Teffera, Timkehet:

Aerophone im Instrumentarium der Völker Ostafrikas

2009, 620 S., zahlr. teils farbige Abb., ISBN 978-3-89626-378-0, 69,80 EUR

=> Lieferanfrage

Zurück zur letzten Seite                    Zur Startseite des Verlages

 

Klappentext

Die Habilitationsschrift von Timkehet Teffera ist Aerophonen im ostafrikanischen Kulturraum gewidmet und basiert auf Feldforschungen im Sudan, in Kenia, Tansania, Uganda und in Äthiopien. Bestandsaufnahmen in Phonogrammarchiven und Musikinstrumentensammlungen sind organisch in die Forschungsarbeit integriert worden.
Die Entstehung und Entwicklung der ostafrikanischen Aerophone werden – soweit möglich – von ihren organologischen und terminologischen Gesichtspunkten her ausführlich behandelt. Damit verbunden sind Erläuterungen zu ihrem Ursprung, zu ihren Verbreitungsgebieten, zu den Methoden ihrer Herstellung, den verwendeten Materialien sowie den Spielweisen und Spieltechniken. Den Gegenstand dieser Arbeit bilden außerdem klangliche und akustische Eigenschaften der untersuchten Aerophone und letzten Endes ihre außermusikalischen Bedeutungen und Funktionen sowie ihre geschlechterbezogene Gegenständlichkeit in unterschiedlichen Kulturen Ostafrikas.
Nicht zuletzt empfiehlt sich aus diesem detailliert erstellten Zusammenhang, nicht nur musikethnologische Forschungen, sondern vielmehr interdisziplinär weit­ reichend zusammenhängende Studien zu betreiben, die helfen können, diese wenig erschlossenen Kulturen besser verstehen zu lernen.

Inhalt

I EINFÜHRUNG
1.1. Themenwahl
1.2. Ostafrika
1.3. Eingrenzung des Untersuchungsgebietes
1.4. Feldforschung
1.5. Eigene Vorarbeitungen und Untersuchungsmethoden
1.6. Forschungsstand
1.6.1 Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie derWissenschaften in Wien
1.6.2 Phonogramm–Archiv der Abteilung Musikethnologie desMuseums für Völkerkunde, Berlin
1.6.3 Bestandsaufnahme weiterer zugänglicher Musikinstrumentensammlungen (Afrika, Ostafrika)
1.6.4 Sammlungen von Tonmaterialien
1.7. Quellenlage und Literatur
1.8. Musikalisches Verstehen: Interpretation und Hinweise zu den Transkriptionen

II DIE AEROPHONE
2.1. Klassifikation
2.2. Freie Aerophone
2.3. Flöten

2.3.1. Offene Längsflöten ohne Grifflöcher
Das Embilta–Ensemble der Amara und Tigray, Äthiopien
Die Hindeeru der Arbore, Äthiopien
Die Nsegu der Nyoro, Toro und Nkole, Uganda
Das Nsegu–Ensemble der Hima und Iru, Uganda
Die Nsegu der Amba und Konjo, Uganda
Die Lalipe und Liri der Lango und Didinga, Sudan
Die Mala–, Oliko– bzw. Gbere–Flöten der Madi und Acholi,Uganda

2.3.2. Offene Längsflöten mit Grifflöchern
Die Alamoru der Turkana und Teso, Kenia
Die Biringi oder Mutururu der Kikuyu, Kenia
Die Ebune der Turkana, Kenia
Die Ekinimba der Kiga, Kenia
Die Endere–Ensemble der Baganda, Uganda
Die Fodima der Afar, Äthiopien
Die Foodhin der Bajuni, Somalia
Die Forimo und Gobais, Somalia
Die Lalego und Pelo der Lango und Larim, Sudan
Die Kumurere der Gishu, Uganda
Die Mlele, Mulele, Khumulele der Luhiya, Kenia
Die Muturiru der Gikuyu, Kenia
Die Nyamulere, Nyamulero, Oluett der Madi, Lango, Acholi und Bakonzo, Uganda
Die Odundu der Luo, Kenia
Die Olera, Olete der Acholi und Madi, Uganda
Die Omukuri der Nkole, Kiga und Hima, Uganda
Die Shulungo der Maale, Äthiopien
Die Shungul der Ari, Äthiopien
Die Sorror der Nymang, Sudan
Die Washint der Amara, Äthiopien
Die Woissa der Hamar, Banna, Bashada, Äthiopien
Die Zumbara der Nomadenvölker

