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Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 90 (2007)

 

Theoria cum praxi.
Fünf Jahre Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien e.V. (LIFIS)


trafo verlag, 2007, 282 S., zahlr. Fotos und Abb., ISBN (13) 978-3-89626-690-3, 29,80 EUR

 

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Inhalt

 

Gert Wangermann

Theoria cum praxi - Quo vadis societas scientiarium? 5

 

Herrmann Scheer

Energie - Neu denken! 23

 

Gerhard Öhlmann

Solarzeitalter - Auf dem Weg zur Realität 33

 

Gert Blumenthal

Die Sonne und GAIA 51

 

Rainer Bitsch

Integration von erneuerbaren Energiequellen und dezentralen Erzeugungen in bestehende Elektro-Energiesysteme 85

 

Herwig Brunner, Walter Trösch, Ulrike Schmid-Staiger

Neue Ansätze zur Stoffproduktion mit Mikroalgen 103

 

Hermann G. Grimmeiss

Nanoscience: Vom Forschungsergebnis zum Industrieprodukt 111

 

Ulrich Wulf, Paul N. Racec, Hans Richter

Quantentransport in Nanotransistoren 121

 

J. Michael Köhler

Nanotechnologie im chemischen und im biotechnischen Labor: Mikrodurchflußreaktoren und Nanolitersegmenttechnik 139

 

Achim Weber, Carmen Gruber-Traub, Marc Herold, Kirsten Borchers, Günter E. M. Tovar and Herwig Brunner

Biomimesis by Nanoparticles: Concept, Design and Applications in Biotechnology and Biomedicine 157

 

Bernd Junghans

Sensorsysteme lösen eine neue Ära der Produktivitätsentwicklung aus 169

 

Hugo De Man

Ambient Intelligence: A Giga-Scale Dream Facing Nano-Scale Realities 181

 

Norbert Meyendorf

Neue Konzepte für Bauteil- und Materialüberwachung in der Verkehrstechnik, speziell Bahn und Flugzeug 201

 

Wolf-Joachim Fischer, Hans-Günter Despang, Hans-Jürgen Holland, Daniele Wiedemuth

Body Area Networks - Anwendung in telemedizinischen Systemen 217

 

Bernd Michel

Zuverlässigkeitsprobleme im Hightech-Bereich - Lösungsansätze und Konzepte 229

 

Gerhard Banse, Claudia Lorenz

Technikfolgenabschätzung und „Ubiquitous Computing" - Sensorsysteme im Spannungsfeld zwischen technischem Fortschritt und gesellschaftlicher Entwicklung 237

 

Uwe Meinberg

Intelligente und nachhaltige Logistik 257

 

Lutz-Günther Fleischer

Aus Partikularitäten soll wieder ein Ganzes entstehen 271

 

 

 

Zur Gründungsgeschichte

 

 

Das Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien (LIFIS)

Ausgehend von Diskussionen über die bis dato unzureichende Wahrnehmung und Wirkung der Leibniz-Sozietät in der Öffentlichkeit, empfahl das Präsidi­um der Sozietät am 10.05.2001, ein juristisch eigenständiges „Leibniz-Insti­tut für interdisziplinäre Studien" zu projektieren, dessen wissenschaftliche Betreuung durch die Sozietät erfolgen solle. Mit der Ausarbeitung eines ent­scheidungsreifen Konzepts wurde eine Arbeitsgruppe beauftragt, die sich am 31.05.2001 konstituierte, zunächst aus Mitgliedern des Präsidiums bestand, aber im weiteren Verlauf durch Vertreter der Praxis erweitert wurde.

Bereits nach der 1. Sitzung kam die Arbeitsgruppe zum Schluss,

„dass die Gründung des Instituts ein wesentlicher Schritt zur Beteiligung der Leibniz-Sozietät an der Lösung praxisnaher wissenschaftlicher Probleme, zur Reaktivierung des erheblichen, in der Sozietät vorhandenen intellektuel­len Potentials, zur Aktualisierung des von ihrem Gründer, Gottfried Wilhelm Leibniz, erstrebten Zieles ,gleich anfangs theoria cum praxi zu verbinden', mithin zur Aufhellung der gegenwärtigen Diskussion um den Sinn einer Aka­demie sein könnte."

Wegen der im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern im Frei­staat Sachsen prosperierenden mittelständischen Wirtschaft wurde als Sitz des zukünftigen Instituts Schloss Augustusburg favorisiert. Für Augustus-burg sprach darüber hinaus, die Jahre zuvor vom Mitglied der Leibniz-Sozie­tät, Gerd Laßner, initiierten „Augustusburg-Konferenzen" übernehmen und weiterentwickeln zu können, sowie eine für die erkennbare EU-Erweiterung (und damit zukünftig grenzüberschreitende Kooperation) geopolitisch günsti­ge Lage im sächsisch-tschechisch-polnischen Länderdreieck.

