Horst Höckendorf

Missio

Phantastischer Roman, trafo verlag 2007, 230 S., ISBN 978-3-89626-663-7, 14,80 EUR

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Zum Inhalt

Der Kosmonaut Hotte H. wird von General Sebek zu einer Geheimmission ins All vergattert. Das Raumschiff, ein ostdeutsches Penthouse, startet mit dem Treibstoff Sozialismus und Colonel Fantomas als Kommandant. Unterwegs entkommt die Crew den skurrilen Fiktionen Stanislaw Lems, kämpft mit der Tücke des Subjekts und erforscht die Virtualität. Statt einer Sternkarte liest Hotte H. Grauls Diarium und verirrt sich in ein Paralleluniversum der Krokodile. Er stellt dem Weltkoordinator die entscheidende Frage, kehrt zur Erde zurück und landet – im Bundeskanzleramt.

 

 

 

Leseprobe

 

0. Vorrede

Mit dem Vorsatz, ein Buch zu schreiben – und sei es nur die Geschichte eines wenig bewegten Lebens, meines Lebens, nichts Aufregendes, nichts Besonderes also, – mit diesem löblichen Vorsatz greife ich zur Feder und lege sie sogleich zögernd wieder aus der Hand.

Gedankengekräusel, ein Juckreiz im Hirn, Wortkitzel auf der Zunge, fürwitzig, aberwitzig, so dass ich mich unschlüssig frage: Hat es denn Sinn? Und steht es mir zu? Steht es dem in ewiger Unterassistenz, das heißt, in der weiteren wissenschaftlichen Peripherie eines Instituts für Interstellare Kommunikation – eine heute nicht mehr aktuelle, nicht eben hochrangige, die Geister nicht mehr sonderlich bewegende Disziplin – steht es also dem in freiwilliger Subordination, in antizipatorischer Beflissenheit ergrauten, nachsichtig geduldeten und ja auch irgendwie noch brauchbaren, zuweilen gar unentbehrlichen Faktotum – steht es so einem Nichtwicht überhaupt zu, und an, seine trivialen, auf der Hand liegenden, jedermann bewussten und kaum jemand rührenden, aus einem vergilbten Raum-und-Zeitfahrer-Logbuch geklaubten An- und Einsichten einer nicht gerade aufnahmebereiten und vielleicht nicht einmal mehr aufnahmefähigen Nachwelt ungehemmt, unverblümt, naiv, schlicht und einfach mitzuteilen?

 

1. Das Institut für Interstellare Kommunikation

Sollte dich einmal dein Missgeschick oder die Laune eines unglücklichen Zufalls oder meinetwegen auch bloße Neugier in die geometrische Öde des höchsten Hochhauses auf dem Nordufer der Spree führen, dann achte mir doch auf die kleine graue Blechtür im dreißigsten Stockwerk, da hinten in dem Winkel, wo der schier endlose Korridor das letzte Mal knickt.

Meist wird sie verschlossen sein. Dann brauchst du den raffiniert gezahnten Schlüssel, der in ihr Schloss passt, oder wenigstens eine Haarnadel oder einen Streifen Konservendosenblech. Schiebe ihn in das Sicherheitsschloss, dann tut sich Sesam auf und gewährt dir Einblick in das Clair-obscur einer konfusen Wunderwelt. Die beklemmende Enge eines Treppchens wendelt sich hinauf ins Ungewisse.

Da oben, irgendwo, dicht gepackt und verschachtelt, drängen sich die Waben, in die der Ehrgeiz der Institutsleitung zweckfrei, doch mit Fleiß, die wissenschaftlichen Eierlein ihrer Forschungsbereiche ablegt – streng geheim, natürlich, wie alles in diesem Hause.

Da oben also, im obersten, seiner Bedeutung nach untersten Geschoss findest du an unscheinbarer Stelle das Institut, für das ich arbeite, das früher einmal bedeutende Institut für Interstellare Kommunikation (I²K). In der Tiefe des riesig erscheinenden Komplexes verbirgt sich hinter einem undurchdringlichen Dschungel von Ämtern und Behörden der geheime Sitz des Oberkommandos der Weltraumfahrt (OKW).