2.3.3. Gedackte Längsflöten ohne Grifflöcher
Das Abbi–Birare–Ensemble der Berta, Äthiopien
Das Afyanza–Esnemble der Komo, Äthiopien
Das Andinga–Ensemble der Gumuz, Sudan
Das Bal–Ensemble der Ingessana, Sudan
Das Bol–Negero–Ensemble der Berta, Äthiopien
Das Bol–Tsitsim–Ensemble der Berta, Äthiopien
Das Bulhu–Ensemble der Berta, Sudan
Das Eruma–Ensemble der Amba und Konjo, Uganda
Das Fila–Ensemble der Gidole, Äthiopien
Das Mbasi–Ensemble der Wasangu, Tansania
Das Osegu–Ensemble der Madi, Uganda
Das Pile–Ensemble der Maale, Äthiopien
Das Woissa–Ensemble der Ari, Äthiopien
Das Vylanzi–Ensemble der Zaramo, Tansania

2.3.4. Gedackte Längsflöten mit Grifflöchern
Flöte n.n. der Bongo und Idio, Sudan
Flöte n.n. der Bamum und Dupa, Kamerun
Die Kiluka, Kalur, Kilu der Alur, Acholi, Uganda
Das Otule–Ensemble Lango, Uganda


Querflöten

2.3.5. Querflöten mit Grifflöchern
Die Chivoti der Giriama und Digo, Kenia
Die Ekibiswi der Kuria, Kenia
Die Emborogo der Kikuyu, Kenia
Die Kilanzi, Mwanzi und Npeta der Hehe, Makonde und Makua,Tansania
Die Mlanzi der Wagogo, Tansania
Querflöte n.n. der Ngorima und Shashi, Tansania

2.3.6. Querflöten ohne Grifflöcher
Die Filulu der Sukuma, Tansania
Die Ludaya der Gishu, Uganda

2.3.7. Gedackte Querflöten mit Grifflöchern
Die Ekerongwe der Kuria, Kenia
Die Ikere der Kuria, Kenia
Die Umwere der Kuria, Kenia
Querflöte n.n. der Ngorime und Shashi, Tansania

2.3.8. Doppelquerflöten

2.3.9. Spaltflöten: Allgemeines
Das Ngoma–Ya–Kidembwa–Ensemble der Wasamba, Tansania
Das Ngoma–Dumange–Ensemble der Wasamba, Tansania

2.3.10. Gefäßflöten: Allgemeines
Die Ebundi, Kigwara und Kigwari der Nyole, Gwere und Gishu,Uganda
Die Mwarutu und Mpiluli der Digo und Iramba, Kenia, Tansania
Die Ndaku der Lugbara, Uganda

2.3.11. Panflöten
Die Fanfa der Konso, Äthiopien
Die Enkwanzi oder Obulere–Ensemble der Busoga, Uganda
Die Malko der Maale, Äthiopien
Die Oseke der Alu, Uganda

2.4. Schalmeien (Oboen und Klarinetten): Allgemeines
Blattoboe n.n. Digo, Kenia
Die Bungo der Giriama, Kenia
Die Keiyta der Haussa, Sudan
Die Zomari, Zumari Nzumari usw. Der Swahili, Digo, Rabai, Kenia,Tansania

2.5. Trompeten und Hörner

2.5.1 Schneckentrompeten und Schneckenhörner: Allgemeines
Schneckentrompeten aus der ostafrikanischen Küstenregion

2.5.2 Längstrompeten
Die Abu der Luo, Kenia
Die Bonder Balla und die Bondoro D ñe der Berta, Äthiopien
Das Dussul Ensemble der Nymang, Sudan
Die Egwara und Kawunde der Baganda, Uganda
Die Kanga oder Akanga Dajo, Lotuko der Buri, Sudan
Die Lilandi, Ntandara und Ntanduka der Kabwa und Ukerewe,Tansania
Das Penah–Ensemble der Gumuz, Sudan
Die Pororesa der Welayitta, Äthiopien
Die Rango der Tigray, Äthiopien
Die Sinr der Ingessana, Sudan
Die Turumba, Trumba, Äthiopien
Die Uluru oder Luru der Madi, Uganda
Das Waza– Ensemble der Berta, Äthiopien, Sudan

