leben, ohne daß wir unsen Hintern eine Handbreit von der von unsen Vorvätern ererbten ostdeutschen Scholle hinwegbewegt haben. Aber bei einem solchen Brief muß wohl diese Bezeichnung sein. Germany. Einfach Germany ohne West oder East oder so dardarzu. Daran hat man sich erst mal gewöhnen müssen. Die Postleitzahl woll nachträglich von einer Angestellten hinzugeschrieben. Ich schüttelte, ob aus Zeitungen und Werbung noch etwas herausfiele. wirklich wichtigen Briefschaften ja leicht zu übersehen, und dann sind sie weggeworfen. Ich lese kein Gedrucktes, was ich nicht bestellt habe, auch sämtliche Versprechen auf große Gewinne nicht, an mich persönlich adressiert. Wahrscheinlich habe ich so schon Millionen verschleudert. Aber es war nur der eine hellblaue, leichte Brief. Den trug ich wie eine Kostbarkeit, las die ungefähre Anschrift wieder und wieder. Ich fühlte, die meinte mich mehr als die fertig ausgedruckten Briefe, die mits Lieber Herr Luther beginnen, als wäre ich wer weiß wie bekannt mits den Herrschaften, die wo schreiben. Friedrich Luther Lutherhof unten Sylken/Südharz Germany die Adresse. Den Absender sahk ich extra nicht an. Ich habe so meine Art, mir Freuden zu bereiten, in dem ich sie hinausschiebe. Und es konnte ja auch eine Enttäuschung sein, falls, wenn es doch bloß gar nichts wäre, was in dem Brief stand. Über den konnte ich mir nichts denken. Kein Bruder von meinem Vater oder von der Mutter so weit weggemacht, daß man Briefe mits Flugzeugen hierher nach New Germany transportieren müßte. Oder von dessen/deren Sohn/Tochter, nun glücklich verstorben und ohne Nachkommen, daß man sich an Verwandte im Mansfeldischen erinnert. Im Hiesigen ist man seßhaft. Erst die Arbeitslosigkeit jetzt treibts die jungen Leute weg. Wenige sind kurz vor und nach der Wende in den Westen. Aus Sylken zu der Zeit überhaupt keiner. In den fünfziger Jahren waren es mehr gewesen. Aber nur ein Bauer. Wir haben darüber gerätselt, was der so ganz Verkehrtes, so schwer Strafwürdiges getan hatte, daß er deschertwejen in den Westen ging. Den Hof im Stich zu lassen, hat sonst keiner gemacht, nicht mal, als sie die Bauern mits städtischen Agitprop-Truppen in die Genossenschaften reingeredet hatten. Und wie der Bauer weg war, konnte er dann auch nicht umkehren. Sagte man damals jedenfalls, manichen wäre es drüben gar nicht gut gegangen, aber aus Scham wären sie nicht mehr in die alte Heimat zurück. Sicher würde man in den Akten der Behörde von dem etwas finden, der mal Paschter gewesen war und nun als Oberhirte vorsteht einer Institution, die vielleicht die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist in der Stadt, die mal Hauptstadt von unse Kleinrepublik war und die nun ausstaffiert wird zur allerherrlichsten Deutschlands. Aber ein Fremder kommt an die Akten ja nicht ran. Höchstens müßte ich Tante Hildegard fragen, ob die was weiß wegen Schickedanzens Weggehen. Seit meinem Besuch vorje Zeit sagt mir jetzt so maniches, was sie früher für sich behalten hat.

Oder seids ihr erst in meine Gedanken gekommen, wie ich mich niedergesetzt habe in meine Küche und endlich den Brief umgedreht habe, ob der Absender mir vielleicht was sagt? G. Schickedanz. Australia. Schickedanz! Das ja nun ausgerechnet der Name von dem Bauern, an den ich ehmt gedacht hatte, der als einzigster mits seiner Familie in den Westen gemacht ist. Gerhard, Jerard, wie wir sagen, mein bester Kindheitsfreund. Jerard in Australien? wäre eine Sache. Bei so einem Brief bin ich natürlich nicht einfach mits dem Finger in den Umschlag, sondern habe ein Messer geholt und das dunkelblau-rot umrandete Papier aufgeschlitzt. Vorsicht habe ich auch in meinen Gedanken walten lassen, indem ich mir sagte, daß vielleicht gar nicht der Jerard schrieb, sondern ein Familienangehöriger, der mir mitteilte, daß er nicht mehr lebt. So bin ich nun mal, rechne mits allem. Kommt es besser, um so besser. Der Brief mits der Maschine geschrieben wie der Umschlag.

Lieber Fritz! Die Anrede klang schon mal gut, als ob Jerard es selber geschrieben hätte. Jetzt hatte ich nun doch keine Geduld mehr und suchte nach der Unterschrift. hingekrakelt. Ja, Jerard hatte unterschrieben. Langsam ging ich die Zeilen runter.

