Gürtler, Hans / Strauzenberg, Stanley Ernest

Sportmedizin in der DDR

[= Medizin und Gesellschaft, Band 55/56], Berlin 2006, 199 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-89626-654-5, 22,80 EUR

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Inhaltsverzeichnis

Gesellschaft für Sportmedizin der DDR

Facharzt für Sportmedizin

Weiterbildungsmaterialien für den Facharzt für Sportmedizin

Sportmedizinischer Dienst der DDR

Zentralinstitut des Sportmedizinischen Dienstes der DDR

Verbandsprogramme

Sportmedizin an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport

Sportmedizin an den Universitäten und Hochschulen der DDR

Bemerkungen zum Doping

Verzeichnisse (Literatur, Abbildungen, Tabellen, Übersichten

 

Vorwort

Die Diskussion über die Notwendigkeit der Etablierung einer Disziplin Sportmedizin als eine neue ärztliche Fachrichtung in der Bundesrepublik Deutschland sind nun schon seit über zwanzig Jahren im Gange. Obgleich die Bundesrepublik über 45 Universitäts- bzw. Hochschulprofessuren für Sportmedizin und Prävention verfügt und entsprechende Institute eine gute Basis für Forschung und Lehre sowie sportmedizinische Betreuung abgäben, ist es bisher nicht gelungen, die Bildung einer Fachrichtung Sportmedizin im Bereich der Klinischen Medizin herbeizuführen. Auch gibt es keine durchgehend befriedigende ärztliche Betreuung Sporttreibender auch außerhalb des Leistungssports und besonders im Schul- und Jugendsport. Eine wirkungsvolle Beteiligung der Sportmedizin in der Primär- und Sekundärprävention, der klinischen Therapie und der Rehabilitationsmedizin konnte ebenfalls nicht erreicht werden.

Im wiedervereinigten Deutschland ergab sich die Chance, durch eine unvoreingenommene Bestandsaufnahme der DDR-Sportmedizin und ihrer Rolle im Gesamtgefüge des Gesundheitsschutzes zur Lösung vieler aktueller sportmedizinischer und übergreifender gesundheitspolitischer Probleme beizutragen. Diese Chance wurde vertan. Vielmehr bestehen noch jetzt - 15 Jahre nach der Wiedervereinigung - hartnäckig am Leben gehaltene Bestrebungen, die Leistungen und den Charakter der Sportmedizin in der DDR abzuwerten und zu diskreditieren.

Die Autoren wollen mit dieser Publikation versuchen, ihre jahrzehntelangen Erfahrungen bei der Entwicklung und dem Ausbau des Fachgebietes Sportmedizin, wie auch in der sportmedizinischen Betreuungstätigkeit, ein möglichst unverzerrtes Bild der Sportmedizin zu vermitteln. Die weit verbreiteten Vorstellungen über die Sportmedizin der DDR stammen vorran-gig von Außenstehenden. Nicht selten sogar wird das Bestreben erkenn-bar, die Geschichte der Sportmedizin durch einseitige Betrachtung zu verfälschen. Nach dem Verständnis Rankes sollte Geschichte das Geschehene beschreiben. Dazu ist jedoch die Darstellung durch jene unerlässlich, die das Geschehen selbst erlebten und mit gestalteten.

Deshalb werden die Gründung und die Arbeit der Gesellschaft für Sport-medizin der DDR (GSM), die Vorbereitung, Einführung und Weiterentwicklung der Fachrichtung Sportmedizin (SM), sowie die Einrichtung des Sportmedizinischen Dienstes (SMD) mit Bezirks- und Kreisberatungsstellen (SKB) und die Gestaltung der sportmedizinischen Betreuung dargestellt. Auch die Arbeit des Zentralinstitutes (ZI) des SMD in Kreischa bei Dresden und des Bereiches Sportmedizin an Universitäten, Hochschuleinrichtungen und am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig (FKS) werden aus der Sicht jener Sportmediziner geschildert, die auf den jeweiligen Gebieten Verantwortung trugen. Auf Schwerpunkte der angewandten Forschung und ihre Ergebnisse wird eingegangen. Auch die Problematik des Dopings sowie der unterstützenden Mittel (u.M.) im Hochleistungssport wird nicht ausgespart.

Die politische Wende 1989/1990 wurde von der Mehrzahl der Sportmediziner in der DDR mit hohen Erwartungen begrüßt und in der Überzeugung mitgetragen, dass sie eine Fülle neuer Möglichkeiten für die fachliche Arbeit und einen guten Weg aus struktureller Enge und zentralem Druck eröffnen könnte. Sie wurde jedoch für viele Sportmediziner eine nie für möglich gehaltene Enttäuschung. Die Verbitterung war tief, als 1991 das seit 1963 bestehende ärztliche Fachgebiet kurzerhand liquidiert wurde. Ohne Berücksichtigung der grundgesetzlichen Anforderungen an Wahrung des Besitzstandes und der Verhältnismäßigkeit wurden annähernd 500 Fachärztinnen und Fachärzte für Sportmedizin ihrer in fünf Weiterbildungsjahren korrekt erworbenen Rechte beraubt. Sie erlebten einen fundamentalen Bruch ihrer beruflichen und sozialen Situation. Gleichzeitig wurden Sportärzte, Trainer und Sportler in einer wenig differenzierten Medienkampagne diffamiert.

