Inhaltsverzeichnis
Vorwort
7
Teil I: Die Hochschul-Reform-Kontroverse nach Grundfragen
betrachtet 19
- Der Dezennien-Dissens – Begriff und Themen
21 Hansgünter Meyer
- Der Aufstieg der philosophischen Fakultät im 19.
Jahrhundert –Keimzelle des modernen
Universitätsprofils
223 Hubert Laitko -
Education, knowledge and social differentiation: new elites and new
inequalities?
261 Reinhard Kreckel -
“Elite reproduction and the role of European universities”
277 Claudius Gellert -
Putting Science in Its Place? Zur Virtualisierung der deutschen ‘Elite’-
Förderung
289 Marcel Lepper -
Neoliberalismus, Wissenschaft und Gemeineigentum
297 Hans-Gert Gräbe
Teil II: Hochschul-Reform-Kontroverse nach Handlungsoptionen
betrachtet 315
- Hochschulzugang – neue Chancen oder Risiken?
Veränderungen beim
Hochschulzugang durch hochschuleigene
Auswahlverfahren
317 Dirk Lewin/Irene Lischka -
Externe Expertise in der Hochschulpolitik. Varianten und Funktionen des
Beratungswesens, illustriert mit Beispielen aus
der Berliner Landespolitik 333
Peer Pasternack
- Geschlechtergleichstellung als externer Imperativ
an Hochschulen? Ein anachronistisches Paradoxon
347 Uta Schlegel -
Staatlich angeordnete Studienstrukturreform. Die Umsetzung des Bologna-
Prozesses in Deutschland
371 Andreas Keller -
‘Gehäuse’ und ‘Füllung‘. Zum Verhältnis von Institutionen und
Erkenntnis-
prozessen
379 Marcel Lepper
Teil III: Zeitgeschichtliche Konditionen und
Prämissen des Akteurshandelns 389
- Soziale Ungleichheiten in der Reproduktion von Akademikern
in den (noch)
beiden deutschen Staaten 1990 und in den alten
und neuen Ländern heute 391
Gustav-Wilhelm Bathke - Prospektivisches: Der
alternative Hochschuldiskurs.
Eine Zwischenbemerkung des Herausgebers
425 - Das zerstörte Kettenglied. Brüche und Verluste
in den Sozial- und Geistes-
wissenschaften zwischen der untergegangenen DDR
und dem vereinigten
Deutschland
431 Stefan Bollinger - Was
heißt und zu welchem Ende betreibt man die Zweite Wissenschafts-
kultur?
453
Hansgünter Meyer
AutorInnenverzeichnis
531
Aus dem Vorwort
Diese Schrift soll den Diskurs über die Reform der deutschen Hochschulen
referieren – und sie soll zugleich an diesem Diskurs teilnehmen. Soll
ihn kritisch beurteilen und ihm zugleich einige Richtlichter
aufsetzen. Dies ist nicht ausführbar außer als Beitrag zu den Ideen,
die zu den denkbaren Universitäten des 21. Jahrhunderts erörtert
werden, man beachte den Plural, akzeptiert als Skizzen Weberscher
Idealtypen, denen man sich in praxi günstigenfalls annähern kann.
Auch dies ist schon ein vorgreifendes Postulat: Es gibt nicht die
eine, allen Ansprüchen und Erkenntnissen genügende ideale Hochschule
oder Universität. Es gibt keine zwei gleiche Universitäten,
bestenfalls sind sie im Groben typengleich. Es gibt sie nur im Plural
mit je unterschiedlichen Ausprägungen hochschulischer
Charakteristika. Vorstellbar ist das so: reiht man hundert oder mehr
aneinander und zwar so, daß die sich ähnelnden nebeneinander sind, je
mehr abweichende Besonderheiten, desto größer der Abstand, so würden
sie sich im Mittelfeld der Reihe wenig, die an den Enden der Kette
Befindlichen aber bis zur schieren Unkenntlichkeit unterscheiden.
So erscheint die Absicht, einen Disput über Hochschulen/Universitäten zu
führen, etwa über ihre richtige Gestaltung, über Reformen, die das
bewirken, wie der Versuch der Quadratur des Kreises. Also als eine
nicht lösbare Aufgabe. Was von einer Position aus für richtig
befunden wird, ist von einer anderen aus gesehen falsch. Was ist
darüber zu berichten? Wie den Bauplan eines Gebäudes oder einer
technischen Anlage entwerfen kann man Hochschulen/Universitäten
nicht. Die Wirklichkeit mit ihren vielen Tausend Unikaten von
Forschungsprojekten, Forschungsgruppen, Ausbildungszielen und
Lehrangeboten ist dagegen. Das schließt die Existenz von einigen
generalisierenden Konstruktions- bzw. Funktionsprinzipien nicht aus.
