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Friedländer, Vera

Ein Lederbeutel. Beinahe wahre Geschichten

Erzählungen, 2008, 139 S., ISBN 978-3-89626-660-6, 13,80 EUR

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In der Tat sind die Geschichten nur beinahe wahr. Was Vera Friedländer erzählt, könnte so oder ähnlich geschehen sein. Manches ist unserer Wirklichkeit abgeschaut. Anderes ist Imagination. Zum Beispiel die Sache mit dem Lederbeutel …
Real oder fiktional – die Geschichten berichten von Problemen, die wir kennen: von Situationen, die uns ängstigen und ein Gefühl nach Sicherheit wachrufen, von der allgegenwärtigen betrügerischen Manipulation, mit der man uns das Geld aus der Tasche ziehen will; von juristischen Fallstricken in Gestalt undurchschaubarer Para­grafen und einem fatalen Umgang mit dem Recht …
Wären da nicht unsere Freunde, oder der Psychologe Dr. Irro, oder ab und zu ein guter Tropfen – manchmal würden wir verzweifeln.
Vera Friedländer erzählt, wie wir sie kennen: mit Witz, und im Witz steckt das Ernste. Mit der Erzählung „Die Familie“ gestattet sie zudem noch einen Blick in ihre persönliche Geschichte.

 

Inhaltsverzeichnis

Ein Lederbeutel 7
Alfis Hütte und das Haus aus der Gründerzeit 21
Ein Karibik-Angebot 33
Stiller Abend 39
Lauras Mitmieter 57
Meine Freundin Luise 69
Die Familie 77
Wahrheitsfindung 103
Reise mit Loretta 115
Die traurige Geschichte meines Untergangs 137
Sprich nicht von Rente 149
Als Nachwort 159

 