Seit zwanzig Jahren drücke ich, Hotte H., im I²K einen Schreibtischsessel in meiner Eigenschaft als Wissenschaftlicher Assistent ohne speziellen Sonderauftrag der Institutsleitung (Wiss. Assi Ossi) zur Unterstützung der jeweiligen Institutsleitung, falls es denn etwas zu erledigen gibt. Das war anfangs ein weites Tätigkeitsfeld. Doch dieses Feld schrumpfte mit jedem erledigten Auftrag. Die weltraumpolitische Konstellation veränderte sich; die Verbindungen zu den Außenstellen lockerten sich oder rissen schließlich ganz ab. Eigentlich musste ich in den zwanzig Jahren meiner Assistententätigkeit nur einmal einen größeren Auftrag erfüllen, mich auf eine längere Dienstreise zu unserer Forschungsstation auf Draco im System Alpha Gorgonis begeben, von der ich mit unvorhergesehen großer zeitlicher Dilatation zurückkehrte. Das I²K war inzwischen gealtert, ja, veraltet; meine einst mit mir gleichalterigen Kollegen hatten graue Haare, manche von ihnen waren schon in den Ruhestand getreten, einige wenige verstorben. Unser I²K war inzwischen überflüssig, weil funktionslos geworden, und seither hatte ich, immer noch Assi Ossi, selber schon die ersten grauen Strähnen im Haar, doch immer noch mit jugendlich frischem, glattrasiertem Gesicht, fast wie ein Fremdkörper in der ansonsten staubigen Atmosphäre vergilbender Folianten kaum mehr zu tun, als allmorgendlich die wenige Post zu sortieren und die fast täglich eingehenden Anweisungen der Abteilung Allgemeine Verwaltung abzuheften, die so zahlreich und teils so widersprüchlich waren, dass sich schon seit Ewigkeiten kein Mensch mehr in dem Gestrüpp der Vorschriften zurechtfand, geschweige denn sie befolgte.

 

 

2. Der Colonel

»So sieht sie also von innen aus«, meinte Colonel Fantomas. Seine Salamanderaugen glühten.

Ich starrte ungläubig. Das sollte sie sein? Aber wo war die Rampe? Bin ich denn nicht in einem Zimmer, einem ganz gewöhnlichen Dienstzimmer? Es könnte sehr wohl mein eigenes sein, hoch oben unter dem Dach, juchhe! Da stand der Schreibtisch, davor der Sessel, genau so einer wie der, den ich schon so viele Jahre tagein tagaus gedrückt hatte, wenn mich nicht gerade eine meiner seltenen Dienstreisen in galaktische Weiten entführte, wo dir vorher keiner sagt, wie, was, wohin und wozu, und du hinterher nicht verstehst, was eigentlich los war und wieso du mit heiler Haut zurückgekommen bist.

Vier kahle Wände, hinter mir die schmale Tür, gerade hoch genug für mein Mittelmaß, durch die wir soeben eingetreten waren; links das Spind mit der Hutablage, die ich nie benutzte – wozu sollte die gut sein, womöglich am anderen Ende der Milchstraße? Rechts davon der obligatorische Panzerschrank, ein Blechtresor mit leeren Fächern für Geheimsachen, die mir, einem bloß Anweisungen ausführenden Mitarbeiter der mittleren Leitungsebene, natürlich niemals anvertraut wurden. Der Panzer, flankiert von einem Kühlschränkchen – funktionsloser, von oben angeordneter Ballast, sichtbarer Ausdruck eines mittlerweile gestiegenen gesellschaftlichen Wohlstands – und hinter dem Schreibtisch, unübersehbar für Eintretende, in Hochglanz das Farbfoto mit dem optimistischen Lächeln und dem korrekt geschlungenen Binder des Staatsoberhaupts; daneben das Regal, fast ohne Akten, aber mit der üblichen inventarisierten Reihe verstaubter Wälzer – die obligatorischen Klassiker. Und das Emblem, nicht zu vergessen. Wahrzeichen eines kollektiven Strebens nach separater nationaler Identität.

Das also sollte sie sein?

Eigentlich nicht zu fassen, was mir in den vergangenen Minuten begegnet war. Denn wie war ich überhaupt hierher gelangt?

Das Schrillen des Telefons hatte mich kurz vor der Mittagspause aus meinem Nickerchen gerissen, das ich neuerdings zu halten pflege, den Sessel fest an den Schreibtisch gerückt, wenn ich zu einem Thermosfläschchen Tee in dienstlicher Abgeschiedenheit meine von zuhause mitgebrachten belegten Brote verzehre – bei den chemisch geschälten Kartoffeln in der Kantine dreht sich mir immer noch der Magen um -, und eine Frauenstimme hatte mich in die untere Etage der oberen Leitungsebene beordert, in die unmittelbare Nähe des Allerheiligsten also. Der Lift am Ende des langen Korridors hatte mich geschluckt, war mit mir in die unzugängliche Tiefe des Hauses, in der die Höchsten des Hauses residieren, in langer Fahrt abgetaucht und hatte mich am Ende eines langen Korridors schließlich wieder ausgespien. Der Kontrollposten an dem Tischchen gleich neben dem Fahrstuhlschacht hatte umständlich meinen Dienstausweis geprüft und dann zögernd mit ungelenken Buchstaben den Passierschein ausgefüllt.