In diesem Zusammenhang musste auch die überwiegend unreflektierte pauschale Instrumentalisierung der weltweiten Besorgnis erregenden Dopingproblematik als ein „charakteristisches Attribut“ der DDR und ihres Sports herhalten. Dessen ungeachtet kann sich die Sportmedizin als Ganzes – auch im internationalen Maßstab – nicht durch Unbeteiligtsein exkulpieren. Von den Beteiligten nutzten auch einige die Situation für sich und versilberten ihre Insiderkenntnisse.

Verfehlt ist auch die verbreitete Annahme, die Entwicklung der Sportmedizin in der DDR sei nur deshalb gefördert worden, um damit ehrgeizige politische Ambitionen der DDR-Führung zu unterstützen. Wenn auch kein Zweifel daran besteht, dass bei der Zuwendung personeller und materieller Ressourcen unter Berücksichtigung der Zahl der Beteiligten eine Bevorzugung des Leistungssports vorhanden war, so darf doch angesichts von über drei Millionen Mitgliedern im DTSB, die in Tausenden Betriebssportgemeinschaften organisiert waren, nicht übersehen werden, dass ihm keinesfalls die alleinige Aufmerksamkeit der DDR-Führung galt.

Selbstverständlich gab es nicht wenige, die sich nach der Wende verpflichtet fühlten, sofort aktiv auf die pauschale Diffamierung des Sports der DDR und ihrer Sportmedizin zu reagieren. Zum Beispiel Dieter Kabisch, Heinz Wuschech oder Ludwig Mecklinger. Die seinerzeit aufgeregte Atmosphäre zeigte jedoch, dass wenig Aussicht bestand, ausreichend Gehör zu finden.

Diese Situation war der Anlass, dass Kollegen, die viele Jahre in der Sportmedizin Verantwortung trugen, sich Ende 1999 dazu entschlossen, die Sportmedizin in der DDR, ihre Entwicklung, Ziele, Strukturen und Arbeitsweise aus ihrer persönlichen Sicht darzustellen. Selbstverständlich spielt dabei auch eine Rolle, die engagierte und fruchtbare Arbeit vieler Hunderter von Fachärztinnen und Fachärzten für Sportmedizin und der Sportärzte mit staatlicher Anerkennung einschließlich ihrer Mitarbeiter/innen zu würdigen.

Die Autoren beabsichtigten keine Analyse. Sie hätte wegen fehlender statistischer Unterlagen und der Begrenzung des Umfanges der Beiträge ohnehin nicht angestrebt werden können. Es ging vorrangig darum, einen Einblick in die Vielseitigkeit, Effizienz und Kompetenz der Sportmedizin zu vermitteln und die gesellschaftliche sowie gesundheitspolitischer Bedeutung der Sportmedizin als neue, selbständige Fachrichtung der Klinischen Medizin deutlich zu machen.

In diesem Sinne haben wir auch versucht, den Kollegen Professor Dr. Kurt Tittel für eine Mitarbeit in unserem Vorhaben zu gewinnen. Unter allen langjährig als Sportmediziner in der DDR tätig gewesenen Ärzten kann er wohl als der erste gelten, der eine hauptamtliche sportmedizinische Stellung bekleidete. Auch bei Professor Dr. Dr. Siegfried Israel, von 1962 bis 1968 Leiter des Sportmedizinischen Rehabilitationszentrums der DHfK in Kreischa bei Dresden und später leitender Sportmediziner an der DHfK, haben wir angefragt. Leider erhielten wir von beiden Absagen wegen anderer Verpflichtungen. Dennoch hat K. Tittel durch Übermittlung einer kurzen Schilderung seiner Tätigkeit an der DHfK, einer tabellarischen Aufstellung der Jahrestagungen der GSM und einer Zusammenstellung der Präsidenten von Anfang des Bestehens im Jahre 1954 bis 1991 einen Beitrag geleistet. Unser Dank gilt auch jenen weiteren Kollegen, die durch wertvolle Hinweise, Berichte und Ergänzungen die Arbeit der Autoren unterstützten. Es handelt sich um Professor Dr. Beuker, Dr. Clausnitzer, Dr. Donath, Professor Dr. Franke, Dozent Dr. Luck, Dr. Schramm, Dr. med. habil. Weber und Dozent Dr. Zerbes. Auf ihre Zuarbeit wird beim jeweiligen Kapitel hingewiesen.

Aus der Schilderung wird auch deutlich werden, dass die Sportmedizin der DDR keinen übertragbaren Modellfall darstellt. Sie war nur unter den besonderen Gegebenheiten möglich. Wir halten es aber nicht für ausgeschlossen, dass die Kompetenz und Effizienz einer Fachrichtung Sportmedizin im Konzert der herkömmlichen klinischen Fachdisziplinen eine notwendige Ergänzung darstellen kann.

S. E. Strauzenberg
Kreischa

H. Gürtler
Lubmin