2.5.3 Längstuben
Die Aporo, Asukusuk und Meleket der Labwor, Teso und Amara,Uganda, Äthiopien

2.5.4 Längshörner
Das Olwet, Rirandi, Singar, Karumbeta, Kurumbe und Humbu der Acholi Gusii Ingessana, Kikuyu, Mao und Komo, Uganda, Kenia, Sudan, Äthiopien

2.5.5 Quertrompeten
Die Agwara–Ensemble Alur, Uganda
Das Amakondere–Ensemble der Banganda, Banyoro, Batolo und Bayankole, Uganda
Die Dinke Welayitta, Kembatta, Hadiyya, Äthiopien
Die Ebigwala–Ensemble Basoga, Uganda
Die Hura der Welayitta, Kefficho und Kembatta, Äthiopien
Die Limba, Yuge und Mare der Madi, Kakwa und Lugbara, Uganda
Die Nkaanga, Kanga und Likhaanga der Banyoro, Batoro, Alur und Luhiya, Uganda
Die Omwomba der Kerebe, Tansania

2.5.6 Querhörner
Das Angari der Berta, Äthiopien
Das Bulu der Berta, Äthiopien
Die Borsher und Diederi der Nymang, ,Sudan
Das Obute der Acholi, Uganda
Das Engombe der Baganda, Uganda
Das Enzomba der Kerebe, Tansania
Das Gaferi–Gurani der Maale, Äthiopien
Die Ture–Angwa, Guke und Aluut der Madi, Lugbara und Karamojong, Uganda
Das Gees–Oogoodir, Somalia
Das Gunda der Wasamba u. a. Tansania
Das Tung der Anuak, Sudan


Querhörner aus Elfenbein

Zusammengesetzte Querhörner
Das Adalo der Shilluk , Sudan
Das Muong der Dinka, Sudan
Das Huldudwa der Gidole u. a., Äthiopien


S–förmige und mehrfach gewundene Querhörner
Das Baragumu, Bangare und Kangdur der Swahili, Kenia, Tansania und Azande und Shilluk, Sudan
Das Emouo der Maasai, Kenia
Das Olukia der Luhiya, Kenia
Querhörner n.n. der Sukuma, Shashi, Tansania
Querhörner n.n. der Kamba, Madi und Bari, Kenia, Uganda,Sudan
Das Tori der Bari, Uganda, Sudan
Das Zumbe der Swahili, Tansania
Querhörner aus Elefantenstoßzahn, Metall und Holz
Das Siwa aus Lamu, Kenia, Tansania
Schlussbemerkungen

ANHANG
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der Tabellen
Verzeichnis der Notenbeispiele
Literatur und Quellen
Glossar: Verwendete Fremdwörter: Musikinstrumente
Über die Autorin
Bildnachweis

 

 

I. Einführung

 

1.1. Themenauswahl

Das traditionelle Instrumentarium der Musikkulturen Ostafrikas beschränkt sich nicht nur auf den Gebrauch von Trommeln1 (Chernoff 1979:27; Kubik 1982: 6; Wachsmann 1988: 78f.; Bebey 1975: 92; 116), mit dem der Kontinent Afrikas oft identifiziert wird. Es umfasst im Gegenteil alle vier Hauptinstrumentengruppen. Sicher gibt es in einigen Kulturen Unterschiede in Anzahl und Auswahl der Instrumentenverwendungen, die überwiegend mit den Siedlungsgebieten, mit der Lebensweise und mit der histori­schen Entwicklung der betreffenden Volksgruppen zusammenhängen. Herstellungsweisen von Musikinstrumenten, ihre Formen, Materialien, Spielweisen und -techniken, Stimmungen, musikalische und außermusikalische Funktionen und Bedeutungen im Zusammenhang mit den historischen, politischen, sozialökonomischen, kulturellen und religiösen Gegebenheiten weisen sowohl Differenzen als auch Gemeinsamkeiten auf. Die dieser Arbeit zugrunde liegende musikethnologische Feldforschung widmet sich der Untersuchung von Aerophonen in ostafrikanischen Volksgruppen. Bei dem bisher erreichten Stand der musikethnologischen Erforschung kann man davon ausgehen, dass die Aerophone auf dem gesamten Kontinent sehr wenig studiert worden sind. Den Kern dieser Arbeit bildet daher die aus einer umfassenden Sichtung hervorgegangene explizite Gesamtdarstellung der Aerophone, ihre Einteilung in Typen und Subtypen und die Untersuchung ihrer musikalischen bzw. instrumentalen Stilgebiete. Die Stilgebietsforschung wird durch

intra- und interkulturelle Zuordnungen ergänzt, sodass der daraus resultierende systematische Überblick eine überschaubare Auskunft über

a) die ethnisch-kulturelle Verankerung bzw. die historische Herkunft

b) die instrumentenkundliche Klassifizierung und die intra-kulturelle Zuordnung.