Leseprobe

Meine Freundin Luise


Meine Freundin Luise ist ein Pechvogel, ein dummer Pechvogel, aber eine liebenswerte Person.
Ihr letzter Partner fand eine andere Frau liebenswerter und verließ Luise. Sie wollte nicht allein bleiben. »Dafür bin ich nicht alt genug«, sagte sie.
Ich nahm mir vor, auf Luise in dieser Situation ein bisschen aufzupassen. Sie hatte sich schon öfter geirrt, wenn es um Männer ging. Das kostete sie einmal ihren fast neuen Clio, sonst wäre ihr Partner nicht ausgezogen, einmal war nach einer Trennung ihr Konto abgeräumt und einer hatte beim Abschied den Hund mitgenommen, an dem sie sehr hing. Dieses Mal sollte sie vom Pech verschont bleiben, das schwor ich ihr.
Ich brachte ihr drei Zeitungen, in denen allein lebende Männer aller Altersgruppen mit guten Berufen und unterschiedlichen Interessen vorgestellt wurden, Tennisspieler, Nichtraucher, Hundebesitzer, Briefmarkensammler, Weinkenner, Heimwerker – und von allen wurde geschrieben, dass sie lebensfrohe Optimisten seien.
Die Anzeigen stammten in der einen Zeitung von einer Frau Barbara aus Pankow, in einer anderen Zeitung von einer Frau Ursula aus dem Prenzlauer Berg und in der dritten Zeitung von einer Frau Monika aus Hellersdorf und alle klangen sehr seriös. Luise suchte sich aus jeder der drei Anzeigen einen Mann heraus, den sie kennen lernen wollte, und rief die Partnerschaftsagentinnen an.
Ich warnte sie. »Das gibt Stress. Was machst du, wenn dir alle drei Männer gefallen?«
»Damit werde ich fertig«, versicherte sie.
Die Damen Barbara, Ursula und Monika, luden sie zu einem Besuch ein, um sie mit dem Herrn, für den sie sich interessiere, bekannt zu machen. Und sie möge 100 Euro Vermittlungsgebühr mitbringen.
Um nicht dreimal 100 Euro zu zahlen, nahm sie zunächst nur den Termin bei der Dame Barbara in Pankow wahr.
Den in der Anzeige vorgestellten Mann lernte sie nicht kennen, er war leider unvorhergesehen verhindert. Aber nachdem die Gebühr bezahlt war, gab ihr die Dame Barbara ein dickes Album mit den Fotos und Daten interessanter Männer.
»Suchen Sie sich drei Herren aus. Wenn Sie sie kennen lernen und meinen, dass es nicht Ihre Wunschpartner sind, können Sie sich andere auswählen. Wir haben ein großes Angebot. Und wenn keine Partnerschaft zustande kommt, erhalten Sie die Hälfte der Gebühr zurück.«
Die Sache nahm eine nicht bedachte Dimension an. Drei Männer bei drei Vermittlungen, das würde unübersichtlich werden. Sie sagte die Besuche bei den Agentinnen Ursula und Monika ab.
Bei der Dame Barbara in Pankow suchte sie sich einen Gärtner mit Diplom, einen Zahnarzt und einen Tischlermeister aus.
»Sobald Sie ein eigenes Foto nachgereicht haben, gebe ich Ihnen die Telefonnummern dieser Herren.«
Für das Vertragsformular, ein Exemplar für die Vermittlerin, eins für Luise, nannte Luise ihre Daten. Auf der Rückseite des zweiten Blattes war der Platz für die Unterschriften. Während die Dame Barbara die beiden Formulare unterschrieb, kam eine Frau herein, die ärgerlich fragte, wie lange sie noch warten solle, sie habe nicht ewig Zeit und überhaupt … Also sie redete und drängte darauf, sich mit ihr zu befassen. Die Dame Barbara schob Luise das Formular zu, die Rückseite des zweiten Blattes mit dem Raum für die Unterschrift obenauf, und bemerkte:
»Entschuldigen Sie, bitte. Ich bin mit der Zeit ein bisschen in Verzug.«
Luise unterschrieb auf der Rückseite beider Exemplare, ohne die Vorderseite und das erste Blatt zu lesen. Sie verstand ja, dass die Dame Barbara sich im Augenblick nicht weiter mit ihr beschäftigen konnte, zumal auch noch ein Mann hinzukam, anscheinend ihr Chef, der sie dringend sprechen wollte.
»Und hier bitte auch unterschreiben«, sagte die Dame Barbara und zog unter dem Vertragspapier ein Blatt hervor, aber, gestört durch die ärgerliche Frau und den auf sie wartenden Chef, nur ein Stückchen, ausreichend für die Unterschrift. »Das ist die Bestätigung, dass ich Sie über die Vertragsrechte informiert habe. Das ist Vorschrift«, sagte die eilige Dame Barbara. Luise schrieb auch darauf ihren Namen.
Währenddessen nahm diese Barbara Luises Jacke vom Haken und reichte sie ihr. Luise stand automatisch auf, steckte ein Vertragsexemplar ein, verabschiedete sich und ging.
Fröhlich zeigte mir Luise den Vertrag und sagte, sie könne sich einen Mann aussuchen, einer interessanter als der andere.
Ich sah sofort, was Luise, der liebe dumme Pechvogel, unterschrieben hatte.
»Hast du dir den Vertrag angesehen? Da steht, dass du Mitglied eines Freizeitklubs geworden bist, für 75 Euro Beitrag im Monat, ein Jahr lang. Und wenn du nicht rechtzeitig kündigst, verlängert sich der Vertrag auf ein weiteres Jahr. Dafür kannst du am anderen Ende der Stadt gesellige Abende verbringen, kegeln oder tanzen oder Bingo spielen, an Radwanderungen und Fahrten ins Blaue teilnehmen. Mein Gott, wieso hast du das unterschrieben?«
Ich fühlte mich schuldig, weil ich ihr die Anzeigen gebracht hatte.
»Vielleicht lerne ich dort einen reichen Mann kennen.«
»Mach keine Witze, die Sache ist ernst.«
Und sie gestand: »Ich habe noch etwas unterschrieben. Dass ich über die Vertragsrechte informiert wurde.«
»Zeig mal her.«
»Das Blatt war nur für die Vermittlerin.«
