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Odenwald, Ulrike

Familienalbum derer, die im DEFA-Studio für Spielfilme FILME FÜR KINDER gemacht haben
 

 

 

 2010, 417 S., ISBN 978-3-89626-588-3, 39,80 EUR
 

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Die Familie, von der in diesem Album die Rede sein soll, ist eine bemerkenswert besondere. In fast einem halben Jahrhundert bildet sie sich im DEFA-Studio für Spielfilme in Potsdam-Babelsberg heraus. Die sich da nach und nach zusammenfinden, erkennen die Herstellung von Filmen für Kinder mehr oder weniger als ihre Lebensaufgabe, mindestens nehmen sie die Filmkunst für Kinder sehr ernst.
Aus dieser so besonderen, gemeinsamen Aufgabe wächst eine spezielle innere Verbindung der Beteiligten, so verschieden, ja teilweise gegensätzlich sie im Individuellen auch sein mögen. Diese Bindung wächst einerseits aus der Besonderheit des Gegenstandes, dem man sich widmet, andererseits auch aus nicht minder besonderen Widerständen, auf die man stößt. Die Eigentümlichkeit dieses Gegenstandes wird da erkundet, erprobt, erstritten, erkannt und verteidigt.
Film für Kinder, das ist tatsächlich ein ganz besonderer Bereich der Kinematographie, mit großen künstlerischen Möglichkeiten, von hohem ideellem Wert und weitreichend menschenbildendem Potenzial.
Der Film für Kinder, anfangs als solcher fast ungekannt, wuchs nach und nach zum selbstverständlichen Kulturgut. Es wird Bedürfnis von Künstlern, dezidiert Filme für Kinder zu gestalten, wie es ebenso Bedürfnis junger Zuschauer wird, Filme zu erleben, die besonders für sie gemacht sind.
Der Film für Kinder des DEFA-Studios für Spielfilme wurde produziert von 1946 bis 1990, in letztem Nachtrab bis 1992. Für die meisten der familiär Beteiligten paart sich Enttäuschung über das abrupte Ende eines halben Jahrhunderts kontinuierlicher, erfolgreicher deutscher Kinematographie für Kinder mit nachhaltigem Stolz, bei deren Entwicklung mitgearbeitet zu haben.


 

 

 

Inhalt


Entwicklung der Familie. Notizen zur Geschichte des DEFA-Spielfilms für Kinder 7

Portraits aus der Familie
Einleitung 185
Hans Kratzert 192
Wolfgang Braumann 201
Gudrun Deubener 209
Siegfried Hartmann 219
Hannelore Unterberg 228
Bärbl Bergmann 237
Christa Kożik 247
Rolf Losansky 256
Evelyn Schmidt 265
Günter Meyer 277
Renate Epperlein 287
Erwin Stranka 296
Konrad Petzold 305
Heiko Ebert 314
Helmut Dziuba 325
Irmgard Marzahn 337
Walter Beck 346

Spielfilme für Kinder des DEFA-Studios für Spielfilme 
Vorbemerkung 359
Filme in chronologischer Reihenfolge 366

Nachbemerkung 418
 


 

Leseprobe

 

Entwicklung der Familie
Notizen zur Geschichte des DEFA-Spielfilms für Kinder

„Denn erst wenn die Erinnerung gelang,
ist einst Getanes endlich ganz getan.“
Manfred Streubel 

