Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9
I. Literatur
Autoren – Übersetzer – Interpreten 15
1. Michael Kleeberg: Vier Essais 17
2. Zwischen Nähe und Distanz. Karl-Markus Gauß, Gabriel Loidolt und Hanno
Millesi: drei österreichische Autoren über ihr Frankreichbild – ein
Interview 39
3. Valérie de Daran: Ein französischer Blick auf das
Frankreichbild von Karl-Markus Gauß, Gabriel Loidolt und Hanno Millesi 51
4. Georg Holzer/Hans-Ulrich Becker: Die Süße des
Untergangs – Ein Gespräch über die Inszenierung von Racines Andromache im
Münchner Cuvilliés Theater 57
5. Georg Holzer/Hans-Joachim Ruckhäberle: Est-ce que cela peut être dit?
Jean Genets Paravents im Münchner Residenz Theater 65
Das 18. Jahrhundert 71
1. Wolfram Malte Fues: LinaLaure. Erotische Aufklärung in Frankreich und
Deutschland 73
2. Marcin Cieński: Die französische Kultur und Literatur
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland und Polen – zum
Versuch einer komparatistischen Synthese 113
3. Andrea Micke-Serin: Frankreich bei Fürst Pückler 121
Österreichbezüge 139
1. Klaus Zeyringer: »Wie kommt um diese Zeit ein Franzose in meinen Wald?« –
Abbilder Frankreichs in der österreichischen Literatur 141
2. László V. Szabó: Hofmannsthal und die Franzosen. Facetten einer
produktiven Rezeption 159
3. Walter Wagner: Frankophilie und Austrophobie à la Thomas Bernhard.
Imagologische Notizen zu einem literarischen Nestbeschmutzer 187
Schweizer Bezüge 199
1. Sabine Haupt: Von Kulturgräben und Brückenbauern. Schweizer Autoren
zwischen Faszination und Abgrenzung gegenüber Frankreich 201
2. Christa Baumberger: Sehnsuchtsort, Fluchtort, Schreibort Paris. Die
literarische Gestaltung des Paris-Mythos bei Ludwig Hohl, Friedrich Glauser,
Paul Nizon und Peter Bichsel 213
3. Véronique Liard: Friedrich Dürrenmatt, Französisch, Frankreich und die
Franzosen 229
Deutsche Bezüge 243
1. Gert Pinkernell: Französische Autoren und Autorinnen im deutschsprachigen
Wikipedia. Die Grands auteurs du Programme (bis etwa 1970) 245
2. Antonia Eder: »Welch dunkles Verhältnis der Dinge« – Indizienlese
zwischen preußischer Restauration und französischem Idealabsolutismus in
E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi 263
3. Irena Światłowska/Izabela Kurpiela: René Schickele als
Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich 287
4. Marion George: »Dichten wie Gott in Frankreich« – Peter Hacks’
ästhetische Provence 301
5. Branka Schaller-Fornoff: Frankreichbilder im Werk Michael Kleebergs 319
6. Brigitte Krüger: Erwünschte Selbstbespiegelungen. Anmerkungen zur
Houellebecq-Rezeption aus der Perspektive eines Nachbarlandes 331
II Geschichte – Politik – Recht – Philosophie
Diskurse – Institutionen 349
1. Verena Rauen: Pardonner? Zum Verzeihen des Unverzeihlichen in der
französisch-deutschen Philosophie des 20. Jahrhunderts 351
2. Brigitte Sändig: Französische Kultur in der DDR – ein
Widerstandspotential? 367
3. Jan Werquet: ›Aufbruch in die Zivilgesellschaft‹ oder ›Entchristlichung
des Staates‹. Das französische ›Modell‹ des Laizismus aus deutscher
Perspektive 1882–2010 385
4. Joseph A. Kruse: Verbündete. Französische Präsenz in
deutschen literarischen Gesellschaften (samt einigen Blicken darüber hinaus)