Den Brief habe ich inzwischen intus, so oft habe ich ihn gelesen:

Du wirst dich wundern. Ich habe nie geschrieben. Ich habe viel trouble gehabt in mein Leben. Aber jetzt geht es mir entsprechend very gut. Ich habe mich gesettelt und habe den Gedanken, die alte Heimat wiederzusehen. Nun ist schon zehn Jahre ein Deutschland. Wenn es wäre damals ein Deutschland, wir wären geblieben in Sylken. Lebst du noch? Dann schreibe mir. Dann will ich dich gern besuchen mits meine jüngste Tochter. Die will auch von dem Heimatland von ihrem Vater wissen. Sie hat extra gelernt deutsch in die Schule und spricht etwas mits mir.

Komisch ist Jerards Sprache. Er also nun ein Weltmann. Ja, soll er kommen! Da werden wir beiden uns wiedersehen. Nach 40 Jahren. Soviel sind es bestimmt geworden. Wieviel genau? 59 im Sommer sind sie weggemacht. Jetzt haben wir 2000. Na, kommt ungefähr hin. Ganz klar: Auch Margarete muß her. Dardarmit wir alle drei von damals zusammen sind. Hoi, wird die sich wundern, wenn ich sie antelefoniere. Ich werde sie schön zappeln lassen, wer mir geschrieben hat, bis ich mits der Nachricht rausrücke!

Jerard kann denn uns beide erzählen von dem Land, wo die Leute, von uns aus gesehen, mits dem Kopf nach unten gehen, die Beine von der Schwerkraft festgehalten. Bin ich mits dem Hof fertig und schlafe nicht gleich, wies mirs meist in den Sommermonaten passiert, habe ich durch das Fernsehen meine Unterhaltung und bekomme viel Wissen her, daß ich dardardurch eine ungefähre Vorstellung von Australien besitze: Olympiastadt Melbourne, Canberra Hauptstadt, Känguruhs, weites, verstepptes Land, schwarze Eboridschines, die anderscht aussehen als wie alle Menschen sonst auf der Welt und wohl das Feuer anbeten und von Zeit zu Zeit im Busch zündeln, damits die Natur im Gleichgewicht bleibt, ein mir ganz interessanter Gedanke. Und wie eingeführte Tiere zur Plage geworden sin, weil sie keine natürlichen Feinde ham wie die Karnickel und zugor die Katzenviechter. Nachhert würde ich dem Jerard alles erzählen von dem Tag an, wo er weg war. Auch Margarete würde womöglich allerhand erfahren, was ihr nicht so bekannt ist, trotzdem sie im selben Land lebte als wie ich. Und wir dreie würden uns erinnern, wies in unsem ollen Siehleken war. So sagen wir Einheimischen zu unsem Dorf statts bloß Sylken. Wir lassen gerne die Worte auf der Zunge kullern. Sagen Milich statts Milch und elewe und zwelewe statts elf und zwölf.

Am liebsten würde ich gleich an Jerard losschreiben. Das Wort, das ich aus vielen Filmen kenne: Welcome! Doch muß ich sicher den besonderen Umschlag benutzen, damits der Brief auch durch die Luft befördert wird. Also muß einer von uns erst nach Aserschlehm, was richtig eigentlich Aschersleben heißt, die Zischlaute also grad anderschtrum.

Die Gedanken gehen mir so vorwärts und rückwärts, was ich dem Jerard erzählen würde, daß ich gar nicht mehr darin innehalten kann. Wo ihr nun schon mal da seid, hockts euch hin, wo ihr auch immer wollt, machts euch bequem und laßt den Fritze Luther lawern.

Ihr merkts schon, in meinen Gedanken rutscht durch, wie wir in unse Gegend sprechen. Maniches sagt man auch bloß in Sylken so, und die in den Dörfern drumherum lachen über uns, erst recht in Aserschlehm, was schon nicht mehr zum Mansfelder Land gehören tut, trotzdem es bloß zehn Kilometer von uns entfernt liegen tut. Besonderst machen sie sich lustig, wie wir das Flüßchen Eine aussprechen, was durch Arnrode ungene und später auch Aserschlehm durchfließt.. Ane sagen wir dardarzu. Die ane Ane, lachen uns die Aserschlehmener aus. Aber seit eine Umherzieherei nach Arbeit üblich ist, gewöhnen sich die Sylkener ab, was man woanderschert nicht versteht oder wo man uns für aufzieht.

Schön hab ich es! Oder? Hermann hat mits mir die Wohnung über dem Stall ausgebaut. Wohnzimmer mits breiten Fenstern in der Dachschräge, kleineres Schlafzimmer. Flur. Große Küche. Wennste doch noch mal ane findest! hat Hermann gesagt.