In den folgenden drei Sitzungen wurden u.a. als eine der angemessenen Rechtsformen des Instituts die eines gemeinnützigen, von der Leibniz-Sozie­tät juristisch unabhängigen Vereins vorgeschlagen, erste Vorstellungen zur Aufgabenstellung sowie Entwürfe einer Satzung des Instituts beraten, Ab­stimmungen im Präsidium der Leibniz-Sozietät, mit Vertretern von Stadt und Region Augustusburg sowie der sächsischen Staatsregierung absolviert. Als Vorgriff auf zukünftige Vorhaben kamen Arbeitsgruppe und Leibniz- Sozie­tät überein, die zum Thema „Nanotechnologie" für September 2002 vorgese­hene 7. Augustusburg-Konferenz bereits als gemeinsame Veranstaltung zu realisieren.

Am 3. Mai 2002 wurde dann - wie eingangs vermerkt - das Leibniz-In­stitut für interdisziplinäre Studien e.V. von 12 anwesenden Personen in Berlin gegründet. Heute, im Jahr 2007, gehören dem Institut 20 Einzelpersönlichkei

ten aus Wissenschaft und Wirtschaft an sowie, als sogenannte Netzwerkmit­glieder, Korporationen wie BioCon Valley e.V., der Bundesverband Deutscher Innovations-, Technologie- und Gründerzentren e.V. (ADT), die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien e.V. (EUROSOLAR) und die Gesellschaft zur Förderung von Wissenschaft und Wirtschaft e.V. (GFWW). Überdies besteht zwischen Leibniz-Sozietät und Leibniz-Institut seit dem 28. April 2005 eine Kooperationsvereinbarung, die das partner­schaftliche Zusammenwirken beider Einrichtungen formal regelt.

Hauptsächlicher Zweck des Instituts ist, zwischen der Leibniz-Sozietät, der Wissenschaft im allgemeinen sowie anderen Bereichen der Gesellschaft - im besonderen der Wirtschaft - praxisrelevante Beziehungen zu initiieren und zu fördern. Wegen der zunehmenden Komplexität der bereits zitierten „Weltprobleme" setzt dieser Zweck ausdrücklich die Initiierung und Förde­rung des interdisziplinären Dialogs innerhalb der Wissenschaft - d.h. von Natur-, Technik- und Geistes- sowie Sozialwissenschaften - voraus.

Das Institut ist keine Forschungseinrichtung im herkömmlichen Sinn, sondern will als „virtuelle" Institution anderen Orts verfügbare Potentiale motivieren, organisieren, koordinieren, also Netzwerke jeweils zweckent­sprechender Kompetenz knüpfen. Diese Konstruktion mag eigenwillig er­scheinen, weil sie weder den differenten Traditionen bundesdeutscher Wissenschaftsakademien entspricht, noch eine Restitution der überdimensionierten Forschungseinrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR sein will - und nicht nur aus ökonomischen Gründen - sein kann.

Der Leser wird sich erinnern, dass - neben den Höheren Lehranstalten (gemeint sind hier die lehrenden Kompartiments der Universitäten und Hoch­schulen) und Akademien - von der Mannigfaltigkeit universitärer und au­ßeruniversitärer Forschungseinrichtungen die Rede war. Deren Gesamtheit bildet in der deutschen Wissenschaftslandschaft ein Potential, das bei der Or­ganisierung seiner Tätigkeit (beispielsweise zur Bearbeitung definierter For­schungsprojekte) eigenen, wegen der Heterogenität der Auftraggeber und Finanzierungsmodalitäten, vergleichsweise dynamischen Strukturprinzipien unterliegt und damit das System der Höheren Lehranstalten und Akademien als dritte Exzellenz auf besondere Weise komplettiert.

Ziel und gleichsam Methode des Leibniz-Instituts ist, diese vorzugsweise disziplinär ausgerichteten Forschungspotentiale in den interdisziplinären Dialog und die interdisziplinär ausgerichtete Bearbeitung komplexer Pro­blemstellungen einzubeziehen. Dieser erste Schritt, ein methodischer, ist wesentliche Voraussetzung, den Leibnizschen Entwurf einer societas scientiarium für die Gegenwart und eine absehbare Zukunft zu adaptieren.