401
5. Anne-Kathrin Marquardt: Vom Umgang mit dem kulturellen Erbe in den Zeiten
des Internets: Gallica versus Gutenberg.de – Europeana versus Google Books
413
Historische Bezüge 431
1. Jacek Rzeszotnik: »Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne
Ende« – Ferdinand Baptista von Schill und Ernst Moritz Arndt oder Die
Poetisierung des »Franzosenhasses« 433
2. Gabriela Jelitto-Piechulik: Märzdebatten um (Presse)freiheit.
Robespierres Rede über die Preßfreiheit im Gebrauch deutscher Presse- und
Gesellschaftskritik 457
3. Andrea Rudolph: Das Frankreichbild im konservativen Diskurs. Wilhelm
Meinholds gegenrevolutionäres Trutz- und Schutzwort: Die babylonische
Sprachen- und Ideen-Verwirrung der modernen Presse, als die hauptsächlichste
Quelle der Leiden unserer Zeit (1848) 473
4. Fritz Taubert: »Lüsterner Blick auf das linke Rheinufer« und
»Klüngelstreitigkeiten«? – Frankreich im Blick progressiver Deutscher im
Vormärz und zu Anfang des 20. Jahrhunderts am Beispiel des
Staatslexikons und des Vorwärts 481
Danksagung 497
Vorwort
Es sind kaum zwanzig Jahre vergangen, dass sich auch die Staaten Mittel- und
Osteuropas auf den abenteuerlichen Weg eines geeinten Europa begeben haben.
Seitdem hat sich die Geschichte enorm beschleunigt. Die Lebenswirklichkeiten
der verschiedenen Nationen haben sich angeglichen; alte Koalitionen haben
sich aufgelöst; neue Konstellationen entstehen, die sich wiederum bei jeder
aktuellen Problemstellung anders ausrichten. Alles ist im Fluss. Auch die
alten Gewissheiten relativieren sich, die Bildung, Kultur, Religion,
Wissenschaft und Kunst in nationalen Schutzräumen und Diskursfeldern über
Jahrhunderte hinweg aufgebaut hatten. Das reflektiert sich nicht minder in
den Wahrnehmungen des Anderen – hier des Modells Frankreich – in den
deutschsprachigen Kulturkontexten der Schweiz, Österreichs und Deutschlands.
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts herrschte zwischen diesen beiden Räumen
eine eifersüchtige Zweierbeziehung, die zwischen Bewunderung und Hass
pendelte und durch die kriegerischen Auseinandersetzungen noch vertieft
wurde. Sie fungierte nicht selten in der Konkurrenz als Triebkraft zur
Profilierung der eigenen Identität; doch sie führte ebenso zu Klischees und
Banalisierungen, zu Auslagerungen und Projektionen tiefgreifender
Strukturprobleme der Moderne auf den Anderen, den man benutzen konnte, um
die eigenen Unzulänglichkeiten gleichsam rituell auszutreiben.
Diese Mechanismen funktionieren nur noch bedingt in den Zeiten der
Globalisierung, der grenzüberschreitenden Medien- und
Informationstechnologien und in einem europäischen Rahmen, der dazu zwingt,
jedes nationale Interesse auf jedem Politik- oder Kulturfeld stets wieder
neu zu fixieren und ins Verhältnis zum Gemeinschaftsinteresse zu setzen, das
längst nicht mehr als Anderes dem Eigenen gegenübergestellt werden kann.
Vielmehr zeigt sich auf immer mehr Gebieten, dass beides ineinander
übergeht, ohne jedoch seine jeweils besondere Kontur zu verlieren. Es bedarf
immer größerer hermeneutischer Anstrengung, das Andere im Akt des Verstehens
nicht etwa im arroganten Blick richtender Vernunft herabzusetzen oder gar zu
zerstören, sondern mit Respekt und Einfühlung aufzunehmen und gemeinsam in
lebbare Synthesen zu überführen, immer in dem Bewusstsein, dass eine nicht
auflösbare inkommensurable Differenz zwischen den Individuen wie zwischen
den Nationen bestehen bleiben wird.
Dieser Band vereint Beiträge, die sich diesem sehr komplexen Zusammenhang
aus unterschiedlichsten Perspektiven und auf sehr disparaten Gebieten
angenommen haben. Bewusst wurden keinerlei Erwartungshaltungen formuliert,
keine theoretischen Konzepte vorgegeben oder Sichtweisen nahegelegt. Gerade
umgekehrt ging es um eine Art Bestandsaufnahme von Themen und Problemen bei
der Wahrnehmung Frankreichs in den deutschsprachigen Kulturkontexten, die
keinesfalls den Anspruch auf totale Repräsentanz erhebt, aber doch viele
interessante Ergebnisse gezeitigt hat. Es sei an dieser Stelle allen Autoren
dafür gedankt, dass sie sich auf dieses Experiment eingelassen haben, das
alle traditionellen Grenzen zwischen der reflektierenden Anstrengung der
Geisteswissenschaften und der kreativen von Literatur und Theater
übergreift.