c) die Spielweise und Spieltechnik

d) das damit verbundene Repertoire und dessen musikalisch-funktionale Bedeutung (auch im Zusammenhang mit anderen Musikinstrumentengruppen, die bereits repräsentativer untersucht wurden)

e) die technologische Vielfalt

f) die soziokulturelle Rolle eines jeden Instruments, dessen mögliche außermusikalische Bedeutung und nicht zuletzt

g) die geschlechtsspezifische Zuordnung bietet.

 

 

1.2. Ostafrika

Bei der Untersuchung der ostafrikanischen Musikkulturen ist es von Bedeutung, die hier beheimateten Volksgruppen, ihre Verbreitungsgebiete im Zusammenhang mit ihren Lebensweisen und ihre ethnischen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Klassifikationen im Vorfeld möglichst genau zu erfassen, da anhand dieser wichtigen Anhaltspunkte auch ihre musikalischen Traditionen besser begründet werden können. Die Völker Ostafrikas setzen sich aus Bantu, Niloten, Semiten, Kuschiten und Omoten zusammen, die unter den afro-asiatischen, den nilo-saharischen und den Niger-Kongo-Sprachfamilien klassifiziert werden.

Diese Völker bewohnen entweder fruchtbare Regionen als sesshafte Ackerbauern oder trockene Gebiete2 als Pastoralisten und Nomaden. Basierend auf archäologischen Funden, die für eine Erforschung des ostafrikanischen Kulturraumes bislang nur marginal eine Rolle spielten, stellen Historiker fest, dass der Anfang der afrikanischen Geschichte höchstwahrscheinlich mit der Menschwerdung des Vormenschen in Zusammenhang steht3. Dennoch bestehen immer noch Zweifel über die Rekonstruktion dieses Zeitabschnittes. Ein konkreter Anfangszeitraum lässt sich mithin nicht definieren (vgl. Davidson 1969: 4; Wachsmann 1988: 81f.). Aus anderen Disziplinen, etwa aus der Geschichte, der Archäologie, der Ethnologie, der Soziologie, der Anthropologie und der Sprachwissenschaft steht uns zwar eine Vielzahl von wissenschaftlichen Quellenmaterialien zur Verfügung, die sowohl auf mündlich überlieferten, autochthonen Traditionen Afrikas als auch auf den erst in jüngeren Epochen entstandenen Schriftquellen beruhen. Doch sind die Methoden der wissenschaftlichen Untersuchungen und Herangehensweisen für den vorliegenden Zweck unterschiedlich zu bewerten. Ihre Inhalte besitzen je nach Quellenmateria­lien eine unterschiedliche Gewichtung: mündliche Traditionen, schriftliche Zeugnisse, archäologische oder linguistische Berichte, die für die jeweilige Forschung von Belang sind und für den entsprechenden Themenbereich näher in Betracht gezogen wurden.

Ungeachtet dessen ist die Verwendung von zur Verfügung stehenden Quellen selbstverständlich von großer Bedeutung für jede wissenschaftliche Untersuchung. Die hier angestrebte musikethnologische Forschung ist daher auch auf all diese Quellenmaterialien angewiesen, um das zu untersuchende Thema im Zusammenhang mit den verschiedenen Aspekten der Menschheitsgeschichte wahrzunehmen und sie entsprechend abwägen zu können. Auch wenn der überwiegende Teil dieser Quellen sich in der einen oder anderen Form gegenseitig ergänzt, wurde in dieser Arbeit versucht, das Material in seiner Individualität sowohl effektiv als auch möglichst genau zu studieren. Es ist unabwendbar, sich mit der Geschichte dieser Region auseinanderzusetzen, weil sie uns den Weg weist, das gegenwärtige Bild der sozialkulturellen und letzten Endes auch politischen Konstellationen von verschiedenen Gesichtspunkten her zu erfassen und diese zu ergründen.

