Zum
Buch
Die Familie, von der
in diesem Album die Rede sein soll, ist eine bemerkenswert besondere. In
fast einem halben Jahrhundert bildet sie sich im DEFA-Studio für Spielfilme
in Potsdam-Babelsberg heraus. Die sich da nach und nach zusammenfinden,
erkennen die Herstellung von Filmen für Kinder mehr oder weniger als ihre
Lebensaufgabe, mindestens nehmen sie die Filmkunst für Kinder sehr ernst.
Aus dieser so besonderen, gemeinsamen Aufgabe wächst eine spezielle innere
Verbindung der Beteiligten, so verschieden, ja teilweise gegensätzlich sie
im Individuellen auch sein mögen. Diese Bindung wächst einerseits aus der
Besonderheit des Gegenstandes, dem man sich widmet, andererseits auch aus
nicht minder besonderen Widerständen, auf die man stößt. Die
Eigentümlichkeit dieses Gegenstandes wird da erkundet, erprobt, erstritten,
erkannt und verteidigt.
Film für Kinder, das ist tatsächlich ein ganz besonderer Bereich der
Kinematographie, mit großen künstlerischen Möglichkeiten, von hohem ideellem
Wert und weitreichend menschenbildendem Potenzial.
Der Film für Kinder, anfangs als solcher fast ungekannt, wuchs nach und nach
zum selbstverständlichen Kulturgut. Es wird Bedürfnis von Künstlern,
dezidiert Filme für Kinder zu gestalten, wie es ebenso Bedürfnis junger
Zuschauer wird, Filme zu erleben, die besonders für sie gemacht sind.
Der Film für Kinder des DEFA-Studios für Spielfilme wurde produziert von
1946 bis 1990, in letztem Nachtrab bis 1992. Für die meisten der familiär
Beteiligten paart sich Enttäuschung über das abrupte Ende eines halben
Jahrhunderts kontinuierlicher, erfolgreicher deutscher Kinematographie für
Kinder mit nachhaltigem Stolz, bei deren Entwicklung mitgearbeitet zu haben.
Inhalt
Entwicklung der
Familie. Notizen zur Geschichte des DEFA-Spielfilms für Kinder 7
Portraits aus der Familie
Einleitung 185
Hans Kratzert 192
Wolfgang Braumann 201
Gudrun Deubener 209
Siegfried Hartmann 219
Hannelore Unterberg 228
Bärbl Bergmann 237
Christa Kożik 247
Rolf Losansky 256
Evelyn Schmidt 265
Günter Meyer 277
Renate Epperlein 287
Erwin Stranka 296
Konrad Petzold 305
Heiko Ebert 314
Helmut Dziuba 325
Irmgard Marzahn 337
Walter Beck 346
Spielfilme für Kinder des DEFA-Studios für Spielfilme
Vorbemerkung 359
Filme in chronologischer Reihenfolge 366
Nachbemerkung 418
Leseprobe
Entwicklung der
Familie
Notizen zur Geschichte des DEFA-Spielfilms für Kinder
„Denn erst wenn die Erinnerung gelang,
ist einst Getanes endlich ganz getan.“
Manfred Streubel
1
Die Familie, von der
in diesem Album die Rede sein soll, ist eine bemerkenswert besondere. In
fast einem halben Jahrhundert bildet sie sich im DEFA-Studio für Spielfilme
in Potsdam-Babelsberg heraus. Die sich da nach und nach zusammenfinden,
erkennen die Herstellung von Filmen für Kinder mehr oder weniger als ihre
Lebensaufgabe, mindestens nehmen sie die Filmkunst für Kinder sehr ernst.
Aus dieser so besonderen, gemeinsamen Aufgabe wächst eine spezielle innere
Verbindung der Beteiligten, so verschieden, ja teilweise gegensätzlich sie
im Individuellen auch sein mögen. Diese Bindung wächst einerseits aus der
Besonderheit des Gegenstandes, dem man sich widmet, andererseits auch aus
nicht minder besonderen Widerständen, auf die man stößt. Die
Eigentümlichkeit dieses Gegenstandes wird da erkundet, erprobt, erstritten,
erkannt und verteidigt.