Zunächst ist auffällig, dass die traditionellen Themen einer vergleichenden
Gegenüberstellung noch immer stark vertreten sind. Besonders auf dem Feld
Politik-Geschichte-Recht werden die nationalen Gegensätze in ihrer Genesis
und in ihrer Funktion für die eigene Identitätsbildung präsent gehalten.
Dieser historische Blick ist offensichtlich sehr wichtig, um die eigene
Position bewusst zu machen, um mit einem deutlich formulierten nationalen
Profil in den europäischen Diskurs einzutreten. Aus polnischer Perspektive (Jacek
Rzeszotnik, Wrocław) werden – ausgehend von der Modellfunktion der
französisch-deutschen Aussöhnung nach 1945 für die Gestaltung der
polnisch-deutschen Beziehungen nach 1990 – die napoleonische Besetzung und
die Befreiungskriege thematisiert. Marcin Cieński (Wrocław) insistiert für
das 18. Jahrhundert auf die Einbeziehung des polnischen Diskurses in die
ansonsten französisch-deutsch vergleichende Betrachtungsweise. Die
polarisierende Energie, die von Ikonen der französischen Geschichte, in
diesem Fall von Robespierre, auf die Formierung der politischen Fronten in
Deutschland ausging, behandeln die Beiträge von Gabriela Jelitto-Piechulik
(Opole) für den progressiven und Andrea Rudolph (Opole) für den
konservativen Diskurs. Wie Fritz Taubert (Dijon) und Klaus Zeyringer
(Angers/Graz) unterstreichen, fungierte Frankreich im 19. Jahrhundert als
Modell, das man gegen die politisch versteinerten Gesellschaftsformen in
Deutschland wie in Österreich ins Feld führen konnte. Und noch in der DDR
konnte der oppositionelle Diskurs der französischen Existenzphilosophie
genutzt werden, um dem Resistance-Potential im eigenen Staat eine
intellektuelle Ausdrucksform zu geben, wie Brigitte Sändig (Potsdam) zeigt.
Auf dem Gebiet der Literatur tritt diese politische Dimension am Ende des
19. Jahrhunderts zunehmend zurück. Die Leerstelle wird durch Kunst und
Literatur besetzt, die zwar schon immer zum ideellen Frankreichbild
gehörten, jetzt jedoch auch als besondere ästhetische Anstrengung zur
künstlerischen Bemeisterung der Moderne wahrgenommen werden und gerade in
Paris auch als Lebensform inspirieren. Hier seien die Beiträge von Christa
Baumberger (Bern/Schweiz) und Sabine Haupt (Freiburg/Schweiz) zum
Frankreichbild und zum Parismythos im Werk Schweizer Autoren ebenso genannt
wie die Studie von László V. Szabó (Veszprém) über Hugo von Hofmannsthal
oder noch der Artikel von Walter Wagner (Wien) über Thomas Bernhard. Bis
heute manifestiert sich diese Seite des Frankreichbilds in der besonderen
Bewunderung, die gerade Marcel Proust bei den Deutschen genießt, wo die
Auseinandersetzung um das Proust-Bild einiges aussagt über eher
konservierende oder eher modernisierende Tendenzen bei den frankophilen
Intellektuellen (Michael Kleeberg, Berlin). Joseph A. Kruse
(Düsseldorf/Berlin) hat in diesem Zusammenhang in seinem Beitrag zum Platz
der Literaturgesellschaften im Kulturtransfer zurecht die Bedeutung der
Proust-Gesellschaft hervorgehoben.
Dieser Frankreichvision haftet freilich auch etwas Elitäres an, von dem sich
die manchmal nüchtern, manchmal expressionistisch-bilderstürmerisch gebende
deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts ostentativ abgrenzt. Dies
zeigen u.a. Véronique Liard (Dijon) am Fall Friedrich Dürrenmatt, Sabine
Haupt (Freiburg/Schweiz) und Christa Baumberger (Bern/Schweiz) in Bezug auf
Schweizer Autoren wie etwa Ludwig Hohl oder Peter Bichsel. Vieles davon
findet sich in den Interviews wieder, die Valérie de Daran (Poitiers) mit
den österreichischen Autoren Karl-Markus Gauß (Salzburg), Gabriel Loidolt
(Graz) und Hanno Millesi (Wien) geführt hat – Autoren, die von ihr ins
Französische übersetzt worden sind. Meist changiert die In-Dienst-Nahme der
Frankreichbezüge zwischen einer Benutzung als Instrument der Kritik an der
eigenen Kultur und gelegentlich belustigter Distanzierung von der
französischen, wobei auch ein nicht allzu ernst zu nehmendes Kokettieren
mitschwingt. Dies spiegelt sich in den Beiträgen von Walter Wagner (Wien),
Klaus Zeyringer (Angers/Graz) oder Valérie de Daran (Poitiers).