Seit Gründung hat sich das inzwischen mit der Kurzbezeichnung LIFIS eingeführte Institut auf diesem Weg folgenden Themenkomplexen zugewandt:

       Mikro- und Nanostrakturen und -Systeme,

       Neue Materialien,

       Innovative Energiewandlung und -nutzung („Solarzeitalter"),

       Innovative Stoffwandlung und -nutzung,

       Informatik/Logistik,

       Klima- und Umweltschutz.

Von den dabei bislang erprobten Kooperationsformen hat sich die Fort­führung und der Ausbau der „Augustusburg-Konferenzen" als produktives Forum der gegenseitigen Verständigung und Problemdiskussion am ehesten bewährt. Fanden diese Konferenzen zunächst noch auf Schloss Augustusburg statt, genügte die dort vorhandene Infrastruktur bald nicht mehr dem wach­senden Zuspruch. Daher wurde der Sitz des LIFIS im Mai 2005 auf Schloss Lichtenwalde nahe Chemnitz und damit in die direkte Nachbarschaft einer modernen Tagungsstätte verlegt. Seither finden die Konferenzen unter der neuen Bezeichnung „Leibniz-Konferenzen" (Leibniz Conferences of Advan­ced Science) ihre Fortsetzung.

Die Konferenzen haben sich zunehmend als geeignet erwiesen, über tradierte Grenzen hinweg, neue Allianzen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch innerhalb der Wissenschaft selbst zu bilden. Daher liegt nahe, in der Folge zukünftiger Konferenzen zu ausgewählten Problemen wei­terführende Studien auszuarbeiten, die letztlich als Grundlagen für interdiszi­plinäre Gemeinschaftsprojekte dienen könnten.

In der nunmehr 5jährigen Tätigkeit des LIFIS wird allerdings deutlich, dass der Begriffsinhalt „Interdisziplinarität" nicht selten verkürzt verstanden und praktiziert wird. So fällt die Zurückhaltung der Geistes- und Sozialwissenschaftler auf, sich an rein naturwissenschaftlich oder technisch anmutenden Veranstaltungen - wie den oben genannten - aktiv zu beteiligen. Entweder wird die weitreichende Relevanz solcher Themen für die Zukunft der menschlichen Gesellschaft nicht erkannt, übersehen oder die von langjährigen Traditionen vorgezeichneten Spuren erscheinen als ungleich verlockender. Dieses Verhalten wird zudem durch die Wissenschaftspolitik - in einem Fall direkt (die Empfehlung des Wissenschaftsrates, die Akademien mögen sich der Naturwissenschaften entledigen), im anderen wohl eher indirekt (das für 2007 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufene „Jahr der Geisteswissenschaften") - kaum in Frage gestellt.

Wie aber kann über Forschung, Entwicklung, Herstellung, Anwendung und mögliche Konsequenzen von Nanostrukturen, Sensorsystemen diskutiert, wie über zukünftige Energiewandlung und -nutzung konstruktiv gestritten werden, ohne - und nicht nur ausnahmsweise - der Mitsprache von Philosophen, Ethikern, Soziologen, Psychologen, Wirtschafts-, Rechtswissenschaftlern und anderen gewiss zu sein?

Von „Interdisziplinarität" im Sinne einer ganzheitlichen Erkundung der Welt zu sprechen - und dies ist ja die vornehmste Aufgabe der Wissenschaft! - wird also erst dann berechtigt sein, wenn sich alle Zweige der Wissenschaft an der Suche nach Antworten beteiligen. Würde dieser Befund fortan die Tätigkeit aller „Akademiker" bestimmen, wäre der entscheidende zweite, ein inhaltlicher Schritt getan, den Leibnizschen Entwurf zu einer societas scientiarium den gegenwärtigen und absehbaren Existenzbedingungen anzupassen. Dann erst wäre eine Symbiose jener beiden Einrichtungen tatsächlich vollzogen und die Frage „Quo vadis?" erhielte eine (zunächst) gültige Antwort.

Die Wirtschaft interpretiert und praktiziert „Interdisziplinarität" nach den zunehmend irrationalen Regeln des „globalen" Marktes - bezogen auf Konkurrenzsituation, Bedarf, Produkt und Rentabilität, mit jeweils verfügbaren, opportun oder adäquat erscheinenden Teilen des Großen und Ganzen, zudem befristet. Und damit ohne sich selbst Antworten auf die komplexen Fragen über die Folgen ihrer Geschäfte geben zu wollen oder geben zu können. Bliebe hier die Wissenschaft mit dem Blick auf das Ganze als kritisch-konstruktiver Partner vorausschauende Antworten schuldig, wäre der Leibnizsche Imperativ „Theoria cum praxi" alsbald zur Disposition gestellt.