Widerstände ergeben sich fast zwangsläufig, weil hier Neuland betreten wird,
von dem zunächst kaum jemand eine präzise Vorstellung hat, zu dem aber
zugleich eine Fülle von irritierenden Vorurteilen und festverwurzelten
Missverständnissen im Umlauf sind. Tatsächlich: Die mannigfaltigen Anläufe
in dieser Sache gleichen Expeditionen in unerforschtes Gebiet. Pfade sind zu
finden und zu bahnen, wo zuvor niemand gegangen ist. Wovon man da zu wissen
glaubt, kann falsch sein, ist es tatsächlich sogar oft. Es bietet sich
einladende Gangbarkeit, die teilweise in Sackgassen endet, wo dann auch
Umkehr nötig wird. Es begegnet aussichtsarme Unwegsamkeit, die zunächst
zögern lässt, wo sich dann aber doch weiterführende Möglichkeiten öffnen.
Man gerät auch ins Dickicht der Widersprüche. Es gibt Irrtum, den man
verlässt, und es gibt Erkenntnis, die geerntet und erweitert wird. Beide,
Irrtum und Erkenntnis, verbinden sich zu allmählichem Erfolg.
Erfolg kann nach verschiedenem Maßstab gemessen werden. Vom ökonomischen,
der heutzutage zur Hauptsache geronnen ist, soll hier gar nicht die Rede
sein. Vielmehr wichtig ist da zunächst die Anerkennung im professionellen
Umfeld. Noch wichtiger jedoch ist der Erfolg beim jungen Publikum, um
dessentwillen man arbeitet. Gerade dieser Gewinn ist von Anbeginn der
Produktion, durch ein halbes Jahrhundert, bis zu ihrem rigiden Abbruch
gegeben. Noch heute ist die Spur der offenbar nachhaltigen Erlebnisse nicht
verloren, die die jungen Zuschauer für sich gewinnen können, selbst wenn
Zuschauer aus den frühen Jahrzehnten inzwischen schon Großeltern sind. Da
bleiben lebendige Erinnerungen, die von Prägungen durch die Filmerlebnisse
zeugen. Diese lebenslange Spur der Filmerlebnisse ist es wohl letztlich, um
derentwillen Filme für Kinder gemacht werden.
Erfolg und Anerkennung des DEFA-Spielfilms für Kinder wächst auch weit über
die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik hinaus. Die Filme werden
fast auf der ganzen Welt gezeigt, letzten Endes – nach zuvor langer Bonner
Blockade – sogar in der BRD. Die Filme nehmen an internationalen Festivals
teil, erringen Preise. Aus all diesen unterschiedlichen Erfolgen, vor allem
aber aus dem bei den jungen Adressaten, erwächst bei den Filmemachern Stolz.
Auch der ist von verbindender Kraft, also familienbildend.
Familiarität stärkt sich auch an dem hohen Gefühl, in einer Kunst zu
schaffen, die im besten Sinne der Zukunft zugewandt ist. Wer in der
Kinematographie für Kinder arbeitet, sendet über sein junges Publikum
zweifelsfrei Impulse in die weiteste Zukunft der Gesellschaft.
Bekanntheit und Ruhm sind in einer von Erwachsenen bestimmten Öffentlichkeit
mit einer solchen, primär den Kindern zugewandten Aufgabe, – wenn überhaupt
– eher schwerer zu gewinnen. Die jungen Zuschauer selbst, so gern und so oft
sie es sind, übersehen weitgehend diejenigen, die für sie arbeiten. Sie
nehmen das Produzierte als Selbstverständlichkeit entgegen und verschwenden
an den Prozess des Produzierens kaum einen Gedanken, schon gar keinen an
die, die da für sie produzieren. Die Erwachsenen aber übersehen diese
Kinderfilmemacher noch mehr, weil sie die Kinematographie für Kinder, selbst
dort, wo sie ihr gewissen Wert öffentlich zubilligen, für sich selbst und
ihren eigenen Erlebnis-Haushalt nicht sonderlich wahrnehmen. Wer angesichts
dieses geringen Grades von individueller Beachtung dennoch Filme für Kinder
macht, muss den Verzicht auf Bekanntheit und Ruhm von vornherein
einkalkulieren. Diese programmatische Bescheidung schafft ein spezifisches,
durchaus auch trotziges Selbstbewusstsein, das in gruppendynamischer
Konsequenz zusätzliche Bindekraft entwickelt.