Eine besondere Bedeutung kommt den Vermittlern im Kulturtransfer zu wie dem
Fürsten Pückler (Andrea Micke-Serin, Angers), Heinrich Heine (Joseph A.
Kruse, Düsseldorf/Berlin), Hugo von Hofmannsthal (László V. Szabó, Veszprém),
René Schickele, Annette Kolb (Irena Światłowska /Izabela Kurpiela, Wrocław)
oder Michael Kleeberg (Branka Schaller-Fornoff, Belgrad/Berlin).
Eigenständige Problemfelder in vergleichender Perspektive untersuchten
Wolfram Malte Fues (Basel) mit der erotischen Literatur des 18. Jahrhunderts
und Antonia Eder (Genf) mit deutschen und französischen Rechtsparadigmen in
der Sicht von E.T.A. Hoffmann. Überhaupt erwies sich das 18. Jahrhundert,
das sich in den deutschsprachigen Ländern bis 1830 verlängern lässt, als ein
nach wie vor sehr präsentes Forschungsfeld, wenn es um die
ideengeschichtlichen Grundlagen des modernen Europa und ganz besonders um
die französisch-deutschen Beziehungen geht.
Eine ganze Reihe anderer Aufsätze beschäftigt sich mit Themengebieten und
Problembereichen, die über die Ebene spiegelartiger Bezugnahmen hinausgehen.
Hierzu gehört der Diskurs über das »Verzeihen des Unverzeihlichen«, den
Verena Rauen (Bochum/Paris) thematisiert, ohne den eine philosophisch
reflektierte Annäherung in Europa nach 1945 kaum möglich gewesen wäre und
der die Leistungsmöglichkeit der französischen Philosophietradition, die im
rational kontrollierten, diskursiven Moment ihre Stärke hat, unter Beweis
stellt.
Die Reibung am Modell Frankreich, das nicht nur bedeutende revolutionäre
Bewegungen ausgelöst, sondern auch verstanden hat, sie in der politischen
Realität und in der künstlerischen Tradition zu befestigen, zeigt sich auch
bei so unterschiedlichen Autoren wie Peter Hacks (Marion George, Poitiers)
und in einer Mischung aus Bewunderung und Distanz bei Michael Kleeberg
(Berlin), kommentiert von Branka Schaller-Fornoff (Belgrad/Berlin), während
Brigitte Krüger (Potsdam) in ihrem Text über die Houllebecq-Rezeption in
Deutschland mit Recht die Frage stellt, ob die bei diesem französischen
Autor verhandelten globalen Problematiken und die von ihm meisterhaft
genutzte mediale Inszenierungstechnik nahe legen, dass es überhaupt keine
nationale Differenz mehr gäbe.
Nicht minder interessant ist der Umgang des Theaters mit der französischen
Tradition, wie das Gespräch zwischen Georg Holzer (München) und Hans-Ulrich
Becker (Frankfurt am Main) über eine Inszenierung von Racines Andromache aus
dem Jahre 2009 deutlich macht, denn die lebendige Bühne kann sich in ihrem
Kulturtransfer nicht auf tote Götzen zurückziehen. Sie muss in der anderen
Sprache und in dem anderen Sinnkonstrukt ein Angebot finden, das das
gegenwärtige Publikum überzeugt. Dies gilt nicht nur für den französischen
Klassiker, sondern auch für den Avantgardisten Jean Genet, dessen Stück
Paravents in der Inszenierung von Dieter Dorn (2003) von Georg Holzer
(München) und Hans-Joachim Ruckhäberle (Berlin) thematisiert wird.