Offenbar hatte er mich erwartet, denn er nannte mir ungefragt die Zimmernummer. Im Vorzimmer empfing mich mit kühler Strenge (sie stand ja im Rang höher als ich) die uniformierte Sekretärin, als hätte ich sie schon zu lange auf mich warten lassen.

»Der Colonel erwartet Sie.«

Colonel Fantomas wirkte auf mich wie ein Lurch auf der Lauer.

»Hm. Wer hätte das gedacht. Auf Sie also ist die Wahl gefallen?« Er musterte mich eingehend. Etwas ungläubig, wie mir schien.

»Eigentlich hatte ich mir den Kandidaten etwas jünger vorgestellt. Aber vielleicht kommt es hier auf andere Dinge an? Geduld, Erfahrung? Und eine gehörige Portion Lethargie. Na ja. Und das Sitzfleisch für den Job, das dürften Sie ja wohl mitbringen.«

Ich stand wie eine Mauer.

»Scheint Sie ja nicht sonderlich zu beeindrucken. Oder haben Sie etwa damit gerechnet?«

Ich hatte mit gar nichts gerechnet. Meine letzte Mission lag Jahre zurück.

Er holte tief Luft und zog das Kinn an die Binde.

»Haaabt – acht«, kommandierte er. »Vergatterung!«

Ich muss wohl ein dummes Gesicht gemacht haben.

»Sie dürfen sich wieder rühren. Betrachten Sie sich als von diesem Augenblick an vergattert. Sie unterstehen nun direkt dem Chef des OKW. Alles, was Sie im folgenden sehen werden, unterliegt strengster Geheimhaltung. Wir behandeln die Angelegenheit als top secret. Geheime Kommandosache. Auftrag ganz von oben. Was Schriftliches wird es diesmal nicht geben. Keine Details. Sie selbst werden nur das Allernötigste erfahren, und auch das erst in allerletzter Sekunde.«

 

 

3. Der Chef des OKW

Da war ich also vergattert, aus dem Betrieb der irdischen Angelegenheiten herausgelöst und einer höheren Ordnung unterstellt.

Der Colonel drückte eine Taste und rief die Sekretärin herein, die in ihrer strammsitzenden Uniform und mit ihrer strammen Figur und diensteifrigen Miene einen so strengen Eindruck auf mich machte.

»Begleiten Sie den Kandidaten zum Chefzimmer«, trug er ihr auf.

Wir passierten einen langen, fensterlosen Korridor. Die Türen waren hier anonym, trugen Nummern, aber kein Schild, keine Aufschrift, keinen Hinweis. Nur Eingeweihte konnten sich hier zurechtfinden.

Endlich öffnete meine Begleiterin eine Tür, ich werde mich nie mehr erinnern können, welche. Das Zimmer, das wir jetzt betraten, ähnelte meinem eigenen schlichten Dienstzimmer wie ein Ei dem anderen. Eine bulldoggige, nicht minder stramm uniformierte, nicht minder streng blickende Sekretärin empfing uns wortlos mit einer Miene, als hätten wir sie über Gebühr auf uns warten lassen.

»General Sobek erwartet Sie.«

Durch eine schwarzgepolsterte Tür gelangte ich ins Allerheiligste des OKW. Hier war die Atmosphäre, bei aller spartanischen Strenge, denn doch komfortabler als in dem kahlen Vorzimmer, trotz der vorherrschenden schwarzen Farbe beinahe gemütlich. Der Chef des OKW, der geheimnisvolle, sagenumwitterte, der Öffentlichkeit praktisch unbekannte Oberkommandierende der galaktischen Raumstreitkräfte saß da in schwarzer Uniform, gewaltig, Macht ausstrahlend, bedeutend, Galaxien befehligend, und empfing mich mit einem breiten, jovialen Lächeln. Ich wollte stramme Haltung annehmen. Er winkte ab.

»Lassen wir allen Krimskrams beiseite und kommen wir gleich zur Sache. Es geht uns um den Auftrag. Um Ihren Auftrag. Das Los hat so entschieden. Sie sind der vom Schicksal Bestimmte. In Sie setzt das Oberkommando sein Vertrauen. Auf sich allein gestellt, werden Sie in unbekannter Ferne eine Aufgabe erfüllen, die Ihnen übrigens zunächst unbekannt sein wird. Das wird den Einsatz Ihrer ganzen Person erfordern, wenn nötig, des Lebens. Sind Sie bereit?«

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Reflektorisch erwiderte ich: »Jawoll, Herr General!« Mir fiel halt nichts Besseres ein. Blickte er mitleidig?

»Alles Nähere erfahren Sie beim Ia. Alsdann, Hals- und Beinbruch!«

Er machte eine Handbewegung, und ich war entlassen. Wieder wollte ich die Hacken zusammenreißen, doch er winkte ab. Zurück durch die schwarze Tür ins Vorzimmer, und die Sekretärin führte mich ein paar anonyme Türen weiter.

...