Aus solcherart verschiedenen Gründen wächst über Jahrzehnte eine
Gemeinschaft besonderer Art, die man mit Recht Familie nennen darf. Diese
Bezeichnung bietet sich für die gewachsene Situation des Films für Kinder im
DEFA-Studio für Spielfilm geradezu an. Viele der Beteiligten verbinden sich
in Freundschaften. Alle aber erleben vor allem stark und immer wieder aufs
Neue ihre arbeitsorientierte Zusammengehörigkeit.
Alle, die hier an einem Ganzen zusammenwirken, sind und bleiben in ihren
einzelnen Hervorbringungen durchaus eigenständige Filmmacher mit
unterschiedlichen Kunstauffassungen. Sie sind also weder durch eine
stilistisch deckungsgleiche Richtung geeint, noch streben sie eine solche
Deckungsgleichheit an. Gleichwohl eint sie eben diese Familiarität, von der
hier die Rede sein soll.
2
Mancher mag fragen: Film für Kinder, was ist das? Heutzutage und vor allem
hierzulande gibt es ihn kaum. Wo er vorkommt, ist er weitgehend von irrigen
Vorstellungen besetzt. Dem Film für Kinder wird meist fraglos minderer Wert
unterstellt, weil – und auch weshalb dessen Bedeutung meist beträchtlich
unterschätzt wird. Im Verlaufe des ersten Film-Jahrhunderts ist solche
geringachtende Haltung aufgekommen, hat sich verbreitet und ist bei vielen
zur schlechten Gewohnheit ausgewuchert.
Diese Unterschätzung resultiert aus der doppelten Fehleinschätzung, den Film
für Kinder als bloßen Zeitvertreib für das junge Publikum zu sehen, und
überdies die Kinder nicht nur juristisch, sondern auch geistig und emotional
als Unmündige zu begreifen. Da wird kurzerhand geredet von einer
vermeintlich minderen Fähigkeiten der Kinder, Kunst erleben zu können. Immer
wieder wird ganz selbstverständlich von einer Unzulänglichkeit der Kinder
für künstlerische Erlebnisse ausgegangen. Daraus wird abgeleitet, jedweden
Anspruch vom Film für Kinder fern zu halten. Wo dennoch Ansprüche gestellt
werden, denunziert man diese allzuoft leichtfertig als pädagogisch, gar als
didaktisch, weshalb sie um ein anderes Mal als künstlerisch suspekt gelten.
Diese Unterschätzung des Films für Kinder knüpft an bei der schon älteren,
ebenso allgemein gewordenen Einschätzung jeglicher Kunst für Kinder als
einer allemal und grundsätzlich minderen Kunst. Wo vorhandene gute Literatur
Kindern anvertraut wurde, ist es beispielsweise üblich geworden, von einem
Absinken eben dieser Literatur zu reden. Märchen, als man sie im 19.
Jahrhundert zu den Kindern abschob, sanken ab, heißt es. Bei Romanen, als
man sie für junge Leser herausgab, wurde das Niveau kurzerhand abgesenkt.
Sie wurden um vermeintlich Nicht-Kindgemäßes erleichtert, meist aufs
Blank-Stoffliche reduziert und damit ihres künstlerischen Wesens beraubt.
Kinderbücher werden allzu oft verstanden als solche, bei deren Produktion
der Autor sich zu seinen kleinen Lesern herunterlässt oder eh schon drunten
ist. Sogar Moderatoren sinken zu Kindern in die herablassende Hocke.
Die allgemeine Geringschätzung gründet wesentlich in der Gepflogenheit,
Kunst und damit auch Film als Ware zu sehen. Unter gewinnorientiertem Aspekt
amortisieren sich finanzielle Investitionen in den Film für Kinder
bestenfalls nur sehr langsam; folglich gilt er kommerziell als kaum ergiebig
und weitgehend unsicher. Wer ausschließlich den Maßstab potentiellen
Geldgewinns an die Filmproduktion anlegt, kommt danach gar nicht umhin, den
Film für Kinder geringzuschätzen.