Zwei Beiträge beschäftigen sich mit den Auswirkungen der modernen
technischen Möglichkeiten auf die Tradierung von Wissens- und Wertebeständen
im französisch-deutschen Kulturtransfer. Gert Pinkernell (Wuppertal)
untersucht die quantitative und qualitative Repräsentanz von französischen
Autoren im deutschsprachigen Wikipedia. Er selbst geht dabei von einem
literaturgeschichtlichen Kanonwerk aus, also von der tradierten
Funktionszuweisung an Forschung und Bildung, die Wahrnehmung der anderen
Kultur durch Wissen zu begleiten und zu steuern. Wikipedia hingegen
konstituiert sich durch den ›freien‹ Zugriff der Öffentlichkeit und formt
auf diese Weise einen Wissensbestand über französische Literatur und einen
neuen Kanon, die ihrerseits wiederum steuern, was man wie kennen sollte.
Noch komplizierter gestalten sich der Zugang und die Austauschprozesse von
Wissen und Kultur über die digitalen Bibliotheken, die sich seit den 90er
Jahren explosionsartig entwickelt haben. Der Beitrag von Anne-Kathrin
Marquardt (Lyon/Berlin) illustriert die Komplexität des Problems im
europäischen wie im globalen Rahmen.
Jan Werquet (Berlin) nimmt sich mit dem französischen Konzept der Laizität
eines besonders sensiblen Gegenstandes an, der gleichwohl von höchster
Aktualität und Relevanz ist. Er perspektiviert den französischen Umgang mit
der eigenen nationalen Identität, der Integration oder eben auch Abweisung
des Fremden aus deutscher Sicht.
Insgesamt zeigt sich ein sehr vielschichtiges Frankreichbild in den
deutschsprachigen Kulturkontexten. Noch geben Geschichte und Politik
tradierte Erinnerungsorte und –daten an die Hand, die klare Zuweisungen
ermöglichen und die Bestärkung des Andersseins der eigenen Positionen als
Voraussetzung für einen gemeinsamen Diskurs profilieren, in dem dann jeweils
ausgehandelt werden kann, wieviel Gemeinsamkeit gewünscht und gewollt wird.
In Kunst und Literatur bilden die nationalen Kulturpolitiken noch
Schutzräume für Identitätsbestände, denen jedoch global wirkende
Marktgesetze entgegensteuern. Immerhin erscheint die französische Literatur
des 19. und 20. Jahrhunderts oft noch als Refugium für eine spezifisch
ästhetische Funktionszuschreibung an dieses Medium, während im
deutschsprachigen Raum die inhaltliche Relevanz, die Zuordnung zu
gesellschaftlichen Fragestellungen und Gruppenmeinungen sowie die
Aufgabenzuschreibung einer Lebens- und Orientierungshilfe durch Medien,
Schule und Forschung zu überwiegen scheint.
Doch kündigen sich auch Vorboten einer Neustrukturierung der wechselseitigen
Kulturwahrnehmungen an, ohne dass diese von dominanten Konzepten begleitet
wäre oder bereits klare Formen angenommen hätte. Sie vollzieht sich vielmehr
in konkreten und eher tastenden Akten, mehr als Ergebnis von
lebensweltlichen praktischen Situationen, denn als Realisierung vorgegebener
Zielvorstellungen. Die Verkürzung der Reisewege, die Leichtigkeit, mit der
man sich für längere Zeit im Nachbarland niederlassen kann, das Wegfallen
von Wahrnehmungsbarrieren wie verschiedenen Währungen, verschiedenen
Lebensrealitäten, der Zugang zu europäischen Medien in Bild und Schrift über
Internet und Satellitenfernsehen fördern das Bewusstsein von der Verknüpfung
der früher als getrennt wahrgenommenen Räume. Das Problem des Anderen wird
ganz unmittelbar das Meine und zwingt zum Verstehen, wenn man zu wirklichen
Lösungen kommen will. Innen-Außen, Nah-Fern, Zentrum-Peripherie, das
Eigene-das Fremde, das Ich-der Andere – all diese Ordnungsmuster, die das
europäische Denken über Jahrhunderte hinweg begleiteten, relativieren sich
nach und nach in ihrer Substanz, müssen vielmehr jeweils neu bestimmt und
ausgerichtet werden. Dabei verliert das hier thematisierte Verhältnis seine
Exklusivität und damit das Frankreichbild seine überzeichnet positiven wie
negativen Konnotationen in den deutschsprachigen Kulturkontexten. Es tritt
ein in eine europäische wie eine globalisierte Normalität, ohne jedoch
aufzuhören, in seiner Besonderheit als Ferment zu wirken.
Véronique Liard Marion George
Universität Dijon Universität Poitiers
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