Meints ihr etwa, ich sollte in einem eigenen Haus wohnen? Ich allein? frage ich euch. Wozu? Was brauche ich ein Haus. Zu Hause will ich sein. Und das bin ich auf dem Hof von Hermann, meinem Bruder, und seine Frau. Friederike, die Jüngste, wohnt auch noch hier. Und an den Wochenenden kommen Mark und Philipp mits ihre Kinner. Ich bin der Onkel Fritz von alle. Das ist auch was wert.

Meinen Namen kennt ihr ja schon. Bibelforscher wollen herausgefunden haben, wir würden von Jacob Luther abstammen, dem Bruder von Martin Luther. Ihr wißt schon, der, nach dem die Städte Wittenberg und Eisleben bei uns in der Gegend den Zusatz Lutherstadt haben. Die Verwandtschaft kann sein oder auch nicht. Wir sind nachweislich seit Hunderten von Jahren hier in der Gegend zu Hause. Im Vorharz. Mansfeld, wo Luther und sein Bruder aufwuchsen, liegt zehn Kilometer von unsem Siehleken entfernt, genau wie Aserschlehm. Da war auch unse Mittelschule, aber sonst hatte der Ort trotz seinem zerstörten Schloß hoch über dem Städtchen keine Bedeutung. Die Oberschule wiederum war in Hettstedt, ebenfalls zehn Kilometer entfernt und unse Kreisstadt. Nach Aserschlehm brachten wir unser Getreide in die VEAB und die Zuckerrüben in die Zuckerfabrik und holten die Kohlen von der Bahn und den Dünger, die ist wejen die Bahn die wichtigste Stadt. Wegen dem Namen Luther: Wenn ich an meinen Vater Walter Luther denke, etwas Störrisches und Jähzorniges kommt manichmal in der Familie vor. Weiß man ja, mal hat Martin Luther mits dem Tintenfaß nach dem Teufel geschmissen. Wäre er nicht ein jacher Mann gewesen, hätte er so was wie die Reformation nicht herbeigeführt. Denke ich mal. Unser Vater hatte sogar Ähnlichkeit mits den Bildern, die man kennt: Kleine tiefliegende Augen, die breiten Wangenknochen, das massige Gesicht und die kräftige Gestalt. Hermann kommt äußerlich nach ihm, ist noch größer als der Vater. Nur ist er eher zach, ein grundguter Mensch mits höchstens mal einem Losgetobe, wie die Jungs noch Kinner und Halbwüchsige waren und über die Stränge schlugen.

Zunächst führe ich Jerard durch das Jetzt, das Heute, weide mich an dem Abschätzenden, ja Abschätzigen in seinen Augen, während er sich auf unsem Hof umschaut. Wohnhaus, Ställe, Scheunen neu gedeckt. Doch die wohlgefüllte Mistkuhle in der Mitte, an der man früher die Leistungsfähigkeit eines Hofes erkannte, scheint ihm sicher nicht modern. Ich habe meinen Spaß an seinem Mitleid über die anscheins aus sozialistisch-kommunistischen Zeiten ererbte ostdeutsche Armseligkeit. Du hältst uns for zurickjebliehm! sage ich ihm schließlich auf den Kopf zu. Und nun erzähle ich mir und euch, wie das war an jenem Morgen, als ich vor Jerards Hof ganz umsonst gewartet habe. was nachhert kam in unse Familie und im Dorf. Was mir sonst in meine Gedanken reingerät zu der Zeit damals und der nachhert, kann ich noch nicht abschätzen. Meine Erinnerung ist aus allerhand mehr zusammengesetzt als bloß eine Handlung von da nach da.