Die politische und kulturelle Vergangenheit Ostafrikas wurde speziell durch Völkerwanderungen, Verstreuungen, Invasionen, aber auch durch friedliches Durch- und Eindringen geprägt, welches sich sowohl innerhalb des Territoriums Ostafrikas als auch in Interaktion mit anderen Regionen Afrikas und mit Asien und Europa langsam über mehrere Jahrzehnte und Jahrhunderte vollzog (Cooke 1998: 598; Davidson 1969: 25ff.).

Hauptursachen für die Migrationsbewegungen in Ostafrika waren die Suche nach besseren und fruchtbareren Gegenden (z.B. Ackerland und Grasland), Vertreibungen aufgrund von Konflikten und Kriegen, Klimakatastrophen, Hungersnöte und Überbevölkerung. Diese Phänomene lösten nicht nur uneinheitliche Entwicklungen in dieser Region aus, sondern sorgten auch für gravierende Veränderungen und Verschiebungen sozialkultureller Werte von Gesellschaften und ihren musikalischen Gewohnheiten wie Gesang, Tanz, Stil, Repertoire und Instrument (vgl. Nketia 2000: 14).

Oft waren nur einzelne Teile der Völker von den Völkerwanderungen Ostafrikas betroffen. Diese Bewegungen verursachten Zersplitterungen von ursprünglich einheitlichen Völkern und lösten wiederum unterschiedliche Entwicklungen aus. Im jeweils neuen Siedlungsgebiet vermischten sich diese Einwanderungsgruppen mit anderen, bereits bestehenden Gruppen oder eigneten sich teilweise neue Kulturen, also auch neue Musikkulturen an (Nketia 2000: 15; Kubik 1988: 16, 40f., 53).

Hinsichtlich musikalischer Quellen liegen uns seit Beginn des 20. Jahrhunderts Schallquellen auf Wachszylindern vor, die zu einer wesentlichen Verbesserung systematischer Musikforschungen und Analysen im Vergleich zu früheren Zeiträumen führten (Kubik 1982: 116 und 2001b: 196). In diesem Zusammenhang sei auch die Geschichte der ostafrikanischen Küstenregion (Kenia und Tansania einschließlich der Inseln Sansibar und Pemba) erwähnt, die insbesondere seit dem 19. Jahrhundert schriftlich dokumentiert worden ist. Es ist eine Geschichte zahlreicher Invasionen und Kriege sowie Handelsbeziehungen, die durch rege wirtschaftliche und kulturelle Interaktionen mit der Außenwelt gekennzeichnet ist4. Dazu gehören die musikkulturellen Kontakte mit Asien und dem Nahen Osten.

Letzteres geschah hauptsächlich im Zuge der Islamisierung (Kubik 2001a: 83), die seit dem 7. Jahrhundert unserer Zeit weite Teile Ostafrikas betraf. Außer den Bewohnern des ostafrikanischen Küstenstreifens kamen auch die Völker Äthiopiens, Eritreas, Djibutis, Somalias und des Sudans mit dem Islam in Berührung, sodass die hier praktizierten musikalischen Traditionen mitunter auch im Prozess der Islamisierung zu dem geformt wurden, was sie heute sind. Diese musikalische Akkulturation hatte somit Auswirkungen auf die bereits seit Jahrhunderten bestehenden autochthonen Mu­sikkulturen. Als Resultat dieses historischen Werdegangs entstand beispielsweise die sogenannte Swahili-Kultur in Kenia und Tansania, die nicht nur im sozialpolitischen und religiösen, sondern auch im musikali­schen Bereich eine besondere Eigenart tief verwurzelter afrikanischer sowie fremder Einzelelemente in sich birgt. Trotz dieses starken Drucks zur Veränderung legten die Swahili dennoch stets einen großen Wert darauf, die über Jahrhunderte verwurzelten inhaltlichen, formalen und sozialen Aspekte der Musikkultur Afrikas zum größten Teil aufrecht zu erhalten. Bei den Zaramo, einem Volk aus dem Küstengebiet Tansanias, begegnet uns z.B. heute noch das Viyanzi-Flötenensemble, das von Trommelgruppen, Perkussionsstöcken und Rasseln begleitet wird (Kubik 2001a: 85). Auch wenn man einerseits gewiss davon ausgehen kann, dass die Expansion des Islams die Einführung neuer Musikformen und Musikinstrumente nach Ostafrika ermöglicht hat, muss man andererseits auch die restriktive Reaktion, ja bisweilen sogar die „fanatische“ und „feindliche“ Haltung einiger islamischer Gelehrter gegenüber der weltlichen Musik ins Auge fassen, die für die Unterbrechung bestimmter Musizierpraktiken gesorgt hat (Nketia 2000: 20; Simon 1983: 299f., Kubik 2001b: 192; Herzka 2003: 138–142).