»Du musst sofort hingehen, den Vertrag und das andere Blatt zurückfordern. Ach, das werden sie dir nicht geben. Also du musst schriftlich widerrufen. Wir schreiben das gleich: Alles war ein Missverständnis, du warst wegen Partnerschaftsvermittlung da und nicht, um Mitglied eines Freizeitklubs zu werden. Verweise auf die Anzeige in der Zeitung.«
Luise hatte die Zeitungen mit den Anzeigen aufgehoben. Ich nahm sie noch mal zur Hand, als wollte ich mich vergewissern, dass es die Anzeigen nicht gab und das Ganze ein Irrtum war. Natürlich standen die Annonce in der Zeitung und nicht weit davon entfernt eine auffällige Werbung für den Freizeitklub, bei dem Luise gerade bedauernswertes Mitglied geworden war. Alle drei Anzeigen und die Werbung für den Freizeitklub in sehr ähnlichem Layout, wie von gleicher Hand gestaltet. Das war kein Zufall.
Luise schrieb, von mir kontrolliert, den Widerruf und sandte ihn per Einschreiben mit Rückschein ab. Als sie den Rückschein erhielt, war die Sache behoben und ich hatte kein Schuldgefühl mehr.
Aus einer neuen Partnerschaft war zwar nichts geworden, aber meine liebe Luise blieb guter Dinge und wartete auf die zufällige Begegnung eines Traummannes.
So vergingen fünfzehn Monate. Da flatterte Luise ein Mahnbescheid vom Amtsgericht ins Haus, veranlasst vom Anwalt des Freizeitklubs, für den die Dame Barbara als Werberin tätig war. Luise sollte für die verstrichenen Mitgliedsmonate 1125 Euro Beitrag bezahlen plus 12 Prozent Verzugszinsen plus 10 Euro Mahngebühr. Der Anwalt hatte lange gewartet, ehe er Luise mahnte. Die erste Möglichkeit einer Kündigung war bereits verstrichen und der Vertrag lief, wie es schien, schon das zweite Jahr, ohne dass Luise es ahnte.
Wir suchten den Rückschein, fanden ihn aber nicht.
Luise schrieb an das Amtsgericht, dass sie gegen den Mahnbescheid Widerspruch einlege.
Das Amtgericht antwortete nach geraumer Zeit, dass der Kläger, also der Freizeitklub, aufgefordert worden sei, innerhalb von zwei Wochen Klage zu erheben, falls er mit Luises Widerspruch nicht einverstanden sei. Der Kläger habe darauf nicht reagiert.
»Klar, Luise, jetzt ist es endlich erledigt. Dein Widerspruch wurde akzeptiert.«
Weit gefehlt. Nach weiteren anderthalb Jahren erhob der Freizeitklub Klage gegen Luise. Sie stand vor einem ansehnlichen Schuldenberg, denn die Beitragssumme plus Zinsen war mit jedem Monat gestiegen.
»Darf der das von mir fordern?«
»Den Rückschein für den Widerspruch gegen den Vertragsabschluss kannst du nicht finden und gekündigt hast du die Mitgliedschaft nicht.«
»Aber …«, sie wusste nicht weiter.
Ich erkundigte mich, ob der Freizeitklub die Klage anderthalb Jahre nach der Aufforderung des Gerichts erheben durfte. Es war doch eine Frist von zwei Wochen gesetzt worden. Ja, er durfte es. Er hatte zwar die Frist versäumt, aber nicht das Recht auf eine Klage verloren.
»Warum erst jetzt?«, fragte Luise. »Will sich der Klub rächen, weil ich nicht Mitglied sein will?«
»Meine liebe Luise, Rache setzt Gefühle voraus, aber die Leute, die dich überlistet haben, empfinden gar nichts. Sie denken nur an Geld. Je länger sie warten, umso höher steigt die geforderte Summe. Und je mehr Zeit vergeht, umso sicherer ist der Klub, dass du keine Unterlagen mehr hast, keinen Rückschein, keine Zeitungsanzeigen, nichts, und dass du dich nicht einmal mehr genau an Daten und Einzelheiten erinnern kannst.«
Die Sache kam vor Gericht. Luise hatte nur den Vertrag in der Hand, den sie unterschrieben hatte.
Die Dame Barbara sagte als Zeugin aus, dass sie Luise als Mitglied des Freizeitklubs geworben habe. Partnerschaftsvermittlung? Nein, nichts dergleichen. Weil aber ein Freizeitklub leicht in den Verdacht komme, dass er zu kuppeln versuche, lasse man eine Bestätigung unterschreiben, dass die Interessenten darüber informiert worden seien, dass der Freizeitklub nichts mit Partnerschaftsvermittlung zu tun habe. Sie legte das Blatt vor, das Luise auch unterschrieben hatte.
Es hätte für Luise schlecht gestanden, wenn ich nicht vor dem Gerichtstermin aktiv geworden wäre.
Ich hatte eine Anzeige in allen drei Zeitungen aufgegeben, in denen Frau Barbara aus Pankow, Frau Ursula aus dem Prenzlauer Berg und Frau Monika aus Hellersdorf laufend Partnerschaftsvermittlungen anboten, und ich hatte gebeten, alle Leute mögen sich melden, die mit den Damen gesprochen hätten und durch einen Vertrag ungewollt Mitglied des Freizeitklubs geworden wären. Siebenunddreißig Zuschriften erhielt ich. Alle Personen bezeugten, wie das Gespräch verlaufen war und wie man sie in die Mitgliedschaft befördert hatte.
Es gelang mir auch, die Mitgliederzahl herauszubekommen. Ich gebe zu, es war nicht ganz legal, was ich dafür angestellt habe, aber ich hatte die Zahl der Berliner Mitglieder: 20373. Ich schärfte Luise ein, diese Zahl dem Richter zu nennen und zu fragen, wie die Mitglieder den Klub nutzen können, wo doch in den Räumen des Klubs am anderen Ende der Stadt, in allen zusammen, nur höchstens 80 Personen Platz haben. Ich bin gut im Recherchieren.
Der Richter konnte genauso gut rechnen wie ich. Bei 20373 Mitgliedern machen allein die 100 Euro Gebühren mehr als 2 Millionen aus und die Mitgliedsbeiträge gut anderthalb Millionen jeden Monat. Er verfügte eine Steuerprüfung.
Und Luise, mein lieber dummer Pechvogel, ging ohne Schuldenlast aus dem Amtsgericht.
Manchmal geht es tatsächlich gerecht zu.