Vielheit und Pluralität reduzieren sich nicht auf Beliebigkeit. Obgleich
Hochschulen nach scheinbar unvereinbaren Prinzipien und
Ausgestaltungen unisono funktionieren und effizient sein können, sind
dennoch Formen und Gestaltungen denkbar, die sich ausschließen. So
ergibt sich fast als Normalität, daß Hochschulen oft Funktionselemente
enthalten, Dysfunktionen, bzw. Vorgänge stattfinden, die ihnen
schädlich sind. Darüber findet man im Diskurs manchmal Einmütigkeit,
oft aber auch starken Dissens. Hochschulen lehren, aber sie sind
tunlichst keine Lehranstalten, sie bilden berufliche Fähigkeiten aus,
aber sie sind keine beruflichen Trainingszentren, sie verfolgen ein
Forschungsprogramm und vermitteln Forschungserfahrung, aber ihre
Bestimmung bleibt der Zusammenhang von Forschung und Lehre, sie sind
sui generis keine Forschungseinrichtungen. Was sie Wissenschaft und
Forschung auf besondere Art betreiben läßt. Sie können 500 oder 5.000
Studenten inskribieren oder 50.000. Sie können in Fakultäten unter
einem Dekan gegliedert sein, oder in Departements als
Dispositionsfeld eines Managements. Ihre Hauptgliederung können
Fachschaften
ein, deren wissenschaftliche Reputation von einer Gruppe von Professoren
getragen wird mit einem Ordinarius an der Spitze. Rektorate, Senate,
Kanzlerschaften, Beiräte, Aufsichtsbehörden der unterschiedlichsten
Art können ihnen als Körperschaftsbevollmächtigte vorstehen. Diese
können Leitungsorgane sein oder vermittelnde Gremien – im Extremfall
bloß Beratungsorgane. Das Feld von Autonomie- Handeln ist weit
abgesteckt. Eine große Vielfalt weisen die Vertretungen der
Hochschulbediensteten bzw. Beschäftigten auf, die summarisch als Gremien
bezeichnet werden. Sie können Entscheidungen treffen oder bloß
disputieren oder zwischen den Rängen der Hierarchie und den
Beschäftigten vermitteln. Oder sie formulieren nur demokratische
Willensbekundungen. Das gilt zunehmend für die Studentenschaft, die
sich immer mehr von einer mit der Immatrikulation verbundenen
Pflichtzugehörigkeit des Einzelnen getrennt hat und zu freiwilligen
Mitgliedschaften übergegangen ist. Studentische Initiativen treten
folglich immer zerstrittener auf, sind unberechenbar und eher kraftlos.
Der gelegentliche Lärm von Protestbekundungen erschreckt heute kaum
noch jemanden. Hochschulen/Universitäten können 100 Fachdisziplinen
und mehr inkorporieren oder nur 10, diese aber in größtmöglicher
Diversifikation ihrer Spezialfächer. So sind technische oder
wirtschaftliche oder künstlerische oder andere Spezialhochschulen
tätig und das Entstehen weiterer zu erwarten. Jedoch wird noch immer von
manchen Universitäten, von den für sie zuständigen Landesbehörden,
manchmal auch von Parteigremien oder anderen Interessenten (z.B.
große Kommunen) für die von ihnen bevorzugten Hochschulen der Status
der sog. Volluniversität angestrebt. Volluniversitäten mit ihrem
traditionellen Fächerkanon der Geistes-, Sozial- und
Naturwissenschaften, der in der Humboldt-Nachfolge gut 150 Jahre lang
für notwendig gehalten wurde, damit eine Universität national oder
international renommiert erscheint und Anspruch und Aussicht auf eine
angemessene wissenschaftsgeschichtliche Einordnung bzw. aktuell auf
ein Spitzenranking hat. Wo der Status der Volluniversität beginnt,
war immer umstritten. Jedoch ist zu beobachten, daß immer seltener
auf Volluniverstäten insistiert wird. Neu hinzugekommen ist die
Kontroverse um neue bzw. überhaupt unterschiedliche sog.
Trägerschaften bzw. ihren korporativen rechtlichen Status. Ursprünglich
vom Staat geschaffene, unterhaltene und rechtlich vertretene
Institutionen, hervorgegangen aus landesherrschaftlichen
(fürstlichen, königlichen) oder klerikalen Gründungen, erweiterte
sich die Trägerschaft der Hochschulen zunächst auf private Universitäten
und gegenwärtig auf diverse Rechtsträgerschaften durch Stiftungen oder
Kapitalgesellschaften, wobei sich schon das Aufkommen einer großen
Vielfalt, einschließlich gemischter Trägerschaften und einer sich
immer mehr diversifizierenden Sponsoren-Klientel absehen läßt.
Allerdings, was sich in Europa hier ziemlich mühsam an Neuem
vollzieht, ist in den USA schon seit Jahrzehnten vorhanden. Soll man
also den Blickwinkel so wählen, daß dies rasch und effizient
nachzuvollziehen ist? Dagegen erheben sich vielfache Bedenken, nicht
zuletzt aus den USA selbst, wie wir zeigen werden.
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