Im Jahre 59 war es, sagte ich schon. Sommer. Juni käme hin. Denn ich bin nach Jerard hin, ihn zur Schule abzuholen. Und im Juli-August waren Ferien. Neun lange Wochen. Das Abholen war eigentlich nicht mehr notwendig. Doch ich hatte mirs so angewöhnt von der Unterstufe her, als wir den Schulweg runger ins Nachbardorf Arnrode hatten. Dort eine Schule mits zwei Räumen und einer Lehrerwohnung. Das Ehepaar hat uns in allen Fächern unterrichtet. Unvergessen die Frau Münz und der Herr bis heute. In Sylken hatten wir zwei Schulen, eine bei uns im Dorf ungene gegenüber vom Schickedanzschen Hof mits Lehrerwohnung und einem Raum, die andere auf dem Kirchberg, zwei Räume und Lehrerwohnung. Ab der fünften zogen wir mal in das eine, mal in das andere kleine Ziegelhaus. Wir waren mits unterschiedlichen Klassen zusammen. Unse Klasse in der dritten mits der ersten, in der vierten mits der dritten. In der fünften mits der sechsten, in der sechsten mits der fünften. der siebten mits der achten, und in der achten mits der siebten. So trafen wir im Laufe der Jahre auf eine jüngere oder ältere Klasse, mits der wir schon einmal unterrichtet worden waren. Besser für uns, wir waren die Älteren. Waren wir die Jüngeren, hatten wir ältere Jungen zu fürchten, einen besonders. Jürgen Humpert. Den werde ich nie vergessen, strohblonde Haare zu Stiezeln aufstehend wie ein Kornfeld, in das der Wind gefahren ist. Nicht der stärkste aller Jungen, war bloß eine Klasse über uns, und wir hatten ja Sitzenbleiber von jedem Alter. Margarete erzählt öfters, wie ein vierzehnjähriger, vierschrötiger Rothaariger aus der vierten sie in der zweiten Klasse zu seiner Ollen ernannte, seiner Alten, seiner Frau, und mits ihr über den Arnröder Schulhof tanzte, was ihr sehr gefiel. Wir hatten also auch mits wesentlich älteren Jungen zu tun. Aber Jürgen Humpert der, den wir fürchteten. Weil: Er war heimtückisch. Wie berechtigt unse Furcht vor ihm war, bestätigte sich, als er aus der Schule kam. Mit kaum sechzehn griff er auf dem Feldweg eine Frau an, vergewaltigte sie und schlug sie halbtot. Man war froh, daß er hinter Gitter kam. Dardarnach hat er sich im Dorf nicht mehr sehen lassen. Ich reizte ihn besonders. Solche Menschen müssen sich an Schwächeren etwas beweisen. Besser, ich kam ihm nicht täglich unter die Augen. In der Unterstufe sind wir zu viert nach Arnrode runger. Auf jeden Fall traten wir den Rückweg zusammen an, Jerard, Margarete und ich und noch Udo.

Mits Udo waren wir nicht eng befreundet. Jedenfalls später, als er begann, diese Faxen zu machen, sich mits zwei Fingern die Nase rieb, Gesichter schnitt, als müsse er sich furchtbar konzentrieren. Noch später konnte er seinen Körper nicht in Ruhe halten. Er machte Dinge, die er gar nicht wollte. Wir sagten: Blaiwe doch ruhig, Udo! Aber er sagte: Wenn iche mer Miehe jebe, werds noch ärjer! und verrenkte sein Gesicht, seinen Körper. Dabei war er vollkommen intelligent, spielte sogar Zither. Das Komische: Beim Zitherspielen blieb er ruhig, warum wir ihm vorschlugen, er solle doch in den Unterricht die Zither mitnehmen. Aber er sagte, dann lernt er nichts. Dann spielt er bloß Zither. Und er wollte lernen. Wir hatten Mitleid mits ihm. Aber wir haben uns auch gefürchtet. Besessen ist er nicht, sagte Margarete so oft, als wäre sie sich nicht ganz klar darüber. Es sieht bloß so aus. war damals sehr gläubig. Warum Jürgen Humpert und die anderen Kinner Udo nicht hänselten? So etwas gibt es offenbar auch, daß mal in einer Gemeinschaft eine Einigkeit darüber besteht, den läßt man in Ruhe. Wahrscheinlich ist es von den Erwachsenen gekommen, daß die uns verwarnt haben, ihn zu necken.

In der siebenten hatten wir den Unterricht in der Schule neben der Kirche oben auf dem Berg. Margarete mußte gerade die Kirche halb umrunden, vom Kircheneingang ein paar Meter entfernt, da war der Schulhof. Sie dann allerdings immer eine der letzten. Trotzdem oder grad deschertwejen.

Der Tag hatte wie jeder Werktag angefangen. Noch hatten die Hähne nicht gekräht, da warteten die Walzwerker auf ihren Bus vier Uhr, der sie zur Frühschicht nach Hettstedt brachte. Und dann standen die Bauern auf, je nachdem, wie lange sie fürs Melken brauchten. Denn zwischen sechs und sieben Uhr wurden die Zehn- und Zwanzigliter-Milchkannen abgeholt, die an bestimmten Stellen auf hohen Bänken standen. Und die anderen, die wo in der Stadt arbeiteten, waren auch auf den Beinen, die, die den Sechs-Uhr-Bus nach Aserschlehm nahmen und den Halb-sieben-Bus nach Hettstedt. Stoppevoll waren die Busse. Das Dorf frühs also schon im Jange, als mich unse Oma aus dem Bett holte. Wach war ich. Aber Wachsein und Aufstehn zweierlei. Weil Sommer war, wusch ich mich unterm Born, kriegte von unse Oma Marmeladenbummen und Muckefuck mits Milich und für die Schule eine Doppelbumme mits Rotworscht. Denn ging ich.

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