Der Gebrauch weltlicher Musikinstrumente, Gesänge und Tänze war beispielsweise unter der Herrschaftszeit der 72 sukzessiven Sultane der Stadt Harar in Südostäthiopien meistens streng verboten, weil sie als profan und unreligiös galten. Bisweilen wurden sie jedoch von einigen Sultanen bis zu einer gewissen Grenze zugelassen. Die Entscheidung über Pro und Kontra der weltlichen Musikausübung basierte also auf der subjektiven Betrachtung eines jeden Herrschers, der den Koran ebenso unterschiedlich interpretierte. Infolgedessen verwenden die Harare heute eine wesentlich beschränkte Anzahl von Instrumenten für die Begleitung weltlicher Gesänge (Abdu-Nasser 2000). Als Ergebnis der historischen Prozesse, die in Ostafrika stattfanden, sind heute neben den Unterschieden auch auffällige Gemeinsamkeiten in den Musikdarbietungen sowohl unmittelbar benachbarter als auch weit auseinander liegender Gebiete feststellbar (Nketia 2000: 16f.; 90; Kubik 1988: 22). Dabei handelt es sich nicht nur um den Gebrauch von Musikinstrumenten, ihre Spielweisen und -techniken, Konstruktionsweisen und Materialien, sondern auch um die Gesangs- und Tanzrepertoires und die Musikstile. Diese können entweder einen lokalen Ursprung besitzen oder aus anderen Gebieten eingeführt und im Laufe der Zeit allmählich in den musikkulturellen Alltag der jeweiligen Bevölkerung integriert worden sein.

Je nach dem Siedlungsgebiet und der Lebensweise einer jeden Volksgruppe kann man auch teilweise bestimmte Musizierpraktiken wie zum Beispiel Gesang und Tanz und die Auswahl verwendeter Musikinstrumente ungefähr einschätzen. Zum Beispiel sind bei Nomadenvölkern wie den Maasai in Kenia wenig bzw. kaum Musikinstrumente in Gebrauch, weil sie stets auf der Suche nach fruchtbarem Grasland für ihr Vieh umherziehen müssen. Daher wären sie nicht in der Lage, schwere Instrumente von Ort zu Ort zu befördern. Dennoch wird die Abwesenheit von Instrumenten traditionsgemäß durch menschliche Laute, emphatische Schreie, geräuschvolle Körperbewegungen wie Fußstampfen und Händeklatschen ergänzt, die zur Gesangsbegleitung dienen. Sehr selten sorgen Tierhörner oder zeitweilig auch Längsflöten in den Tänzen der nomadischen Karamojong, Jie, Tepeth und Pokot Nordostugandas für zusätzliche Stimmung (Ankermann 1901: 75; Kubik 1997: 1170; Anderson/Wachsmann 2001: 36). Im Vergleich zu Nomadenvölkern sind bei den Ackerbau betreibenden Völkern Ostafrikas Ähnlichkeiten in den Musikpraktiken etwa in den Melodien und Rhythmen, in der Zusammenstellung von Instrumenten wie Trommeln, Leiern und Harfen, Trompeten und Flöten, Röhrengeigen, Kastenspießlauten und Xylophonen feststellbar.