1
 

Die Familie, von der in diesem Album die Rede sein soll, ist eine bemerkenswert besondere. In fast einem halben Jahrhundert bildet sie sich im DEFA-Studio für Spielfilme in Potsdam-Babelsberg heraus. Die sich da nach und nach zusammenfinden, erkennen die Herstellung von Filmen für Kinder mehr oder weniger als ihre Lebensaufgabe, mindestens nehmen sie die Filmkunst für Kinder sehr ernst.
Aus dieser so besonderen, gemeinsamen Aufgabe wächst eine spezielle innere Verbindung der Beteiligten, so verschieden, ja teilweise gegensätzlich sie im Individuellen auch sein mögen. Diese Bindung wächst einerseits aus der Besonderheit des Gegenstandes, dem man sich widmet, andererseits auch aus nicht minder besonderen Widerständen, auf die man stößt. Die Eigentümlichkeit dieses Gegenstandes wird da erkundet, erprobt, erstritten, erkannt und verteidigt.
Widerstände ergeben sich fast zwangsläufig, weil hier Neuland betreten wird, von dem zunächst kaum jemand eine präzise Vorstellung hat, zu dem aber zugleich eine Fülle von irritierenden Vorurteilen und festverwurzelten Missverständnissen im Umlauf sind. Tatsächlich: Die mannigfaltigen Anläufe in dieser Sache gleichen Expeditionen in unerforschtes Gebiet. Pfade sind zu finden und zu bahnen, wo zuvor niemand gegangen ist. Wovon man da zu wissen glaubt, kann falsch sein, ist es tatsächlich sogar oft. Es bietet sich einladende Gangbarkeit, die teilweise in Sackgassen endet, wo dann auch Umkehr nötig wird. Es begegnet aussichtsarme Unwegsamkeit, die zunächst zögern lässt, wo sich dann aber doch weiterführende Möglichkeiten öffnen. Man gerät auch ins Dickicht der Widersprüche. Es gibt Irrtum, den man verlässt, und es gibt Erkenntnis, die geerntet und erweitert wird. Beide, Irrtum und Erkenntnis, verbinden sich zu allmählichem Erfolg.
Erfolg kann nach verschiedenem Maßstab gemessen werden. Vom ökonomischen, der heutzutage zur Hauptsache geronnen ist, soll hier gar nicht die Rede sein. Vielmehr wichtig ist da zunächst die Anerkennung im professionellen Umfeld. Noch wichtiger jedoch ist der Erfolg beim jungen Publikum, um dessentwillen man arbeitet. Gerade dieser Gewinn ist von Anbeginn der Produktion, durch ein halbes Jahrhundert, bis zu ihrem rigiden Abbruch gegeben. Noch heute ist die Spur der offenbar nachhaltigen Erlebnisse nicht verloren, die die jungen Zuschauer für sich gewinnen können, selbst wenn Zuschauer aus den frühen Jahrzehnten inzwischen schon Großeltern sind. Da bleiben lebendige Erinnerungen, die von Prägungen durch die Filmerlebnisse zeugen. Diese lebenslange Spur der Filmerlebnisse ist es wohl letztlich, um derentwillen Filme für Kinder gemacht werden.
Erfolg und Anerkennung des DEFA-Spielfilms für Kinder wächst auch weit über die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik hinaus. Die Filme werden fast auf der ganzen Welt gezeigt, letzten Endes – nach zuvor langer Bonner Blockade – sogar in der BRD. Die Filme nehmen an internationalen Festivals teil, erringen Preise. Aus all diesen unterschiedlichen Erfolgen, vor allem aber aus dem bei den jungen Adressaten, erwächst bei den Filmemachern Stolz. Auch der ist von verbindender Kraft, also familienbildend.
Familiarität stärkt sich auch an dem hohen Gefühl, in einer Kunst zu schaffen, die im besten Sinne der Zukunft zugewandt ist. Wer in der Kinematographie für Kinder arbeitet, sendet über sein junges Publikum zweifelsfrei Impulse in die weiteste Zukunft der Gesellschaft.
Bekanntheit und Ruhm sind in einer von Erwachsenen bestimmten Öffentlichkeit mit einer solchen, primär den Kindern zugewandten Aufgabe, – wenn überhaupt – eher schwerer zu gewinnen. Die jungen Zuschauer selbst, so gern und so oft sie es sind, übersehen weitgehend diejenigen, die für sie arbeiten. Sie nehmen das Produzierte als Selbstverständlichkeit entgegen und verschwenden an den Prozess des Produzierens kaum einen Gedanken, schon gar keinen an die, die da für sie produzieren. Die Erwachsenen aber übersehen diese Kinderfilmemacher noch mehr, weil sie die Kinematographie für Kinder, selbst dort, wo sie ihr gewissen Wert öffentlich zubilligen, für sich selbst und ihren eigenen Erlebnis-Haushalt nicht sonderlich wahrnehmen. Wer angesichts dieses geringen Grades von individueller Beachtung dennoch Filme für Kinder macht, muss den Verzicht auf Bekanntheit und Ruhm von vornherein einkalkulieren. Diese programmatische Bescheidung schafft ein spezifisches, durchaus auch trotziges Selbstbewusstsein, das in gruppendynamischer Konsequenz zusätzliche Bindekraft entwickelt.
Aus solcherart verschiedenen Gründen wächst über Jahrzehnte eine Gemeinschaft besonderer Art, die man mit Recht Familie nennen darf. Diese Bezeichnung bietet sich für die gewachsene Situation des Films für Kinder im DEFA-Studio für Spielfilm geradezu an. Viele der Beteiligten verbinden sich in Freundschaften. Alle aber erleben vor allem stark und immer wieder aufs Neue ihre arbeitsorientierte Zusammengehörigkeit.
Alle, die hier an einem Ganzen zusammenwirken, sind und bleiben in ihren einzelnen Hervorbringungen durchaus eigenständige Filmmacher mit unterschiedlichen Kunstauffassungen. Sie sind also weder durch eine stilistisch deckungsgleiche Richtung geeint, noch streben sie eine solche Deckungsgleichheit an. Gleichwohl eint sie eben diese Familiarität, von der hier die Rede sein soll.


2


Mancher mag fragen: Film für Kinder, was ist das? Heutzutage und vor allem hierzulande gibt es ihn kaum. Wo er vorkommt, ist er weitgehend von irrigen Vorstellungen besetzt. Dem Film für Kinder wird meist fraglos minderer Wert unterstellt, weil – und auch weshalb dessen Bedeutung meist beträchtlich unterschätzt wird. Im Verlaufe des ersten Film-Jahrhunderts ist solche geringachtende Haltung aufgekommen, hat sich verbreitet und ist bei vielen zur schlechten Gewohnheit ausgewuchert.
Diese Unterschätzung resultiert aus der doppelten Fehleinschätzung, den Film für Kinder als bloßen Zeitvertreib für das junge Publikum zu sehen, und überdies die Kinder nicht nur juristisch, sondern auch geistig und emotional als Unmündige zu begreifen. Da wird kurzerhand geredet von einer vermeintlich minderen Fähigkeiten der Kinder, Kunst erleben zu können. Immer wieder wird ganz selbstverständlich von einer Unzulänglichkeit der Kinder für künstlerische Erlebnisse ausgegangen. Daraus wird abgeleitet, jedweden Anspruch vom Film für Kinder fern zu halten. Wo dennoch Ansprüche gestellt werden, denunziert man diese allzuoft leichtfertig als pädagogisch, gar als didaktisch, weshalb sie um ein anderes Mal als künstlerisch suspekt gelten.
Diese Unterschätzung des Films für Kinder knüpft an bei der schon älteren, ebenso allgemein gewordenen Einschätzung jeglicher Kunst für Kinder als einer allemal und grundsätzlich minderen Kunst. Wo vorhandene gute Literatur Kindern anvertraut wurde, ist es beispielsweise üblich geworden, von einem Absinken eben dieser Literatur zu reden. Märchen, als man sie im 19. Jahrhundert zu den Kindern abschob, sanken ab, heißt es. Bei Romanen, als man sie für junge Leser herausgab, wurde das Niveau kurzerhand abgesenkt. Sie wurden um vermeintlich Nicht-Kindgemäßes erleichtert, meist aufs Blank-Stoffliche reduziert und damit ihres künstlerischen Wesens beraubt. Kinderbücher werden allzu oft verstanden als solche, bei deren Produktion der Autor sich zu seinen kleinen Lesern herunterlässt oder eh schon drunten ist. Sogar Moderatoren sinken zu Kindern in die herablassende Hocke.
Die allgemeine Geringschätzung gründet wesentlich in der Gepflogenheit, Kunst und damit auch Film als Ware zu sehen. Unter gewinnorientiertem Aspekt amortisieren sich finanzielle Investitionen in den Film für Kinder bestenfalls nur sehr langsam; folglich gilt er kommerziell als kaum ergiebig und weitgehend unsicher. Wer ausschließlich den Maßstab potentiellen Geldgewinns an die Filmproduktion anlegt, kommt danach gar nicht umhin, den Film für Kinder geringzuschätzen.
Aus all diesen Quellen speist sich die törichte Unterschätzung eines eigentlich wichtigen Bereiches der Kinematographie. Diese Missachtung des Filmes für Kinder ist tatsächlich ein grober Irrtum, einer, der verhängnisvolle Folgen hat, sowohl für die Künstler, aber auch für das Publikum. Diese Misswertung hat oft zur Missbildung manchen entstehenden Films geführt. Da die Geringschätzung hierzulande fortdauert, dürfte sie diese deformierende Wirkung auch in Zukunft haben. Warum also von einem so nachrangig gesehenen Bereich überhaupt schreiben?
Film für Kinder, das ist tatsächlich ein ganz besonderer Bereich der Kinematographie, mit großen künstlerischen Möglichkeiten, von hohem ideellem Wert und weitreichend menschenbildendem Potential. Abweichend von oben beschriebener Unterschätzung gibt es in deutschsprachigem Gebiete einen zeitlich und örtlich eindeutig bestimmbaren Raum, wo der Film für Kinder hoch geschätzt und nachdrücklich gepflegt wurde, woraufhin er dort und damals sich zu bemerkenswerter Größe hat entwickeln können. Der Ort war die Deutsche Demokratische Republik. Die Zeit waren die vierzig Jahre deren Existenz und was ihr durch vier Jahre vorausging.
Vor allem ist es das Babelsberger DEFA-Studio für Spielfilme, das 1946 die kontinuierliche Produktion von Spielfilmen für Kinder beginnt und – in Wechselwirkung mit anderen, später  hinzukommenden Betrieben – entwickelt, fortlaufend durch fast ein halbes Jahrhundert. Der Film für Kinder, anfangs als solcher fast ungekannt, wächst dort nach und nach zum selbstverständlichen Kulturgut. Es wird Bedürfnis von Künstlern, dezidiert Filme für Kinder zu gestalten, wie es ebenso Bedürfnis junger Zuschauer wird, Filme zu erleben, die besonders für sie gemacht sind.
Es ist dort selbstverständlich, Kunstanspruch des Films für Kinder zu begründen, zu sichern und gegen jede Anmaßung zu verteidigen, die ihn hätte beschädigen oder gar zurücknehmen können. Die im DEFA-Studio in Babelsberg produzierten Spielfilme für Kinder „galten und gelten bis heute als ein Garant für Solidität und Qualität im Kinderfilm.“ So bescheinigt es noch jüngst ein Lexikon, das auch den Grund dafür benennt:
„Das Ernstnehmen der Zuschauer bedingte qualitativ hochwertige Filme, die immer auch deutlich ihre Entstehungszeit [re]präsentieren. Auf dramaturgische Gestaltung, Ausstattung, Schauspiel[er]führung, Dialoge und Musik wurde sehr viel Sorgfalt verwandt“.

Dieses hervorgehobene Ernstnehmen der Zuschauer, der Kinder also, bildet sich schon früh heraus, wird zum sicheren Fundament, worauf dann, mit Ausdauer betrieben, ein bedeutendes Gesamtwerk entstehen kann.
Dies alles „verleiht den DEFA-Studios innerhalb der europäischen Filmstudios […] eine bestimmte Singularität“ .Unter gesamtdeutschem Aspekt wird sehr früh klar, „daß die These von der Misere des deutschen Kinderfilms keinesfalls die allgemeine deutsche Situation charakterisiert, sondern nur für die Bundesrepublik gilt“. In der DDR gibt es diese Misere nicht. Im Gegenteil: Da ist die Fülle. Es zeichnet sich schon früh sehr deutlich ab: An dem Beitrag, den die „spezielle Kinderfilmproduktionsgruppe [des DEFA-Studios für Spielfilme] für den deutschen Kinderfilm bisher leistete, kann man nicht mehr vorbeigehen, sondern er ist richtungweisend.“ 
Diese Richtung wird durch Jahrzehnte beibehalten und mit produktivem Leben erfüllt. In beständiger Arbeit entstehen Werke, an denen immer wieder aufs Neue offenbar wird, was die Schlussbilanz so überzeugend ausweist, nämlich „daß die Kinderfilmproduktion zu jenen wenigen Feldern gehörte, auf denen die DEFA tatsächlich international Maßstäbe setzen konnte.“ 
Dies ist möglich, weil sich dynamische Kontinuität auf diesem so besonderen Gebiet durch das Wirken zahlreicher, sehr verschiedener Künstler gesteigert herstellt. Eine ganze Familie von Filmemachern, die sich dem Kinderzuschauer zuwenden, kann gedeihen. Was diese Familie an Vielfältigem produziert, ist ein Werk von Gewicht.


3


Die Zuwendung zu Kindern ist bei der DEFA keine bloß ornamentierende Arabeske, sie gehört schon am Beginn dieses Betriebes zu dessen Wesen. Die Deutsche Film AG wird offiziell am 17. Mai 1946 gegründet. An diesem Tage macht Regisseur Gerhard Lamprecht schon seit zwei Wochen Außenaufnahmen zu seinem ersten Film nach dem Kriege: Irgendwo in Berlin. Man liest nach seiner Premiere die entschiedene Zuordnung: „Lamprechts Film ist ein Kinderfilm.“ Es ist dies wohl die früheste Nennung des Begriffs Kinderfilm in Verbindung mit der DEFA.
Auch wenn dieser Begriff später Umgrenzung und Dimension verändern wird, sind wir zu der Feststellung berechtigt: Der Kinderfilm ist vom Anbeginn der DEFA etwas ihr Zugehöriges. Der 17. Mai 1946 wird „als der Geburtstag des neuen deutschen Films angesehen“. Es ist auch der Geburtstag des neuen deutschen Kinderfilms.
Die Gründung der DEFA kann durchaus als eine Folge des in die Geschichte so tief einschneidenden Jahres 1945 erkannt werden. Die DEFA ist von ihrem ersten Tage an auf gutem Wege, Ausdruck dessen zu werden, was sich aus dieser rigorosen historischen Wende entwickelt. Es ist viel gedacht, gesagt und geschrieben worden über Filmgeschichte als Zeitgeschichte. Bei keinem anderen deutschen Filmbetrieb scheint es gerechtfertigter, durchgängigen Zusammenhang zwischen beidem festzustellen, als eben bei der DEFA. Aus der Geschichte ihrer Zeit ist sie geboren. Geschichte ihrer Zeit schildert sie in ihren Filmen nicht bloß beiläufig. Sie tut es aus grundständigem Bedürfnis derer, die sie repräsentieren. Sie sucht damit gar einzugreifen in die Geschichte ihrer Zeit. Und sie wird später von der Geschichte arg betroffen, schließlich ausgehend von einem ihrer Drehpunkte zerstört.
Auch die Entwicklung des DEFA-Spielfilms für Kinder erfolgt allemal im Spannungsfeld der jeweils aktuellen Geschichtsverläufe. Der DEFA-Spielfilm für Kinder erfährt von ihnen Anstöße, trachtet sie künstlerisch widerzuspiegeln, und möchte mit Vorsatz in sie hineinwirken. Die gesellschaftlichen Bedingungen, mit denen es die DEFA-Kinderfilmemacher und ihre Zuschauer zu tun haben, bilden eine wesentliche Grundlage für die filmkünstlerische Arbeit; sie befördern diese Arbeit, geben ihr Richtung und Impuls, begrenzen sie zu Zeiten auch. Die bereits markierte Einmaligkeit des kinematographischen Unternehmens ist zweifelsfrei gekennzeichnet durch Ort und Zeit, worin er unternommen wird.
Man muss es heute betonen: Die DEFA ist von Anfang an nicht ein beliebiger Betrieb, in dem Menschen bloß schlicht tun, was sie gelernt haben, um nötigen Unterhalts willen. Absicht ist nicht, ein beliebiges Produkt herzustellen, mit dem man Profit macht, und wobei gleichgültig ist, wie es beschaffen ist, wenn es nur den gewünschten pekuniären Gewinn einbringt.
Die DEFA schickt sich damals vielmehr an, Filme zu drehen, die den Über-lebenden hemmungsloser Menschenvernichtung solche Erlebnisse bereiten sollen, die ihnen Mut machen zum Weiterleben, zum Leben überhaupt. Sie möchte ihnen darüber hinaus Erlebnisse anbieten, die diesem künftigen Leben ideell einen projektiven Umriss geben. Nicht nur pragmatische Auswege aus kargstem Heute sollen da angeboten werden, sondern durchaus auch konzeptionell orientierte Wege zu besserem Morgen oder gar glücklicherem Übermorgen.
In diesem Sinne haben die meisten der damals aktiven Filmemacher klare Absichten, die sie mit ihrer künstlerischen Arbeit verfolgen wollen. Das ist es, was sie, in Übereinstimmung mit Lessing, von manchen anderen „Künstlern unterscheidet, die nur dichten, um zu dichten, die nur nachahmen, um nachzuahmen, die sich mit dem geringen Vergnügen befriedigen, das mit dem Gebrauche ihrer Mittel verbunden ist“. Diese Filmemacher der DEFA wollen mehr mit ihren Filmen. Sie wollen dazu beitragen, dass der Zuschauer die Fähigkeit gewinnt, die Welt veränderbar zu sehen. Dieses künstlerische Handeln wird von den meisten in ganz selbstverständlicher Weise politisch und moralisch verstanden. Und also zeigen sich Filmemacher in der DEFA nachdrücklich interessiert am Sozialen, am Gesellschaftlichen, am Politischen, am Moralischen.
Sie und ihre kritischen Mitstreiter meinen, dieses Interesse auch von den Zuschauern erwarten zu sollen. Sie wollen auch, dass die Menschen selbst sich verändern. Wir lesen, es sei „höchste Zeit, dieses Publikum umzuerziehen. Jetzt, gerade jetzt muß das geschehen. Denn es ist nicht die Zeit, dieses deutsche Publikum mit freundlichem Humbug zu betäuben, sondern höchste Zeit, es mit ernster guter Filmproduktion aufzuwecken.“ 
Auch in den DEFA-Kinderfilmen der ersten Nachkriegsjahre, ist diese Richtung erkennbar. Gleichwohl ist sie keineswegs einfach auf ein wirkungsvolles Fahnenwort zu reduzieren; sie ist vielmehr höchst komplex. Da sind keine bis ins Letzte durchdachten Intentionen; die sind vielmehr auch sehr emotional beeinflusst. Es gibt auch kein in sich geschlossenes Konzept. So mischt sich viel Widersprüchliches. Am Anfang der Arbeit aber werden alle latenten Widersprüche überstrahlt von beglückender Freude des Beginnens und zuversichtlicher Hoffnung aufs Gelingen. Es ist dies jene in geschichtlichen Abläufen so seltene, aber immer wieder, wenn sie denn spürbar wird, um so erhebendere „Empfindung, daß der gegenwärtige Tag kein gewöhnlicher Tag ist, sondern der Anfang einer neuen Epoche.“ 
Die weitere Entwicklung des DEFA-Spielfilms für Kinder muss man als bewegten Prozess sehen. Es ist dies ein Prozess zunehmender Übereinstimmung derer, die ihn mannigfach befördern, auch einer mit vielfältigen Widersprüchen, und schließlich einer, der zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Impulse erfährt. Dieser wechselhafte, aber stetige Prozess unterliegt in seinem langen Verlauf einerseits einer Eigen-Dynamik, die durch die zunehmend gesteigerte Näherung der Filmemacher an ihren Gegenstand gespeist ist, andererseits unterliegt er auch der Dynamik der Historie, sowohl der des DEFA-Studios für Spielfilme, als auch jener der DDR – und nicht zuletzt auch jener der Welt. In diesem historischen Prozess wächst die Familie, von der wir hier reden.

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