Aus all diesen Quellen speist sich die törichte Unterschätzung eines
eigentlich wichtigen Bereiches der Kinematographie. Diese Missachtung des
Filmes für Kinder ist tatsächlich ein grober Irrtum, einer, der
verhängnisvolle Folgen hat, sowohl für die Künstler, aber auch für das
Publikum. Diese Misswertung hat oft zur Missbildung manchen entstehenden
Films geführt. Da die Geringschätzung hierzulande fortdauert, dürfte sie
diese deformierende Wirkung auch in Zukunft haben. Warum also von einem so
nachrangig gesehenen Bereich überhaupt schreiben?
Film für Kinder, das ist tatsächlich ein ganz besonderer Bereich der
Kinematographie, mit großen künstlerischen Möglichkeiten, von hohem ideellem
Wert und weitreichend menschenbildendem Potential. Abweichend von oben
beschriebener Unterschätzung gibt es in deutschsprachigem Gebiete einen
zeitlich und örtlich eindeutig bestimmbaren Raum, wo der Film für Kinder
hoch geschätzt und nachdrücklich gepflegt wurde, woraufhin er dort und
damals sich zu bemerkenswerter Größe hat entwickeln können. Der Ort war die
Deutsche Demokratische Republik. Die Zeit waren die vierzig Jahre deren
Existenz und was ihr durch vier Jahre vorausging.
Vor allem ist es das Babelsberger DEFA-Studio für Spielfilme, das 1946 die
kontinuierliche Produktion von Spielfilmen für Kinder beginnt und – in
Wechselwirkung mit anderen, später hinzukommenden Betrieben –
entwickelt, fortlaufend durch fast ein halbes Jahrhundert. Der Film für
Kinder, anfangs als solcher fast ungekannt, wächst dort nach und nach zum
selbstverständlichen Kulturgut. Es wird Bedürfnis von Künstlern, dezidiert
Filme für Kinder zu gestalten, wie es ebenso Bedürfnis junger Zuschauer
wird, Filme zu erleben, die besonders für sie gemacht sind.
Es ist dort selbstverständlich, Kunstanspruch des Films für Kinder zu
begründen, zu sichern und gegen jede Anmaßung zu verteidigen, die ihn hätte
beschädigen oder gar zurücknehmen können. Die im DEFA-Studio in Babelsberg
produzierten Spielfilme für Kinder „galten und gelten bis heute als ein
Garant für Solidität und Qualität im Kinderfilm.“ So bescheinigt es noch
jüngst ein Lexikon, das auch den Grund dafür benennt:
„Das Ernstnehmen der Zuschauer bedingte qualitativ hochwertige Filme, die
immer auch deutlich ihre Entstehungszeit [re]präsentieren. Auf
dramaturgische Gestaltung, Ausstattung, Schauspiel[er]führung, Dialoge und
Musik wurde sehr viel Sorgfalt verwandt“.
Dieses hervorgehobene Ernstnehmen der Zuschauer, der Kinder also, bildet
sich schon früh heraus, wird zum sicheren Fundament, worauf dann, mit
Ausdauer betrieben, ein bedeutendes Gesamtwerk entstehen kann.
Dies alles „verleiht den DEFA-Studios innerhalb der europäischen Filmstudios
[…] eine bestimmte Singularität“ .Unter gesamtdeutschem Aspekt wird sehr
früh klar, „daß die These von der Misere des deutschen Kinderfilms
keinesfalls die allgemeine deutsche Situation charakterisiert, sondern nur
für die Bundesrepublik gilt“. In der DDR gibt es diese Misere nicht. Im
Gegenteil: Da ist die Fülle. Es zeichnet sich schon früh sehr deutlich ab:
An dem Beitrag, den die „spezielle Kinderfilmproduktionsgruppe [des
DEFA-Studios für Spielfilme] für den deutschen Kinderfilm bisher leistete,
kann man nicht mehr vorbeigehen, sondern er ist richtungweisend.“
Diese Richtung wird durch Jahrzehnte beibehalten und mit produktivem Leben
erfüllt. In beständiger Arbeit entstehen Werke, an denen immer wieder aufs
Neue offenbar wird, was die Schlussbilanz so überzeugend ausweist, nämlich „daß
die Kinderfilmproduktion zu jenen wenigen Feldern gehörte, auf denen die
DEFA tatsächlich international Maßstäbe setzen konnte.“
Dies ist möglich, weil sich dynamische Kontinuität auf diesem so besonderen
Gebiet durch das Wirken zahlreicher, sehr verschiedener Künstler gesteigert
herstellt. Eine ganze Familie von Filmemachern, die sich dem Kinderzuschauer
zuwenden, kann gedeihen. Was diese Familie an Vielfältigem produziert, ist
ein Werk von Gewicht.
3
Die Zuwendung zu Kindern ist bei der DEFA keine bloß ornamentierende
Arabeske, sie gehört schon am Beginn dieses Betriebes zu dessen Wesen. Die
Deutsche Film AG wird offiziell am 17. Mai 1946 gegründet. An diesem Tage
macht Regisseur Gerhard Lamprecht schon seit zwei Wochen Außenaufnahmen zu
seinem ersten Film nach dem Kriege: Irgendwo in Berlin. Man liest nach
seiner Premiere die entschiedene Zuordnung: „Lamprechts Film ist ein
Kinderfilm.“ Es ist dies wohl die früheste Nennung des Begriffs Kinderfilm
in Verbindung mit der DEFA.
Auch wenn dieser Begriff später Umgrenzung und Dimension verändern wird,
sind wir zu der Feststellung berechtigt: Der Kinderfilm ist vom Anbeginn der
DEFA etwas ihr Zugehöriges. Der 17. Mai 1946 wird „als der Geburtstag des
neuen deutschen Films angesehen“. Es ist auch der Geburtstag des neuen
deutschen Kinderfilms.
Die Gründung der DEFA kann durchaus als eine Folge des in die Geschichte so
tief einschneidenden Jahres 1945 erkannt werden. Die DEFA ist von ihrem
ersten Tage an auf gutem Wege, Ausdruck dessen zu werden, was sich aus
dieser rigorosen historischen Wende entwickelt. Es ist viel gedacht, gesagt
und geschrieben worden über Filmgeschichte als Zeitgeschichte. Bei keinem
anderen deutschen Filmbetrieb scheint es gerechtfertigter, durchgängigen
Zusammenhang zwischen beidem festzustellen, als eben bei der DEFA. Aus der
Geschichte ihrer Zeit ist sie geboren. Geschichte ihrer Zeit schildert sie
in ihren Filmen nicht bloß beiläufig. Sie tut es aus grundständigem
Bedürfnis derer, die sie repräsentieren. Sie sucht damit gar einzugreifen in
die Geschichte ihrer Zeit. Und sie wird später von der Geschichte arg
betroffen, schließlich ausgehend von einem ihrer Drehpunkte zerstört.
Auch die Entwicklung des DEFA-Spielfilms für Kinder erfolgt allemal im
Spannungsfeld der jeweils aktuellen Geschichtsverläufe. Der DEFA-Spielfilm
für Kinder erfährt von ihnen Anstöße, trachtet sie künstlerisch
widerzuspiegeln, und möchte mit Vorsatz in sie hineinwirken. Die
gesellschaftlichen Bedingungen, mit denen es die DEFA-Kinderfilmemacher und
ihre Zuschauer zu tun haben, bilden eine wesentliche Grundlage für die
filmkünstlerische Arbeit; sie befördern diese Arbeit, geben ihr Richtung und
Impuls, begrenzen sie zu Zeiten auch. Die bereits markierte Einmaligkeit des
kinematographischen Unternehmens ist zweifelsfrei gekennzeichnet durch Ort
und Zeit, worin er unternommen wird.
Man muss es heute betonen: Die DEFA ist von Anfang an nicht ein beliebiger
Betrieb, in dem Menschen bloß schlicht tun, was sie gelernt haben, um
nötigen Unterhalts willen. Absicht ist nicht, ein beliebiges Produkt
herzustellen, mit dem man Profit macht, und wobei gleichgültig ist, wie es
beschaffen ist, wenn es nur den gewünschten pekuniären Gewinn einbringt.
Die DEFA schickt sich damals vielmehr an, Filme zu drehen, die den
Über-lebenden hemmungsloser Menschenvernichtung solche Erlebnisse bereiten
sollen, die ihnen Mut machen zum Weiterleben, zum Leben überhaupt. Sie
möchte ihnen darüber hinaus Erlebnisse anbieten, die diesem künftigen Leben
ideell einen projektiven Umriss geben. Nicht nur pragmatische Auswege aus
kargstem Heute sollen da angeboten werden, sondern durchaus auch
konzeptionell orientierte Wege zu besserem Morgen oder gar glücklicherem
Übermorgen.
In diesem Sinne haben die meisten der damals aktiven Filmemacher klare
Absichten, die sie mit ihrer künstlerischen Arbeit verfolgen wollen. Das ist
es, was sie, in Übereinstimmung mit Lessing, von manchen anderen „Künstlern
unterscheidet, die nur dichten, um zu dichten, die nur nachahmen, um
nachzuahmen, die sich mit dem geringen Vergnügen befriedigen, das mit dem
Gebrauche ihrer Mittel verbunden ist“. Diese Filmemacher der DEFA wollen
mehr mit ihren Filmen. Sie wollen dazu beitragen, dass der Zuschauer die
Fähigkeit gewinnt, die Welt veränderbar zu sehen. Dieses künstlerische
Handeln wird von den meisten in ganz selbstverständlicher Weise politisch
und moralisch verstanden. Und also zeigen sich Filmemacher in der DEFA
nachdrücklich interessiert am Sozialen, am Gesellschaftlichen, am
Politischen, am Moralischen.
Sie und ihre kritischen Mitstreiter meinen, dieses Interesse auch von den
Zuschauern erwarten zu sollen. Sie wollen auch, dass die Menschen selbst
sich verändern. Wir lesen, es sei „höchste Zeit, dieses Publikum
umzuerziehen. Jetzt, gerade jetzt muß das geschehen. Denn es ist nicht die
Zeit, dieses deutsche Publikum mit freundlichem Humbug zu betäuben, sondern
höchste Zeit, es mit ernster guter Filmproduktion aufzuwecken.“
Auch in den DEFA-Kinderfilmen der ersten Nachkriegsjahre, ist diese Richtung
erkennbar. Gleichwohl ist sie keineswegs einfach auf ein wirkungsvolles
Fahnenwort zu reduzieren; sie ist vielmehr höchst komplex. Da sind keine bis
ins Letzte durchdachten Intentionen; die sind vielmehr auch sehr emotional
beeinflusst. Es gibt auch kein in sich geschlossenes Konzept. So mischt sich
viel Widersprüchliches. Am Anfang der Arbeit aber werden alle latenten
Widersprüche überstrahlt von beglückender Freude des Beginnens und
zuversichtlicher Hoffnung aufs Gelingen. Es ist dies jene in geschichtlichen
Abläufen so seltene, aber immer wieder, wenn sie denn spürbar wird, um so
erhebendere „Empfindung, daß der gegenwärtige Tag kein gewöhnlicher Tag ist,
sondern der Anfang einer neuen Epoche.“
Die weitere Entwicklung des DEFA-Spielfilms für Kinder muss man als bewegten
Prozess sehen. Es ist dies ein Prozess zunehmender Übereinstimmung derer,
die ihn mannigfach befördern, auch einer mit vielfältigen Widersprüchen, und
schließlich einer, der zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Impulse
erfährt. Dieser wechselhafte, aber stetige Prozess unterliegt in seinem
langen Verlauf einerseits einer Eigen-Dynamik, die durch die zunehmend
gesteigerte Näherung der Filmemacher an ihren Gegenstand gespeist ist,
andererseits unterliegt er auch der Dynamik der Historie, sowohl der des
DEFA-Studios für Spielfilme, als auch jener der DDR – und nicht zuletzt auch
jener der Welt. In diesem historischen Prozess wächst die Familie, von der
wir hier reden.
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