Der Klang einer Musik soll ferner nicht nur von seinem musikalischen, sondern auch von seinem außermusikalischen Aspekt her untersucht werden. Dieser Ansatz gilt genauso für Instrumente, die in beiden Bereichen bedeutungsvoll sein können. Das Querhorn Gunda der Wasamba in Nordtansania, das für die Signalgebung, d.h. für die gegenseitige Verständigung zwischen allen an der Jagd auf Vögel und Affen auf den zu schützenden Feldern beteiligten Männern geblasen wird, ist nur ein Beispiel von vielen. Dieses Querhorn wird, soweit bekannt, zu keinem musikalisch unterhaltsamen Zweck gespielt. Es sind schließlich die Träger der jeweiligen Musikkultur, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen sollen, da die Musik ohne ihre Träger nicht existieren kann. Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil der Musik, die eine wichtige Rolle im Prozess der Wahrnehmung und Beschreibung einer Musiktradition und der damit verbundenen Erscheinungen wie Musikinstrumente, Tanz- und Bewegungsformen und ihrer besonderen Merkmale spielt (Ander­son/Wachsmann 1980: 35; Kubik 1994: 52).

Es ist wichtig, Veränderungen jeglicher Art in der Geschichte gleichzeitig in Bezug auf ihre sprachlichen Aspekte näher zu untersuchen (Kubik 1994: 53; Sachs 1974: 12). Angesichts des als besonders apostrophierten engen Verhältnisses zwischen Musik und Sprache in Afrika sind eine Reihe von Forschungen durchgeführt worden. In diesem Zusammenhang sind die Tonsprachen zu nennen, die in Afrika weit verbreitet sind. Als Beispiel seien die wissen­schaftlichen Untersuchungen von Kubik über die Sprechtrommeln der Yoruba aus Südnigeria (1983b: 49–57), Wängler im Hinblick auf den engen Zusammenhang gesprochener und gesungener Tonhöhen am Beispiel der Gesänge der Hausa (1983: 58–65) und Jungraithmayr über Funktion und Bedeutung musikalischer Tonhöhen am Beispiel der Angas, Yoruba und Ewe aus Nigeria, Togo und Ghana (1983: 66–71) genannt.

Die obigen Untersuchungen stellen fest, dass eine Missachtung von Tonhöhenunterschieden in Tonsprachenkulturen zu gravierenden Missverständnissen führen kann. Als eine Besonderheit der mit Tonsprachen verbundenen Musizierpraktiken gilt zum Beispiel, dass durch das Spiel von Musikin­strumenten bestimmte Ideen, Sätze oder Wortkombinationen wiedergegeben werden. Diese finden allerdings nicht nur zum Spaß statt, sondern sie sind an bestimmte, mitunter wichtige, musikalische Funktionen gebunden. Unter anderem dienen sie der Übermittlung von Nachrichten, Signalen oder Befehlen. Die zu vorgegebenen Zeiten im Verlauf eines Tages erklingenden königlichen Trommeln des ehemaligen bugandischen Hofes aus Zentraluganda, erfüllten zum Beispiel einen ähnlichen Zweck. Durch den Trommelschlag wurden die Einwohner ständig über die einzelnen Aktivitäten des Kabaka (König) und seines Hofes informiert. Die zu den afrikanischen Tonsprachen gehörende Luganda-Sprache der Baganda spielte also eine wichtige Rolle in der Übermittlung dieser Nachrichten und der Verständigung zwischen dem Königshof und der Bevölkerung. Es gab ver­schiedene Typen von Schlagmustern, die entsprechend unterschiedlichen Bedeutungen inne hatten (Kubik 1982: 14–21; Cooke 1996: 442f.). Daher ist es wichtig, die Mannigfaltigkeit der Sprachen zu beachten und musik­ethnologische Erforschungen mit sprachhistorischen Kontexten zu verknüpfen (Kubik/Simon 1994: 121–169).

 

1.3. Eingrenzung des Untersuchungsgebietes

Mit dem geographischen Begriff Ostafrika wird generell das zwischen dem Westlichen Afrikanischen Grabenbruch und dem Indischen Ozean liegende Gebiet bezeichnet, welches sich vom „tiefen Süden des Kontinents über mehr als 5000 km hinauf zu den großen Seen und noch darüber hinaus“ erstreckt (Wachsmann 1988: 78). Der geographische Raum des heutigen Ostafrikas schließt die politisch zum Horn von Afrika zählenden Länder Djibuti, Eritrea, Äthiopien und Somalia, die in der Küstenregion, in zentralen und südlichen Gebieten liegenden Länder Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi und Tansania sowie den zentralen und den südlichen Sudan12 und Teile Nordmosambiks, Sambias und Malawi ein (Barz 2004: 1ff.; Hickmann 1988: 91; siehe Abb. 1).

Die hier in den Mittelpunkt gestellte Gesamtdokumentation der Aerophone Ostafrikas und die eingehende Analyse ihrer sozialen Einbindung mussten faktologisch eingegrenzt werden, da zu umfangreiche Absichten letztend­lich nur unbefriedigende Resultate erbringen können. Aufgrund dessen beruht diese Arbeit auf Fallstudien und Fakten, die vor­wiegend aus einer sechsmonatigen Feldforschung in fünf ostafrikanischen Ländern gewonnen wurden. Es handelt sich um die Länder Sudan, Uganda, Kenia, Tansania und Äthiopien, die vor allem durch ihre engen histori­schen und kulturellen Bindungen bekannt sind.

Eine komplette Untersuchung der gesamten Region Ostafrikas wäre in der vorgegebenen Zeit logistisch keineswegs durchführbar, ebenso wäre eine vollständige und detaillierte Beobachtung aller vorhandenen Musiktraditionen eines einzigen Landes in der zur Verfügung stehenden Zeitspanne undenkbar. Daher wurden diese Länder für die thematisch begrenzte Forschungsreise ausgewählt und somit die zu untersuchende Region abgesteckt. Im Verlauf der Forschungsaufenthalte in den jeweiligen Ländern wurde gezielt versucht, mindestens eine Volksgruppe zu besuchen und ihre traditionelle Musik vor Ort aufzunehmen. Als Ergebnis der Feldforschung wurden daher die Musikkulturen der im Folgenden aufgelisteten Volksgruppen untersucht:

– die Berta, Mao und Komo des Benishangul-Gumuz National Regional Staates (BGNRS) in Westäthiopien. Andere hier lebende Gemeinschaften sind die Gumuz und Shinasha. Hierbei soll erwähnt werden, dass weitere Gruppen der Berta und Gumuz auch im Sudan leben. Trotz der unterschiedlichen Siedlungsgebiete teilen die Berta und die Gumuz eine gemeinsame historische, kulturelle und religiöse Herkunft.

– die Ari und Maale aus Südäthiopien. Diese Region ist außerordentlich reich an Sprachen und Dialekten, die von unzähligen Volksgruppen, bei­spielsweise den Bodi, Bumi, Dasanech, Dizi, Hamar, Mursi und Surma dieses Gebietes gesprochen werden.

– die Baganda, eine der größten Bevölkerungsgruppen Zentralugandas, die z.B. in den Distrikten Kampala, Mpigi, Mukono, Masaka lebt.

– die Basoga, die in Südostuganda die Regionen zwischen dem Viktoria-See und dem Kioga-Fluss die Distrikte Jinja, Kamuli und Iganga bewohnen. Die Forschungsarbeit fand in diesem Fall bei den Baganda aus dem Dist­rikt Kampala und den Basoga aus Jinja statt.

– die nordtansanischen Wasambaa aus Vuga, einem kleinen Ort in den etwa 1.800 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Usambara Bergen. Die ethnische Gemeinschaft der Wasambaa bewohnt ein ebenso großes Gebiet, welches sich von der Tanga-Provinz Nordtansanias in nordöstlicher Richtung erstreckt.

– die Digo, die im Küstenstreifen Kenias südlich von Mombasa leben.

– die Giriama, ebenfalls aus der kenianischen Küstenregion. Sie bewohnen überwiegend das nördlich von Mombasa gelegene Gebiet im Landesinneren. Sowohl die Digo als auch die Giriama gehören zu den insgesamt neun eng verwandten Mijikenda-Gruppen.

Die Informationen der hier nicht aufgelisteten Regionen bzw. Volksgruppen Ostafrikas wurden durch sekundäre Quellen ergänzt. Dabei handelt es sich vor allem um wissenschaftliche Arbeiten und Enzyklopädien sowie Bestandsaufnahmen in öffentlich zugänglichen Phonogrammarchiven und Museen mit Musikinstrumentensammlungen aus Afrika.

Bei der Durchführung der Untersuchungen und der darauf aufbauenden Analyse wurde daher auch versucht, die bislang nur vereinzelt und am Rande musikethnologischer Forschungen in Betracht genommenen Aerophone, in Bezug auf Repertoires, Spielweisen, geschlechterspezifischen Gebrauch und außermusikalische Bedeutungen so weit wie möglich genauer zu beschreiben und letztendlich anschauliche wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen.